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Der Gesundheitsfonds – wie geht es weiter?

In einem gesundheitspolitischen Forum der Wirtschaftsakademie Deutscher Apotheker (WDA) am 11. Oktober 2009 in Bayreuth kritisierte Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Oberender den Gesundheitsfonds und machte Vorschläge für die Reform und künftige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Prof. Dr. Peter Oberender
Foto: Oberender

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) ist die ge-setzliche Grundlage für den Gesundheitsfonds. Dieser fungiert im Grunde als eine zentrale Sammel- und Verteilstelle, die, so Oberender, einkommensabhängige Beiträge in einkommensunabhängige Prämien transformiert.

Vorerst ziehen die gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge weiterhin bei ihren Mitgliedern ein und leiten diese an den Fonds weiter. Ab 2011 soll der Beitragseinzug dann auf eine neu geschaffene Institution übergehen.

Funktionsweise des Gesundheitsfonds

Der Beitragssatz der Versicherten wird einheitlich festgelegt und liegt derzeit bei 14,9% des Einkommens. Daneben fließen auch staatliche Mittel in den Gesundheitsfonds. Die Umverteilung der Mittel auf die einzelnen Kassen erfolgt über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), der neben Alter und Geschlecht der Versicherten nun auch 80 Erkrankungen bei der Risikoermittlung einbezieht. In Form einer Grundpauschale sowie von risikoadjustierten Zu- oder Abschlägen fließen die Mittel an die Krankenkassen zurück. Krankenkassen, die mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, können einen zusätzlichen Beitrag von ihren Versicherten verlangen, der aber ein Prozent ihres beitragspflichtigen Einkommens nicht überschreiten darf (Überforderungsklausel). Bei pauschalen Zusatzbeiträgen von monatlich bis zu acht Euro findet die Überforderungsklausel keine Anwendung.

Umlageverfahren bleibt

Durch den Gesundheitsfonds wird, so Oberender, ein zentrales Problem der Finanzierung von Gesundheitsleistungen nicht gelöst, denn die Finanzierung erfolgt weiterhin über das Umlageverfahren. Das heißt: Die laufenden Ausgaben werden durch laufende Einnahmen gedeckt, und es werden keine Rückstellungen gebildet.

Weiter kritisierte Oberender, dass der Beitrag der Versicherten nicht in Abhängigkeit der zu erwartenden Krankheitskosten erhoben werde. Damit werde den Ausgabensteigerungen, die wegen des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts zu erwarten sind, nur unzureichend Rechnung getragen.

Oberender lehnt den einheitlichen Beitragssatz ab, weil er den Krankenkassen die Möglichkeit nimmt, über den Beitragssatz miteinander in Wettbewerb zu treten. Zudem werden regionale Besonderheiten, wie die Einkommensstruktur oder die Krankheitshäufigkeit, nicht berücksichtigt.

Fehlanreize bei Versicherten und Krankenkassen

Die "Deckelung" der Erhebung von Zusatzbeiträgen (s. o.) setzt nach Meinung Oberenders Fehlanreize und führt unter Umständen indirekt zur Risikoselektion: Wenn eine Krankenkasse Zusatzbeiträgen erhebt, können die Mitglieder eine andere Krankenkasse wählen (Sonderkündigungsrecht). Viele Versicherte mit einem geringen Erkrankungsrisiko und einem hohen Einkommen werden dies tun, während die Versicherten, die hohe Ausgaben verursachen und über ein geringeres Einkommen verfügen, bei dieser Krankenkasse bleiben, die dann erst recht Zusatzbeiträge erheben muss.

Ähnliche Fehlanreize setzt laut Oberender der Morbi-RSA. Die Umverteilung der Mittel des Gesundheitsfonds erfolgt nur auf Basis von 80 Krankheiten, sodass es für die Krankenkassen vorteilhaft ist, eine möglichst große Anzahl von Versicherten mit diesen Krankheiten in der Versichertengesamtheit zu haben. Da die Zuordnung über die Diagnose des behandelnden Arztes erfolgt, könnten die Krankenkasse versuchen, die Ärzte bei der Diagnose zu beeinflussen, um den Anteil der Versicherten mit Krankheiten, die im Morbi-RSA berücksichtigt sind, künstlich zu erhöhen (ähnlich dem "Up-Coding" bei der Einführung des DRG-Systems).

Des Weiteren wird laut Oberender ein Anreiz zur Entwicklung besonderer Behandlungskonzepte für diese 80 Krankheiten gesetzt, während die übrigen ca. 30.000 Krankheiten vernachlässigt werden.

Regionalisierung des Gesundheitsfonds

Um die genannten Fehlanreize zu beseitigen, fordert Oberender, den Gesundheitsfonds und den Morbi-RSA abzuschaffen. Die Krankenkassen sollten ihre Beitragsautonomie zurückerhalten, damit der Leistungswettbewerb um einen Preiswettbewerb erweitert wird. Da eine derartige Forderung gegenwärtig politisch nicht durchsetzbar sein dürfte, plädiert Oberender für die aus seiner Sicht zweitbeste Lösung, nämlich den Gesundheitsfonds zu regionalisieren, um regionale Besonderheiten berücksichtigen zu können; dabei müsste bezüglich der Zusatzbeiträge die Überforderungsklausel abgeschafft werden. Allerdings wäre eine solidarische Mindestsicherung von ökonomisch Schwachen weiterhin sicherzustellen.

Schließlich fordert Oberender, die gesetzlichen Krankenkassen zu privatisieren, damit sie als gewinnorientierte Unternehmen in den Wettbewerb mit den privaten Krankenkassen treten können. Sie sollten vom Umlageverfahren auf Kapitaldeckung umgestellt werden, wobei das Geld mündelsicher angelegt werden müsste. Sollte das politisch nicht durchsetzbar sein, empfiehlt Oberender ein Mischsystem: einen Grundstock über ein Umlageverfahren absichern, Wahltarife und Zusatzleistungen über die Kapitaldeckung. Dabei müsste ein Regelleistungskatalog gesetzlich festgelegt werden. Und für jeden, der in Deutschland ansässig ist, müsste eine Versicherungspflicht bestehen.


Quelle: Autorreferat von Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Oberender, Bayreuth

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