Fragen aus der Praxis

MCP oder Domperidon bei Melperon-Therapie?

Wie lässt sich die Übelkeit am besten behandeln?

Frage


Eine 85-jährige Patientin wird mit Melperon 100 mg behandelt und hat wegen Übelkeit MCP-Tropfen verordnet bekommen. Die Apothekerin hat den Arzt auf die additiven Effekte hinsichtlich extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen hingewiesen und auf die Alternative Domperidon verwiesen. Allerdings hat Domperidon ein erhöhtes Risiko für eine QT-Verlängerung, ebenso wie Melperon. Was kann empfohlen werden? Die Patientin erhält zudem Carmen ACE 10/10 (Enalapril 10 mg/Lercanidipin 10 mg), Novaminsulfon und Triazolam (Halcion®).

Antwort gibt


Apotheker Dominik Schuler,
RAIZ der LAK Baden-Württemberg,
Apotheke Schwarzwald-Baar Klinikum
Villingen-Schwenningen GmbH




Das Aktionspotenzial von Herzmuskelzellen kann typischerweise in vier Phasen eingeteilt werden (Depolarisation, Plateau-Phase, Repolarisation und Ruhezustand). Entscheidend für die kardiale Repolarisation ist die Öffnung von Kalium-Kanälen und einem damit einhergehenden Kalium-Ausstrom aus der Zelle. Eine Verlängerung des

Aktionspotenzials äußert sich in einem verlängerten QT-Intervall im EKG. Das QT-Intervall

ist ein einfaches Maß für die Dauer der Repolarisation der Herzkammern. Bei einer exzessiven Verlängerung des Aktionspotenzials kann das Membranpotenzial instabil werden, daraus können sogenannte frühe Nachdepolarisationen entstehen, welche wahrscheinlich entscheidend für die Entstehung einer "Spitzenumkehrtachykardie" (Torsade de Pointes, TdP) sind. Zu den Symptomen zählen Schwindel, Synkopen, Palpitationen und Herzrasen. Oftmals terminieren TdP spontan. Im schlimmsten Fall kann diese Art der Arrhythmie auch in Kammerflimmern übergehen und so tödlich enden.

QT-Intervall-Verlängerung durch Arzneistoffe

Viele Pharmaka unterschiedlichster Substanzklassen sind in der Lage, das QT-Intervall

im EKG zu verlängern. Angriffspunkt dieser Pharmaka sind die kardialen HERG-Kalium-Kanäle, welche eine entscheidende Rolle beim

Repolarisationsvorgang spielen.

Im Internet findet sich eine Liste des Arizona CERT (Center for Education and Research on Therapeutics) von potenziell QT-Intervall-verlängernden Arzneistoffen unter www.torsades.org.

Individuelle Risikofaktoren

Das individuelle Risiko eines Patienten für eine medikamentenbedingte QT-Verlängerung

oder eine Torsade-de-Pointes-Reaktion hängt im Wesentlichen auch von folgenden Risikofaktoren ab:

  • Alter > 65 Jahre,
  • weibliches Geschlecht (natürlicherweise längeres QT-Intervall als Männer),
  • myokardiale Hypertrophie und Herzinsuffizienz,
  • Bradykardien,
  • kongenitales QT-Syndrom,
  • Elektrolytstörungen (Hypokaliämie und Hypomagnesiämie),
  • hohe Plasmakonzentrationen des Arzneistoffes z. B. als Folge von Überdosierung, Intoxikation oder Hemmung des Metabolismus.

EPMS durch Neuroleptika

Extrapyramidal-motorische Störungen (EPMS) werden unterteilt in Frühdyskinesien (Muskelspasmen v. a. im Hals- und Gesichtsbereich), Akathisie (Bewegungsdrang), Parkinson-Syndrom (Rigor, Tremor und Gangunsicherheit) und Spätdyskinesien (insbesondere unwillkürliche Zuckungen im Bereich der Mund- und Gesichtsmuskulatur). Gefürchtet sind vor allem die Spätdyskinesien unter einer Neuroleptika-Behandlung, da sie meist irreversibel sind. Vor allem ältere Patienten stellen eine Risikogruppe zur Entwicklung von Spätdyskinesien dar. Das Auftreten einer extrapyramidal-motorischen Symptomatik beim Einsatz von "klassischen" Neuroleptika korreliert eng mit der antipsychotischen Wirkpotenz einer Substanz. Bei niedrigpotenten Neuroleptika wie Melperon ist das Auftreten von EPMS dosisabhängig, als häufigste Nebenwirkungen treten vor allem zu Beginn der Behandlung Sedierung und Hypotonie mit reflektorischer Beschleunigung der Herzfrequenz auf.

Melperon

Gemäß Wenzel-Seifert et al. kann Melperon in therapeutischer Dosis zu einer deutlichen QTc -Verlängerung (≥ 17 ms) führen. Einzelfallberichte über TdP-Fälle liegen vor, allerdings nur in Kombination mit anderen Arzneimitteln mit erhöhtem TdP-Risiko bzw. bei Überdosierung oder Intoxikation. Auch in der entsprechenden Fachinformation findet sich der Hinweis wieder: "Melperon kann das QT-Intervall verlängern; u. U. können TdP auftreten."

Das Auftreten von EPMS bei der Behandlung mit Melperon ist dosisabhängig. Laut Fachinformation ist die Wirkung auf das extrapyramidal-motorische System bei Melperon nur schwach ausgeprägt. Bei höherer Dosierung sind Symptome wie Frühdyskinesien, Parkinson-Syndrom und Akathisie möglich, wobei die beiden Erstgenannten nach Absetzen des Neuroleptikums voll reversibel sind.

Einzelfallberichte über das Auftreten von Spätdyskinesien im Zusammenhang mit Melperon sind bekannt, in allen Fällen wurde jedoch gleichzeitig oder früher mit anderen Pharmaka, für die diese Nebenwirkung bekannt ist, behandelt.

Metoclopramid

Als Antagonist zentraler Dopaminrezeptoren kann Metoclopramid EPMS hervorrufen.

Gemäß Fachinformation ist Metoclopramid bei Patienten mit bereits bestehenden EPMS kontraindiziert. Ein Parkinson-Syndrom und Spätdyskinesien wurden nur nach Langzeittherapie mit Metoclopramid beobachtet. Das Risiko für das Auftreten von Spätdyskinesien und deren Irreversibilität nimmt vermutlich mit der Therapiedauer zu.

Domperidon

Domperidon ist ebenfalls ein Dopaminrezeptor-Antagonist, allerdings passiert Domperidon nur sehr schwer die Blut-Hirn-Schranke und führt daher nur sehr selten zu zentralnervösen Nebenwirkungen. Auch entsprechend der Fachinformation ist das Auftreten extrapyramidaler Nebenwirkungen sehr selten.

Gemäß Arizona CERT gehört Domperidon zu den Arzneistoffen, die ein bekanntes

Risiko für Torsade-de-pointes-Arrhythmien bergen. Gemäß Fachinformation konnte bei Patienten ohne Comorbidität, die Domperidon als Monotherapie erhielten, selbst bei sehr hohen oralen Dosen (bis 160 mg/Tag) keine QT-Verlängerung festgestellt werden.

Diphenhydramin

Auch das Antiemetikum Dimenhydrinat erscheint als adäquate Alternative eher ungeeignet. Dimenhydrinat bzw. die antihistaminerge Komponente Diphenhydramin findet sich ebenfalls auf der Arizona-CERT-Liste wieder. Dabei ist das TdP-Risiko von Diphenhydramin im Vergleich zu Domperidon als schwächer anzusehen (TdP-Risiko von Diphenhydramin nach Arizona CERT: schwache Assoziation mit TdP, in therapeutischer Dosis und bei Patienten ohne Risikofaktoren eher unwahrscheinlich). Zudem sollte Dimenhydrinat aufgrund des Nebenwirkungsprofils bei Patienten über 65 Jahren nur begrenzt eingesetzt werden (siehe PRISCUS-Liste: Potenziell inadäquate Medikation für ältere Patienten).

Fazit

Die gleichzeitige Verabreichung von Melperon und Domperidon ist hinsichtlich der QT-Intervall-verlängernden Eigenschaften der beiden Substanzen als eher kritisch zu betrachten – auch in Anbetracht der Tatsache, dass das individuelle Risiko der Patientin für die Ausbildung einer QT-Verlängerung als erhöht angesehen werden kann (> 65 Jahre, weibliches Geschlecht, eventuell myokardiale Hypertrophie angesichts einer vermuteten arteriellen Hypertonie). Sollte die Patientin dennoch mit dieser Wirkstoffkombination behandelt werden, sind folgende Maßnahmen empfehlenswert:

  • Aufzeichnung eines EKGs vor Therapiebeginn und Kontrollen in regelmäßigen Abständen.
  • Langsame Aufdosierung mit Dosisanpassung bei Ausscheidungsstörungen.
  • Kontrolle der Serumelektrolyte (cave: Hypokaliämie/Hypomagnesiämie).

Bei der Verabreichung zusätzlicher Medikamente sollten auch immer mögliche Wechselwirkungen in Betracht gezogen werden, welche zu erhöhten Plasmakonzentrationen der kritischen Wirkstoffe führen könnten. Weiterhin sind potenzielle Elektrolytverluste, z. B. aufgrund von Diarrhö, Erbrechen oder Diuretikatherapie, zu beachten. Bei erhöhtem individuellen Risiko für eine QT-Verlängerung bzw. TdP sollte die Patientin vor der Applikation eines kritischen Medikaments über die möglichen Warnsymptome einer solchen Arrhythmie (Herzklopfen, Herzrasen, Schwindel oder Ohnmachtsanfälle) aufgeklärt werden.

Unter der Kombination Melperon/Metoclopramid ist das Risiko zur Ausbildung von EPMS aufgrund der antagonistischen Wirkung beider Substanzen an Dopaminrezeptoren erhöht. Ferner ist zu beachten, dass Melperon als CYP2D6-Inhibitor zu erhöhten Metoclopramid-Plasmaspiegeln führen kann. Bei dieser Wirkstoffkombination ist auf erste dyskinetische Anzeichen zu achten (vor allem im lingualen Bereich) und bei Auftreten das Beenden der Therapie in Erwägung zu ziehen.

Des Weiteren wäre abzuklären, auf welche Ursache die Übelkeit zurückzuführen ist. Liegt die Vermutung nahe, dass die Einnahme von Melperon als Auslöser anzusehen ist (gemäß Fachinformation kann das Auftreten von Übelkeit und Erbrechen nicht ausgeschlossen werden), wäre eine alternative Therapie in Betracht zu ziehen (Wechsel des Neuroleptikums bzw. der Substanzgruppe (Indikation!)). Das niederpotente Antipsychotikum Melperon wird aufgrund der fehlenden anticholinergen Komponente und der selten vorkommenden EPMS zur Sedierung bei psychomotorischen Erregungszuständen und zur Schlafinduktion besonders bei älteren Patienten eingesetzt. Je nach Indikation käme eventuell eine Therapiealternative infrage, z. B. ein Therapieversuch mit dem ebenfalls niederpotenten Antipsychotikum Pipamperon. Pipamperon besitzt ein ähnliches Wirkungs- bzw. Nebenwirkungsprofil wie Melperon, auch scheint das Potenzial zur QT-Verlängerung geringer im Vergleich zu Melperon (siehe Wenzel-Seifert et al.).

Wie bei Melperon ist auch bei Pipamperon das Auftreten von EPMS dosisabhängig.

Daher gilt auch hier die Empfehlung, mit niedriger Dosis einschleichend zu beginnen.

Hinsichtlich der weiteren Medikation ist anzumerken, dass der zusätzliche Einsatz von Triazolam (Halcion®) bei der Patientin zu hinterfragen ist. Auch Triazolam befindet sich auf der PRISCUS-Liste. Eine Verstärkung der zentral dämpfenden Wirkung bei gleichzeitigem Gebrauch mit einem Neuroleptikum wie Melperon oder Pipamperon ist anzunehmen.

Letztendlich stellt sich auch die Frage der Notwendigkeit einer langfristigen Therapie der Übelkeit. Schließlich sollte der behandelnde Arzt nach einer kritischen Nutzen-Risiko-Bewertung entscheiden, welche Medikation angemessen ist.


Antwort kurz gefasst


  • Pharmaka unterschiedlichster Substanzklassen sind in der Lage, das QT-Intervall im EKG zu verlängern und/oder Torsade de Pointes hervorzurufen.

  • Zur Einschätzung des Risikos kann auf die Liste des Arizona CERT (Center for Education and Research on Therapeutics) von potenziell QT-Intervall-verlängernden Arzneistoffen zurückgegriffen werden.

  • Vor dem Einsatz QT-Intervall-verlängernder Medikamente ist das individuelle Risiko des Patienten für eine medikamentenbedingte QT-Verlängerung bzw. TdP-Reaktion zu überprüfen.

  • Insbesondere beim Gebrauch von Psychopharmaka sollte in diesem Kontext immer eine Nutzen-Risiko-Bewertung erfolgen.

  • Regelmäßige EKG- und Elektrolytkontrollen bei Vorhandensein weiterer Risikofaktoren erscheinen gegebenenfalls als sinnvoll.


Literatur

[1] Haverkamp M, Haverkamp F, Breithardt G: Medikamentenbedingte QT-Verlängerung und Torsade de pointes. Deutsches Ärzteblatt 2002; 99: A 1972 – 9.

[2] Wenzel-Seifert K, Wittmann M, Ekkehard H: Psychopharmaka-assoziierte QTc -Intervall-Verlängerung und Torsade de Pointes. Deutsches Ärzteblatt 2011; 108: 687 – 93.

[3] Hein L: Long-QT-Syndrom Wenn das Herz aus dem Takt gerät. Pharmazeutische Zeitung 2009; 154(10):16 – 23.

[4] Laux G, Dietmaier O: Praktische Psychopharmakotherapie, Urban& Fischer Verlag, 5 Aufl. 2005.

[5] Benkert O, Hippius H, et al.: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie, Springer Medizin Verlag Heidelberg, 8 Aufl. 2010.

[6] Fachinformationen, BPI Service GmbH

[7] www.mediq.ch (Interaktionsprogramm)

[8] www.psiac.de (Interaktionsprogramm)

[9] www.torsades.org

[10] PRISCUS-Liste


Autor
Apotheker Dominik Schuler
Apotheke
Schwarzwald-Baar Klinikum
Villingen-Schwenningen GmbH
Vöhrenbacher Straße 23
78050 Villingen-Schwenningen




DAZ 2012, Nr. 24, S. 40

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