Exklusiv-Interview mit Ex-Celesio-Chef Fritz Oesterle

„Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt“

Berlin - 15.08.2016, 18:30 Uhr

Leicht chaotische Zustände: Ex-Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle erwartet, dass im Falle eines EuGH-Urteils Pro-Rx-Boni erst einmal Verwirrung herrscht. Der ABDA und den Apothekern würde er gerne mehr Freiräume schaffen. (Foto: dpa)

Leicht chaotische Zustände: Ex-Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle erwartet, dass im Falle eines EuGH-Urteils Pro-Rx-Boni erst einmal Verwirrung herrscht. Der ABDA und den Apothekern würde er gerne mehr Freiräume schaffen. (Foto: dpa)


Er galt als der „Totengräber der Apotheker“. Ex-Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle hatte nur ein Ziel vor Augen: Die Deregulierung des Apothekenmarktes. Im ersten Interview seit Jahren erklärt Oesterle seine Tätigkeit in einer polnischen Apothekenkette, was er sich vom EuGH-Urteil zu Rx-Boni erwartet, was die ABDA falsch macht und ob es ein Fehler war, DocMorris zu kaufen.

Zwölf Jahre lang stand Dr. Fritz Oesterle an der Spitze des Stuttgarter Pharmahandelskonzerns Celesio. In dieser Zeit machte er aus einem deutschlandweit tätigen Großhändler einen europäischen Apothekenkonzern. Oesterle war und ist ein Wettbewerbsfanatiker. Seiner Meinung nach braucht der Apothekenmarkt keine Regulierungen – Regeln ergeben sich im Wettbewerb.

Unter seiner Leitung kaufte und etablierte Celesio mehrere Ketten in ganz Europa. Doch in seinem Heimatland musste Oesterle seine größte Niederlage einstecken: Nachdem er 2007 DocMorris gekauft hatte, übte er durch die Eröffnung einer DocMorris-Apotheke im Saarland zwar hohen Druck auf die Gesundheitspolitik aus. Das Fremdbesitzverbot stand auf der Kippe. Doch die Apotheker siegten, im Februar 2009 bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die in Deutschland bestehende Regelung.

Nur zwei Jahre später kündigte der inzwischen 64-Jährige seinen Rücktritt bei Celesio an. Was wurde aus Fritz Oesterle? Beschäftigt ihn das Thema „Apotheken“ immer noch? Wird es im Falle einer Deregulierung im deutschen Markt eventuell sogar ein Comeback des „Oe“ geben? DAZ.online fragt, Fritz Oesterle antwortet.

DAZ.online: Herr Oesterle, werden wir Sie im Apothekenmarkt wiedersehen, wenn der EuGH im Herbst Rx-Boni erlaubt?

Fritz Oesterle: Nein, solche operativen Themen sind weit weg von mir. Das war einmal. Ich gebe heute gerne noch meinen Rat, wenn ich gefragt werde. Aber mehr als ein interessierter Zaungast bin ich nicht mehr.

DAZ.online: Sie sind also komplett raus aus dem Apotheken- und Pharmamarkt?

Oesterle: Nein, ich tummele mich schon noch ein wenig im Gesundheitsmarkt. So bin ich non-executive Chairman der CEPD NV. Diese holländische Zwischenholding des polnischen Gesundheitskonzerns Pelion ist die Dachgesellschaft der größten polnischen und litauischen Apothekenketten mit über 1000 Apotheken und der zweitgrößten polnischen Drogeriekette. Zu Pelion gehören auch ein polnischer Pharma-Großhandel ebenso wie ein Pharma-Logistiker, ein Lohnhersteller und andere Gesundheitsdienstleister. Daneben bin ich noch Beiratsvorsitzender eines in der Neurorehabilitation tätigen marktführenden Krankenhausunternehmens.

„Preisbindung ist ein unbewiesenes, unlogisches Postulat“

DAZ.online: Was ist aus Ihren anderen Beirats- und Beratertätigkeiten geworden?

Oesterle: Als Aufsichtsrat bin ich relativ stark im Bankensektor tätig. Daneben bin ich Mitglied der Schwarz-Unternehmenstreuhand. Zur Schwarz-Gruppe gehören unter anderem Lidl und Kaufland. Ich berate seit fast drei Jahren auch noch einen großen US-Gesundheitskonzern. Ein Mandat, das ich in nächster Zukunft aber vielleicht aufgeben werde.

DAZ.online: Natürlich sind Sie auch weiterhin als Honorarkonsul des Vereinigten Königreiches in Stuttgart tätig. Was sagen Sie in dieser Funktion zum Brexit?

Oesterle: Als Honorarkonsul kann ich mich zu konkreten Themen rund um den Brexit leider nicht äußern. Allerdings erinnern mich die Reaktionen nach der Volksabstimmung ein wenig an ein Thema im Apothekenmarkt.

DAZ.online: Und zwar?

Oesterle: An das EuGH-Verfahren zu Rx-Boni. Wie beim Brexit gilt auch hier: ‚Jeder hat es gewusst, keiner hat damit gerechnet.‘ Und weil keiner wirklich mit einem Urteil Pro-Rx-Boni rechnet, erwarte ich leicht chaotische Zustände, wenn das Urteil des EuGH dann doch so ausfällt. Eine solche Entscheidung liefe in ihrer finalen Wirkung – auch in Deutschland – auf einen gerichtlich verordneten Preiswettbewerb auch bei Rx-Arzneimitteln hinaus, und wäre damit also das Ende einheitlicher Rx-Preise in der Apotheke. Mit diesem Szenario dürften viele Marktbeteiligten überfordert sein.  

DAZ.online: Und was folgt nach dem Chaos?

Oesterle: Zunächst wird es um die Frage gehen, welcher Marktbeteiligte das Urteil als erstes nutzt, um seine Preispolitik – auch in Deutschland – zu ändern? Es wird dann auch keine Notwendigkeit mehr für einheitliche Herstellerabgabepreise, für die Listenpreise der Hersteller geben. Wenn meine Erwartung richtig ist, wird ein EuGH-Urteil, das dem Votum des Generalanwalts folgt, letztlich dazu führen, dass sich die Verhältnisse in Europa den US-amerikanischen Preis- und Marktverhältnissen bei Arzneimitteln annähern.

Ein Rx-Versandhandelsverbot würde nur wenig bringen

DAZ.online: Welche politischen Chancen wird die ABDA aus Ihrer Sicht in einem solchen Fall haben, um noch etwas zu retten?

Oesterle: Zunächst einmal gibt es keine juristische Möglichkeit gegen ein EuGH-Urteil vorzugehen. Auch das derzeit so heiß diskutierte Verbot des Versandhandels mit Rx-Medikamenten würde das Problem nur scheinbar lösen. Die Argumente, die gegen ein Boni-Verbot sprechen, tun dies ja nicht nur bei  Versandapotheken, sondern bei allen Anbietern.

DAZ.online: Würden Sie es denn begrüßen, wenn die Arzneimittelpreisbindung fällt?

Oesterle: Die Notwenigkeit einer Arzneimittelpreisbindung zum Schutz der Volksgesundheit ist ein unbewiesenes, ja ein unlogisches Postulat. Der Generalanwalt hat sehr deutlich gemacht, dass es keine kausale Verbindung zwischen der sicheren, flächendeckenden Arzneimittelversorgung und der Einheitlichkeit von Arzneimittelpreisen gibt. Gäbe es eine solche kausale Verknüpfung, müssten doch auch Grundnahrungsmittel gebunden und damit einem Preiswettbewerb entzogen sein. Das Gegenteil ist – wie jeder weiß – der Fall. Und: Jede Beschränkung des Wettbewerbs, die es im Apothekenmarkt gab und noch gibt, wurde und wird mit dem Allerweltsargument „Versorgungssicherheit“ gerechtfertigt. Denken Sie nur an die Niederlassungsbeschränkung oder das Werbeverbot für Apotheker. Beides ist von den Gerichten zu Fall gebracht worden. Hatte dies irgendwelche Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln? Nein. Natürlich nicht.

Ist Oesterle immer noch der Totengräber der Apotheker?

DAZ.online: An Ihrer Einstellung zum Apothekenmarkt scheint sich nicht viel geändert zu haben. In einem Zeitungsartikel wurden Sie einst als „Totengräber der inhabergeführten Apotheke“ bezeichnet. Finden Sie sich darin wieder?

Oesterle: Ich fand diese Bezeichnung schon damals schlichtweg falsch und unsinnig. Denn wer sollte schon seine eigenen Kunden beerdigen wollen? Ich war und bin nur ein Verfechter von Wettbewerb und der Entscheidungshoheit des Kunden, auch der Apothekenkunden. In meiner Tätigkeit für die Schwarz-Gruppe sehe ich, dass im Lebensmitteleinzelhandel eine bewundernswerte Modellvielfalt herrscht. Der Kunde entscheidet darüber, wohin er geht und somit auch darüber, welche Anbieter überleben und welche nicht. Was die Politik stattdessen macht, und was manche Apotheker und Apothekerverbände wollen, ist regulierte Modellpflege eines Oldtimers.

DAZ.online: Wenn der Kunde darüber entscheidet, welche Anbieter im Markt bleiben und welche nicht, könnten dann nicht für die Versorgung wichtige Landapotheken wegbrechen?

Oesterle: Zunächst einmal ist die Arzneimittelversorgung selbst in den am dünnsten besiedelten Gebieten Mecklenburg-Vorpommerns nicht wirklich gefährdet. Wenn in diesem Zusammenhang auf Nord-Europa verwiesen wird, ist dies falsch. Die Verhältnisse in Deutschland  haben nichts mit den Verhältnissen in Nord-Norwegen oder Nord-Schweden zu tun. Und eines steht fest: Apothekenketten gefährden die Versorgung auf dem Land sicher nicht. Ganz im Gegenteil: Eine Kette hat schon aus Marken- und Marketinggründen größtes Interesse, überall, auch auf dem Land, präsent zu sein.

Ketten wollen überall präsent sein – auch auf dem Land

DAZ.online: Ihre Nachfolger scheinen für das Thema ‚Deregulierung‘ nicht mehr so zu brennen. Gefühlt hat die politische Lobbyarbeit der großen Apothekenkonzerne nachgelassen. Vielmehr geht es darum, sich durch viele Zukäufe möglichst global aufzustellen.

Oesterle: Diese Beobachtung ist richtig. Der Kampf für offene, wettbewerbs- und leistungsorientierte Märkte ist mühsam und der Erfolg unsicher. Außerdem handelt man sich viel Ärger mit einigen Marktteilnehmern und auf jeden Fall mit deren Verbänden ein. Außerdem gibt es heute – anders als zu der Zeit, als ich die operative Verantwortung bei Gehe/Celesio übernahm – viel mehr Länder, die schon liberalisierte Apothekenmärkte haben, und damit weitgehend unproblematisches Wachstumspotenzial durch die Akquisition bestehender Apotheken oder durch Neugründungen bieten. Heute sind dies – neben Großbritannien, der europäischen Urmutter eines „verketteten“ Apothekenmarktes – unter anderem Irland, Belgien, Norwegen, Schweden, Holland, Polen und bald wohl auch Italien. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Länder folgen.

Die ABDA sollte Apothekern mehr Freiräume schaffen

DAZ.online: In Schweden haben sich der Bevölkerung die Vorteile der Ketten bislang nicht offenbart. Dort waren alle Neugründungen im dicht besiedelten Süden, im schlecht versorgten Norden schlossen sogar Apotheken.

Oesterle: Deswegen bin ich sehr dafür, in solchen Ländern eine besondere Unterstützung oder Regelung für einzelne Apotheken zu schaffen, die für die Versorgung geografisch unverzichtbar sind. Mit der norwegischen Regierung hatten wir im Zuge der Liberalisierung des norwegischen Apothekenmarktes beispielsweise vereinbart, dass wir bestimmte Apotheken in Nord-Norwegen nicht schließen dürfen. Eine Apothekenkette kann eine solche Zusage geben, selbst wenn die einzelne Apotheke, die sie nicht schließen darf, unprofitabel ist. Ein einzelner Apotheker kann dies nicht. Auch in Dänemark gibt es seit Jahren eine Sonderregelung für Apotheken in geografischer Sonderlage.

DAZ.online: Zu einem ganz anderen Thema: Die ABDA setzt derzeit verstärkt auf die Karte der pharmazeutischen Dienstleistungen als neue Verdienstquelle für Apotheker. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

Oesterle: Es gibt immer mehr apothekenfremde Dienstleistungsunternehmen im Gesundheitsmarkt. Nur einer von vielen Bereichen: In der Wundversorgung sehe ich großes unternehmerisches Dienstleistungspotenzial. Zur Entwicklung solcher Bereiche braucht es allerdings Unternehmer und nicht den Verbandsruf nach regulativer Modellgestaltung, möglichst frei von Wettbewerb. Denn vor allem Wettbewerb schafft Innovationen. Wenn Apotheker oder ihre Verbände stattdessen nach der Politik und dem Gesetzgeber rufen, werden sie mit neuen, innovativen Geschäftsfeldern zu spät kommen. Und wer zu spät kommt, den bestraft der Markt. Die ABDA sollte den Apothekern also vor allem die Freiräume schaffen, die nötig sind, um Neues zu entwickeln und einzuführen. Kreativität braucht wettbewerbliche Luft.

Jeder hätte mit DocMorris die Nase vorn gehabt

DAZ.online: In Deutschland hat es Celesio mit DocMorris damals jedoch nicht geschafft, mehr Freiräume zu schaffen. Betrachten Sie es im Nachhinein als Fehler, DocMorris gekauft zu haben?

Oesterle: Diese Frage habe ich mir oft gestellt. In der damaligen Situation war die Entscheidung richtig, ich würde sie noch einmal so treffen. Wenn der EuGH pro Apothekenketten entschieden hätte, hätte derjenige die Nase vorne gehabt, der mit einer bekannten Apotheken-Marke in den neuen Wettbewerb hätte starten können. Wenn ich allerdings berücksichtige, was mit DocMorris gemacht wurde, nachdem ich Celesio verlassen hatte, dann war die Entscheidung, DocMorris überhaupt zu kaufen, grundfalsch.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


Diesen Artikel teilen:


3 Kommentare

Oesterle und Co.?? Was treibt sie?

von Heiko Barz am 16.08.2016 um 13:25 Uhr

Leute wie Oesterle, die Alles nur aus glaukomgefährdetem macht - und marktwirtschaftlichem Blickwinkel sehen und nur noch einen engen Tunnelblick besitzen, um dem Gott des Marktes zu dienen, verkennen, dass es im Bereich der Gesundheit auch noch andere Kriterien gibt, die mit der Maximierung von Gewinnen wenig bis gar nichts zu tun haben.

Ich will nicht behaupten, dass wir als Apotheker nun unbedingt Idealisten sein wollen, denn letztlich müssen auch wir unsere Familien ernähren, aber unser Beruf ist nicht ausschließlich nur mit marktwirtschaftlichen Wandelzeiten in Verbindung zu bringen.
Oesterle und Co. sind erst dann zufrieden, wenn ihre Vorstellungen von Wirtschaft und Gesellschaft nach Ihrem Gusto aufgehen. Verhält sich diese Gesellschaft aber anders, so wird dann behauptet, muß sie rückwärts gewandt, konservativ und besonders altmodisch ( dämlich ) sein.
Noch aber gibt es Nuancen, die der wirtschaftspolitischen und machtorientierten Globalisierung entgegenwirken.
Die Gesundheitsversorgung auf nationaler Ebene ist nun mal keine Spielwiese für machthungrige sogenannte Wirtschafskapitäne, denen das aufgenagelte Brett vorm Kopf mit dem Wort " PROFIT " nicht mehr von den Augen zu nehmen ist.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Von Oe. nix Neues

von G. Wagner am 16.08.2016 um 11:53 Uhr

Ein echter Oesterle: unbelehrbar, interessengesteuert und nach wie vor von der Vorstellung besselt, das Gerüst der flächendeckenden Arzneimittelversorgung zum Einsturz zu brinmgen. Irrlehren werden nicht dadurch plausibler, dass sie gebetsmühlenartig wiederholt werden. Wer bei seinem früheren Arbeitgeber so viel Geld verbrannt hat wie der kreative Zerstörer Oesterle und von seinem früheren Arbeitgeber hierfür eine Abfindung in zweistelliger Millionenhöhe erhalten hat, den mag man clever oder auch unverfroren nennen - als Experte für Fragen der Gesundheits-, Arzneimittel- und Apothekenpolitik taugt er nicht. Zumal ihn ja, wie er betont, seine vielfältigen Verpflichtungen als Honorarkonsul und Kettenaufsichtsrat auch völlig auslasten.

P.S.: Köstlich auch, heute die (Fehl-)Einschätzungen der Freunde des Fremdbesitzes im "Spiegel" zu lesen, auf den im Beitrag verlinkt wird.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Exclusives Sommerloch

von Christian Giese am 16.08.2016 um 11:00 Uhr

Wenn die Rx Preisbindung fällt, wird es gezwungenermassen eine Neuausrichtung der Aufmerksamkeitsschiene des noch selbständigen Apothekers geben.
Verantwortung für den Patienten und Umsicht und Compliance usw. werden degeneriert, der Überlebenspreis bei Rx wird im alleinigen Focus stehen.
Verlierer sind der noch nicht verkettete Apotheker, der nur noch Rezepte liefernde Kundenpatient und insbesondere die Kassen, die den dann unkritischen "Nimm und Friss!" -Mehrverbrauch zahlen dürfen.

Noch ist "der Apotheker in seiner Apotheke" mit seinem subsidiären Verhalten ein besserer Verfechter fürs Gemeinwohl!
Herr Oesterle stand noch nie hinterm Tresen, das muss man ihm sommerlochhalber nicht alles überlegt habend zugutehalten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.