Arzneimittel und Therapie

Mit Romiplostim die Thrombozytenzahlen dauerhaft erhöhen

Wer unter einer seltenen Krankheit leidet, hat oft Pech. Denn der Anreiz zur Entwicklung innovativer Medikamente ist gering. Umso bemerkenswerter ist es, dass nun erstmals speziell für die seltene chronische Immunthrombozytopenie, an der in Deutschland etwa 8000 Erwachsene leiden, ein Medikament entwickelt wurde. Romiplostim (Nplate®) stimuliert den (Thrombopoetin-(TPO)-Rezeptor und damit die Thrombopoese. Seit Anfang Februar ist das Arzneimittel für die 2nd-line-Therapie dieser schweren Autoimmunkrankheit europaweit zugelassen.

Die chronische Immunthrombozytopenie, auch idiopathische thrombozytopenische Purpura, kurz ITP genannt, ist eine schwere Autoimmunerkrankung. Über komplexe Pathomechanismen werden die Thrombozyten beschleunigt abgebaut. Gleichzeitig ist die Thrombozytenbildung durch einen relativen Mangel an Thrombopoetin reduziert. Das klinische Bild entspricht der erhöhten Blutungsneigung: Petechien, Hämatome, Nasenbluten, aber auch verstärkte Regelblutungen und außergewöhnlich starke Blutungen nach Operationen sind typisch. Besonders gefürchtet sind lebensbedrohliche zerebrale Blutungen. Ihre Häufigkeit liegt zwar unter 5%. Dennoch bedeutet dieses Risiko eine erhebliche Belastung für die Patienten. Dies zeigt auch der Blick auf deren Lebensqualität. Sie ist mindestens ebenso stark eingeschränkt wie bei Diabetes oder Arthritis.

Doch nicht jeder ITP-Patienten muss behandelt werden. Klinische Symptome sind für die Entscheidung mindestens so bedeutend wie die Thrombozytenwerte, zumal die Thrombozytengrenzwerte nicht wirklich gut untersucht sind. Grundsätzlich behandelt werden sollten symptomatische Patienten, unabhängig vom Thrombozytenwert, sowie Patienten mit einem hohen Blutungsrisiko, die Antikoagulanzien benötigen und Thrombozytenwerte unter 50.000/µl aufweisen. Dazu gehören Patienten mit Magenulcera, Hypertonie oder Schädeltrauma, aber auch Patienten, die operiert werden müssen. Bei Gesunden finden sich 150.000 bis 350.000 Thrombozyten/µl. Auch ohne Symptome sind Patienten zu behandeln, wenn die Thrombozytenwerte unter 20.000 bis 30.000/µl liegen. Priv.-Doz. Dr. Mathias Rummel räumte jedoch ein, dass es keine "sicheren" Thrombozytengrenzwerte gibt. "Die Grenze wurde nie validiert." Ein "sicherer" Grenzwert variiert in Abhängigkeit von Alter und individuellen Faktoren.

Bisheriges Regime: Immunsuppression

Eine gezielte Behandlungsstrategie gab es bislang nicht. Standard in der Primärtherapie sind Steroide, als Notfalltherapie kommen intravenöse Immunglobuline zum Zug. Als 2nd-line-Therapie werden verschiedene Regimes versucht: Hochdosissteroide Azathioprin, Danazol, Cyclosporin, aber auch Rituximab. Doch keine dieser Optionen ist für die idiopathische thrombozytopenische Purpura evidenzbasiert. Dies gilt auch für die Splenektomie, die durchaus erfolgreich sein kann. Sie führt allerdings nicht immer zum Erfolg. Dann bleiben die Patienten lebenslang immunsupprimiert, ohne einen Nutzen des Eingriffs verbuchen zu können.

Romiplostim läutet Paradigmenwechsel ein

Mit Romiplostim wird laut Prof. Dr. Axel Matzdorff ein Paradigmenwechsel in der ITP-Behandlung eingeläutet. Denn es verfolgt einen grundsätzlich anderen Therapieansatz. Romiplostim, ein Fusionsprotein, das mit rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wird, wirkt ähnlich wie das natürliche körpereigene Thrombopoetin (TPO): Es stimuliert den TPO-Rezeptor, der für Wachstum und Reifung der Knochenmarkzellen benötigt wird und maßgeblich an der Thrombozytenproduktion beteiligt ist. Die EU-Zulassung stützt sich auf Daten aus zwei parallelen, placebokontrollierten Phase-III-Studien. Bei splenektomierten und nicht-splenektomierten Patienten konnten innerhalb von 24 Wochen Ansprechraten zwischen 80 und 90% mit einem spontanen Anstieg der Thrombozytenzahlen auf über 50.000/µl erreicht werden (Placebo: 0 bis 14%). Begleittherapien wie Steroide oder Azathioprin konnten bei 87% gegenüber 38% abgesetzt werden. Fast 90% der Patienten entschieden sich für eine Teilnahme an der sich anschließenden Verlängerungsstudie, die im Mittel 76 Wochen betrug. Sie belegt, dass Romiplostim die Thrombozytenzahlen auch in der Langzeittherapie aufrecht erhält. Bei den Nebenwirkungen nannte Matzdorff Schlaflosigkeit, (Romiplostim vs Placebo: 16% vs 7%), Myalgien (14% versus 2%), Schmerzen in den Extremitäten (13% versus 5%) und Bauchschmerzen (11% versus 0%). Er betonte jedoch, dass sie von den Patienten im Vergleich zur Blutungssymptomatik als nachrangig betrachtet werden. Wichtig sei, dass die Therapie von einem hämatologisch erfahrenen Arzt durchgeführt und engmaschig überwacht wird.

Als Second-line-Therapie

Indiziert ist Romiplostim für die Behandlung erwachsener, splenektomierter Patienten mit chronischer Immunthrombozytopenie, die gegenüber anderen Therapien refraktär sind. Zudem kann es für nicht-splenektomierte Patienten in Betracht gezogen werden, bei denen eine Operation kontraindiziert ist.

 

Quelle
Priv.-Doz. Dr. Mathias Rummel, Gießen/Marburg; Prof. Dr. Axel Matzdorff, Saarbrücken: "Nplate® - Die Thrombopoese-Stimulation als neuer Therapieansatz in der Behandlung der ITP", Berlin, 5. Februar 2009, veranstaltet von der Amgen GmbH, München.

 

Apothekerin Dr. Beate Fessler

Steckbrief: Romiplostim

Handelsname: Nplate

Hersteller: Amgen GmbH, München

Einführungsdatum: 1. März 2009

Zusammensetzung: Jede Durchstechflasche enthält 250 bzw. 500 μg Romiplostim. Sonstige Bestandteile: Mannitol (E 421), Sucrose, Histidin, Salzsäure (zur pH-Wert Einstellung), Polysorbat 20.

Packungsgrößen, Preise und PZN: 1 Durchstechflasche mit 250 μg: 792,49 Euro, PZN 6648759. 1 Durchstechflasche mit 500 μg: 1575,23 Euro, PZN 6307113.

Stoffklasse: Antihämorrhagika. ATC-Code: B02BX04.

Indikation: Für die Behandlung erwachsener, splenektomierter Patienten mit chronischer immun-(idiopathischer)thrombozytopenischer Purpura (ITP), die gegenüber anderen Therapien refraktär sind. Die Anwendung von Romiplostim kann als Second-line-Therapie für erwachsene, nicht splenektomierte Patienten in Betracht gezogen werden, für die eine Operation kontraindiziert ist.

Dosierung: Romiplostim wird einmal pro Woche als subkutane Injektion angewendet. Die Anfangsdosis beträgt 1 μg/kg Körpergewicht und wird so lange in Schritten von 1 μg/kg erhöht werden, bis der Patient eine Thrombozytenzahl von ≥ 50 x 109 /l erreicht hat. Die einmal pro Woche anzuwendende maximale Dosis darf 10 μg/kg nicht überschreiten.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff, gegen einen der sonstigen Bestandteile oder gegen aus E. coli stammende Proteine.

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Kopfschmerzen. Häufig: Knochenmarkstörung, Thrombozytopenie; Schlaflosigkeit; Schwindel, Parästhesie, Migräne; Rötungen; pulmonale Embolien; Übelkeit, Diarrhö, Abdominalschmerzen, Dyspepsie, Konstipation; Pruritus, Ekchymose, Rash; Arthralgie, Myalgie, Schmerzen in den Extremitäten, Muskelkrampf, Rücken-, und Knochenschmerzen; Müdigkeit, Rötung und Schmerzen an der Injektionsstelle, periphere Ödeme, influenzaähnliche Erkrankung, Schmerzen, Asthenie, Fieber, Schüttelfrost, Hämatom und Schwellung an der Injektionsstelle; Kontusion.

Wechselwirkungen: Glucocorticoide, Danazol und Azathioprin können gegebenenfalls bei gleichzeitiger Anwendung von Romiplostim reduziert oder abgesetzt werden. Wenn Romiplostim mit anderen Arzneimitteln zur Behandlung der ITP kombiniert wird, sollten die Thrombozytenzahlen überwacht werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Nach Absetzen von Romiplostim ist ein erneutes Auftreten einer Thrombozytopenie wahrscheinlich. Möglicherweise kann sich als Folge der Thrombopoetin-Rezeptorstimulation Retikulin im Knochenmark erhöhen; daher werden vor und während einer Behandlung mit Romiplostim Untersuchungen auf morphologische Abnormalitäten mit einem peripheren Blutausstrich und großem Blutbild empfohlen. Thrombozytenzahlen oberhalb des Normbereiches stellen ein theoretisches Risiko für thrombotische/thromboembolische Komplikationen dar, allerdings war die Häufigkeit dieser Ereignisse in klinischen Studien für Romiplostim und Placebo vergleichbar. Außerhalb klinischer Prüfungen sollte Romiplostim nicht für die Behandlung einer Thrombozytopenie aufgrund von anderen Erkrankungen als der idiopathischen Thrombozytopenie angewendet werden.

Romiplostim – ein Peptibody
Romiplostim ist ein Peptibody: ein Protein, das mit rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wird. Das Fusionsprotein besteht aus Peptiden und Antikörpern, unterscheidet sich aber dennoch von beiden. Der Proteinteil des Peptibody bindet an den TPO-Rezeptor und stimuliert so die Thrombopoese.

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