Studie zu Beipackzetteln

Missverstandene Nebenwirkungen

Berlin - 17.11.2015, 16:30 Uhr

Wie ordnen Sie die auf dem Beipackzettel angegebenen Nebenwirkungen ein? (Foto: Henry Schmitt/ Fotolia)

Wie ordnen Sie die auf dem Beipackzettel angegebenen Nebenwirkungen ein? (Foto: Henry Schmitt/ Fotolia)


Beipackzettel von Arzneimitteln sind für Patienten oft unverständlich und sorgen für Verunsicherung. Dies ist bekannt. Nun zeigt eine Studie von Wissenschaftlerinnen der Universität Hamburg: Auch Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte verstehen den Beipackzettel nicht.

Die Verständlichkeit von Beipackzetteln ist in den vergangenen Jahren intensiv diskutiert worden. Die pharmazeutischen Unternehmen müssen einerseits die strikten gesetzlichen Vorgaben zum Inhalt der Packungsbeilagen einhalten – andererseits sollen sie Patienten die nötigen Informationen verständlich vermitteln. Diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach. Die Unternehmen schaffen es zunehmend besser, aber sicher noch nicht optimal.

Woher rühren Nebenwirkungen?

Doch nicht nur die Anwender haben häufig Verständnisschwierigkeiten, etwa wenn es darum geht, wie die genannten Nebenwirkungen einzuordnen sind. Auch Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte haben in dieser Hinsicht ihre Probleme. Zu dieser Erkenntnis kommen die Apothekerin Viktoria Mühlbauer und Professor Ingrid Mühlhauser, Leiterin des Arbeitskreises Gesundheitswissenschaften der Universität Hamburg.

Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftlerinnen 379 Ärzte, Apotheker, Angehörige der Gesundheitsfachberufe sowie Studierende der Gesundheitswissenschaften, Medizin und Pharmazie befragt. Sie sollten anhand des Beipackzettels einschätzen, wie oft die Einnahme des Arzneimittels Ursache für die dort gelisteten Nebenwirkungen ist.

Vorschneller Schluss auf Kausalzusammenhang

Das Ergebnis: Sobald eine Nebenwirkung im Beipackzettel steht, wird automatisch ein kausaler Zusammenhang zur Arzneimitteleinnahme unterstellt – und zwar in der Häufigkeit, wie sie auf der Packungsbeilage angegeben ist, oder sogar noch öfter. Die Pharmazeuten und Pharmaziestudenten waren dabei noch ein vorsichtige Gruppe: „Nur“ 66 Prozent von ihnen stellten diesen Zusammenhang direkt her. Bei den Medizinstudenten waren es hingegen 100 Prozent, bei den Ärzten je nach Fachrichtung 60 bis 80 Prozent. Dabei handelt es sich bei den beschriebenen Nebenwirkungen oft um Symptome, die auch ohne die Arzneimitteleinnahme im täglichen Leben häufig vorkommen, etwa Stimmungsschwankungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Gewichtszunahme. Es ist also keinesfalls sicher, dass das Symptom tatsächlich infolge des Arzneimittels aufgetreten ist.

An dem Ergebnis änderte sich wenig, wenn den Studien-Teilnehmern zusätzlich Zahlen vorgelegt wurden, die zeigten, dass die Symptome in der Arzneimittel- und in der Placebo-Vergleichsgruppe vergleichbar auftreten. Auch wenn damit klar sein sollte, dass sie nicht durch die Arzneimitteleinnahme verursacht werden, erkannte nur knapp jeder Siebte den fehlenden kausalen Zusammenhang.

Wenn Ärzte, Apotheker und Pflegekräfte die Angaben des Beipackzettels nicht korrekt einordnen können, kann sich dies auf die Beratung der Patienten auswirken, so die Wissenschaftlerinnen. Dabei ist zu bedenken, dass Patienten Arzneimittel oft aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen nicht einnehmen. Dies ist umso kritischer, wenn diese Nebenwirkungen überschätzt sind – denn auf dem Beipackzettel landen schließlich auch seltene Nebenwirkungen. Damit schützen sich Pharmaunternehmen. Schließlich können sie verklagt werden, wenn bei einem Patienten ein Schaden auftritt, weil der Beipackzettel nicht den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnis abbildet.

Beipackzettel muss klarer werden

Aus Sicht der Studienautorinnen ist es aber Pflicht der Gesundheitsberufe darüber aufzuklären, dass die unerwünschten Symptome auch ohne die Arzneimitteleinnahme auftreten können. Die aktuelle Darstellung der Nebenwirkungen im Beipackzettel sei jedoch völlig ungeeignet, um kausale Zusammenhänge abzubilden. Ihre Schlussfolgerung lautet daher: „Wir müssen dringend eine Darstellung zur Kausalität von Nebenwirkungen finden, die Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe verstehen können. Patienten haben ein Recht auf diese Informationen, um Entscheidungen über ihre Gesundheit treffen zu können“. Einen konkreten Vorschlag, wie dies gelingen kann, unterbreiten sie allerdings nicht.


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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