Arzneimittel und Therapie

Differenzierter Einsatz moderner Opioide

Opioide stellen die wichtigste medikamentöse Strategie gegen starke Schmerzen dar. Ihr praktischer Einsatz orientiert sich am WHO-Stufenschema zur Tumorschmerztherapie, das zunehmend auch bei Schmerzen nicht-maligner Genese angewendet wird. Neben der analgetischen Potenz sind auch die pharmakokinetischen Eigenschaften eines Opioids sowie das korrekte Handling der jeweiligen Darreichungsformen essenziell für den Therapieerfolg. Außerdem sollte Vorbehalten gegen Opioiden mit sachlicher Aufklärung über wahre und unwahre Risiken der Opioidanwendung begegnet werden.

Um die Linderung von Tumorschmerzen zu strukturieren und Ärzten eine Orientierungshilfe bei der Schmerzmittelauswahl zu geben, hat die WHO bereits in den 80er Jahren einen dreistufigen Algorithmus für die Tumorschmerztherapie entwickelt. Dieser ist heute im Grundsatz immer noch gültig und wird zunehmend auch für die Langzeittherapie nicht-tumorbedingter chronischer Schmerzen wie z. B. Bewegungsschmerzen, postoperative oder neuropathische Schmerzen angewendet.

Orientierung am

WHO-Stufenschema

Die Basis des WHO-Stufenschemas zur Tumorschmerztherapie bilden Nicht-Opioidanalgetika wie nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) oder COX-2-Hemmer. In Stufe 2 werden diese bei mittelstarken bis starken Schmerzen durch schwache Opioide ersetzt bzw. ergänzt. Bei starken bis stärksten Schmerzen sind in Stufe 3 dann lang wirkende BtMVV-pflichtige Opioide indiziert. Um möglichst konstante Wirkstoffspiegel zu erzielen und die Überdosierungsgefahr zu minimieren, sollte die Schmerzmittelgabe nicht bedarfsweise, sondern nach einem festen Zeitplan erfolgen.

Das Behandlungsschema muss jeweils an die individuelle Schmerzsituation des Patienten angepasst sein. Auf allen Stufen können dazu Co-Analgetika eingesetzt werden. In der Praxis werden vorwiegend trizyclische Antidepressiva genutzt. Bei neuropathischen Schmerzen sind auch Antikonvulsiva wie Gabapentin, Carbamazepin und Pregabalin indiziert. Schmerzspitzen (wie bei osteoporotischen Wirbelkörperfrakturen) können kurzfristig mit hohen Cortisondosen abgefangen werden.

Überschaubare Palette schwacher Opioide

Opioide entfalten ihre Wirkung über spezifische Opioidrezeptoren. Rezeptoraffinität und intrinsische Aktivität bestimmen letztendlich ihre Wirkstärke und das jeweilige Nebenwirkungsprofil. Zu den schwachen Opioidanalgetika gehört z. B. Tilidin, ein Prodrug, dessen Metabolisierungsrate unter anderem von der Leberfunktion abhängt, weshalb die Substanz schwer steuerbar ist. Tilidin ist in Deutschland nur in Kombination mit Naloxon im Handel, was den missbräuchlichen Einsatz dieser für Junkies attraktiven Substanz verhindern soll.

Ein anderes Stufe-2-Opioid, das Tramadol, greift nicht nur an Opioidrezeptoren, sondern auch am adrenergen und serotonergen System an. Es besitzt also einen über den Opioideffekt hinausgehenden schmerzlindernden Wirkmechanismus. Deshalb zeigt Tramadol auch ein eigenes Nebenwirkungsspektrum und ist schon in vergleichsweise geringer Dosierung schmerzlindernd wirksam.

Dihydrocodein (DHC) spielt in der Schmerztherapie nur noch eine untergeordnete Rolle. DHC wird mit einer durchschnittlichen hepatischen Metabolisierungsrate von 15% zu Morphin metabolisiert. Dementsprechend beträgt seine Wirkstärke auch nur etwa 1/6 des Morphins. Aufgrund des genetischen Polymorphismus der Enzymausstattung von Westeuropäern ist die Metabolisierungsrate – und damit die DHC-Therapie – im Einzelfall jedoch kaum vorhersehbar.

Obwohl Methadon eine gute Schmerztherapie ermöglicht, wird es nur noch selten in der Palliativmedizin genutzt. Der Umgang mit dieser Substanz erfordert wegen der Kumulierungsgefahr große Erfahrung. Außerdem wird Methadon wegen seiner "Karriere" in der Drogensubstitution von vielen Schmerzpatienten abgelehnt.

Dem Goldstandard überlegen

In der Tumorschmerztherapie gilt Morphin nach wie vor als Goldstandard, an dem sich auch Analgetika-Weiterentwicklungen messen lassen müssen. So auch semisynthetische Opioide wie Hydromorphon und Oxycodon, die seit einiger Zeit auch in Retardformulierungen zur Verfügung stehen. In ihrer analgetischen Potenz sind sie Morphin zweifach (Oxycodon) bzw. 7,5-fach (Hydromorphon) überlegen. Gleichzeitig zeigen beide eine geringere Rate an Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen.

Die Substanzen sind oral gut bioverfügbar, haben einen raschen Wirkeintritt (ein bis zwei Stunden) und eine zwölfstündige Wirkdauer. Sie besitzen keinen Ceiling-Effekt, das heißt ihre Wirkung ist auch bei höheren Dosierungen nicht limitiert. Da bei beiden nur die Muttersubstanz wirksam ist, besteht keine Akkumulationsgefahr aktiver Metaboliten. Die Therapie ist auch bei Leber- oder Nierenfunktionsstörungen noch gut steuerbar. Dank der geringen Plasmaproteinbindung ist ihr Interaktionspotenzial gering und eine störungsfreie analgetische Wirksamkeit auch bei Multipharmakotherapie möglich.

Für und wider Opioidpflaster

Transdermale therapeutische Systeme (TTS) machen hierzulande inzwischen den Löwenanteil bei der Versorgung mit Opioidanalgetika aus. Sie sind für Patienten mit konstanter Schmerzintensität oder wenn eine orale Opioidgabe nicht möglich ist (z. B. bei gastrointestinalen Tumoren, Schluckstörungen, unstillbarem Erbrechen) von Vorteil. Nach Ansicht von Experten könnten jedoch 90% aller Tumorpatienten mit oralen Opiaten gut eingestellt werden. Bei starken Schmerzen ist die mit Pflastern zuführbare Wirkstoffmenge allein oft nicht ausreichend, sodass oral hinzu dosiert werden muss.

Die Patienten müssen insbesondere zu Therapiebeginn darüber aufgeklärt werden, dass die Pflasterwirkung verzögert eintritt. Es kann bis zu 200 Stunden dauern, bis ein steady-state erreicht ist. Dosisabhängige Nebenwirkungen stellen sich daher oft erst nach Tagen ein. Die Patienten benötigen somit eine intensive und langfristige Nachbetreuung.

Klassische Nebenwirkungen

Meist ist nicht Schmerzfreiheit, sondern Verbesserung der Lebensqualität das realistische Ziel einer Opioidtherapie. Darüber hinaus sollte jeder Opioidanwender wissen, dass unter Opioiden mit Obstipation (95% der Fälle) zu rechnen ist. In diesen Fällen dürfen Laxanzien zu Lasten der GKV rezeptiert werden, was am besten auf dem BtM-Rezept erfolgt. Erste Wahl sind dabei Quellstoffe wie Macrogole, die mit peristaltikfördernden Substanzen wie Natriumpicosulfat oder Bisacodyl kombiniert werden können. Lactulose lehnen viele Patienten wegen des süßen Geschmacks und häufigem Meteorismus ab. Übelkeit bis zum Erbrechen ist ebenfalls eine typische opioidbedingte Begleiterscheinung, die jedoch mit Metoclopramid gelindert werden kann. Mit zunehmender Therapiedauer treten diese Beschwerden ohnehin erfahrungsgemäß in den Hintergrund.

Das Risiko einer opioidbedingten Atemdepression ist bei korrekter Opioiddosierung zwar im Allgemeinen gering. Werden jedoch parallel starke Sedativa wie Benzodiazepine oder Barbiturate eingenommen, kann es durchaus zur Atemdepression kommen.

Wider die Opioidphobie

Patienten mit Vorbehalten gegen Opioide sollten sachlich über Nutzen und Risiken der Opioide aufgeklärt werden. Nach heutiger Erkenntnis sind Opioide selbst in hohen Dosen nicht organtoxisch. Ihre Nutzen-Risiko-Relation ist daher verglichen mit NSAR relativ günstig. Das Suchtpotenzial retardierter Opioide ist bei therapiekonformer Anwendung sehr gering. Wenn Suchtphänomene auftreten, handelt es sich meist um nicht-opioidsensitive Schmerzen und somit um eine Fehlindikation.

Viele Patienten haben Angst vor Stigmatisierung und assoziieren außerdem die Einnahme morphinartiger Substanzen mit dem Lebensende, da früher Morphin meist Tumorpatienten im Finalstadium vorbehalten war. Opioidanwender sind keineswegs zwangsläufig "benebelt": Ein gut eingestellter Patient erlebt seine Umwelt sogar wieder viel wacher, da die vigilanzmindernden Schmerzen in den Hintergrund treten. Berufskraftfahrer verlieren unter Opioiden zwar ihre Fahrerlaubnis, alle anderen Autofahrer, die sich im steady-state einer Opioidtherapie befinden, dürfen jedoch generell am Straßenverkehr teilnehmen.

Christiane Weber, Reutlingen

Quelle

Dr. Franz-Hermann Krizanitz, Bochum: Symposium „Opioide in der Schmerzthera- pie – Indikation, Applikationsformen und Co-Medikation“, Hamburg, 9. April 2005, veranstaltet von der Mundipharma GmbH, Limburg/Lahn.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.