Interpharm 2018 – Schmerzen in der Palliativmedizin

Gute Schmerzkontrolle in jeder Phase

Patientenindividuelle Auswahl von Wirkstoffen und Darreichungsformen

ho | In der Versorgung von Palliativpatienten zählt es zu Hauptzielen, ihre Lebensqualität zu erhalten oder zu erhöhen und belastende Symptome zu lindern. Ein ganz ­wesentliches Element ist dabei die Schmerztherapie.
Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel

Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel, Oberarzt im Zentrum für Palliativmedizin des Malteser-Krankenhauses in Bonn, erläuterte, wie Palliativmediziner zu ihrer Entscheidung über eine Schmerztherapie kommen, und konzentrierte sich dabei auf Krebspatienten. In Deutschland gibt es rund 150.000 Patienten mit Tumorschmerzen. Etwa 20% der Patienten haben bereits bei der Diagnosestellung Schmerzen, im fortgeschrittenen Stadium bis zu 95%. Die Zunahme der Schmerzen signalisiert den Patienten oft das Fortschreiten der Erkrankung und geht deshalb mit existenzieller Angst einher. Die Schmerzen können durch den Tumor selbst verursacht sein, der zum Beispiel Nerven komprimiert oder eng umschlossene Gewebe (z. B. die Leber) infiltriert und anschwellen lässt. Schmerzhaft ist auch die Fraktur angrenzender Knochen durch Metastasen. Wenn größere Tumormassen infolge unzureichender Gefäßversorgung nekrotisch werden, kann dies in benachbarten Strukturen schmerzhafte Entzündungsreaktionen verursachen. Auch die Tumortherapie kann Schmerzen verursachen: postoperative Neuralgien oder Phantomschmerzen, Fibrosen oder Entzündungen nach Bestrahlung oder Polyneuropathien nach Chemotherapie. Beispiele für Tumor-assoziierten Schmerz sind die Zoster-Neuralgie, Spannungsschmerz bei Lymphödem sowie Schmerzen infolge von Pilzinfektionen, Thrombosen/Embolien oder Dekubitus.

Neuropathisch oder nozizeptiv?

Die Auswahl der Schmerztherapie orientiert sich unter anderem daran, ob ein Nozizeptorschmerz oder ein neuropathischer Schmerz, ausgelöst durch eine periphere oder zentrale Schädigung des Reizleitungssystems, vorliegt. Die Anamnese gibt dem Arzt hier wichtige Hinweise. Ist der Schmerz drückend oder ziehend, wellenförmig und wird bei Druck schlimmer? Das spricht für einen viszeralen Nozizeptorschmerz. Ist der Schmerz einschießend, brennend, bohrend oder fühlt sich wie Ameisenlaufen an und tritt er vor allem in Ruhephasen auf, dann spricht dies für einen neuropathischen Schmerz (z. B. Polyneuropathie, Zoster-Neuralgie).

Ebenfalls kommen bei 20 bis 40% der Tumorpatienten gemischte Formen vor. Zur Anamnese gehören auch die Feststellung der Schmerzstärke mithilfe entsprechender Skalen, die Frage nach Begleitsymptomen (z. B. Durchfall, Taubheitsgefühl, Lähmung) und die Frage, wie der Schmerz den Patienten beeinflusst. Die Schmerz­diagnose erfordert außerdem eine körperliche Untersuchung. Bildgebende Verfahren setzt Hoffmann-Menzel zurückhaltend ein, weil sie für Patienten in der Palliativsituation unter Umständen zu belastend sind.

Medikamentöse Therapie

Basis der Schmerztherapie sind gemäß WHO-Stufenschema Nichtopioide und begleitende Maßnahmen (Stufe 1). Nichtopioide sind allerdings keineswegs harmlos, betonte Hoffmann-­Menzel und verwies auf Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Blutung, Ulcus, Nierenfunktionsstörungen (vor allem bei alten Patienten, wenn sie zu wenig trinken), koronare Komplikationen, Tinnitus, Müdigkeit und Verwirrtheit.

Bei unzureichender Schmerzkontrolle sollen frühzeitig Opioide gegen schwache und mittelstarke Schmerzen (Stufe 2) oder gegen mittlere und starke Schmerzen (Stufe 3) eingesetzt werden. Die mittelstarken Opioide Tilidin, Tramadol und Tapentadol spielen allerdings, so Hoffmann-Menzel, in der ­Tumorschmerztherapie nur eine untergeordnete Rolle. In der Palliativmedizin werden bevorzugt starke Opioide eingesetzt, gegebenenfalls – bei schwächeren Schmerzen – in niedriger Dosierung. Hierzu zählen nichtretardierte und retardierte orale Formen von Morphin, Oxycodon, Hydromorphon und Levomethadon, transdermale Darreichungsformen von Fentanyl und Buprenorphin sowie bukkal oder nasal anzuwendendes Fentanyl. Die Substanzen haben im Detail Unterschiede in der Pharmakodynamik (z. B. Aktivität am Rezeptor, Rezeptorsubtypen) und Pharmakokinetik (z. B. Bioverfügbarkeit, Plasmaproteinbindung, Elimination). Beispielsweise kann es bei Niereninsuffizienz zur Kumulation von Morphin und seinem aktiven Metaboliten Morphin-6-glucuronid kommen. Hier sei man mit Buprenorphin, Fentanyl, Hydromorphon oder Methadon auf der sicheren Seite, hielt Hoffmann-Menzel fest.

Gemeinsam sind den Opioiden die wesentlichen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen, Obstipation, Sedierung, ein unter Umständen sehr quälender Juckreiz, Myoklonien und Harnverhalt. Die Übelkeit bei Therapiebeginn sollte durch eine sieben- bis zehntägige antiemetische Begleitmedikation (z. B. Haloperidol) verhindert werden. Die opioidbedingte Obstipation erfordert hingegen eine dauerhafte Prophylaxe, zum Beispiel mit Macrogol oder Natriumpicosulfat.

Der Wechsel eines starken Opioids kann erforderlich werden, falls die Schmerzen trotz Dosissteigerung nicht ausreichend gelindert werden, therapierefraktäre Nebenwirkungen auftreten oder pharmakologische Aspekte (z. B. Niereninsuffizienz) dafür sprechen. Die bekannten Äquivalenzdosen (Tab.) von Opioiden sollten hierbei aber nur als Orientierungs­werte dienen und das neu angesetzte Opioid zunächst mit 50% der errechneten Äquivalenzdosis dosiert werden.

Tab.: Äquivalenzdosen von Opioiden in der Schmerztherapie [nach Hoffmann-Menzel)]
Opioid
relative Potenz
Tagesdosis
Morphin
1
60 mg
Oxycodon
1,5 bis 2 (oral)
30 mg bis 40 mg
Hydromorphon
5 (bis 7,5)
(8 mg bis) 12 mg
Levomethadon
4 bis 10
?
Fentanyl
100
25 µg/Stunde
Buprenorphin
50 bis 60
35 µg/Stunde
Tilidin, Tramadol
0,1
600 mg
Tapentadol
0,25 bis 0,5
120 mg bis 240 mg

Koanalgetika (Antidepressiva, Antikonvulsiva, Glucocorticoide) können bei bestimmten Schmerzsyndromen, zum Beispiel neuropathischen Schmerzen, zur Schmerzlinderung beitragen. Ihre Wirkung tritt verzögert ein, die Nebenwirkungen jedoch sofort. Deshalb ist auf eine einschleichende Dosierung und gute Information des Patienten zu achten. Für die Wirkung von Cannabis bei nozizeptiven Schmerzen und Tumorschmerz ­gebe es wenig bis keine Evidenz und für die Wirkung bei neuropathischen Schmerzen wenig Evidenz, stellte Hoffmann-Menzel fest. Insbesondere gebe es keine Evidenz dafür, dass Cannabis besser wirke als wirkstoffgleiche Fertigpräparate.

Standard orale Therapie – und Alternativen

Grundsätzlich soll die Schmerztherapie so einfach wie möglich sein. Standard ist die orale Einnahme in festen Intervallen gemäß Wirkdauer, ergänzt um eine Strategie zur Beherrschung von Durchbruchschmerz ­(Bedarfsmedikation). Bei Schluck­störungen, behinderter Magen-Darm-Passage oder anhaltender Übelkeit gibt es Alternativen: transdermale Sys­teme, sublinguale und nasale Darreichungsformen oder die parenterale (auch subkutane) Gabe.

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Constanze Rémi

Wie mit diesen Alternativen eine patientenindividuelle Schmerztherapie realisiert werden kann und was Apotheker dazu beitragen können, erläuterte Apothekerin Dr. Constanze Rémi, Mitarbeiterin im Bereich Forschung der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin des Klinikums der Universität München. An ihren Beispielen wurde deutlich, dass im Verlauf immer wieder geprüft werden muss, ­welche Therapie aktuell am besten zum Patienten passt. So beschrieb sie Modifikationen bei einem Patienten mit Rektumkarzinom:

  • Der Patient wurde anfänglich auf Fentanyl TTS plus vier Tabletten Metamizol und täglich einen Beutel Macrogol eingestellt und erhielt als Bedarfsmedikation Morphin als Trinkampulle (statt Tropfen), weil er noch sehr mobil und viel unterwegs war.
  • Dem Patienten waren regelmäßige Saunagänge sehr wichtig, deshalb Wechsel von Fentanyl TTS auf Morphin-Retardtabletten.
  • Die Wirkung der Bedarfsmedikation setzte zu langsam ein, deshalb Wechsel auf Fentanyl-­Nasenspray.
  • Verschlechterter ­Zustand mit starker Übelkeit und häufigem Erbrechen, deshalb weitgehender Verzicht auf orale Darreichungsformen; Wechsel von Morphin-Retardtabletten auf Fentanyl TTS; Macrogol oral „wenn möglich“.
  • Terminalphase mit verschlechterten transkutanen Resorptionsbedingungen: Wechsel auf kontinuierliche subkutane Gabe von täglich 20 mg Morphin und 4 g Metamizol; Verzicht auf Macrogol.

Wie zuvor Hoffmann-Menzel, bestä­tigte Rémi die grundsätzlich gute Anwendbarkeit der kontinuierlichen subkutanen Gabe im häuslichen Umfeld. Die Nadel wird an Schulter, Brust, Unterbauch oder Oberschenkel gesetzt, sodass der Patient die Arme frei hat. Die Arzneistofflösung wird mit einer kleinen tragbaren Pumpe appliziert. Die Arzneistofflösungen müssen in vielen Fällen als Rezeptur angefertigt werden.

Auch die rektale Gabe ist in manchen Fällen möglich und erfordert unter Umständen eine Anfertigung als ­Rezeptur.

Für die Auswahl der Applikationsform spielen neben der medizinischen Situation die Präferenz des Patienten und seine Versorgungssituation (zu Hause mit/ohne Angehörige/Pflegedienst, Pflegeheim, Hospiz, stationär) eine Rolle. Ist ein konkretes Arzneimittel für den Patienten bzw. die anwendenden Angehörigen geeignet? Gibt es Alternativen? Als Fertigarzneimittel oder als Rezeptur? Hier können Apotheker ihre Fachkenntnisse im Austausch mit Ärzten und Pflegepersonal einbringen. Gefragt ist auch ihre Beratung der Ärzte zu Interaktionen und nicht zuletzt die Beratung der ­Patienten und Angehörigen zu den oft sehr erklärungsbedürftigen alternativen Darreichungsformen. |

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier

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