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Aus Fehlern für die Zukunft lernen

BONN (diz). Seine Vorstellungen, wie es nach der Bundestagswahl mit der Gesundheitspolitik weitergehen sollte, legte Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, bis Februar 2009 Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf der Jahresversammlung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) im Bonner Wasserwerk dar. Nach einer Analyse der zurückliegenden Gesundheitsreform macht er Vorschläge, wo seiner Meinung in der nächsten Gesundheitsreform, die kommen wird, angesetzt werden sollte. Dabei plädiert er auch für "neue Wege" in der Arzneimitteldistribution.
Bert Rürup Befürwortet "neue Wege" in der Arzneimitteldistribution – das könnten auch Apothekenketten sein…
Foto: DAZ/diz

Der in den Vorjahren, insbesondere seit 2007 mit der letzten Gesundheitsreform eingeschlagene Weg, mit dem das Kostenbewusstsein der Patienten geschärft, Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben und die steuerliche Kofinanzierung zur Stärkung der Nachhaltigkeit in der Finanzierung vorangetrieben wurde, wurde weiter beschritten. Am 1. Januar 2007 trat die Reform des Vertragsarztrechts in Kraft. Damit wurde die in der Gesundheitsreform des Jahres 2003 eingeleitete und gebotene Liberalisierung der Angebotsstrukturen in der ambulanten medizinischen Versorgung konsequent fortgesetzt. Das zweite Reformpaket folgte dann am 1. April 2007 mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes. Dieser Reformschritt ist wesentlich umfassender als der erste. Nimmt man beide Reformgesetze zusammen, so blieb kaum ein Bereich im Gesundheitswesen von Neuregelungen verschont, so Rürups Analyse.

Eine Beurteilung dieser Reformen fällt, wie der Wirtschaftssachverständige es vorsichtig formulierte, zwiespältig aus: Die Reform des Vertragsarztrechts ist ein sehr großer und wichtiger Schritt nach vorn zu einem modernen Gesundheitssystem. Und auch die – in der Weiterentwicklung der Gesundheitsreform 2003 – stehenden leistungs- bzw. ausgabenseitigen Maßnahmen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes sind durchweg begrüßenswert.

Finanzierung misslungen

Misslungen ist dagegen nach seiner Auffassung die Reform der Finanzierungsseite. Mit dem Gesundheitsfonds, dem Herzstück der Gesundheitsreform 2007 auf der Finanzierungsseite, sollten das Bürgerversicherungskonzept der SPD und die solidarische Gesundheitsprämie der Unionsparteien zusammengeführt und die unterschiedlichen Positionen überwunden werden. Dieser Versuch muss als gescheitert angesehen werden, so Rürups klare Position. Mit dem Fonds werden weder die Segmentierung des Gesundheitsmarktes durch die Versicherungspflichtgrenze überwunden noch die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten entkoppelt. Ordnungspolitisch zu begrüßen ist jedoch nach seiner Einschätzung der eingeschlagene Weg einer stärkeren Steuerfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen in der GKV, also der den Krankenkassen von der Politik übertragenen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben wie beispielsweise die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern oder Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaften. Doch aufgrund der fehlenden Spezifikation der aus dem Bundeszuschuss zu finanzierenden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben wurde mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eine institutionelle Voraussetzung geschaffen, dass sich der Bundeszuschuss zu einem fiskalischen Lückenfüller des GKV-Systems und damit zu einem Risiko für den Bundeshaushalt entwickelt.

Darüber hinaus führt der Gesundheitsfonds, so Rürup, zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen. Zusatzbeiträge und Rückvergütungen sollen die kassenindividuellen Beitragssätze als die derzeit entscheidenden preislichen Wettbewerbsparameter im Kassenwettbewerb ablösen. Die vorgesehene Finanzierung des sozialen Ausgleichs durch die einzelnen Kassen im Zusammenhang mit einer verkorksten Überforderungsklausel, bei der die kassenindividuellen Einkommens- und Familienstrukturen nicht berücksichtigt werden und der Umstand, dass sich der Risikostrukturausgleich nur auf den aus dem Fonds finanzierten Anteil der Leitungsausgaben bezieht, führen im Ergebnis zu einem gesundheitsökonomisch falschen Wettbewerb.

Überforderungsklausel: Ausgleich über Gesundheitsfonds

In der nächsten Legislaturperiode muss es als erstes und schnellstens darum gehen, die Dysfunktionalität der Überforderungsklausel zu beseitigen und zwar dadurch, dass der mit der Überforderungsklausel verbundene soziale Ausgleich nicht innerhalb einer Krankenkasse durchgeführt wird, sondern über den Gesundheitsfonds: Der Fonds zahlt einer Kasse für jedes Mitglied, das von der Überforderungsregel Gebrauch macht, den Differenzbetrag zwischen dem von den Versicherten maximal leistbaren Eigenbeitrag und dem Zusatzbeitrag aus.

Jenseits dieser Notoperation sollte die Gesundheitsreform, die wie im Übrigen auch die Reform der Alterssicherung ein nie endender Prozess ist, in der nächsten Legislaturperiode den eingeschlagenen Reformpfad konsequent weiterverfolgen. Nach Ansicht von Rürup gilt es dabei gleichzeitig zwei Fragen zu beantworten: Wie können die aus der Bevölkerungsalterung und dem medizinisch-technischen Fortschritt resultierenden Ausgabensteigerungen weniger beschäftigungsfeindlich und wachstumsfreundlicher finanziert werden als dies derzeit der Fall ist? Die zweite Leitfrage ist, wie weitere Wirtschaftlichkeitsreserven mobilisiert werden können. Die nächsten Glieder in der gesundheitspolitischen Reformkette sollten, so die Vorstellungen des Wirtschaftsexperten Rürup, die Umstellung auf eine monistische Krankenhausfinanzierung, die Überwindung der die Effizienz mindernden Sektoralisierung durch Harmonisierung der Vergütungssysteme, globale und sektorübergreifende Budgets, neue Wege bei der Arzneimitteldistribution und – vor allem im Interesse der Nachhaltigkeit und intergenerativen Gerechtigkeit – eine verstärkte steuerliche Kofinanzierung sowie einkommensunabhängige Zusatzbeiträge umfassen.

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