Feuilleton

Köthen: Auf den Spuren von Hahnemann und Arthur Lutze

Samuel Hahnemann praktizierte und forschte 14 Jahre lang in Köthen. Seit Anfang der 1990er Jahre engagieren sich der Deutsche Zentralverband homöopathischer Ärzte und die Stadt gemeinsam für die Erhaltung von Zeugnissen aus der Pionierzeit der Homöopathie und die Pflege der modernen Homöopathie. Ein Homöopathiepfad verbindet die Bauwerke und Denkmäler.
Hier wohnte Hahnemann von 1821 bis 1835 Köthen war seine vorletzte Etappe, zwischen Leipzig und Paris. Rechts im Hintergrund das ehemalige Kloster und Spital der Barmherzigen Brüder, heute Sitz der Europäischen Bibliothek für Homöopathie.
Foto: Köthen Kultur und Marketing

Im Leipziger Apothekerstreit wurde Christian Friedrich Samuel Hahnemann (1755 – 1843) zwar das Recht zugestanden, künftig in Notfällen selbst Medikamente zuzubereiten. Die unbefriedigende Kompromisslösung war für den Begründer der Homöopathie aber Grund genug, nach zehnjährigem Aufenthalt in der sächsischen Universitätsstadt eine neue Wirkungsstätte zu suchen. Nach erfolglosen Bewerbungen in Sachsen-Altenburg und Preußen bat er im März 1821 Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen (1771 – 1830) um eine Niederlassungserlaubnis.

Niederlassung mit Dispensierrecht

Die ließ nicht lange auf sich warten. Hahnemann verdankte die schnelle Berufung wohl nicht zuletzt dem Einfluss des Philosophen und Diplomaten Adam Müller (1779 – 1829), der Anhänger der homöopathischen Lehre war. Müller war nicht nur österreichischer Generalkonsul für Norddeutschland mit Sitz in Leipzig und ein enger Vertrauter von Kaiser Franz, sondern auch persönlicher Berater des Köthener Landesherrn. Er setzte sogar durch, dass Herzog Ferdinand seinem künftigen Leibarzt, der gründliche Kenntnisse der Pharmazie besaß, das Dispensierrecht zusicherte.

Daraufhin erwarb der mittlerweile 65-jährige Hahnemann ein Haus in der Köthener Wallstraße. Sie war erst wenige Jahrzehnte vorher vor der ehemaligen Stadtmauer ("Wall") angelegt worden und wurde von gutsituierten Bürgern bewohnt. Wider Erwarten sollte Köthen aber nicht Hahnemanns letzte Wirkungsstätte sein. Im Oktober 1834 verliebte sich der mittlerweile Achtzigjährige spontan in die Malerin Marie Mélanie d‘Hervilly-Gohier, die zur Behandlung eines Nervenleidens aus Paris angereist war. Im Januar 1835 heiratete er seine 45 Jahre jüngere Patientin, und wenige Monate später meldete die "Allgemeine Homöopathische Zeitung", dass "Herr Hofrath Dr. S. Hahnemann" am 14. Juni nach Paris abgereist sei.

Museum im Hahnemannhaus

Nach jahrzehntelanger Vernachlässigung wird in Köthen die Erinnerung an Hahnemanns vierzehnjähriges Wirken in der Stadt wieder gepflegt. 1994 erwarb der in Karlsruhe ansässige Verein zur Förderung der Homöopathie – Hahnemannhaus-Gesellschaft – das Haus in der Wallstraße 47, um es mit Mitteln der Stadt Köthen und Spendengeldern denkmalgerecht zu sanieren. 2001 rief der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte in Köthen die Homöopathie-Stiftung und das Europäische Institut für Homöopathie (InHom) ins Leben. Damit kehrte der DZVHÄ an jenen Ort zurück, an dem sein Vorgängerverein zu Hahnemanns 50-jährigem Doktorjubiläum am 10. August 1829 gegründet worden war.

Pünktlich zu Hahnemanns 250. Geburtstag am 10. April 2005 wurde dessen ehemaliges Wohnhaus einer musealen Nutzung übergeben. Seitdem wird im Erdgeschoss ein Einblick in Hahnemanns Alltag vermittelt (geöffnet mittwochs und samstags von 13 bis 15 Uhr, siehe Internet).

Internet


www.dzvhae.com

  • Homöopathie-Köthen
  • Homöopathie-Stiftung → Kooperationen → Hahnemannhaus-Gesellschaft

Für das Ordinationszimmer stellte der Berufsverband der englischen homöopathischen Ärzte den Schreibtisch und den Ohrensessel aus seiner Pariser Praxis als Leihgaben zur Verfügung. Außerdem werden eine Hausapotheke mit 900 homöopathischen Einzelmitteln, die Hahnemann zu seinem 80. Geburtstag überreicht worden war, sowie Literatur, Bilder und homöopathische Arzneien gezeigt. Im ehemaligen Wohntrakt befindet sich heute eine homöopathische Arztpraxis.

Vom Kloster zum Tagungszentrum

In unmittelbarer Nähe liegt das ehemalige Kloster und Spital der Barmherzigen Brüder, das von dem Architekten Christian Gottfried Heinrich Bandhauer (1790 – 1837) erbaut und 1829 eingeweiht worden war. Herzog Ferdinand hatte nach der Konversion zum katholischen Glauben (1825) versucht, die überwiegend protestantische Bevölkerung in seinem Herzogtum für die römische Kirche zu gewinnen, und die Niederlassung des Ordens gefördert. Während der Choleraepidemie von 1831 wurden hier infizierte Personen isoliert, gepflegt und behandelt.

Schon wenige Jahre nach Herzog Ferdinands Tod wurde das Kloster aufgelöst. Das Anwesen diente in der Folgezeit als Hospital, Freischule und sogar für profane Zwecke. 2005 erwarb die Stadt Köthen die maroden Gebäude und ließ sie im Rahmen des Projekts IBA (Internationale Bauausstellung) Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010 unter dem Motto "Homöopathie als Entwicklungskraft und Planungsimpuls" rekonstruieren. Seit Herbst 2009 ist das klassizistische Bauwerk Sitz der Europäischen Bibliothek in Köthen und Tagungszentrum. Es wurde durch einen gläsernen Anbau ergänzt. Die neu gestaltete Gartenanlage lädt zum Entspannen und Meditieren ein.


Schloss Köthen


Historisches Museum, Schlossplatz 4, 06366 Köthen

Tel. (0 34 96) 21 25 46

historisches-museum@bachstadt-koethen.de

Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr

www.museum-digital.de/san/index.php, suche Hahnemann


Von hier führt der Homöopathiepfad vorbei an der klassizistischen Marienkirche, die 1830, kurz vor Herzog Ferdinands Tod, eingeweiht wurde, zur ehemaligen Lutze-Klinik in der Springstraße. Bauherr dieses palastähnlichen, im Stil der italienischen Neorenaissance gestalteten Gebäudekomplexes war der Hahnemann-Verehrer Arthur Lutze.


Arthur Lutze und Samuel Hahnemann Fenster aus der ehemaligen Lutze-Klinik, von Heinrich Oidtmann, Linnich 1890. Heute im Apothekengewölbe von Schloss Köthen. Unter den Porträts die Leitsprüche "In Deo spes mea" (Ich hoffe auf Gott) und "Similia Similibus" (Gleiches mit Gleichem).

In den Vasen am Rand Fingerhut und Bilsenkraut, darüber Weinstöcke.

Foto: Köthen Kultur und Marketing

Ein "Wundermann, der alle Welt kurieren kann"

Lutze war 1813 in Berlin zur Welt gekommen und ging nach dem Tod seiner Eltern nach Thüringen, wo er als Postbeamter arbeitete. Nachdem er jahrelang autodidaktisch die Werke Hahnemanns studiert hatte, verdingte er sich in einer Potsdamer Armenklinik als Heilpraktiker und sammelte durch die Behandlung mehrerer tausend Patienten viel Erfahrung. Da Lutze aber keine Approbation vorweisen konnte, verbot ihm die preußische Regierung 1845 jegliche weitere medizinische Tätigkeit.

Wie einst Hahnemann wandte sich auch Lutze nach Köthen, wo der Landesherr ihm das Praktizieren und Selbstdispensieren erlaubte. In seiner Praxis verband er die Homöopathie mit anderen Naturheilverfahren und entwickelte u. a. die laktovegetabile Diät. Schon bald reisten Patienten sogar von weither an, um sich in Köthen behandeln zu lassen, und ablehnende Zeitgenossen spöttelten: "Dort lebt der große Wundermann, der alle Welt kurieren kann" – was weder die Patienten noch Lutze selbst beeindruckte. Nebenher studierte Lutze in Halle Medizin, um sich endlich als Arzt legitimieren zu können. 1850 wurde er in Jena promoviert (Diss. "De cataractae extractione").

Nachdem Lutze in Köthen eine Lehranstalt für Heilpraktiker errichtet hatte, plante er mit seinen drei Söhnen den Bau der ersten homöopathischen Klinik der Welt. Die Finanzierung erfolgte durch den "Verkauf" von über 100.000 "Lutze-Talern", d. h. durch Spenden. Am 10. April 1855, Hahnemanns 100. Geburtstag, wurde die Klinik eröffnet. Neben mehreren großen Krankensälen gab es 72 Zimmer für Privatpatienten, Heilbäder und einen Park. Mittellose Patienten wurden kostenlos behandelt.

Die anhaltinische Residenzstadt wurde nun zum weltweit bekannten Mekka der Homöopathie. Im Jahr 1864 wurden dort 26.690 Patienten durch 21 Assistenten behandelt und 162.000 Anfragen aus allen fünf Erdteilen beantwortet.

Muckefuck statt Kaffee

Unter seinen Kollegen – auch den homöopathischen Ärzten – war der geschäftstüchtige Klinikinhaber indessen weniger beliebt. Sie kritisierten u. a. Lutzes Versandhandel mit Arzneimitteln und Diätetika. Das breitgefächerte Sortiment enthielt unter anderem coffeinfreien "Gesundheitskaffee" aus Gerstenmalz, Roggen, Zuckerrüben und Zichorie – eine von Lutze entwickelte Rezeptur, die noch bis in das späte 20. Jahrhundert hinein als "Muckefuck" (aus franz. "Mocca faux", falscher Mokka) in den meisten Haushalten präsent war. Ein weiterer Stein des Anstoßes waren die angeblich "fabrikmäßigen" Massenbehandlungen in der Klinik.

Doch wurden Lutze auch mehrere Ehrungen zuteil. Der Herzog von Sachsen-Meiningen ernannte ihn 1860 zum Sanitätsrat, und der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz verlieh ihm 1869 den Ritterorden der Wendischen Krone.

Nach seinem Tode wurde die Klinik durch seine Söhne weiterbetrieben. Trotz wiederholter Versuche, eine Schließung durchzusetzen, wurden hier noch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs Patienten homöopathisch behandelt.

Hahnemann-Lutze-Denkmal und Apothekengewölbe

Nach gründlicher Sanierung ist die Lutze-Klinik heute wieder ein "Meilenstein" auf dem Köthener Homöopathiepfad. In dem Gebäude befinden sich unter anderem die Geschäftsräume der Homöopathie- und Wissenschaftsservice Köthen sowie des Hahnemann-Lutze-Vereins. Neben Ausstellungen werden hier auch Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen für homöopathisch orientierte Human- und Veterinärmediziner sowie für Studenten, Angehörige anderer Gesundheitsberufe und naturheilkundlich interessierte Laien durchgeführt. Im Park der Klinik wurde ein Arzneipflanzengarten angelegt.

Der Weg durch den Schlosspark zum ehemaligen Residenzschloss der Herzöge von Anhalt-Köthen führt vorbei am Hahnemann-Lutze-Denkmal. Die Komposition aus den überlebensgroßen Büsten der beiden Ärzte und einer Standfigur der griechischen Göttin Hygieia – Tochter des Asklepios und Schutzpatronin der Apotheker – wurde von dem Berliner Bildhauer Heinrich Pohlmann geschaffen und am 15. Dezember 1897 eingeweiht.

Der Rundgang endet im Apothekengewölbe des Schlosses (Historisches Museum) mit einer Ausstellung über die Geschichte der Homöopathie. Neben Literatur aus den Anfangsjahren sind hier Apothekerutensilien, das Schreibzeug und das Sterbebett Hahnemanns sowie ein Fenster aus der ehemaligen Lutze-Klinik zu sehen.


Reinhard Wylegalla

Literaturtipp


Die Homöopathie ist untrennbar mit dem Namen Hahnemanns verbunden, doch auch viele andere Persönlichkeiten haben diese Therapierichtung weiterentwickelt und geprägt. Das Lexikon enthält 632 Kurzbiographien deutschsprachiger Homöopathen, ergänzt durch Werkverzeichnisse und Sekundärliteratur. Es liefert viel Hintergrundwissen und ist eine willkommene Ergänzung zu Büchern über die Praxis der Homöopathie. Selbstverständlich lassen sich unter den hier versammelten Homöopathen auch mehrere Apotheker finden.

Fritz D. Schroers

Lexikon deutschsprachiger Homöopathen

Hrsg. v. Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung. 171 Seiten, 13 Abb., geb. 19,95 Euro

Karl F. Haug Verlag, Stuttgart 2006

ISBN 978-3-8304-7254-4

Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse:

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