Krebsvorsorge

Werden die Vorteile überschätzt?

Remagen - 15.01.2016, 10:10 Uhr

Mehr Schaden als Nutzen? Das PSA-Screening zur Prostatakrebsvorsorge ist umstritten (Foto: jarun011/Fotolia)

Mehr Schaden als Nutzen? Das PSA-Screening zur Prostatakrebsvorsorge ist umstritten (Foto: jarun011/Fotolia)


Hand aufs Herz? Gehen Sie regelmäßig zur Krebsvorsorge? Schließlich gelten die Checks als effektives Mittel, zahlreiche Krebsarten zu bekämpfen. In einer neuen im British Medical Journal veröffentlichten Studie erklären Experten nun, dass man damit nicht unbedingt Leben retten kann.

Dass das Krebs-Screening tatsächlich Leben rettet, sei doch nie gezeigt worden, stellen Vinay Prasad, Assistant Professor an der Oregon Health und Science University in Portland und seine Kollegen im BMJ fest. Das möge zwar für die Reduktion der krankheitsspezifischen Mortalität gelten, aber nicht unbedingt für die Gesamtmortalität. Eine Analyse von Studien zur Krebsvorsorge zeige, dass die Zahl der Todesfälle aufgrund bestimmter Krebsarten, für die Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden, zwar gesunken ist, dass Vorsorgeuntersuchungen insgesamt jedoch wenig Einfluss auf die allgemeine Sterberate haben.

Gesamtmortalität als Maßstab

Das Forschungsteam vertritt daher die Ansicht, dass der Erfolg von Vorsorgeuntersuchungen an der Gesamtzahl der Todesfälle gemessen werden sollte und nicht an den Todesfällen durch die bestimmte Krebsart. Nur so würde man die tatsächlichen Auswirkungen von Vorsorgeuntersuchungen bestimmen können. Zwei Gründe ziehen die Wissenschaftler in Erwägung, warum die Krebsvorsorge die krankheitsspezifische Mortalität reduzieren könnte, ohne die Gesamtmortalität deutlich zu verringern. Zum einen könnten die Studien zu klein angelegt sein, um einen Vorteil hinsichtlich der Gesamtmortalität erkennen zu lassen. Zum anderen könnte es sein, dass die Senkung der krankheitsspezifischen Mortalität durch Todesfälle aufgrund der nachgelagerten Effekte des Screenings ausgeglichen wird.

Falsch positive Ergebnisse

Als Beispiel führen die Forscher die Vorsorgeuntersuchungen für Prostatakrebs an. Diese lieferten häufig falsch positive Ergebnisse und führten so zu unnötigen Behandlungen, die für die Patienten schwerwiegende psychologische und medizinische Folgen haben können. Jährlich würde bei einer Million Männern Prostatakrebs diagnostiziert und eine Biopsie vorgenommen. Diese hätten ein höheres Risiko, innerhalb der ersten zwölf Monate nach der Diagnose Selbstmord zu begehen, einen Herzinfarkt zu erleiden oder an den Behandlungskomplikationen zu sterben, so ihre Vermutung. Prasad fasst die Ergebnisse der Studie wie folgt zusammen: „Einige Todesfälle, die nicht auf Krebs zurückzuführen sind, sind ganz klar eine Folge der Vorsorgeuntersuchungen.“

Große Studien nötig

Um Licht in diese Fragestellung zu bringen, wären wohl groß angelegte Studien mit mehreren Millionen Menschen nötig, glauben Prasad und seine Kollegen. Bei einer solchen Studie müssten dann alle Todesfälle betrachtet werden, nicht nur die durch eine bestimmte Krebsart verursachten. Das Forscherteam räumt jedoch ein, dass es wahrscheinlich große Hürden zu überwinden gäbe, um eine solche Studie durchführen zu können. Dazu zählten die gegenwärtige öffentliche Haltung gegenüber der Krebsvorsorge, fehlende politische Unterstützung und hohe Kosten.

Die Bevölkerung besser aufklären

Prasads Einschätzung scheint nicht unumstritten zu sein. In einem Begleitartikel zu der Publikation gibt Gerd Gigerenzer vom Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin zu bedenken: „Anstatt Ressourcen auf groß angelegte Studien zu verwenden, bei denen nur eine geringe Chance besteht, dass die minimale Reduzierung der Sterberate bewiesen wird, und die darüber hinaus einer großen Anzahl Patienten Leid zufügen werden, sollten wir eher in die Bereitstellung transparenter Informationen investieren. Es ist an der Zeit, dass wir einen neuen Ansatz zur Krebsaufklärung finden: weg von Überzeugungsarbeit, hin zur klaren Kommunikation.“

In diesem Punkt stimmen auch Prasad und seine Kollegen prinzipiell zu, jedoch mit verhaltenem Optimismus: „Solange wir bezüglich des Nutzens des Screenings im Hinblick auf die Sterblichkeit nicht sicher sind, können wir den Menschen keine ausreichenden Informationen für eine informierte Entscheidung bieten. Hier müssen wir ehrlich sein."


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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