Koalitionsspitzen beenden Streit um Gesundheitsreform

BERLIN (ks). Die Spitzen der großen Koalition haben in der Nacht auf den 5. Oktober ihren Streit um die Umsetzung der Eckpunkte zur Gesundheitsreform beilegen können. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte nach der siebenstündigen Sitzung, man habe sich auf eine "weitreichende" Reform einigen können.

SPD-Chef Kurt Beck sprach von einem "guten Kompromiss", Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt von einer "zukunftsweisenden" Umgestaltung des Systems. Auch der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber zeigte sich zufrieden, betonte aber, dass die politische Einigung unter dem Vorbehalt der genauen Gesetzesformulierung stehe. Nun wird ein Referentenentwurf erarbeitet, der voraussichtlich am 25. Oktober vom Bundeskabinett beschlossen werden soll.

Der Fonds kommt später

Die Koalitionsspitzen haben sich darauf verständigt, den Start des Gesundheitsfonds zu verschieben: Erst ab dem 1. Januar 2009 sollen die künftig festgeschriebenen Beiträge der Arbeitnehmer und -geber sowie die anwachsenden Steuerzuschüsse des Bundes in den Fonds fließen. Wie bisher werden die Krankenkassen für den Beitragseinzug zuständig sein. Durch die Verschiebung bleibt ausreichend Zeit, den Finanzausgleich zwischen den Kassen neu zu regeln, der zeitgleich mit dem Fonds wirksam werden soll.

Der neue Risikostrukturausgleich (RSA), der sich nicht mehr nur an Alter und Geschlecht der Versicherten, sondern auch an deren Morbidität orientiert, ist zur Berechnung der pauschalen Fonds-Zuweisungen an die einzelnen Kassen nötig. Die RSA-Experten des Bundesversicherungsamtes sollen nun die Zuschläge für 50 bis 80 schwerwiegende und kostenintensive chronische Krankheiten ermitteln. Die Union möchte die Anzahl dieser Krankheiten eher gering halten, während die SPD lieber einen weiter gefassten Katalog sähe. Vereinbart wurde darüber hinaus eine Revisionsklausel, wonach der Fonds zwei Jahre nach seinem Start im Hinblick auf seine soziale Bedeutung sowie seine Folgen und Wirkungen auf die Krankenkassen überprüft werden soll.

Vereinfachungen bei Überforderungsklausel

Einigkeit konnte weiterhin bei der Ein-Prozent-Überforderungsklausel erzielt werden. Auch wenn der Fonds zum Startzeitpunkt 100 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen finanzieren soll, kann es später passieren, dass eine Krankenkasse mit den ihr zugewiesenen Mitteln nicht auskommt. Dann kann sie von ihren Mitgliedern einen prozentualen oder pauschalen Zusatzbeitrag erheben. Dieser darf ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens nicht übersteigen, ist mithin gedeckelt. In den Eckpunkten sollte für die Berechnung noch das gesamte Haushaltseinkommen zugrunde gelegt werden. Um den bürokratischen Aufwand in Grenzen halten, soll zudem die Einkommensprüfung entfallen, wenn der Zusatzbeitrag acht Euro nicht überschreitet. Die Koalitionäre setzen aber darauf, dass sich die Kassen bemühen werden, möglichst gut zu wirtschaften und ihren Versicherten überschüssige Mittel auszahlen können, statt Zusatzbeiträge zu erheben.

Zur Freude einiger Bundesländer konnte der bayerische Ministerpräsidenten Stoiber zudem eine so genannte "Konvergenzklausel" durchsetzen. Diese soll verhindern, dass im Zuge des Strukturausgleichs zwischen unterschiedlichen Krankenkassen reiche Bundesländer nicht zu sehr belastet werden. Die Regelung kommt zum Zuge, wenn ein Land 100 Mio. Euro mehr in den RSA zahlen muss als bisher. Beck erklärte jedoch, dass diese Klausel vermutlich nicht zum Tragen komme, weil nach Erhebungen des Bundesversicherungsamtes kein Land mit mehr als 56 Mio. Euro zusätzlich belastet werde.

Streitpunkt PKV beigelegt

Ebenfalls zum 1. Januar 2006 soll zudem eine neue Gebührenordnung mit Euro- und Cent-Beträgen für Vertragsärzte eingeführt werden. Alle übrigen Regelungen - so auch die offenbar unumstrittenen Neuerungen im Bereich der Arzneimittelversorgung - werden wie geplant zum 1. April 2007 in Kraft treten. Das gilt auch für die Umgestaltung der Privaten Krankenversicherung (PKV), auf die man sich nach langem Streit und Nachgeben der SPD einigen konnte. Künftig werden die privaten Kassen ihren Versicherten sowie freiwillig gesetzlich Versicherten einen so genannten Basistarif anbieten müssen. In diesem dürfen sich die Prämien nur aufgrund des Alters und des Geschlechts unterscheiden - Zuschläge aufgrund des individuellen Krankheitsrisikos sind tabu. Damit dieser Tarif bezahlbar bleibt, soll er nicht teurer werden als der Höchstbetrag in der GKV.

Darüber hinaus sollen PKV-Versicherte in Zukunft leichter zwischen den Versicherungsunternehmen wechseln können. Dazu sind die Alterungsrückstellungen bei einem Versicherungswechsel anrechnungsfähig zu gestalten - allerdings nur im Umfang des Basistarifs. Bei einem Wechsel von einer privaten in eine gesetzliche Krankenkasse ist weiterhin keine Portabilität vorgesehen. Beschlossene Sache ist zudem, dass jeder, der seinen Versicherungsschutz verloren hat, ein Rückkehrrecht in seine letzte Versicherung erhält. Dies gilt gleichermaßen für die gesetzliche wie die private Versicherung. Eine Versicherungspflicht wird es jedoch nicht geben.

Kleine Änderungen möglich

Merkel sagte, der Gesetzgebungsprozess könne nun "in seine Endphase eintreten". Mit Widerstand aus den unionsgeführten Bundesländern rechnet die Kanzlerin nicht mehr. Sie unterstrich, dass der Kompromiss bereits "im Lichte der Wünsche der einzelnen Länder" gefallen sei. Tatsächlich werteten die zuvor kritischen Ministerpräsidenten die Einigung positiv. Wie Stoiber wiesen aber auch Peter Müller (Saarland) und Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt) darauf hin, dass der Gesetzentwurf genau geprüft werden müsse.

SPD-Parteichef Beck erklärte, die Gesundheitsreform sei besser als sie öffentlich vielfach dargestellt wird. Ministerin Schmidt verwies darauf, dass den Versicherten sogar mehr und verbesserte Leistungen erwarten. So werde etwa die Palliativmedizin ausgebaut und Mutter/Vater-Kind-Kuren zur Pflichtleistung. Kritik äußerten hingegen Vertreter der SPD-Linken und der Jusos. Merkel und Schmidt betonten gleichermaßen, dass die Diskussion um den Gesetzentwurf noch nicht beendet sei. "Dass es im Gesetzgebungsverfahren noch kleine Änderungen geben kann, ist normal", erklärte die Ministerin.

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