Aus Kammern und Verbänden

Multimedikation bei Senioren

Viele ältere Menschen leiden an mehreren, meist chronischen Erkrankungen und müssen mehrere unterschiedliche Medikamente einnehmen, was das Risiko von unerwünschten Arzneimittelwirkungen und Interaktionen erhöht. Die Fachtagung "Arzneimittelversorgung im Alter" der Kommunalen Gesundheitskonferenz Gütersloh, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Versor-gungsforschung der Universität Bielefeld am 3. November 2010 durchgeführt wurde, erörterte dieses Thema.

Würdevolles Altern ermöglichen

Die Dekanin der Fakultät Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Claudia Hornberg, sagte in ihrem Grußwort, man müsse sich genau ansehen, wie alte und sehr alte Menschen leben, welche Ressourcen noch aktiviert werden können, welche Hilfen die Menschen tatsächlich brauchen und wie man ihnen ein würdevolles Leben in der örtlichen Gemeinschaft ermöglicht. Kurz: Man müsse die Bedürfnisse und Möglichkeiten der betroffenen Menschen stärker berücksichtigen.

Interdisziplinärer Dialog


In Nordrhein-Westfalen analysieren die Kommunalen Gesundheitskonferenzen der Kreise und kreisfreien Städte die Probleme im Gesundheitswesen und erarbeiten Handlungsempfehlungen, so auch zum Thema demografischer Wandel.

Wesentliches Ziel der Fachtagung in Gütersloh war es, den interdisziplinären Dialog zwischen Ärzten, Apothekern und Pflegekräften im Landkreis voranzubringen, der nach den Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis bislang nicht ausreichend funktioniert.

Außerdem sollte die Tagung dafür sensibilisieren, dass chronisch Kranke ihre Erkrankung anders erleben als akut kranke Patienten und deshalb eine spezifische Betreuung brauchen.

Krankheitsphasen und Compliance

Prof. Dr. Doris Schaeffer, Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit und Leiterin der Arbeitsgruppe Versorgungsforschung der Universität Bielefeld, stellte das Erleben einer chronischen Erkrankung aus dem Blickwinkel des Patienten dar. Hier gibt es im Laufe der Zeit unterschiedliche Phasen, die auch die Compliance beeinflussen. So nimmt der Patient kurz nach der Diagnosestellung die verordneten Arzneimittel sehr gewissenhaft ein. In dieser Phase ist es wichtig, den Patienten über den wahrscheinlichen Verlauf der Erkrankung aufzuklären und keine überzogenen Heilungsversprechen zu geben.

In der letzten Phase der Erkrankung – und seines Lebens – ist der Patient oft so frustriert, dass er die Einnahme der Arzneimittel verweigert. Jetzt empfehlen sich, so Schaeffer, ein Monitoring der Arzneimitteleinnahme, ein Coaching und eventuell die Kooperation mit Angehörigen.

Priorisierung bei Polypharmazie

Zusammen mit der hausärztlichen Leitliniengruppe Hessen stellte Dr. Ingrid Schubert, Leiterin der PMV-Forschungsgruppe in Köln, Überlegungen an, wie die Risiken der Polypharmazie reduziert werden können. Vorteilhaft sind z. B. Arzneimittel, mit denen gleich zwei Erkrankungen therapiert werden können. Außerdem muss der Arzt mit dem Patienten klären, ob er Prioritäten bei den Therapiezielen hat. So kann ein Hochbetagter auf eine Schlaganfallprophylaxe mittels Statinen verzichten, von der er erst in etwa 20 Jahren – also nie – profitieren würde.

Schubert wies darauf hin, dass bestimmte Arzneimittel wegen der veränderten Pharmakodynamik und -kinetik im Alter für geriatrische Patienten potenziell ungeeignet sind ("Priscus– Liste").

Qualifizierung des Pflegepersonals

Dr. Gabriele Müller-Mundt, Arbeitsgruppe Versorgungsforschung der Universität Bielefeld, berichtete über das "Empowerment" der Patienten durch die Pflegekräfte. Die entsprechend geschulten Pflegekräfte sollen die Patienten aktivieren und in die Lage versetzen, ihre noch vorhandenen Ressourcen zu nutzen und weiter auszubauen.

Prof. Dr. Henny Annett Grewe, Leiterin des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Fachhochschule Fulda, stellte das Projekt "Kompetenznetz Pflege und Pharmakotherapie" (KomPP) vor. Das Kompetenznetz ist ein freiwilliger Zusammenschluss ambulanter und stationärer Pflegeeinrichtungen in Nordhessen. Um die Arzneimittelversorgung von geriatrischen Patienten zu verbessern, schult es das Pflegepersonal in Pharmakologie, denn hier gibt es Defizite. Außerdem hat es für die zwölf am häufigsten verordneten Arzneimittel Checklisten mit den wichtigsten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen erstellt.

Als problematisch habe sich die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften erwiesen, so Grewe. Oft wissen die Pflegekräfte nicht ausreichend über die Erkrankung der Patienten Bescheid, um die Therapie konstruktiv begleiten zu können.

Pharmazeutische Betreuung in Heimen

Die Aufgaben des Apothekers in Alters- oder Pflegeheimen umriss Apothekerin Julia Kruse, Universität Münster. Im Rahmen ihrer Promotion erarbeitet sie Medication Reviews für einzelne Patienten. Die Medication Reviews enthalten Angaben zur Angemessenheit der Medikation, zur korrekten Dosierung, Dosisanpassung bei Leber- und Niereninsuffizienz, zum richtigen Einnahmezeitpunkt und zu Arzneimittelunverträglichkeiten.

Auch Kruse betonte die Notwendigkeit einer gut funktionierenden Kommunikation mit Ärzten und Pflegern. Hauptaufgaben des Apothekers in Alters- und Pflegeheimen seien die Schulung des Pflegepersonals, die Weitergabe wichtiger Informationen zur Pharmakologie sowie das Erstellen von Medication Reviews.

AMTS-Teams

Dipl.-Pharm. Frank Hanke berichtete über Arzneimitteltherapiesicherheit-Teams in Altenheimen. Die aus Apothekern und Pflegern bestehenden AMTS-Teams dokumentieren z. B. unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) aufgrund von Triggerfaktoren. Es ist die Aufgabe der Apotheker, bei UAE-Verdacht das Risiko zu konkretisieren und das Problem zu lösen. Zudem erstellen die AMTS-Teams Merkkarten mit Symptomen, um zu überprüfen, ob die Symptome mit einem Arzneimittel in Zusammenhang stehen.

Die Ergebnisse der Fachtagung werden in einen Gesundheitsbericht einfließen, auf dessen Grundlage Handlungsempfehlungen erarbeitet werden sollen, um die Situation für alte Menschen im Kreis Gütersloh zu verbessern.


Birgit Wibbe, Udo Puteanus

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