Medikationsanalyse Spezial

Quick-Check

Medikationsanalyse mit kleinem Aufwand und großer Wirkung

Foto: Andrey Popov – Fotolia.com
Von Sonja Mayer, Barbara Geyer, Michaela Häberle, Sylvia Titz, Kirsten Dahse und Ulrich Krötsch | In sechs Kliniken, die die Johannes-Apotheke Gröbenzell mit Arzneimitteln versorgt, führen Apotheker auf Station Medikationsanalysen bei Risikopatienten durch. Ihr Zweck ist, den Therapieerfolg zu verbessern und unerwünschte Arzneimittelereignisse möglichst zu vermeiden. Da diese Medikationsanalysen pro Patient durchschnittlich nur zehn Minuten dauern, haben wir sie Quick-Check genannt.

Eine Medikationsanalyse (MA) ist eine strukturierte Analyse der Gesamtmedikation eines Patienten. In Abhängigkeit von den für die Evaluation verwendeten Informationsquellen werden verschiedene MA-Typen unterschieden. In Kliniken besteht Zugriff auf die Patientenakten mit der gesamten Medikation und den Laborwerten, was eine erweiterte Medikationsanalyse (2b) gemäß ABDA-Klassifikation ermöglicht [1]. Wird die MA in zeitlichen Abständen mehrfach für denselben Patienten ausgeführt und interprofessionell bearbeitet, handelt es sich um ein Medikationsmanagement (MM).

Der Anspruch, die MA als Instrument zur Optimierung von Qualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie effizient einzusetzen und auszuführen, bedingt

  • eine standardisierte Arbeitsweise,
  • die Verwendung valider Informationsquellen,
  • die Kenntnis häufig involvierter Arzneistoffe für unterschiedliche Problemstellungen und
  • den fortlaufenden Wissenstransfer zwischen den Kollegen.

Für welche Patienten lohnt sich die MA?

Nicht jeder stationäre Patient benötigt eine MA. Welche Patienten in besonderem Maße von einer therapiebegleitenden Arzneimittelbetreuung profitieren, kann man einerseits aufgrund der eingesetzten Arzneistoffe, andererseits aufgrund der physischen Verfassung der Kranken beurteilen. Patienten mit Polymedikation oder bestimmten risikobehafteten Arzneistoffen sind besonders häufig von arzneimittelbezoge­nen Problemen (ABP) betroffen.

Polymedikation wird meistens so definiert:

  • mindestens fünf dauerhaft angewandte, systemisch ­wirkende Arzneimittel oder
  • mindestens zwölf Arzneimittelanwendungen pro Tag.

Bei unserer Risikoanalyse erwiesen sich für stationäre Patienten mehr als zehn Wirkstoffe oder eine laufende Antibiotikatherapie als riskant. Die Anzahl der ABP ist ferner bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Serum-Creatinin-Wert > 1,3 mg/dl [♂] / 1,1 mg/dl [♀]) erhöht [2].

Unter Hochrisiko-Arzneimittel fallen

  • Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite (z. B. orale Antikoagulanzien, Ciclosporin),
  • Arzneimittel mit ungewöhnlichen Dosierungsschemata (z. B. Methotrexat, Bisphosphonate, Schmerzpflaster),
  • Darreichungsformen mit veränderter Wirkstoff­freisetzung (z. B. Lodotra®) und
  • Arzneistoffe mit hohem Interaktionspotenzial (z. B. Erythro- und Clarithromycin, Amiodaron, Clozapin, Rifampicin, Voriconazol) [3].

Ergebnisse in Zahlen

Von September bzw. November 2013 bis Ende 2015 haben fünf Apotheker in zwei versorgten Krankenhäusern 7890 Patienten auf Station visitiert. Die Mehrfachzählung eines Patienten war möglich bei einer Verweildauer von mehr als sieben Tagen. Bei 3832 Patienten (48,6%) kam es zu insgesamt 6240 relevanten arzneimittelbezogenen Problemen, die im interprofessionellen Gespräch geklärt wurden.

Für das 2. Halbjahr 2015 wurden die besonders kritischen Fälle (CIRS-Fälle) in einem der Krankenhäuser gesondert ausgewertet (Tab. 1). Es waren 18 CIRS-Fälle (also durchschnittlich drei Fälle pro Monat), was die Notwendigkeit klinisch-pharmazeutischer Dienstleistungen für eine Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit unterstreicht.

Tab. 1: Die 18 besonders kritischen Fälle (CIRS-Fälle), die im 2. Halbjahr 2015 in einem der versorgten Krankenhäuser auftraten.
Fallbeschreibung
Wirkstoff 1
Wirkstoff 2 (und 3)
Überdosierung: Gabe täglich statt wöchentlich
Methotrexat
Doppelverordnung mit Blutungsrisiko
Rivaroxaban
Enoxaparin
Doppelverordnung mit Blutungsrisiko
Apixaban
Enoxaparin
Doppelverordnung mit Blutungsrisiko
Edoxaban
Enoxaparin
Doppelverordnung mit Blutungsrisiko
Rivaroxaban
Tinzaparin
Dosisreduktion erforderlich, Blutungsrisiko
Dabigatran
Amiodaron
Interaktion mit Myopathierisiko (2 Fälle)
Clarithromycin
Simvastatin
Interaktion mit Myopathierisiko
Daptomycin
Atorvastatin
Interaktion mit Myopathierisiko
Daptomycin
Simvastatin
Interaktion mit Agranulozytoserisiko
Clozapin
Ciprofloxacin, Metamizol
Interaktion mit Agranulozytoserisiko
Clozapin
Metamizol
Überdosierung
Ibuprofen
Interaktion mit Lebertoxizität
Flupirtin
Paracetamol
Risiko Fungämie und Hefe-Infektion innerer Organe
S. cerevisiae (Eubiol®)
Prednisolon, Chlorambucil
Kontraindikation* nicht beachtet
Diclofenac
Doppelverordnung mit erhöhter Nierentoxizität
Diclofenac
Acemetacin, Celecoxib
Interaktion mit Wirkungsverlust
Erlotinib
Pantoprazol

* bei GFR < 30, Patient mit signifikanten Risikofaktoren für kardiovaskuläre Ereignisse

Durchführung der Medikationsanalyse

Die Durchführung der MA gliedert sich in die Bereiche ­Datenerfassung, Datenanalyse, Problemlösung und Weitergabe der Information. In die Ersterfassung fließen persönliche Daten (Geburtsdatum, Geschlecht) sowie alle Informationen zur Medikation aus der Patientenakte plus Laborparameter und (soweit vorhanden) mikrobiologische Daten aus der Krankenhaus-EDV ein. Standardmäßig werden Kalium, Creatinin (Crea), glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und C‑reaktives Protein (CRP) notiert, ferner anormale Werte der Thrombozyten, Leukozyten, INR, pTT, Elektro­lyte und Leberfunktion.

Zwischen den Laborparametern und der Arzneimitteltherapie gibt es eine Reihe von Berührungspunkten. Kurzfristig zeigen die Laborwerte, ob eine Diagnose und damit die Indikation der eingesetzten Arzneimittel richtig ist, auf längere Sicht dienen sie der Erfolgskontrolle der Therapie und liefern Anhaltspunkte für eine Korrektur der Dosierung oder auch den Wechsel eines Arzneimittels; im Extremfall begründen sie eine Kontraindikation [4].

Die Datenanalyse führen wir in Anlehnung an das ABDA-Grundsatzpapier zur MA und zum MM durch [1]. Dabei wird anhand der vorliegenden Patientenakte für alle Arzneistoffe der Akut-, Dauer- und Bedarfsmedikation ein Interaktionscheck mit der ABDA-Datenbank durchgeführt. Die detektierten Wechselwirkungen werden mittels pharmazeutischen Sachverstands unter Berücksichtigung klinischer Daten (Labor, EKG, andere Patientenparameter) patientenindividuell auf ihre Relevanz bewertet. Bei den einzelnen Arzneimitteln werden die Dosierung mit der Tagesmaximaldosis, das Dosierungsintervall (Einnahmezeitpunkte) und die eventuelle Anpassung bei Niereninsuffizienz überprüft. Auch auf mögliche Verschreibungskaskaden, Kontraindikationen aufgrund von Erkrankungen und Allergien sowie iatrogene Nebenwirkungen wird geachtet, um unzweckmäßige Arzneistoffe oder Darreichungsformen zu identifizieren. Bei Patienten über 65 Jahren fließen u. a. die Empfehlungen der Priscus-Liste in die MA ein. Bei jeder Antibiose werden neben der Dosierung, der Applikationsart sowie der Therapie­dauer Entzündungsparameter und ggf. vorhandene Befunde der Mikrobiologie sowie der Temperaturverlauf („Fieber­kurve“) überprüft.

Literaturquellen, Dokumentation von ABP und Problemlösungen

Als Literaturquellen bei der Durchführung der MA dienen neben den Fachinformationen und den Faktendatenbanken ClinicalPharmacology und UpToDate diverse frei zugängliche valide Internetportale (s. Kasten). Zur Vorbereitung der Arbeit auf Station eignen sich sehr gut die POP-Fälle der DAZ, die in Fallbeispielen die Kompetenz des Apothekers trainieren. Hier sind sämtliche Empfehlungen evidenzbasiert und leitlinienkonform.

Nützliche Internetportale zur Medikationsanalyse

www.crediblemeds.org kostenfrei, Registrierung nötig, QT-Zeit-Verlängerung

www.dosing.de kostenfrei, ohne Registrierung, Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz

www.livertox.nih.gov kostenfrei, ohne Registrierung, UAW Leber

www.wechselwirkungscheck.de kostenfrei, Passwort ambition, Wechselwirkung

www.mediq.de 4 Wochen kostenfreier Testzugang, Wechselwirkung

www.awmf.org kostenfrei, ohne Registrierung, Leitlinien

www.leitlinien.de kostenfrei, ohne Registrierung, Leitlinien

www.dgk.org kostenfrei, ohne Registrierung, Leitlinien der Kardiologie

www.adrreports.eu/de/index.html kostenfrei, ohne Registrierung, UAW

www.laborlexikon.de Laborlexikon

www.embryotox.de Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit

Die Problemlösung und Anmerkungen zur medikamentösen Therapie werden pro Station bzw. Fachrichtung auf einem Formblatt eingetragen. Es enthält Freitextfelder zum Patienten (Name, Geburtsdatum, Geschlecht), zu den Standard­laborwerten (K+, Crea, GFR, CRP) sowie zur Arzneimitteltherapie und speziell zu einer eventuellen Antibiose. Die detektierten ABP werden nach den Hauptgruppen des PI-Doc® („Problem-Intervention-Documentation“) kategorisiert [5]. PI-Doc® wurde im Jahre 1995 in Deutschland im Rahmen einer empirischen Studie mit zwei Klassifizierungsebenen (Problemanalyse; Interventionsvorschlag) für öffentliche Apotheken entwickelt und ist Bestandteil verschiedener Softwareprogramme (u. a. Pharmatechnik). Die sechs Hauptgruppen von PI-Doc® lauten:

  • A Unzweckmäßige Wahl des Arzneimittels;
  • C Unzweckmäßige Anwendung durch den Patienten oder mangelnde Compliance;
  • D Unzweckmäßige Dosierung;
  • W Arzneimittelinteraktion;
  • U Unerwünschte Arzneimittelwirkung;
  • S Sonstige Probleme.

Sicherheitsrelevante Ereignisse im Krankenhaus werden im Formblatt als CIRS (critical incident reporting system) markiert und gesondert ausgewertet. Die Prävention schwerwiegender Ereignisse unterstreicht in besonderer Weise den Beitrag der klinisch-pharmazeutischen Dienstleistungen für eine Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit. Bei Arzneimittelinteraktionen werden die ABDA-Interaktionsnummern und die beteiligten Arzneistoffe notiert.

Das Formblatt dient zum Ersten dazu, die Vollständigkeit der Überprüfung sicherzustellen. Der bearbeitende Apotheker bestätigt durch Ankreuzen, dass alle Gesichtspunkte/Kategorien erfasst sind. Zum Zweiten fungiert es als Dokumentation der erkannten Probleme und Lösungsvorschläge und wird als Grundlage für das Arzt-Apotheker-Gespräch genützt. Wenn Änderungen der Verordnung nicht sofort durch den Arzt in der Patientenakte vorgenommen werden, kann eine Kopie ausgehändigt werden.

Die genannten Daten werden im Anschluss an die Visite ­anonymisiert in einer Access-Datenbank erfasst. Standardisierte Auswertungen werden in Form schriftlicher Berichte in regelmäßigen Abständen (quartalsweise oder halbjährlich) herausgegeben.

ABP-Beispiele

Rubrik A: Unzweckmäßige Auswahl

  • Unwirksame Antibiose mit Imipenem/Cilastatin bei einem Patienten mit MRSA (Methicillin-resistenter S. aureus). Trotz breitem Wirkungsspektrum von Imipenem/Cilastatin (im grampositiven, gramnegativen, aeroben und anaeroben Bereich) besteht eine Wirkungslücke für MRSA (wie auch für C. difficile, E. faecium, Legionellen, Mykoplasmen, Stenotrophomonas maltophilia). Empfehlung: Umstellung von Imipenem/Cilastatin auf Linezolid.
  • Hydrochlorothiazid (HCT) als Monotherapie bei einem Patienten mit GFR < 30 ml/min. HCT und andere Thiaziddiuretika können ihre diuretische Wirkung verlieren und zu einer weiteren Verschlechterung der Nierenfunktion führen, wenn die GFR unter 30 ml/min liegt. Sie können jedoch auch bei diesen Patienten nützlich sein, wenn sie mit einem Schleifendiuretikum kombiniert werden (Cave: HCT nicht bei Anurie anwenden!). Empfehlung: Absetzen von HCT bei Blutdruck-Monitoring, ggf. Dosisanpassung der weiteren Antihypertensiva oder Hinzufügen eines Schleifendiuretikums.

Rubrik D: Dosierung

  • Zolpidem 10 mg bei einem 78-jährigen Patienten. Wegen der bei älteren Patienten erhöhten Sensitivität gegenüber Z-Substanzen (und Benzodiazepinen) sind geringere Dosierungen sowohl wirksam als auch sicherer. Die bei Älteren empfohlene maximale Tagesdosis von 5 mg sollte nicht überschritten werden, da dies die Wirksamkeit nicht verbessert, aber die unerwünschten Arzneimittelwirkungen zunehmen [6, 7]. Als unerwünschte Wirkung können psychiatrische und paradoxe Reaktionen wie Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, Verkennung, Wut, Alpträume, Halluzinationen, Psychosen und unangemessenes Verhalten auftreten (in solchen Fällen ist die Medikation zu beenden). Bei Patienten mit bekannter Sturzneigung/Sturzgefährdung sollten Benzodiazepine und Z-Substanzen generell vermieden werden. Empfehlung: Dosisanpassung von Zolpidem auf 5 mg.
  • Tägliche Gabe von Methotrexat (MTX) 15 mg bei Patient mit rheumatoider Arthritis. Nach der Leitlinie Medikamentöse Therapie der rheumatoiden Arthritis der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie gilt MTX weiterhin als Standard für die Initialtherapie, allerdings mit einer Dosierung von 15 mg pro Woche [!]. Es gibt Evidenz für Vorteile einer parenteralen Gabe [8]. Empfehlung: sofortiges Absetzen der täglichen Gabe, stattdessen 15 mg einmal wöchentlich sowie Kontrolle der Blutwerte.

Kategorie U: Unerwünschte Arzneimittelwirkung

Hyponatriämie unter Carbamazepin. Schwere Fälle von Hyponatriämie mit < 120 mmol/l Natrium im Blut sind selten, aber bedrohlich und bedürfen meist einer umgehenden stationären Behandlung. Carbamazepin kann den Salzhaushalt stören und den Natriumgehalt des Blutes vermindern. Die kombinierte Gabe von Carbamazepin und einigen harntreibenden Arzneimitteln (HCT, Furosemid) kann zur symptomatischen Hyponatriämie führen [9].

Hyperkaliämie unter Spironolacton. Das kaliumsparende Diuretikum Spironolacton kann – insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion – lebensbedroh­liche Hyperkaliämien mit Muskellähmungen (Paralysen) und Herzrhythmusstörungen verursachen. Die zusätzliche Gabe von Kalium und eine kaliumreiche Diät sind daher zu vermeiden [10].

Einnahmezeitpunkte von Arzneistoffen

Häufig angesprochene Wirkstoffe und die entsprechenden Empfehlungen

Abends oder zur Nacht1

Sedativa1: Zolpidem, Zopiclon, Bromazepam, Lormetazepam, Oxazepam (zur Behandlung von Schlafstörungen)

Antihistaminika: Cetirizin, Levocetirizin, Dimetinden, ­Hydroxyzin

Dämpfende Antidepressiva: Amitriptylin1 (größere Tagesdosis), Mirtazapin1 (max. 30 mg), Opipramol (größere ­Tagesdosis), Agomelatin1

Neuroleptika1: Quetiapin, Melperon

Pregabalin, bei Anfangs- oder Einmaldosierung

Statine (Simva-, Prava-, Lova-, Atorvastatin)

Donepezil1

Therapie des Restless-legs-Syndroms: Levodopa / Benserazid1, Pramipexol

Ranitidin1

Montelukast

Ursodesoxycholsäure bei Einmaldosierung

Calcium

Morgens oder morgens nüchtern2 oder nicht nach 15 Uhr3 oder nicht zum Abend4

Levothyroxin2

Eisen2, wegen erhöhter Bioverfügbarkeit

Lercanidipin2, wegen unvorhersagbarer Bioverfügbarkeit bei Gabe mit Mahlzeit

aktivierende SSRI3: Citalopram, Escitalopram, Paroxetin

Memantin

Cabergolin bei Einmaldosierung

Moxonidin bei Einmaldosierung

Acetylcystein bei Einmaldosierung, fördert Abhusten, ist schlafstörend

Corticoide in Niedrigdosis-Therapie, Aufteilung nur bei ­hohen Dosen (Prednisolon)

Sympathomimetika, z. B. Methylphenidat

Protonenpumpenhemmer2: Omeprazol, Esomeprazol, ­Pantoprazol

Diuretika4, wegen harntreibender Wirkung: HCT, Torasemid, Furosemid, Spironolacton

Amantadin3

Rubrik S: Sonstiges

Es gibt unterschiedliche Gründe für die richtige Wahl des Einnahmezeitpunkts. Dazu zählen das individuelle Therapieziel bei jedem Patienten, bestimmte Stoffeigenschaften des Arzneimittels (z. B. aufputschend oder sedierend), der zirkadiane Rhythmus, pharmakokinetische Parameter (z. B. Bioverfügbarkeit in Abhängigkeit von der Nahrung) und galenische Eigenschaften des Präparats (z. B. magensaftresistenter Monolith oder Retardgalenik mit Einnahmeintervallen). Der Kasten „Einnahmezeitpunkte“ listet die Arzneistoffe, die im Rahmen unserer Medikationsanalyse vorgekommen sind.

  • Gabe von Lodotra® (Prednison) am Morgen. Es handelt sich um eine Tablette mit modifizierter Wirkstofffreisetzung, bei der die gesamte Dosis zu einem definierten Zeitpunkt freigesetzt wird. Nach der Einnahme der Mantel-Kern-Tablette gegen 22 Uhr (mit einer kleinen Mahlzeit) bleibt der Tablettenmantel aus pharmakologisch inaktiven Hilfsstoffen unversehrt, bis der Schwellungsdruck durch angesaugte Flüssigkeit gegen 2 Uhr nachts so hoch ist, dass sich die Tablette öffnet und die gesamte Wirkstoffmenge freisetzt. Das entzündungshemmende Prednison gelangt genau dann in den Blutkreislauf, wenn die Morgensteifigkeit entsteht, nämlich mitten in der Nacht. Empfehlung: Gabe von Lodotra® um 22 Uhr mit einer kleinen Mahlzeit.

Kategorie W: Wechselwirkung

Die klinisch relevanten Interaktionen entfallen auf 236 unterschiedliche ABDA-Interaktionsnummern. Nur fünf von ihnen sind für nahezu ein Drittel, 16 bereits für 49,8% aller detektierten Interaktionen mit Gesprächsbedarf verantwortlich. CYP-Inhibition (Amlodipin, Amiodaron, Omeprazol), additive pharmakodynamische Wirkungen, die zu einer UAW führen (kardiotoxisch, anticholinerg, serotonerg, Blutungsgefahr), sowie Komplexbildungen (Bisphosphonate/Gyrasehemmer/Schilddrüsenmedikament/Eisen mit mehrwertigen Kationen) machen den Großteil der Interaktionen aus (s. Tab. 2). Hier einige Beispiele:

  • Panzytopenie unter Allopurinol und Azathioprin. Der ­Purin-Antagonist Azathioprin wird fast vollständig zu 6-Mercaptopurin metabolisiert. Allopurinol hemmt die Xanthinoxidase, die Mercaptopurin zur inaktiven 6-Thioharnsäure metabolisiert; dadurch kann die Mercaptopurin-Plasmakonzentration um bis zu 500 Prozent steigen. Bei gleichzeitiger Behandlung mit Allopurinol muss die Azathioprin-Dosis auf ein Viertel gesenkt werden. Das Blutbild muss überwacht werden, weil eine Panzytopenie droht, d. h. eine kombinierte Leukopenie, Anämie und Thrombozytopenie. Wenn Blutbildstörungen auftreten, soll einer der beiden Arzneistoffe abgesetzt oder die Azathioprin-Dosis weiter gesenkt werden [11].

Tab. 2: Die 20 häufigsten relevanten Arzneimittelinteraktionen, die in den beiden versorgten Krankenhäusern auftraten (Sept. 2013 bis Ende 2015).

Mechanismus
Prozent
CYP-Hemmung (→ höhere Wirkstoffspiegel)
52
additive Wirkung mit UAW
darunter
26
– erhöhtes Blutungsrisiko
– kardiotoxisch
– kardiotoxisch, anticholinerg, zentralnervös
– immunologisch
– serotonerg
11
6
3
2
2
Kaliumwert
1
Komplexbildung
14
gehemmte Bindung durch sterische Abschirmung
4
erhöhte Toxizität: Digitoxin bei vermindertem Kaliumspiegel
2
verringerte Bioverfügbarkeit durch erhöhten pH-Wert
1

  • Verhängnisvoller Dreier. Manchmal kommt es zu einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Wechselwirkungen. So bilden drei ABDA-Interaktionen (Nr. 1 ACE-Hemmer/NSAID, Nr. 211 kaliuretisches Diuretikum/NSAID, Nr. 232 ACE-Hemmer/kaliuretisches Diuretikum) der Kategorie „bei Risikofaktor überwachen“ gemeinsam den sogenannten verhängnisvollen Dreier (engl. „triple whammy“). Die Kombination eines Diuretikums mit einem nicht-steroidalen Entzündungshemmer (NSAID) und einem ACE-Hemmer oder Sartan kann zum akuten Nierenversagen führen. Der für die Nierenleistung wichtige Filtrationsdruck steigt, indem Prostaglandine das Vas afferens (zuführende Arteriole des renalen Glomerulus) weit stellen und Angiotensin II das Vas efferens (abführende Arteriole) eng stellt. Wird nun durch ein NSAID die Synthese von Prostaglandinen gehemmt, durch einen ACE-Hemmer oder ein Sartan das Angiotensin II „ausgeschaltet“ und zudem durch ein Diuretikum das Volumen in den Gefäßen reduziert, kann der Filtrationsdruck so stark sinken, dass ein akutes Nierenversagen einsetzt [13].
  • Wechselwirkung Arzneimittel/Erkrankung. Nicht nur Arzneistoffe können untereinander interagieren (engl. drug-drug interactions), sondern es kann auch zu Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln und Erkrankungen kommen (engl. drug-disease interactions). Tabelle 3 enthält eine Auswahl wichtiger Beispiele, die im Rahmen einer Medikationsanalyse beachtet werden sollten.


Tab. 3: Einige Wechselwirkungen zwischen Arznei­mitteln und Erkrankungen (nach [21]).

Erkrankung
zu meidende Arzneistoffgruppe/n
Benigne Prostata­hyperplasie
Anticholinergika, tricycl. Antidepressiva
Chronisches Nierenversagen
NSAID
Herzinsuffizienz
Calciumkanalblocker der 1. Generation
Obstipation
Anticholinergika, Opiate, tricycl. Antidepressiva, Benzodiazepine
Demenz
Anticholinergika, Barbi­turate, Benzodiazepine, tricycl. Antidepressiva
Sturz
Opioide, Antipsychotika, Benzodiazepine, tricycl. Antidepressiva
Glaukom
Anticholinergika
M. Parkinson
Metoclopramid
Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür
NSAID

  • Verschreibungskaskade. Eine Verschreibungskaskade ist eine Reihe von Folgeverordnungen: Ein Arzneimittel verursacht eine unerwünschte Wirkung (UAW). Diese wird als „neue“ Erkrankung behandelt, indem ein weiteres Arzneimittel verordnet wird, das dann wiederum eine UAW verursachen kann usw. (Abb. 1). Eine Multimedikation ist die Folge, weitere ABP treten auf.
    Tabelle 4 nennt die häufigsten Folgeverordnungen aufgrund von Nebenwirkungen.


Tab. 4: Häufige Verschreibungskaskaden.

Ersttherapie
UAW
Folgeverordnung
NSAIDs
Blutdruckanstieg
Antihypertonika [15]
Hydrochlorothiazid
erhöhte Harnsäurewerte
Gichtmittel [16]
Allopurinol
Juckreiz
Antiallergikum [17]
Metoclopramid
Parkinsonoid
Levodopa [18]
Cholinesterasehemmer
Inkontinenz
Anticholinergikum [19, 20]
Calciumkanal­blocker
Ödeme
Schleifendiuretikum
Sedativum
Verwirrtheit
Neuroleptikum
Benzodiazepin
Sturzrisiko
Therapie der Sturzfolgen
Neuroleptikum
Parkinsonoid
Parkinsonmittel

Abb. 1: Verschreibungskaskade


Zusammenfassung

Die hier vorgestellte honorierte Dienstleistung ist eine Besonderheit, denn in der Regel gehen nur große Einrichtungen wie Universitätskliniken eine derartige Kooperation zwischen Arzt und Apotheker ein. Die Ärzte und Krankenhaushygieniker vernetzen sich bei dieser Zusammenarbeit hervorragend mit einer anderen Heilmittelberufsgruppe und erhalten fachliche Beratung u. a. in Bezug auf Wechselwirkungen. Bei nahezu jedem zweiten Patienten besteht Gesprächsbedarf bezüglich der medikamentösen Therapie und potenzieller Risiken. Jeden Monat deckt unser Team schwerwiegende Fälle auf, was den Beitrag der Apotheker für mehr Patientensicherheit und Transparenz hervorhebt.

Beim Quick-Check liegt das Hauptaugenmerk auf der Arzneimitteltherapiesicherheit, der Vermeidung relevanter ABP und einem verbesserten Therapieerfolg durch optimale Anwendung der verschriebenen Arzneimittel. Die Überprüfung der Auswahl der Substanzen nach den aktuell gültigen Leitlinien ist nicht vollumfassend, denn zum einen fehlen detaillierte Kenntnisse zur Anamnese und über den Therapieverlauf, und zum anderen gründet es in der besonderen Situation im Krankenhaus, wo z. B. der Chirurg es vermeidet, in die Verordnung des niedergelassenen Internisten einzugreifen. Für die Bewertung der Therapieentscheidung wäre ein anderer zeitlicher Rahmen nötig (für eine geriatrische Medikationsanalyse z. B. 1,5 – 3 h [12]), und dies muss dem verschreibenden Arzt kommuniziert werden. Auch Anwendungsprobleme und Non-Adhärenz (mangelnde Therapie- und Einnahmetreue), deren Lösung ein Gespräch mit dem Patienten erfordert, werden aufgrund des Zeitbedarfs nicht erfasst.

Die pharmazeutische Kompetenz zur Medikationsanalyse besitzt jeder Apotheker. Durch Erfahrung und Wissens­zuwachs kann er sie steigern. Der Apotheker ist unverzichtbar im Medikationsprozess – ob als zusätzliche Sicherheitsbarriere nach der Verordnung oder als Berater für den Patienten zur richtigen und zuverlässigen Medikamenteneinnahme. |

Quellen

 [1] ABDA. Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medika­tionsmanagement, Überblick über die verschiedenen Konzepte zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement als apothekerliche Tätigkeit, Stand Juni 2014; www.abda.de/fileadmin/assets/Medikationsmanagement/Grundsatzpapier_MA_MM_GBAM.pdf

 [2] Dahse K. Medikationsanalyse auf chirurgischen und internistischen Stationen. Welche Patienten profitieren besonders von pharmazeutischer Betreuung? Krankenhauspharmazie 2015;36:451-457

 [3] Jaehde U et al. Arzneimitteltherapiesicherheit – Herausforderung und Zukunftssicherung. Pharm Ztg 2013;158(18):1646-1654

 [4] Zieglmeier M. Laborparameter Wie Laborwerte in der Klinischen Pharmazie zu interpretieren sind. Dtsch Apoth Ztg 2012;152(18):52

 [5] Schaefer M. Discussing basic principles for a coding system of drug-related problems: the case of PI-Doc. Pharm World Sci 2002;24(4):120-127

 [6] Holt S et al. Potenziell inadäquate Medikation für ältere Menschen – die PRISCUS-Liste. Dtsch Arztebl Int 2010;107:543-551

 [7] Zolpidemhaltige Arzneimittel: Umsetzung des Durchführungsbeschlusses der EU-Kommission im Rahmen eines europäischen Risikobewertungsverfahrens (25.08.2014); www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RV_STP/s-z/zolpidem-stp.html

 [8] Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. S1-Leitlinie Medikamen­töse Therapie der rheumatoiden Arthritis; http://dgrh.de/fileadmin/media/Praxis___Klinik/Leitlinien/2012/leitlinie_s1__medikamentoese_therapie_ra.pdf

 [9] Fachinformation Carbamazepin-ratiopharm 200 mg Tabletten, Stand 8/14

[10] Fachinformation Spironolacton-ratiopharm 50 mg/100 mg Tabletten, Stand 1/16

[11] ABDA Datenbank. Purin-Antagonisten/Xanthinoxidase-Hemmer

[12] Polymedikation bei Senioren: Merkkarte unterstützt Apotheker. Pharm Ztg Online, News vom 27.5.2016

[13] Akutes Nierenversagen: Verhängnisvoller Dreier. Pharm Ztg Online, News vom 19.1.2015

[14] Rochon P et al. Optimising drug treatment for elderly people: the prescribing cascade. BMJ 1997;315:1096

[15] Gurwitz JH et al. Initiation of antihypertensive treatment during nonsteroidal anti-inflammatory drug therapy. JAMA 1994;272:781-6

[16] Gurwitz JH et al. Thiazide diuretics and the initiation of anti-gout therapy. J Clin Epidemiol 1997;50:953-9

[17] Baumgärtner G et al. POP-Fall 12: Eine Patientin mit Juckreiz und Ödemen. Dtsch Apoth Ztg 2013;153(11):48

[18] Avorn J et al. Increased incidence of levodopa therapy following metoclopramide use. JAMA 1995;274:1780-2

[19] Kröger E et al. Treatment with rivastigmine or galantamine and risk of urinary incontinence: results from a Dutch database study. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2015;24(3):276-8

[20] Gill S et al. A prescribing cascade involving cholinesterase inhibitors and anticholinergic drugs. Arch Intern Med 2005;165(7):808-13

[21] Lindblad CI et al. Clinically Important Drug-Disease Interactions and Their Prevalence in Older Adults. Clin Ther 2006;28(8):1133-1143

Autoren

Dr. Sonja ­Mayer
Barbara Geyer 
Michaela Häberle 
Sylvia Titz 
Dr. Kirsten Dahse
Dr. Ulrich Krötsch















Mitarbeiterinnen bzw. Inhaber der Johannes-Apotheke Gröbenzell.

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

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