Feuilleton

Wie ein Apothekersohn die Apotheke im Film darstellte

Drei Wochen nachdem am 21. August der Regisseur (und Dramatiker, Aktionskünstler, Provokateur usw.) Christoph Schlingensief seinem Krebsleiden erlegen war, ist am 12. September der französische Filmregisseur Claude Chabrol gestorben. Beiden Künstlern war gemeinsam, dass sie Apothekersöhne waren. Chabrol hat in 50 Jahren über 60 Filme gedreht, von denen viele als Klassiker gelten, darunter "Die untreue Frau", "Der Schlachter", "Madame Bovary" und "Süßes Gift".

Claude Chabrol wurde am 24. Juni 1930 in Paris als Sohn des Yves Chabrol geboren, der eine Apotheke im XIV. Arrondissement besaß. Da seine Mutter ebenfalls Apothekerin war, schien dem Jungen der Beruf in die Wiege gelegt zu sein. Chabrol hat sich später nur knapp dazu geäußert: "Mein Vater wollte, dass ich Apotheker werde. Er selbst war zuerst Arzt gewesen und wurde Apotheker, weil er nicht mehr an die Medizin glaubte; aber sein Glaube an die Pharmazie ist kaum größer gewesen." Beide Eltern stammten aus dem Limousin am nordwestlichen Rand des Zentralmassivs: Yves Chabrol war 1901 in dem Städtchen Ahun zur Welt gekommen, wo schon sein Vater Jacques Chabrol (1870 – 1930) eine Apotheke besaß und auch das Amt eines Bürgermeisters bekleidete. Seine Frau Madeleine geb. Delarbre (* 1907) war die Tochter eines kaufmännischen Angestellten in der nahe gelegenen Ortschaft Sardent.

Die Eltern Chabrol meinten wohl, dass die Großstadt nicht die richtige Umgebung für einen heranwachsenden Knaben sei, oder sie hatten einfach nicht genügend Zeit, sich um ihn zu kümmern. Jedenfalls schickten sie ihren Sohn aufs Land zu seinem Großvater mütterlicherseits – der andere Großvater war ja schon tot. Und nachdem der 2. Weltkrieg begonnen hatte, erschien das Leben in der Provinz auch sicherer als in Paris.

Auf Umwegen zum Beruf der Berufung

Nach dem Krieg kehrte Chabrol nach Paris zurück und studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne. Auf Wunsch seines Vaters hängte er danach ein Studium der Pharmazie an, brach dieses jedoch wieder ab. Sein Traumberuf war schon damals Regisseur, aber er hatte keine entsprechende Ausbildung. Um dennoch in diesem Bereich tätig zu werden, arbeitete er als Redakteur der Zeitschrift "Cahiers du cinéma" und in der Presseabteilung von 20th Century Fox in Paris.

Seinen ersten Film "Die Enttäuschten" drehte Chabrol in Sardent, dem Dorf seiner Kindheit. Er präsentierte ihn 1978 auf dem Filmfestival in Locarno und erhielt so viel Anerkennung, dass er gleich den nächsten Film, "Schrei, wenn du kannst", drehte, der auch ein finanzieller Erfolg wurde: Er brachte so viel ein, dass Chabrol eine eigene Produktionsfirma gründen konnte. In den folgenden 50 Jahren drehte er 60 weitere Filme, darunter "Madame Bovary" nach dem Roman von Gustave Flaubert (1991).

Apotheker Homais und Madame Bovary

Die Story: Die junge Emma Bovary findet in ihrer Ehe mit einem bedeutend älteren Arzt keine Erfüllung. Sie flüchtet sich in eine Scheinwelt, hat zwei Liebhaber und lässt sich von zwei skrupellosen Geschäftsleuten "beraten", dem Textilwarenhändler Lhereux und dem Apotheker Homais. Verzweifelt über ihr Unglück, begeht sie schließlich Selbstmord [1].

Mehrere Szenen des Films spielen in der Apotheke von Homais. Beeindruckend ist die Fülle von pharmazeutischen Utensilien aus Labor, Rezeptur und Defektur sowie von prunkvollen Standgefäßen, die in Frankreich – mehr noch als in Deutschland – zur Repräsentation dienten. Nicht weniger Eindruck macht der Apotheker auf seine Kundschaft durch sein scheinbar umfassendes Wissen und seine geheuchelte Liebenswürdigkeit. Der Pharmaziehistoriker Georg Urdang charakterisierte ihn treffend als einen Vertreter der "aufgebauschten Alltäglichkeit". Doch hinter der Fassade verbirgt sich skrupellose Geldgier. Es ist beinahe überflüssig zu sagen, dass Emma Bovary in der Apotheke das Mittel erhält, mit dem sie ihrem Leben ein Ende bereiten wird.

Workaholic und Genießer

Chabrol war ein Meister in der Darstellung von Verbrechen und der psychischen Hintergründe, die Menschen zu Verbrechern werden lässt. In dieser Hinsicht ist er oft mit Alfred Hitchcock verglichen worden. Manche urteilen, Hitchcock sei sein Vorbild gewesen, das er übertroffen habe.

Als Mensch war Chabrol einerseits arbeitsbesessen, andererseits auch ein Genießer, der schöne Frauen, guten Wein und guten Tabak und vor allem gutes Essen zu schätzen wusste. Dafür nahm er auch manches Opfer oder auch Grausamkeit in Kauf. So erzählte er, am besten habe ihm eine Taube geschmeckt, die der Koch erwürgt hatte, denn bei dieser Tötung sei das Blut vollständig im Körper geblieben.

Als Regisseur vieler gesellschaftskritischer Filme hat Chabrol auch eine bestimmte politische Richtung vertreten: Er bekannte sich, zumindest zeitweise, zum Kommunismus. Dass er wirklich eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse angestrebt hat, traut man ihm indessen kaum zu. An der Darstellung menschlicher Schwächen und sozialer Ungerechtigkeit hat Chabrol so viel Freude gehabt, dass er vermutlich auch ein gewisses Maß an Verständnis dafür besessen hat.

Literatur [1] Caesar W. Apotheke und Apotheker im Film. 
Dtsch Apoth Ztg 1995; 135: 4719 – 4722. 

 


 

Wolfgang Caesar

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