Exklusiv-Interview mit Ex-Celesio-Chef Fritz Oesterle

„Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt“

Berlin - 15.08.2016, 18:30 Uhr

Leicht chaotische Zustände: Ex-Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle erwartet, dass im Falle eines EuGH-Urteils Pro-Rx-Boni erst einmal Verwirrung herrscht. Der ABDA und den Apothekern würde er gerne mehr Freiräume schaffen. (Foto: dpa)

Leicht chaotische Zustände: Ex-Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle erwartet, dass im Falle eines EuGH-Urteils Pro-Rx-Boni erst einmal Verwirrung herrscht. Der ABDA und den Apothekern würde er gerne mehr Freiräume schaffen. (Foto: dpa)


Ist Oesterle immer noch der Totengräber der Apotheker?

DAZ.online: An Ihrer Einstellung zum Apothekenmarkt scheint sich nicht viel geändert zu haben. In einem Zeitungsartikel wurden Sie einst als „Totengräber der inhabergeführten Apotheke“ bezeichnet. Finden Sie sich darin wieder?

Oesterle: Ich fand diese Bezeichnung schon damals schlichtweg falsch und unsinnig. Denn wer sollte schon seine eigenen Kunden beerdigen wollen? Ich war und bin nur ein Verfechter von Wettbewerb und der Entscheidungshoheit des Kunden, auch der Apothekenkunden. In meiner Tätigkeit für die Schwarz-Gruppe sehe ich, dass im Lebensmitteleinzelhandel eine bewundernswerte Modellvielfalt herrscht. Der Kunde entscheidet darüber, wohin er geht und somit auch darüber, welche Anbieter überleben und welche nicht. Was die Politik stattdessen macht, und was manche Apotheker und Apothekerverbände wollen, ist regulierte Modellpflege eines Oldtimers.

DAZ.online: Wenn der Kunde darüber entscheidet, welche Anbieter im Markt bleiben und welche nicht, könnten dann nicht für die Versorgung wichtige Landapotheken wegbrechen?

Oesterle: Zunächst einmal ist die Arzneimittelversorgung selbst in den am dünnsten besiedelten Gebieten Mecklenburg-Vorpommerns nicht wirklich gefährdet. Wenn in diesem Zusammenhang auf Nord-Europa verwiesen wird, ist dies falsch. Die Verhältnisse in Deutschland  haben nichts mit den Verhältnissen in Nord-Norwegen oder Nord-Schweden zu tun. Und eines steht fest: Apothekenketten gefährden die Versorgung auf dem Land sicher nicht. Ganz im Gegenteil: Eine Kette hat schon aus Marken- und Marketinggründen größtes Interesse, überall, auch auf dem Land, präsent zu sein.

Ketten wollen überall präsent sein – auch auf dem Land

DAZ.online: Ihre Nachfolger scheinen für das Thema ‚Deregulierung‘ nicht mehr so zu brennen. Gefühlt hat die politische Lobbyarbeit der großen Apothekenkonzerne nachgelassen. Vielmehr geht es darum, sich durch viele Zukäufe möglichst global aufzustellen.

Oesterle: Diese Beobachtung ist richtig. Der Kampf für offene, wettbewerbs- und leistungsorientierte Märkte ist mühsam und der Erfolg unsicher. Außerdem handelt man sich viel Ärger mit einigen Marktteilnehmern und auf jeden Fall mit deren Verbänden ein. Außerdem gibt es heute – anders als zu der Zeit, als ich die operative Verantwortung bei Gehe/Celesio übernahm – viel mehr Länder, die schon liberalisierte Apothekenmärkte haben, und damit weitgehend unproblematisches Wachstumspotenzial durch die Akquisition bestehender Apotheken oder durch Neugründungen bieten. Heute sind dies – neben Großbritannien, der europäischen Urmutter eines „verketteten“ Apothekenmarktes – unter anderem Irland, Belgien, Norwegen, Schweden, Holland, Polen und bald wohl auch Italien. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Länder folgen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Diesen Artikel teilen:


3 Kommentare

Oesterle und Co.?? Was treibt sie?

von Heiko Barz am 16.08.2016 um 13:25 Uhr

Leute wie Oesterle, die Alles nur aus glaukomgefährdetem macht - und marktwirtschaftlichem Blickwinkel sehen und nur noch einen engen Tunnelblick besitzen, um dem Gott des Marktes zu dienen, verkennen, dass es im Bereich der Gesundheit auch noch andere Kriterien gibt, die mit der Maximierung von Gewinnen wenig bis gar nichts zu tun haben.

Ich will nicht behaupten, dass wir als Apotheker nun unbedingt Idealisten sein wollen, denn letztlich müssen auch wir unsere Familien ernähren, aber unser Beruf ist nicht ausschließlich nur mit marktwirtschaftlichen Wandelzeiten in Verbindung zu bringen.
Oesterle und Co. sind erst dann zufrieden, wenn ihre Vorstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft nach Ihrem Gusto aufgehen. Verhält sich diese Gesellschaft aber anders, so wird dann behauptet, muß sie rückwärts gewandt, konservativ und besonders altmodisch ( dämlich ) sein.
Noch aber gibt es Nuancen, die der wirtschaftspolitischen und machtorientierten Globalisierung entgegenwirken.
Die Gesundheitsversorgung auf nationaler Ebene ist nun mal keine Spielwiese für machthungrige sogenannte Wirtschafskapitäne, denen das aufgenagelte Brett vorm Kopf mit dem Wort " PROFIT " nicht mehr von den Augen zu nehmen ist.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Von Oe. nix Neues

von G. Wagner am 16.08.2016 um 11:53 Uhr

Ein echter Oesterle: unbelehrbar, interessengesteuert und nach wie vor von der Vorstellung besselt, das Gerüst der flächendeckenden Arzneimittelversorgung zum Einsturz zu brinmgen. Irrlehren werden nicht dadurch plausibler, dass sie gebetsmühlenartig wiederholt werden. Wer bei seinem früheren Arbeitgeber so viel Geld verbrannt hat wie der kreative Zerstörer Oesterle und von seinem früheren Arbeitgeber hierfür eine Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe erhalten hat, den mag man clever oder auch unverfroren nennen - als Experte für Fragen der Gesundheits-, Arzneimittel- und Apothekenpolitik taugt er nicht. Zumal ihn ja, wie er betont, seine vielfältigen Verpflichtungen als Honorarkonsul und Kettenaufsichtsrat auch völlig auslasten.

P.S.: Köstlich auch, heute die (Fehl-)Einschätzungen der Freunde des Fremdbesitzes im "Spiegel" zu lesen, auf den im Beitrag verlinkt wird.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Exclusives Sommerloch

von Christian Giese am 16.08.2016 um 11:00 Uhr

Wenn die Rx Preisbindung fällt, wird es gezwungenermassen eine Neuausrichtung der Aufmerksamkeitsschiene des noch selbständigen Apothekers geben.
Verantwortung für den Patienten und Umsicht und Compliance usw. werden degeneriert, der Überlebenspreis bei Rx wird im alleinigen Focus stehen.
Verlierer sind der noch nicht verkettete Apotheker, der nur noch Rezepte liefernde Kundenpatient und insbesondere die Kassen, die den dann unkritischen "Nimm und Friss!" -Mehrverbrauch zahlen dürfen.

Noch ist "der Apotheker in seiner Apotheke" mit seinem subsidiären Verhalten ein besserer Verfechter fürs Gemeinwohl!
Herr Oesterle stand noch nie hinterm Tresen, das muss man ihm sommerlochhalber nicht alles überlegt habend zugutehalten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.