Multiple Sklerose

Das Therapie-Dilemma

Stuttgart - 10.11.2016, 14:45 Uhr

Bis hin zu Chemotherapie und Stammzelltransplantation: Forscher entwickeln teils sehr riskante Therapieansätze für Patienten mit Multipler Sklerose. (Foto: Sherry Young / Fotolia)

Bis hin zu Chemotherapie und Stammzelltransplantation: Forscher entwickeln teils sehr riskante Therapieansätze für Patienten mit Multipler Sklerose. (Foto: Sherry Young / Fotolia)


Nebenwirkungen waren teils tödlich

Bei einem Teil der Versuchsteilnehmer verlief die Behandlung erfolgreich. Die MS war bei 16 von ihnen zum Stillstand gekommen. Innerhalb der Nachtbeobachtungszeit von durchschnittlich sechseinhalb Jahren hatten sie keine klinischen Rückfälle und keine neuen Entzündungsherde im Gehirn. Bei einigen bildeten sich durch die MS erworbene Beeinträchtigungen sogar teilweise wieder zurück. Bei sieben Patienten hingegen schritt die Krankheit trotz der Behandlung fort. Und ein Proband überlebte die Radikalkur erst gar nicht. Durch eine toxische Schädigung der Leber verstopften seine Lebervenen, eine häufige Komplikation bei der Behandlung mit Zytostatika. Er erlitt außerdem eine Klebsiella Sepsis. Zwei Monate nach der Behandlung verstarb der Versuchsteilnehmer wegen massiver Lebernekrosen. Ein weiterer Proband musste – ebenfalls wegen Leberschäden – intensivmedizinisch behandelt werden, überlebte jedoch. Auch viele weitere Patienten entwickelten zum Teil starke Nebenwirkungen. Die Risiken waren bekannt gewesen: Die „Überlebensrate‟ bewege sich im üblichen Rahmen bei Knochenmarktransplantationen, schreiben dazu die Autoren.

Können die Ansätze in der Klinik angewandt werden?

Die Studie zeigt zweierlei: Eine Heilung scheint möglich, wenn das Immunsystem zuvor nahezu ausgelöscht wird. Doch für die Patienten ist das Verfahren so gefährlich, dass es für eine klinische Anwendung ungeeignet bleibt. Sie müssten ihr Leben riskieren, ohne dass die Heilung garantiert wäre. Dabei ist die MS, anders als Leukämie, in der Regel keine tödliche Krankheit. Auch ist ihr Verlauf schwer vorherzubestimmen. Bei ihren Probanden etwa nahmen die Wissenschaftler lediglich an, dass die Krankheit innerhalb der nächsten 10 Jahre deutlich fortschreiten würde. Ob deren Lebensqualität sich so stark verschlechtern würde, das lebensgefährdende Maßnahmen vorab gerechtfertigt waren, ließ sich nicht sicher sagen. Im klinischen Alltag würden solche Verfahren Patienten vor kaum abwägbare, zutiefst schwierige, individuelle Entscheidung stellen.

So zeigt die Studie auf tragische Weise die Grenzen immunregulierender Therapien noch einmal deutlich auf. Gut möglich, dass die Zukunft der Behandlung der MS-Therapie in anderen Ansätzen liegt. Wegen der langen Nachbeobachtungszeit stammt der extreme Behandlungsansatz ohnehin aus einer anderen Zeit: Die Forscher starteten ihre Studie bereits im Jahr 2000. Inzwischen haben sich die herkömmlichen Therapieoptionen der MS deutlich verbessert. Ein echter Durchbruch war etwa war der Einsatz von Fumarsäure (in Europa seit 2004 zugelassen). Der Wirkstoff tötet das Immunsystem nicht ab, sondern hindert weiße Blutzellen daran, in das ZNS einzuwandern. Die Therapie vermag die Schubfrequenz um 50 Prozent zu senken – und wird noch dazu meist gut vertragen. 



Irene Habich, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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