Der Apotheker

Gelungenes und Verpasstes

Überlegungen zur Entwicklung des Apothekerberufs

Von Peter Ditzel | Der Beruf des Apothekers war schon immer – mal mehr, mal weniger – Veränderungen ausgesetzt: vom Arzneihändler zum Arzneihersteller, dann über den Arzneiverteiler zum Arzneiberater. Welche beruflichen Chancen sind dem Apotheker in seiner Evolution gelungen, welche hat er verpasst? Nicht als Historiker, sondern eher als universaldilettantischer Apotheker und Journalist bin ich dieser Frage – mit einem kleinen Augenzwinkern – nachgegangen und habe einige Stationen und Wendepunkte des Apothekerberufs aufgespießt. Herausgekommen ist ein kleines mixtum compositum, das nur einige Akzente setzen möchte, die vor dem Hintergrund anstehender Weichenstellungen zum Nachdenken anregen mögen.
Foto: Foto-May Wiesloch. Mit freundlicher Genehmigung der Stadt-Apotheke Wiesloch.
Verpasste Chance: Apotheken als Tankstellen Die Stadt-Apotheke in Wiesloch war die erste Tankstelle der Welt. Leider konnten die Apotheken dieses Monopol nicht für sich gewinnen.

Und was gehört zu den größten Versäumnissen der Apothekerschaft? Richtig, der Anspruch der Apotheker auf das Tankstellen-Monopol. Als Bertha Benz am 5. August 1888 heimlich mit dem Motorwagen ihres Mannes „in höchster Glorie davongeknattert“ war, mit an Bord ihre beide Söhne Eugen (15) und Richard (13), mit dem Ziel Pforzheim, ging ihr unterwegs auf der 106 km langen Route der Sprit aus. Sie musste Kraftstoff nachfüllen. Da es noch keine Autos gab, gab es noch keine Tankstellen. Sie kaufte den benötigten Treibstoff, das Ligroin, in der Stadt-Apotheke in Wiesloch bei Heidelberg. Diese Apotheke war quasi die erste Tankstelle der Welt. Bis weit ins 20. Jahrhundert konnte man Ligroin, Benzin und andere Kraftstoffe nur in der Apotheke kaufen. Schade, dass unsere Standesführung seinerzeit nicht weitsichtig genug war, dieses Monopol für sich zu reklamieren.

Gelungenes

Trennung von Arzt und Apotheker. Nein, bleiben wir ernst und gehen ein wenig weiter in die Geschichte zurück. Eine der besten und auch aus heutiger Perspektive betrachtet richtigen Entscheidungen war das Edikt von Salerno oder Edikt von Melfi 1231 (die Bezeichnungen sind umstritten). Allerdings wurde es ohne Zutun der Apotheker erlassen. Der Stauferkaiser Friedrich II. war überzeugt, dass es besser ist, wenn eine Trennung zwischen dem Apotheker- und Arztberuf vollzogen wird. Ärzte durften keine Apotheke besitzen oder daran beteiligt sein. Der Arzt sollte am Verkauf der Arzneien nicht verdienen. Und Apotheker sollten keine ärztlichen Tätigkeiten ausführen. Die Arzneimittelpreise wurden gesetzlich festgeschrieben, um Preistreiberei zu verhindern. Das Arzneimittel, seine Zubereitung und sein Verkauf sollen in den Händen des Apothekers liegen. Das Edikt des Stauferkaisers ist bis heute die Grundlage des eigenständigen Apothekerberufs. Es gilt bis heute und hat sich bis auf wenige Ausnahmen so gehalten.

Entstehung der Drogerien. Ein Sprung in zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Es waren Apotheker selbst, die ihren Kollegen das Leben erschwerten, Apotheker, die nicht zum Zuge gekommen waren, die keine damals benötigte Konzession für eine Apotheke erhalten hatten und auf die Idee gekommen waren, apothekenähnliche Betriebe zu gründen, einen Handel mit Arzneien und Drogen. Die „Medicinal-Droguerien“ oder einfach „Drogerien“ waren geboren. Die Drogerien unterboten die Preise der Apotheken deutlich, die Konkurrenz wurde immer schärfer. Die Trennlinie zwischen Apotheke und Drogerie drohte bald zu verwischen. Die „echten“ Apotheker wiederum reagierten und versuchten, ihrer Apotheke ein Geschäft mit Drogeriewaren anzugliedern. Vom Staat verordnete Listen, welche Waren eine Apotheke und eine Drogerie verkaufen durften, brachten keine vollständige Konfliktlösung. Es bildeten sich sogar „Wilde Apotheken“ heraus. Die Inhaber waren zwar Apotheker, hatten aber keine Konzession zum Führen einer Apotheke. Der Streit löste sich erst unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Es kam zu einem Ausgleich, wonach Drogisten als fachlich vorgebildete Verkäufer für freigegebene Arzneimittel, Gifte und andere Waren ihre Geschäfte betreiben konnten. Heute stellt sich die Frage: Sind die Dissonanzen zwischen Apotheke und Drogerien, heute als Drogeriemärkte zu finden, wirklich beigelegt? Die Dromärkte schielen auf das Arzneimittelsortiment und so mancher Apotheker würde seinen Laden gerne zum kleinen Dromarkt ausbauen. Ist also die Trennung von Apotheke und Drogerie auf der Haben- oder Soll-Seite zu verbuchen? Ich persönlich bin mir da schon sicher, aber wenn ich Kolleginnen und Kollegen höre oder gar in die liberale Politik schaue, können einem Zweifel kommen.

Die Niederlassungsfreiheit. In die Rubrik „Gelungenes“ dürfte die Niederlassungsfreiheit gehören. Am 22. November 1956 entschied das Bundesverwaltungsgericht zur Bedürfnisprüfung bei der Errichtung von Apotheken, dass ein Konkurrenzschutz für Apotheken mit dem Artikel 12 Grundgesetz nicht vereinbar sei. Das bedeutete: Die bisherige Form der Personalkonzession (an eine Person gebundene Erlaubnis) sollte nicht mehr rechtmäßig sein. Befürchtungen kamen auf: Kommt gar ein Gesetz für ein uneingeschränktes Niederlassungsrecht? Es kam, allerdings nicht gleich. Vor dem Hintergrund des BVG-Urteils setzte zunächst eine Art Liberalisierung ein, die Kammern erteilten großzügiger Erlaubnisse. Aber man wollte letztlich eine einheitliche rechtliche Grundlage zur Erlaubniserteilung. Die Bundesländer versuchten eigene Regelungen zu erlassen. Apotheker Karl-Heinz Röber wollte sich damit nicht abfinden. Er reichte Verfassungsbeschwerde ein, weil ihm die bayerische Verwaltungsbehörde die Errichtung einer Apotheke untersagt hatte. In seiner Gemeinde mit 6000 Personen gebe es bereits eine Apotheke und die sei genug, hieß es. Aber das Bundesverfassungsgericht sah das anders und plädierte für die Niederlassungsfreiheit. Am 11. Juni 1958 entschied es, dass gegenwärtig allein die Niederlassungsfreiheit für Apotheker der Verfassungslage entspreche.

Freilich, die Niederlassungsfreiheit sehen viele heute anders, so mancher wünscht sich feste Regelungen, die bedarfssteuernd eingreifen. Vor dem Hintergrund der EU wird das wohl Utopie bleiben.

ApoG, ApBetrO. Das Urteil zur Niederlassungsfreiheit wiederum forcierte die Verabschiedung eines Apothekengesetzes, das am 1. Oktober 1960 in Kraft trat. Und infolgedessen wurde 1968 die Apothekenbetriebsordnung geschaffen.

Das Apothekengesetz ist mit Sicherheit auf der positiven Seite zu sehen. Und die Apothekenbetriebsordnung? Stellen Sie sich ein Leben ohne Apothekenbetriebsordnung vor! Obwohl sie z. T. stark reglementiert, zum Beispiel bei den apothekerlichen Tätigkeiten, im Bereich der Defektur, für manche auch im Bereich der apothekenüblichen Waren, dürfte sie unterm Strich auf der Seite des Gelungenen stehen. Letztlich gibt sie auch einen gewissen Schutz vor Drogeriemärkten und anderen Kräften, die in den Apothekenbereich drängen.

Foto: LAK Baden-Württemberg
PTA in der Apotheke Eine Apotheke ohne PTA ist heute kaum noch vorstellbar.

PTA. Errungenschaft PTA. Früher, noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, gab es neben dem Apothekenleiter nur die Apothekergehilfen und Lehrlinge in der Apotheke, meist mit der Arzneimittelherstellung und der Rezeptur beschäftigt. Als das Abitur Vorbedingung für den Eintritt in den Apothekerberuf wurde, erfolgte eine Änderung der Ausbildung. Die Praktikanten (zwei Jahre Praktikum in der Apotheke vor Beginn des Studiums) nahmen nun die unterste Stufe der Hierarchie ein. Es folgten nach absolviertem Vorexamen die Berufe des Vorexaminierten bzw. später des Apothekerassistenten. Wobei allerdings für viele der Status Vorexaminierter als Voraussetzung für das Pharmaziestudium nur eine Zwischenstufe war. Ein Apothekenleiter hatte damals also nur die Wahl, Apotheker anzustellen zum Apothekergehalt oder er fand zu günstigeren Bedingungen Vorexaminierte, die nicht weiterstudieren wollten, oder zu noch günstigeren Bedingungen Praktikanten, die auch im Handverkauf beschäftigt werden durften. Man erkannte, dass es zur Entlastung des Apothekers einen mittleren pharmazeutischen Beruf geben müsse. 1948 schlug die Landesapothekerkammer Südbaden den neuen Beruf des pharmazeutisch-technischen Assistenten vor – als Hilfskraft für den Apotheker in Rezeptur und Defektur. 1954 beschäftigte sich die Ausbildungskommission der ABDA mit der Schaffung dieses neuen Berufsbildes. Das Berufsbild der PTA wurde erarbeitet. Strittig war die Frage, ob ein PTA selbstständig Arzneimittel abgeben dürfen sollte. Die Lösung hieß: Abgabe „unter Aufsicht“, keine Vertretungsberechtigung. Und so konnte dann am 12. August 1969 die Ausbildungs- und Prüfungsordnung für pharmazeutisch-technische Assistenten erlassen werden: Vorbildung mittlere Reife, zwei Jahre theoretischer Unterricht, ein Jahr Praktikum in der Apotheke. Den Vorexaminierten wurden ein paar mehr Rechte eingeräumt wie Vertretungsbefugnis für vier Wochen und die Bezeichnung Apothekerassistent.

Fremd- und Mehrbesitzverbot. Ein Apotheker, eine Apotheke. So soll es laut Apothekengesetz sein. Das hat sich bewährt. Der Apotheker, der persönlich für sein Tun haftet. Keine anonyme GmbH oder Aktiengesellschaft. Selbst eine Einflussnahme über eine stille finanzielle Beteiligung schließt das Apothekengesetz aus. Amerikanische Verhältnisse soll es in Deutschland nicht geben. Aber das gefiel und gefällt nicht allen so. Zum Beispiel DocMorris und Celesio – sie sahen das anders. Sie wollten den Fremdbesitz und Apothekenketten. Und das versuchten sie sogar zu erzwingen. Indem DocMorris den saarländischen Justizminister dazu brachte, geltendes Recht zu brechen und die Genehmigung zur Eröffnung einer im Fremdbesitz befindlichen Apotheke in Saarbrücken zu erlauben, war eine rote Linie überschritten. Der Rechtsstreit führte vor den Europäischen Gerichtshof, das Fremd- und Mehrbesitzverbot stand auf der Kippe. Am 19. Mai 2009 kam die erlösende Entscheidung: das Fremd- und Mehrbesitzverbot ist mit Europarecht vereinbar. In Deutschland bleiben der Fremdbesitz und Ketten verboten.

Filialisierung. Die Gesundheitsreform im Jahr 2004 wagte sich an ein Tabu, den Mehrbesitz. Soll man dem Apotheker erlauben, mehr als eine Apotheke zu besitzen? Man erlaubte es ihm. Warum es so weit kam, ist einer Melange aus verschiedenen Strömungen zu verdanken. Man wollte mehr Wettbewerb, man gab die Preise für OTC-Arzneimittel frei, gleichzeitig hielt man aber am Apotheker in seiner Apotheke fest. Dazu passte aus Sicht der Politik ein bisschen Mehrbesitz: die Möglichkeit zur Filialisierung. Warum es ausgerechnet insgesamt vier Apotheken sein dürfen – und keine drei oder fünf oder zehn –, die man dem Apotheker zutraut, ist bis heute nicht so richtig klar geworden. Im Nachhinein gibt es dafür juristische Abhandlungen, die das zu rechtfertigen versuchen. Auch wenn die Filialisierung damals verständliche Ängste weckte, dadurch die Tür zur Kette aufzustoßen – rückblickend war es eine Entscheidung, die wir uns heute angesichts über 3000 Filialen in Deutschland nur schwer wegdenken können. Die Möglichkeit zur Filialisierung trägt letztlich dazu bei, dass die flächendeckende Apothekenversorgung in Deutschland bisher nicht eingebrochen ist. Aber es gibt auch andere Stimmen: Vielleicht war die Filialisierung nur ein Bonbon, um eine gewünschte Reduzierung der Apothekenanzahl (die viele, vor allem die Krankenkassen, als zu hoch einschätzen) zu versüßen, um das beginnende Apothekensterben nicht so deutlich zutage treten zu lassen. Wohin die Filialisierung noch führt, ist offen, zumal einige der Filialen betriebswirtschaftlich nicht rentabel arbeiten.

Das Apothekenmonopol. Arzneimittel nur aus der Apotheke. Besser geht’s nicht. Weder für die Bevölkerung, die dadurch vor Gefahren geschützt wird, als auch für die Apotheken. Was hier im Arzneimittelgesetz und in der Apothekenbetriebsordnung niedergeschrieben ist, darauf sind Drogeriemärkte und andere neidisch. Daher wurde dieses Monopol immer wieder von außen angegriffen und hinterfragt, bis zum heutigen Tag. Politiker und Medien, die den Sinn dieses Monopols nicht verstehen oder verstehen wollen, versuchen dieses Monopol infrage zu stellen. Und in anderen europäischen Ländern wird es bereits durchlöchert – Beispiel Italien. Bestimmte nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen dort schon außerhalb von Apotheken verkauft werden. Wie geht es in Deutschland weiter? An der Sinnhaftigkeit, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel in die Apotheke gehören, rüttelt hierzulande zum Glück keiner. Gefährdet sind dagegen schon eher bestimmte OTC-Arzneimittel. Hier wird es zunehmend schwerer werden, das Monopol zu verteidigen. Ein wichtiges Argument bleibt die Beratungsnotwendigkeit dieser Arzneimittel. Was aber ist, wenn Apothekerinnen und Apotheker diese Beratungsnotwendigkeit selbst nicht mehr leben, praktizieren und sie sogar vernachlässigen?

Packungspreisunabhängige Honorierung. Ein Meilenstein beim Erreichten, der unsere Glaubwürdigkeit ungemein unterstützt, der uns als unabhängigen Arzneimittelfachmann geradezu zementiert hat, war die Reform der Honorierung im Jahr 2004. Weg vom Honorar, das sich nach der Höhe des Packungspreises richtete, hin zum Fixhonorar und dem dreiprozentigen Aufschlag. Was hätte man uns gerade in den letzten Jahren alles um die Ohren gehauen, wenn wir danach bezahlt worden wären, wie teuer die Schachtel ist – der Apotheker verkauft nur das Teuerste, hieß es früher.

Foto: ABDA
Ein Meilenstein: das packungsunabhängige Honorar des Apothekers. Aber: Wie wird sich das Honorar weiterentwickeln?

Außerdem, hätten wir noch die packungspreisabhängige Bezahlung, wären uns auch die Rabattverträge und der Generikaboom schlecht bekommen. Jetzt können wir auf ein Fixhonorar bauen, das uns leichten Gewissens unter den günstigsten Arzneimitteln auswählen lässt. Die Frage, die sich heute stellt: Wie wird sich dieses Honorar entwickeln? Wie steht es um die jährliche Anpassung? Und werden wir in Zukunft noch stärker für Dienstleistungen bezahlt, die nicht an die Abgabe einer Arzneipackung gekoppelt sind? Stichworte dazu sind: Medikationsmanagement und ABDA-KBV-Papier.

Pharmakologie und Klinische Pharmazie. Obwohl man schon am Anfang des 20. Jahrhunderts sah, dass sich ein Trend hin zu immer mehr Fertigarzneimitteln abzeichnet und die Eigenherstellung in der Apotheke mehr und mehr zurückgedrängt wird, hielt man an der klassischen Ausrichtung der pharmazeutischen Ausbildung fest: Chemie, Biologie und Technologie – das waren die Disziplinen, in denen sich ein Apotheker auskennen musste. Doch es kristallisierte sich heraus, dass das nicht reichen wird. Die Wissenschaft fragte weiter: was macht der Arzneistoff eigentlich mit dem Körper und was macht der Körper mit dem Arzneistoff? Wie wirken eigentlich Arzneistoffe genau? Mitte des 19. Jahrhunderts befasste man sich intensiver mit der Pharmakologie. Das erste Universitätsinstitut für Pharmakologie wurde von Rudolph Buchheim in Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland im Jahr 1847 begründet. Es dauerte noch bis nach 1960, bis an vielen deutschen Universitäten Lehrstühle für klinische oder spezielle Pharmakologie (u.a. Neuropharmakologie) eingerichtet wurden. Und so war die Pharmakologie in der Apothekerausbildung erst in den 60er Jahren angekommen. Immerhin, sie gehört heute untrennbar zum Pharmaziestudium dazu und ist zu einem zentralen Fach in der Apothekerausbildung herangewachsen.

Relativ spät wurde in Deutschland die Bedeutung der Klinischen Pharmazie für den Apotheker erkannt. In das Pharmaziestudium wurde diese Disziplin erst im Jahr 2001 eingeführt. Lehrstühle für Klinische Pharmazie gibt es noch lange nicht an allen Instituten. Da sollte sich wohl noch einiges ändern. Ich wage die Prognose: Die Klinische Pharmazie könnte das Fach sein, das den Apothekerberuf in die Zukunft trägt. Möglicherweise ist die Bezeichnung „Klinische Pharmazie“ ein wenig irreführend: Noch heute ist für einige die Klinische Pharmazie mit der Krankenhauspharmazie assoziiert. Die Klinische Pharmazie hat damit jedoch wenig zu tun. Sie betrachtet die gesamte Arzneimitteltherapie, die Laborwerte und schließt den gesamten Patienten mit ein. Zur Klinischen Pharmazie gehören auch die Arzneimittelanamnese, die Nutzen-Risiko-Bewertung, das Monitoring, die Compliance, die pharmazeutische Betreuung u.v.m.

Verpasstes

Was haben wir in der Entwicklung unseres Berufs verpasst? Was wäre aus heutiger Sicht gut gewesen, wenn wir es erreicht hätten? Was haben wir versäumt, für uns zu beanspruchen? Wo hat die Berufspolitik nicht aufgepasst? Und welche Chancen haben wir in der Zukunft, unser Berufsbild auszubauen und zu festigen? Hier eine kleine subjektive Auswahl, die sicher nicht vollständig und bestimmt erweiterungsfähig ist.

Laboranalysen. Das Terrain der Laboranalysen ist heute fest in der Hand von Ärzten, was sich schon in der Nomenklatur ausdrückt: die Labordiagnostik, die Laboratoriumsmedizin. Ganz klar, in der Diagnostik und Medizin hat der Apotheker nichts zu suchen. Aber das hätte nicht so sein müssen, zumindest was den analytisch-chemischen Teil dieser Arbeit betrifft. Freilich, dem Apotheker ist die Diagnostik untersagt. Aber darum geht es mir nicht. Ich hebe vielmehr auf die Analyse, die analytisch-chemische Arbeit in diesem Bereich ab. Denn dafür werden wir Apothekerinnen und Apotheker bestens ausgebildet. Rückblickend hätte ich für den Apotheker Chancen in den 50er und 60er Jahren gesehen, in den Nachkriegsjahren, eine Laborabteilung in der Apotheke aufzubauen, die im Auftrag des Arztes analytisch-chemische Untersuchungen von Körperflüssigkeiten durchführt. Doch irgendwie sind die Apothekerinnen und Apotheker nicht oder nicht in nennenswerter Zahl auf diesen Zug aufgesprungen – selbst als die Tests und Untersuchungen immer einfacher wurden durch die industriell entwickelten Methoden und Geräte. Mittlerweile haben die Ärzte dieses Feld für sich reklamiert und besetzt. Und, wie man hört, soll es ein einträgliches Geschäftsfeld sein.

Gendiagnostikgesetz. Das Gendiagnostikgesetz regelt genetische Untersuchungen bei Menschen und die Verwendung genetischer Proben und Daten in Deutschland. Es trat am 1. Februar 2010 in Kraft. Die Apotheker kommen darin nicht vor. Das Gesetz befasst sich z.B. mit dem DNA-Test in der medizinischen Diagnostik, mit der Analyse von Genen. Natürlich war es nie der Anspruch der Apotheker gewesen, hier in allen Tiefen des Gesetzes eingebunden zu sein. Aber die Apotheker hatten sehr wohl Interesse daran, Genanalysen zur Bestimmung arzneimittelrelevanter Gene durchzuführen. Die unmittelbare Mitwirkung der Apotheker an der personalisierten oder besser der stratifizierten Arzneimitteltherapie ist ihm dadurch nicht mehr möglich. Der Apotheker kann heute nur die Anregung zu einer solchen DNA-Analyse geben und als Zwischenstelle für den Versand der genetischen Proben und der Ergebnisse dienen (wie es z.B. mit dem Produkt Stratipharm und der Firma Humatrix abläuft). Nach dem Gendiagnostikgesetz ist zwingend vorgeschrieben, dass ein Arzt in diesen Ablauf eingeschaltet ist und dass nur er die Ergebnisse interpretieren darf. Bei der Vorbereitung und Diskussion zum Gendiagnostikgesetz konnte unsere Berufsvertretung die Regierung nicht überzeugen, dass auch der Apotheker eine unmittelbare Rolle spielen kann.

Feste OTC-Preise. Vor zehn Jahren waren sie gekommen, die Schicksalsjahre für die deutsche Apotheke. Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin von 2001 bis 2009 in einer rot-grünen Bundesregierung, verordnete den Apotheken mehr Freiheit, mehr Wettbewerb, Stichwort: freie OTC-Preise und Versandhandel. Die meisten von uns hätten sich das so sicher nicht gewünscht. Alle Argumente der Berufsvertretung, der Apothekerinnen und Apotheker, die dagegen kämpften, zogen nicht. Letztlich, das Ringen half nichts, die Apotheker mussten die rot-grünen Kröten schlucken.

Unvergesslich ist die lange Nacht der Politik geblieben, die schönste Nacht zwischen Schmidt und Seehofer, in der dieser Kompromiss zur Gesundheitsreform ausgehandelt worden war.Nun ja, was aus dieser langen Nacht geworden ist, sehen wir heute: ein Versandhandel, ausgestattet mit Privilegien, die für die Präsenzapotheken so nicht gelten, ein Versandhandel mit allen Unsicherheiten für die Patienten, ein Versandhandel, der Auswüchse wie Pick-up-Stellen oder Vorteil24-Modelle hervorbrachte. Und ein Preiswettbewerb mit Auswüchsen bei OTC-Arzneimitteln – beispielsweise die Verramschung von Arzneimitteln wie Paracetamol-Tabletten für 99 Cent, Happy Hour bei den Preisen, außerdem Boni, Taler und Rabatte.

Öffentlichkeitsarbeit. Eine Person im weißen Kittel, der Schubladen zieht – dieses Bild nehmen die Medien allzu gerne, wenn sie dem Zuschauer vermitteln wollen: Hier geht es um den Apotheker – den Schubladenzieher. Neben dem Bild des Schubladenziehers existiert das des Pillendrehers in den Medien, ein Begriff, der sogar presserechtlich nicht zu beanstanden ist, wie unlängst festgestellt wurde. Weitere beliebte Medienbilder im Zusammenhang mit der Apotheke sind die Apothekerpreise und die Goldgrube Apotheke. Wenig schmeichelhafte Wörter. So weit hätte es nicht kommen dürfen. Hier sehe ich deutliche Versäumnisse unserer Öffentlichkeitsarbeit, vor allem in den vergangenen 30 bis 40 Jahren. Man dachte in den 1960er, 1970er und selbst in den 1980er Jahren nicht daran, das Bild, das Image des Apothekers als Berater, im Gespräch mit dem Patienten, darzustellen. Warum auch. Den Apotheken ging es doch gut.Erst in den 1990er Jahren erkannte man, dass es mit dem Bild vom Apotheker als Arzneimittelverkäufer auf Dauer nicht so weitergehen kann, dass die Gesellschaft vielleicht mehr erwartet als den distribuierenden Apotheker. Aus den USA erreichte die Pharmaceutical-Care-Bewegung auch die ABDA, den deutschen Apotheker. Was von Linda Strand in Minnesota Ende der 80er Jahre mitinitiiert wurde, nämlich dem Apotheker mit Pharmaceutical Care einen neuen Platz in der Gesellschaft zu geben, wurde in Deutschland zwar versucht, aber auf eher unglücklichen Wegen. Statt mit kleinen praxisnahen Schritten zu beginnen, startete man mit aller Gründlichkeit, mit großem theoretischem Überbau und vielen Studien – und schreckte die Praxis ab. Schade, dass sich diese Bemühungen seinerzeit nicht durchgesetzt haben und im Sande verlaufen sind.

Chancen

Gelungenes und Verpasstes in der Vergangenheit ist das eine. Aber es gibt auch Chancen. Richten wir den Blick nach vorne, auf Bereiche, die noch nicht verloren sind, in denen wir noch etwas erreichen können. Ich denke hier zum Beispiel an die Rolle des Apothekers, die er im Gesundheitswesen der Zukunft spielen soll.

Logistiker oder Medikationsmanager? Tragen Tätigkeiten wie Arzneimittelbeschaffung, -verteilung und die Logistik den Apotheker in die Zukunft? Wohl kaum. Das erledigen Computer und Maschinen. Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung in den Bereichen EDV, Computer und Kommissionierautomaten sollte sich der Beruf des Apothekers nicht darauf reduzieren lassen.

Foto: ABDA
Im Mittelpunkt des neuen Berufsbild des Apothekers steht die Beratung bis hin zum Medikationsmanagement.

Nachdem die Entwicklung, Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln heute eine eher untergeordnete Rolle spielen, die Logistik bestens läuft dank EDV und Automaten, könnte und sollte beim Apothekerberuf in Zukunft die Betreuung des Patienten, die Begleitung des Patienten bei seiner Arzneitherapie im Vordergrund stehen. Das Schlagwort hier ist derzeit in aller Munde: Medikationsmanagement – z.B. die Betreuung multimorbider Patienten, die fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen müssen, bei denen aufgrund der Vielzahl der Arzneimittel oft die Compliance leidet mit allen Folgen für die Therapie.

Die Tür, diesen Weg in diese Richtung zu gehen, steht offen. Noch. Jetzt ist es am Apotheker, den gesundheitspolitischen Nutzen dieser neuen Ausrichtung nachzuweisen, diese therapeutische Lücke zu füllen. Wer, wenn nicht der Apotheker, kann diese Aufgaben leisten?

Das Institut für Medizinische Statistik IMS Health hat erst vor Kurzem Zahlen vorgelegt, aus denen hervorgeht, welches enorme Einsparpotenzial im deutschen Gesundheitswesen besteht, und zwar dann, wenn Medikamente richtig eingenommen werden. Es geht in die Milliarden. Große Summen, bei denen der Apotheker durch entsprechende Patientenführung und -begleitung mitwirken und zu Einsparungen beitragen könnte.

Bessere Öffentlichkeitsarbeit und Ärzte überzeugen. „Medikationsmanagement“, „Patienten-orientierte Pharmazie“, „Apotheker 2.0“ – wer außer den Insidern kann sich darunter etwas vorstellen? In unserer Mediengesellschaft werden sich solche Ideen nur durchsetzen können, wenn wir es schaffen, diese Begriffe in der Öffentlichkeit mit Leben zu füllen. Wir werden nur wahrgenommen werden mit einer Öffentlichkeitsarbeit, die die Menschen, die Bürger, die Gesellschaft erreicht. Hier liegt noch viel Arbeit vor uns.

Doch der größte Widerstand gegen die neue Rolle des Apothekers kommt von den Ärzten. Sie sehen im Vorschlag, eine pharmazeutische Betreuung zu institutionalisieren, einen Übergriff auf ihre professionelle Domäne. Dabei fürchten sie, dass der Apotheker sich in ihre genuinen Tätigkeitsfelder wie Anamnese oder Diagnose und Festlegung der Therapie einmischen will. Keine Sorge, möchte man ihnen zurufen, der Apotheker will nur bei der Anwendung des Arzneimittels am Patienten sein Wissen einbringen. Und dies zu Recht. Die Pharmazie ist mittlerweile so komplex geworden, dass sie sich nur noch mit Spezialkenntnissen bewältigen lässt.

Was liegt also näher, als eine neue Form der institutionalisierten Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker zu etablieren. In Ländern wie beispielsweise Florida, Holland, Australien oder Neuseeland, wo Ärzte und Pharmazeuten bereits kooperieren, will niemand mehr dieses Miteinander missen. Gerade die Polymedikation, die Verordnung mehrerer Arzneimittel, zum Teil durch verschiedene Ärzte, ruft geradezu nach einer engeren Verzahnung von Arzt und Apotheker.

Ausbildung. Womit sich eine weitere Baustelle auftut, die angegangen werden muss. Und die nach meiner Meinung keinen Aufschub duldet: eine Reform der Apothekerausbildung. Neue Ausbildungsgänge sind zu erproben, zunächst an einzelnen Hochschulen. In den neuen Curricula könnte die klassische Pharmazie mit medizinischen Inhalten und kommunikativen Kompetenzen kombiniert werden. Ich bin mir sicher, im Erfolgsfall werden andere Hochschulen bald nachziehen. Und es sollte rasch geschehen, die Zeit ist reif.

Neues Berufsbild. Das alles ist keine Traumtänzerei mehr. Die Türen stehen offen. Es ist höchste Zeit für ein neues Berufsbild des Offizinapothekers. Beispiel: die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie hat schon 1997 ein Grundsatzpapier verabschiedet unter der zugkräftigen Überschrift „The 7 Star Pharmacist“. Das Papier zeigt auf, in welche Richtung sich die Rolle des Apothekers entwickeln sollte (wenn Sie „the seven star pharmacist“ in die Suchmaschinen eingeben, findet sich das WHO-Material).Dann: das Sondergutachten des Sachverständigenrats zum Gesundheitswesen von 2009. Hier werden die Apotheker aufgefordert, ihre Leistungen weiterzuentwickeln.

Und schließlich ist hier auch die neue Apothekenbetriebsordnung von 2012 zu nennen, die bereits vom Medikationsmanagement spricht. Angesichts so vieler Anstöße und Anregungen zur Weiterentwicklung des Apothekerberufs wundert man sich, dass bisher noch so wenig geschehen ist.

Auf dem diesjährigen Apothekertag schaute die Apothekerwelt auf die ABDA-Präsentation eines ersten Leitbild-Entwurfs. Die Enttäuschung war groß. Es waren nur allererste Anstöße zur Weiterdiskussion. Zwar soll nun in den nächsten Monaten die Leitbilddiskussion auf die Ebenen der Kammern und in die Basis getragen werden. Erst auf dem Apothekertag im September 2014 soll dann die neue Ausrichtung abgesegnet werden. Und wieder ist ein Jahr vergangen.

Nach meiner Auffassung muss hier mehr Tempo ins Geschehen. Das heißt nicht, dass ab morgen jede Apotheke die perfekte Ausrichtung in die skizzierte Zukunft darstellt oder die perfekte Anlaufstelle fürs Medikationsmanagement ist. In der Tat, das braucht Zeit. Ausbildungsänderungen, Fort- und Weiterbildung, politische Überzeugungen, Diskussionen mit Ärzten und Krankenkassen – das alles kommt dem Bohren dicker Bretter gleich. Aber es sollte nicht entmutigen, schon heute mit kleinen Schritten zu beginnen und Felder für sich zu besetzen. Wir Apothekerinnen und Apotheker haben viel erreicht im Wandel der Zeit, aber auch einiges versäumt. Jetzt stehen wir wieder an einem Wendepunkt. Die Tür hin zu einem neuen Berufsbild ist offen. Treten wir ein. Wenn nicht jetzt, wann dann? 

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