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Nichtraucherschutz – überall, nur nicht bei uns? (DAZ-Interview)

(daz). Nachdem sich im Sommer zunächst eine breite Zustimmung zu einem generellen Rauchverbot abgezeichnet hatte, rückte man zu Herbstbeginn schon wieder davon ab. Stattdessen setzt man weiterhin auf Freiwilligkeit und Eigeninitiative und präsentiert nun Detailverbote zum Schutz von Kindern, beispielsweise in der Wohnung und im Auto. Die DAZ sprach mit Prof. Dr. Klaus Heilmann, der sich als Arzt und Risikoforscher auch intensiv mit dem Risiko des Rauchens beschäftigt hat.

d:

Besondere Regelungen für Kinder hatten bisher in der öffentlichen Diskussion noch keine entscheidende Rolle gespielt, warum plötzlich jetzt?

Heilmann:

Weil der Staat zeigen muss, dass ihm wenigstens die Kinder am Herzen liegen, wenn es die Erwachsenen schon nicht tun. Das ist rührend. Wenn es um Kinder geht, will niemand mit seiner Verantwortung beiseite stehen.

d:

Sie selbst waren ja immer für ein striktes Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Räumen.

Heilmann:

Ich bin es immer noch, und mehr denn je. Rauchen ist eine Gesundheitsschädigung, für die Raucher wie die Mitraucher, und kann nicht durch Gedenktage, Broschüren und Appelle eingedämmt werden, sondern nur durch strikte gesetzgeberische Maßnahmen. Erst wenn die Gelegenheiten zum Rauchen drastisch reduziert werden, wird das Rauchen reduziert, was dann auch den Kindern zu Gute kommt. In allen Ländern, in denen bisher strikte Verbote eingeführt wurden, ist die Zahl der Raucher drastisch zurückgegangen, sehr zum Ärger der Zigarettenindustrie. Aus vielen Rauchern sind Nichtraucher geworden. Bei den Rauchfreikampagnen, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das Deutsche Krebsforschungszentrum alle zwei Jahre durchführen, hat jeder Dritte mit dem Rauchen aufgehört. Darunter sind sicher auch Menschen, die zuvor zu Hause und im Auto geraucht und ihren Kindern Schaden zugefügt haben.

d:

Umfassende Antirauchergesetze sind Ihrer Meinung nach also unvermeidbar?

Heilmann:

Ja, das sind sie! Und nicht nur zum Wohle der Nichtraucher, sondern auch der Raucher. In den USA, in Irland und zuletzt in Italien hat man klar gesehen, dass durch strikte Rauchverbotsgesetze die Zahl der Herzinfarkte bereits in kurzer Zeit deutlich zurückgegangen ist.

d:

Davon würde auch die Gemeinschaft der Versicherten profitieren.

Heilmann:

Ganz richtig. Die Kosten für tabakbedingte Krankheiten liegen schätzungsweise bei 17 Mrd. Euro pro Jahr. Da beklagt man ständig, dass unser Gesundheitssystem unbezahlbar geworden ist und tut auf diesem Gebiet nichts. Und wie kommt, frage ich, der nichtrauchende Bürger eigentlich dazu, neben dem Gesundheitsschaden, den er durch Mitrauchen erleidet, auch noch die bei den Rauchern entstehenden Folgekosten mit zu tragen?

d:

Die Zahl der auf Tabakqualm zurückzuführenden Todesfälle liegt bei uns bei 110.000 bis 150.000 jährlich. Wie viele gehen davon auf das Konto des Passivrauchens. Heilmann: Etwa 3500. Und man schätzt, dass davon zwischen 500 und 1000 Säuglinge sind.

d:

Die Abteilungsleiterin für Krebsvorbeugung am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, Pötschke-Langer, hat auf das Grundgesetz verwiesen, das zum Schutz des geborenen und des ungeborenen Lebens verpflichtet.

Heilmann:

Nicht nur Ungeborene, Säuglinge und Kinder, auch jeder Erwachsene hat ein Recht darauf, dass die Luft, die er atmet, nicht gesundheitsgefährdend ist. Statt für gesunde Luft etwas zu tun, hört man von Politikern so rührende Äußerungen wie: "Die Kleinen müssen die Schadstoffe ja einatmen, ohne sich wehren zu können". Nicht dass dies nicht stimmte, aber die Großen können sich in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten ebenso wenig gegen die Raucher wehren. Die WHO hat das Passivrauchen – auch das Kindern durch zu Hause rauchenden Eltern zugemutete Mitrauchen – schon vor über 15 Jahren als eine nachhaltige Bedrohung für die Nichtrauchenden angesehen und es als ein nichtakzeptables Gesundheitsrisiko betrachtet. Deshalb finde ich es gar nicht gut, dass die Diskussion jetzt auf die Kinder verlagert wird, weil man damit vom Gesamtproblem Rauchen ablenkt, das mit diesen Pseudoaktivitäten für die Kleinen nicht in den Griff zu bekommen ist.

d:

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verlangt, dass es Eltern verboten sein soll, nicht nur in geschlossenen Räumen, also der Wohnung, sondern auch im Auto in Anwesenheit von Kindern zu rauchen.

Heilmann:

Dass man im Auto nicht rauchen sollte, wenn Kinder dabei sind, sollte eigentlich jedem einleuchten. Die Schadstoffkonzentrationen in einem Personenwagen, in dem geraucht wird, liegen 30-mal höher als der Grenzwert bei der Feinstaubbelastung, über die bei der EU gerade beraten wird. Außerdem erkranken Kinder nicht nur viel häufiger an Allergien und Asthma, sie werden später oft auch selber abhängig. Aber was nützen Verbote, deren Einhaltung nicht kontrolliert werden kann? Hier setze ich ganz auf Aufklärung.

d:

Von der Sie ansonsten wenig halten.

Heilmann:

Stimmt, von wenigen Ausnahmen abgesehen. In den meisten Fällen kostet Aufklärung viel und bringt wenig. Nein, das ganze Problem des Nichtraucherschutzes kann nur durch ein umfassendes Rauchverbot in den Griff bekommen werden.

d:

Von den Kindern abgesehen wird neuerdings sogar ein generelles Rauchverbot im Auto diskutiert, angeblich zur Erhöhung der Fahrsicherheit.

Heilmann:

Alles, was man im Auto neben dem Lenken sonst noch tut – selbst normales Unterhalten –, reduziert die Aufmerksamkeit auf den Verkehr. Dies haben unzählige Untersuchungen, von denen man sich viele hätte sparen können, klar gezeigt. Weniger bekannt ist, dass das Unterlassen des Rauchens im Auto sogar zu einer Gefahr werden kann. Wenn ein starker Raucher nach einem stressreichen Arbeitstag oder in einer Ruhephase plötzlich länger nicht raucht, lässt die stressbedingte Adrenalinausschüttung und die nicotinbedingte Gefäßwirkung gleichzeitig nach, und es kann zu gefährlichen Kreislaufstörungen kommen. Nicht alles, was man zur Risikoreduzierung empfiehlt, muss sinnvoll und ungefährlich sein.

d:

EU-Gesundheitskommissar Kyprianou hat der Bundesrepublik wegen ihrer Versäumnisse beim Nichtraucherschutz rechtliche Schritte angedroht.

Heilmann:

Hoffen wir, dass er es nicht bei der Drohung belässt. Reine Luft ist ein einklagbares Grundrecht. Während nun auch das liberale Frankreich ab Februar nächsten Jahres ein weitgehendes Rauchverbot in Kraft setzt, also alle Länder um uns herum Nägel mit Köpfen machen, diskutieren wir munter weiter. Und diese Liberalität wird mit jährlich 3500 unschuldigen Opfern bezahlt.

d:

Herr Professor Heilmann, wir danken für dieses Gespräch.

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