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Wir können Arzneimittel

Peter Ditzel, DAZ-Herausgeber

Es ist schon richtig: in den 70er und auch noch in den 80er Jahren, in Zeiten, als es vielen Apotheken – im Vergleich zu heute – gut ging, als jedes Jahr die Zahl der Apothekeneröffnungen dreistellig war, da konnte man die sich heute abzeichnende Entwicklung so noch nicht vorhersehen. Damals optimierten die Apotheken das Warenhandling mit Lochkarten und Mikrofiche-Lesegerät, die Großhandlungen überboten sich freiwillig mit Lieferfrequenzen, die an einen zweistündigen Rhythmus, zum Teil auch kürzer, heranreichten, ohne Aufpreis oder Rabattkürzungen, versteht sich. Zwar sprach man schon damals davon, dass es Aufgabe der Apotheke sei, nicht nur ein gutes Warenlager zu haben und lieferfähig zu sein, sondern gut zu beraten und zu informieren, aber irgendwie waren viele, auch in der Berufspolitik, von dem Gedanken getragen, das könne noch lange so weitergehen. Die Zukunft des Apothekerberufs? Ja, die lag für die meisten in einer perfektionierten Logistik, garniert mit ein bisschen Beratung und viel, viel Marketing, das Schlag- und Reizwort der 80er.

Erst Anfang der 90er brachte ein Trend aus den USA den einen oder anderen, auch Berufspolitiker, zum Nachdenken. Der Begriff "Pharmaceutical Care", übersetzt mit "Pharmazeutischer Betreuung", machte die Runde. Definiert wurde der Begriff etwa so: "Pharmazeutische Betreuung ist die konsequente Wahrnehmung der Mitverantwortung des Apothekers bei der Arzneimitteltherapie mit dem Ziel, bestimmte therapeutische Ergebnisse zu erreichen, die die gesundheitsbezogene Lebensqualität des Patienten verbessern." Es muss also mehr geben für den Apotheker, als nur ein paar Rezepturen anzufertigen und eine perfekte Logistik anzubieten. Die Kammern riefen Fortbildungsveranstaltungen zu diesem Thema ins Leben, Softwarehäuser schrieben Programme, um Patienten erfassen und deren Medikation betreuen zu können. Und es gab sogar einige Apotheken, die versuchten, die Pharmazeutische Betreuung in die Praxis umzusetzen. Aber, Hand aufs Herz, eine richtige durchschlagende Bewegung wurde daraus nicht. Selbst nicht in den ersten Jahren dieses Jahrtausends, als man merkte, die Höhenflüge für Apotheken kommen aufgrund staatlicher Eingriffe rasch ins Trudeln.

Währenddessen bahnten sich in den 90er Jahren PC und Internet in der Apotheke ihren Weg, die Logistik wurde automatisiert und perfektioniert, die Kommissionierer hielten Einzug in die Apotheken. Ja, da machte uns keine andere Branche so schnell etwas vor. Und der Heilberuf? War immer noch weitgehend reduziert auf die gute Beratung und Information des Patienten, auf Hinweisen zu Neben- und Wechselwirkungen. Doch es waren schon Diskussionen in Gang gekommen, ob die Logistik, ein bisschen Rezeptur und Defektur und die Beratung alles sein kann beim Apothekerberuf. Trägt das in die Zukunft? Vorausschauend denkende Köpfe aus Hochschule und Berufsvertretung waren sich einig: Der Apotheker muss näher ran an den Patienten, wenn er weiter in die Zukunft will. 2001 wurde daher die Klinische Pharmazie als neues und fünftes Lehr- und Prüfungsfach in die Approbationsordnung eingeführt. Zwölf Jahre danach ist sie weiß Gott nicht an jeder Uni mit einem eigenen Lehrstuhl vertreten, aber immerhin wird der Pharmazienachwuchs seit dieser Zeit mit der Klinischen Pharmazie konfrontiert und darin geprüft. Ihr kleines Handicap: sie wurde und wird bisweilen auch heute noch mit der Krankenhauspharmazie verwechselt.

Mittlerweile wird mehr denn je offenbar: Die logistische Leistung der Apotheke ist ausgereift bis hin zum Automatismus. Theoretisch könnte schon heute eine computerisierte Abgabestelle für Arzneimittel die Belieferung (nicht die Versorgung) übernehmen. Wenn noch die elektronische Karte hinzukommt, dann steckt sie der Patient ins Terminal, der Kommissionierer sucht in Verbindung mit der Apothekensoftware die Ware zusammen, berücksichtigt Rabattverträge und sonstige Vorschriften und druckt sogar noch Einnahmehinweise aus. Das war’s. Und der Apotheker? Wo hat er seinen Platz? Als Aufpasser für Rechner und Kommissionierer?

Nein, das kann und darf es nicht sein. Die Arzneitherapie wird komplexer, die Zahl der Patienten mit einer Polymedikation wächst und damit die Gefahr von Nebenwirkungen und Interaktionen. Hier wird in Zukunft mehr denn je der Rat des Arzneimittelfachmanns benötigt. Der Apotheker kann entscheidend zur Arzneimitteltherapiesicherheit beitragen, wenn er sich mehr dem Patienten widmet. In den USA wird bereits das Medication Therapy Management (MTM) mit Erfolg praktiziert. Seit etwa zwei Jahren arbeitet man auch hierzulande am Medikationsmanagement. Die Komplexität der Arzneitherapie kann der Arzt nicht beherrschen – er braucht den Apotheker an seiner Seite. Und: die beiden, Arzt und Apotheker, müssen mehr miteinander kommunizieren. Ich weiß, da sind noch Hürden zu überwinden. Aber anders wird es nicht gehen. Mit der Super-Logistik allein werden wir nicht zukunftsfest. Jetzt kommt es darauf an, in der Öffentlichkeit zu verankern, dass es die Apotheker sind, die "Arzneimittel können", die die Fachleute für Arzneimittelfragen sind, die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen und von denen einige Medikationsmanagement übernehmen können. Und das muss rasch geschehen – bevor noch mehr Kassen die Ärzte für Apothekeraufgaben bezahlen. Sonst bleiben wir wirklich nur die Logistiker.


Peter Ditzel

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