WIdO-Studie: Risiken und Nebenwirkungen von Beipackzetteln

BERLIN (ks). Besser lesbare und verständliche Arzneimittel-Packungsbeilagen haben der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und der AOK-Bundesverband am 3. November in Berlin gefordert. Anlass war die Vorstellung einer aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zu Beipackzetteln. Für die Untersuchung wurden 100 Packungsbeilagen auf ihre Lesbarkeit und Verständlichkeit überprüft - das Ergebnis ist ernüchternd: In den meisten Fällen ist die Informationsflut in sehr kleiner Schrift verfasst und schwer verständlich. Die Folge: Nahezu jeder dritte Patient fühlt sich durch die Packungsbeilage verunsichert.

Eigentlich sind die gesetzlichen Vorgaben klar: Das Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmt in § 11 Abs. 1, dass die Gebrauchsinformation zu Fertigarzneimitteln allgemeinverständlich und in gut lesbarer Schrift verfasst sein muss. Seit 1976 schreibt das AMG verständliche Packungsbeilagen verbindlich vor. Seit 1992 gilt dies EU-weit. Darüber hinaus hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Empfehlungen zur Gestaltung von Packungsbeilagen herausgegeben, deren Anliegen eine patientengerechte Formulierung ist. Auch auf Europäischer Ebene folgten Empfehlungen, die stets einen besseren Patientenschutz vor Augen hatten. Dennoch sind die Vorgaben in der Realität kaum umgesetzt.

Umsetzung unzureichend

Für die WidO-Studie wurden die Packungsbeilagen der 100 im Jahr 2002 am häufigsten verordneten Medikamente untersucht. Es zeigte sich, dass keine einzige Beilage die geforderte Schriftgröße von 6 pt Didot erreichte. Zudem wurde mehr als ein Viertel der verwendeten Fremdworte nicht erklärt. Auch die Empfehlung zur Darstellung der Häufigkeiten von Nebenwirkungen wurde nur in 8 Prozent der untersuchten Beipackzettel realisiert. Einfache Vorgaben - etwa eine Leseaufforderung, die Einhaltung der Frageform oder hervorgehobene Überschriften - wurden hingegen in 90 Prozent der Fälle eingehalten.

Im zweiten Teil der Studie wurden Verbrauchern sechs der 100 Packungsbeilagen vorgelegt. Auch ihre Bewertung fiel mäßig aus: 42 Prozent halten den Beipackzettel für zu lang, 20 Prozent für schlecht verständlich, und 17 Prozent finden die Schriftgröße zu klein. Für Studienautor Helmut Schröder lautet daher das Fazit: "Packungsbeilagen sind schwer lesbar, nicht verständlich und nicht nützlich für den Patienten."

Beilagen schrecken ab

Tatsächlich sind die Patienten die Leidtragenden dieser Missstände. Zwar gehört für die Verbraucher die Packungsbeilage neben dem Arzt und dem Apotheker zu den wichtigsten Informationsquellen zur Arzneimittelanwendung (85 Prozent fragen ihren Arzt, jeweils 65 Prozent greifen auf die Gebrauchsinformation zurück bzw. ziehen ihren Apotheker zu Rate). Zugleich fühlen sich aber viele von ihr verunsichert. In der WIdO-Befragung gaben 28 Prozent der Befragten an, ein Medikament schon einmal aufgrund der Informationen in der Packungsbeilage abgesetzt oder gar nicht erst genommen zu haben. Das kann für die Patienten im Ernstfall schwere gesundheitliche Folgen haben.

Verantwortlich für die Misere der Beipackzettel sind nach Ansicht des vzbv und der AOK die Hersteller und die Zulassungsbehörde. Sie setzten die - an sich guten - gesetzlichen Vorgaben zur Lesbarkeit und Verständlichkeit nicht konsequent um. Prof. Edda Müller, vzbv-Vorstand, erklärte, notfalls müsse sich auch das Bundesgesundheitsministerium als Aufsichtsbehörde des BfArM für mehr Verständlichkeit einsetzen. Müller schlug zudem vor, Patienten in die Gestaltung von Beipackzetteln einzubeziehen.

Die Experten, die derzeit dafür verantwortlich sind, seien offenbar nicht in der Lage, sich in den Verbraucher hineinzuversetzen. AOK-Vorstandschef Hans Jürgen Ahrens forderte, Arzneimittel gar nicht erst zuzulassen, wenn der Beipackzettel nicht lesbar ist. Ein nicht leserlicher oder unverständlicher Beipackzettel sei keinesfalls nur harmlos oder unbedeutend - er könne vielmehr zu einer potenziellen Gefahrenquelle für den Patienten werden. Aber auch die Krankenkassen sind daran interessiert, dass ihre Versicherten die Beipackzettel verstehen – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. So sind etwa ein Viertel der weggeworfenen Arzneimittelpackungen nicht angebrochen. Ahrens verwies zudem auf Hochrechnungen, wonach den Kassen aufgrund von Klinikeinweisungen infolge falscher Arzneimitteleinnahme jährlich ein Schaden von 400 Mio. Euro entsteht.

Es geht auch anders

Studienautor Schröder räumte ein, dass es für die Hersteller durchaus einen Spagat darstelle, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen und zugleich die Faltbarkeit des Beipackzettels sicherzustellen. Dabei bleibe die Leserlichkeit häufig auf der Strecke. Dass es auch anders geht, zeigt die Studie an einem Beispiel. Mit Hilfe von Informationsdesignern, professionellen Textern und medizinischen Experten hat sich das WIdO daher den Beipackzettel eines handelsüblichen verordnungsstarken Präparats vorgenommen und eine an den Bedürfnissen der Verbraucher ausgerichtete Alternative entwickelt. Dabei ist die Schriftgröße gewachsen und die Textmenge geschrumpft. Piktogramme und weitere grafische Elemente strukturieren die Inhalte und heben Warnhinweise hervor. Dieser Musterbeipackzettel steht auf der Internetseite des WIdO www.wido.de

Im Internet

Die Studie "Zu Risiken und Nebenwirkungen: Lesen Sie die Packungs–beilage?" (138 Seiten, 13 Euro) können Sie über die Website www.wido.de bestellen.

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