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Viel mehr als nur Möbel

Was eine moderne Apothekeneinrichtung heute leisten sollte – ein Gespräch mit dem Innenarchitekten Klaus Bürger

Der Entschluss steht: Wir brauchen eine neue Apothekeneinrichtung! Aber dann stellt sich gleich die Frage: Wie soll die neue Apotheke aussehen? Was muss eine moderne Einrichtung leisten? Welche Faktoren müssen bei einer Neugestaltung der Offizin und des Back Office beachtet werden? Der Innenarchitekt Klaus Bürger, Krefeld, hat sich auf Apotheken spezialisiert. Er hat zahlreiche Apotheken neu gebaut, umgebaut, modernisiert. Wir unterhielten uns mit ihm: Worauf kommt es heute bei einer neuen Einrichtung an? Was muss sie leisten? | Peter Ditzel

DAZ: Wie sieht eine neue, zeitgemäße Apothekeneinrichtung aus? Lässt sich das irgendwie definieren? Gibt es Trends?

Bürger: Ich denke, Trends und Mode sind immer etwas ganz Kurzfristiges und sind nach meinem Empfinden oftmals nur aus der Not geboren, sich ständig (vermeintlich) neu erfinden zu müssen bzw. zu können. Aber man kann das Rad eben nicht zweimal erfinden. Meistens sind Trends „nur Marketing“. Dennoch gibt es bei der Errichtung einer neuen Apothekenidentität Themen, die (endlich) wieder an Bedeutung gewinnen: Individualität, Authentizität und Nachhaltigkeit.

Zur Individualität. Apotheken unterscheiden sich nicht auf Basis ihres Warenangebotes voneinander, und eine Beratung (von der Qualität mal abgesehen) bekomme ich auch überall. Bieten also zwei das Gleiche, ist das heutzutage gängigste Unterscheidungskriterium der Preis. Schlecht für den Apotheker, denn dieser muss nun die Pillen im Akkord verkaufen. Wo bleibt da der Spaß? Der Pharmazeut kann sich nur über sich selbst von der breiten Masse seiner Kollegen absetzen.

Zur Authentizität: Das bedeutet, Inhalte und Stärken einer Apotheke, erzeugt durch die Menschen, die täglich in ihr arbeiten, glaubwürdig nach außen zu transportieren. „Wir sind die Apotheke mit Herz!“ – wenn man das an seine Apotheke schreibt und drinnen wartet Schwester Rabiata mit einem Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, dann kann man nur an Glaubwürdigkeit und Umsatz verlieren.

Die nachhaltige Erzeugung eines positiv kompetenten und vertrauenswürdigen Images ist die eine Hälfte des dritten Begriffes. Nachhaltigkeit bedeutet für mich ebenso, verantwortungsvoll mit den Materialien und Rohstoffen dieser Erde umzugehen. Wenn beispielsweise eine neue, trendige Inneneinrichtung bereits nach wenigen Jahren optisch so ein alter Hut ist, dass es keiner mehr sehen kann, ist dies einfach nur Geldverschwendung. Meine ältesten Apotheken funktionieren mittlerweile 30 Jahre.

Seit vielen Jahren wird über Trends geredet und seitdem ich Apotheken baue, hat sich am Verkaufen nichts verändert. Man muss über ehrliche Inhalte und Substanz nachdenken und dann kommt man zu ganz anderen Themen, als irgendwelche Trends zu beobachten und sie letztendlich sogar nachzuahmen. Es leidet doch mittlerweile der gesamte Berufsstand unter dem Image des raffgierigen, überteuerten Pillenverkäufers. Eine Apotheke muss ein positives Lebensgefühl vermitteln.

DAZ: Gehen wir ins Detail. Mit welchen Materialien kann eine Apotheke ein positives Lebensgefühl vermitteln? Was wird hier heute bevorzugt?

Bürger: Holz, Stein, Metall, Glas. Seit die Menschen bauen, verwenden sie, was ihnen ihre Umwelt bietet. Ein Material muss z.B. gut altern können und in abgewetztem Zustand immer noch einen Reiz haben. Materialien begeistern, wenn sie in ihrer Haptik und ihrer Erscheinung eine ehrliche Üppigkeit ausstrahlen. Aber neben Langlebigkeit und Strapazierfähigkeit spielt z.B. natürlich auch die Hygiene eine große Rolle. Hier kommen moderne Verbundwerkstoffe und antibakterielle Beschichtungen zum Einsatz. Ebenso gewinnen auch ökologische Baustoffe, wie z. B. Lehmputz, immer mehr an Bedeutung.

DAZ: Und Farben? Welche Rolle spielen Farben dabei?

Bürger: Farben haben eine zentrale Rolle. Zum einen übersetzen und transportieren sie Marketing und Corporate Identity. Das magentafarbene Telekommunikationsunternehmen oder den gelben Paketzusteller kennt jeder. Aber darüber hinaus erzeugen Farbinformationen auch Emotionen und schaffen Atmosphäre.

DAZ: Wie wichtig ist heute das Licht, die Beleuchtung einer Apotheke?

Bürger: Das Licht ist noch wichtiger als die Farbe, denn ohne Licht sieht man sie nicht. Hier gibt es vieles zu beachten und noch mehr, das man falsch machen kann. Zunächst sind da technische Faktoren: Energieeffizienz, Lebensdauer, Lichtfarbe und Farbwiedergabe. In den vergangenen Jahren vollzog sich vielerorts eine regelrechte Lux-Schlacht. „Hauptsache hell!“ war die Devise. Wer hier nicht mit den Nachbarn mitzog, dessen Ladenlokal wirkte als sei es geschlossen. Neben dem hohen Energieverbrauch muss hier im Sommer noch zusätzlich per Klimaanlage runtergekühlt werden. Modeboutique-Labels wie Abercrombie & Fitch oder Hollister schlagen nun ins glatte Gegenteil um und präsentieren ihre Kollektionen in dunklen Grotten. Das spart zwar Strom, ist aber hipper Unsinn. LEDs werden immer interessanter und bieten neue Gestaltungsmöglichkeiten, sind aber mit Vorsicht zu verwenden. Falsch geplant zahlt man zwei- bis dreimal so viel und hat noch nicht einmal eine Energieersparnis.

Aber das Wichtigste ist natürlich die Lichtstimmung. Der Mensch ist mit dem Feuer ebenso tief verwurzelt wie mit dem Bauen. Tatsächlich bedingt sogar eines das andere. Lagerfeuerromantik und Candle-Light-Dinner funktionieren nicht mit Leuchtstofflampen. Die Funktion des Lichtes ist dabei zu beachten, so lassen sich z.B. in der Offizin verschiedene Aufmerksamkeitszonen erzeugen, die den Blick des Kunden genau dorthin lenken, wo er hin soll. Und schließlich kommen wir wieder zum Material, denn hier ergeben sich je nach Oberflächenbeschaffenheit und Farbe verschiedenste Reflexe und Reflektionen, die die Stimmung im Raum maßgeblich beeinflussen.

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Engel-Apotheke in Freiburg. Abbildung oben: Um möglichst viel Platz zu schaffen und dem Beratungsanspruch gerecht zu werden, wurde die klassische Staffelung, Kunde – Handverkaufstisch – Apotheker – Sichtwahl, verworfen. Stattdessen sind nun drei separate Beratungs-HV-Tische direkt mit der Sichtwahl verbunden. Damit die Sichtwahl auch eine „Sicht“-wahl bleibt, wurde diese mit Glasschiebetüren ausgestattet, die einen unbefugten Zugriff verhindern.
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Der acht Meter lange Handverkaufstisch ist der „eye-catcher“ der Offizin der Behring-Apotheke in Neuss. In die Vorderfront des Tisches wurde eine Grafik „Emil von Behring“ eingefräst, die die Lebensgeschichte von Emil von Behring, dem Namensgeber der Apotheke, zeigt. Die Sichtwahl bilden Glasböden, die mittels Drahtseilsystem vor einer gespannten Haut aus Messing-Metallgewebe zu schweben scheinen.


DAZ:
Das ist schon eine ganz Menge, die beim Neu- oder Umbau einer Apotheke berücksichtigt werden sollte. Worauf ist noch zu achten? Das Umfeld der Apotheke, die Fassade, das Viertel, in dem die Apotheke liegt? Die Menschen, die in diesen Räumen arbeiten?

Bürger: Im Prinzip trifft es die Frage schon sehr genau. Wie bereits erwähnt gibt es z.B. ortstypische Materialien und Bauweisen. Darüber hinaus existiert zumeist eine Identifikation der Menschen mit ihrem Viertel. Es geht darum, einer Apotheke ein Aussehen zu verleihen, das vollkommen selbstverständlich sagt: „Hier gehör‘ ich hin!“ Authentizität: Inhaber, Team und Apotheke werden eine Einheit.

DAZ: Design ist nicht alles, auch die Funktionalität muss stimmen. Wie sehen Sie das?

Bürger: Design ist mittlerweile zu reinem „Formwitz“ verkommen. Design orientiert sich aber am Menschen und an seinen vielfältigen Bedürfnissen. Diese Bedürfnisse reichen von körperlichen und psychischen Bedürfnissen bis hin zu Anforderungen des menschlichen Verstands an die gegenständliche Umwelt. Design folgt dabei nicht allein selbst gesetzten Regeln und Intentionen, sondern muss sich vor allem mit den Interessen und Kulturen jener Gruppen oder Personen auseinandersetzen, denen das Design dienlich sein soll. Dadurch ist Design und sind die Entwürfe vor allem zweckorientiert. In der Designtheorie wurde dafür der Begriff der Funktionalität geprägt. Durch seine Zweckorientierung unterscheiden sich Design und Architektur von der Kunst. Der Architekt Louis H. Sullivan sagte bereits Ende des 19. Jahrhunderts: „Form follows function“. Wobei die Form nicht einfach nur schnörkellos ihrer praktischen Funktion unterworfen ist, sondern ästhetische und kontextuelle Funktionen zu erfüllen hat.

DAZ: Eine Apothekeneinrichtung – das sind nicht nur die Möbel, die Schubkästen und Regale. Eine Apothekeneinrichtung ist weit mehr. Was muss eine Apothekeneinrichtung heute leisten?

Bürger: Eine Apothekeneinrichtung ist ebenso wie alles andere mehr als die Summe seiner Komponenten. Sie muss ein Umfeld erzeugen in dem sich Kunden und Apotheker gleichermaßen wohlfühlen. Der Kunde, meist ohnehin bereits geplagt durch Krankheit, will nur eines: schnell rein, schnell raus und schnell ins Bett. Arztpraxen und Apotheken unterstützen durch ihre oftmals herzlose Atmosphäre dieses Anliegen. Wenn man es vermeiden kann, bleibt man fern. Eine Apothekeneinrichtung muss neben optimalen und skalierbaren Arbeitsabläufen die Stärke, die Kompetenz und die Persönlichkeit des Apothekers visualisieren und dem Kunden ein positiv stimulierendes Umfeld bieten, in dem er sich gut beraten fühlt, etwas kauft und wiederkommt. Indem der Kunde Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt, entsteht so etwas wie eine emotionale Markenbindung. Es ist wie ein Blind Date mit einer Apotheke, der erste Eindruck ist entscheidend.

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Der Backoffice-Bereich der Behring-Apotheke Im Arbeitsbereich erstreckt sich ein Boden aus rustikalen Eichendielen, - ein Parkettboden, auf dem ohne Reue Transportkisten und Bürostühle hin- und hergeschoben werden können.


DAZ:
Wie wirkt sich eine Einrichtung auf den Umsatz der Apotheke aus?

Bürger: Eine gute Gestaltung ist immer umsatzfördernd. „Sex sells!“ Aber das kann sie nicht alleine, jedenfalls nicht auf Dauer.

DAZ: Wenn ein Apothekeninhaber an Sie herantritt und den Wunsch nach einer neuen Einrichtung formuliert, wie gehen Sie hier vor?

Bürger: Zunächst versuche ich herauszufinden wie der Apotheker sich sieht, was seine Stärken und Schwächen sind und was seine Absichten für die Zukunft sind. Dann erstelle ich auf Grundlage dessen, was wir besprochen haben, zunächst einmal ein räumliches Grundkonzept, auf dem dann peu à peu aufgebaut wird. Ich denke es ist das Wichtigste, einen Bauherren nicht mit einer Fülle unbegrenzter Möglichkeiten zu erschlagen, sondern wenige gezielte Vorschläge herauszuarbeiten und diese zu besprechen. Jede Apotheke ist anders, das ist das Schöne an dieser Arbeit.

DAZ: Und was sollte dabei ein guter Apothekeneinrichter leisten?

Bürger: Wenn ich eine Apotheke neu gestalte, betrachte ich sie, als sei sie meine Erste. Diese Arbeit erfordert eine ganzheitliche Betrachtung. Bloßes Einrichten ist Bestücken mit Komponenten. Als Architekt ist es meine Aufgabe, die zukünftigen Räume mit allen Sinnen vorzufühlen. Vor allem soll eine Apotheke lange funktionieren. Dabei muss man zukünftige Entwicklungen berücksichtigen und hierbei Wichtiges von Trendigem unterscheiden.

DAZ: Herr Bürger, vielen Dank für das Gespräch. 

Klaus Bürger absolvierte den Studiengang Innenarchitektur an der Hochschule in Düsseldorf. Dazu kamen einige Semester Philosophie und Germanistik an der Universität Düsseldorf. Er gestaltet und plant seit fast 25 Jahren Apotheken – mit einem unverkennbaren Stil („Bürger-Apotheke“).

Klaus Bürger, Tönisberger Straße 67, 47839 Krefeld, www.k-buerger.de

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