DAZ aktuell

Die Große Koalition und der Nichtraucherschutz (Außenansicht)

Bis vor kurzem noch glaubten die meisten unserer Politiker, dass Warnen und Aufklären besser sei als Verbieten, und die Bundesregierung weigerte sich, das EU-Tabakwerbeverbot umzusetzen. Doch nun (nach dem voraussichtlichen Aus für die Tabakwerbung) wird der Ruf nach einem besseren Nichtraucherschutz immer lauter, bei den Regierungsparteien wie bei der Opposition...

Alle (fast alle, denn es gibt Hartnäckige) fordern den Nichtraucherschutz, mit schönen Worten und starken Begründungen. Allen voran unser rühriger Verbraucherschutzminister, von dem man seit der Vogelgrippe nicht mehr viel gehört hatte. Seehofer (CSU) fordert ein Rauchverbot in allen öffentlichen Einrichtungen, denn er wünscht sich nichts sehnlicher als "gesündere Luft zum Atmen". Und da so viele Menschen an den Folgen des Rauchens sterben, "sollten wir gemeinsam für mehr Nichtraucherschutz eintreten und den Mut haben, in allen öffentlichen Einrichtungen das Rauchen zu verbieten." Er verwies auf entsprechende Verbote in den USA sowie in europäischen Ländern (wie uns allen schon seit langem bekannt), und kritisiert, dass nur wir in Deutschland "weit hinterherhinken" (hat er sich da selbst kritisiert?).

Auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) unterstützt das Anliegen ihres Ministers und lässt Regierungssprecher Wilhelm sagen, dass sie dem Nichtraucherschutz persönlich seit langem "aufgeschlossen gegenüberstehe" (diplomatisch schön formuliert!).

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) spricht sich ebenso für ein Rauchverbot in öffentlichen Räumen aus wie der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der noch weiß, dass Hotels und Gaststätten "die gefährlichsten Arbeitsplätze sind, die es überhaupt gibt" (ach wirklich?). Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast fordert ein gesetzliches Rauchverbot in Restaurants und Kneipen, da freiwillige Vereinbarungen nichts brächten, ihre Stellvertreterin Bärbel Höhn verkündet, dass die Grünen einen eigenen Antrag zum Nichtraucherschutz verabschieden werden. Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Martina Bunge (Linkspartei/PDS), kündigt ein Gesetz zum Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen an und wirft der Bundesregierung Nachlässigkeit beim Schutz von Nichtrauchern vor (warum erst jetzt?).

Auch die Ministerpräsidenten von Sachsen (Georg Milbrandt, CDU) und Sachsen-Anhalt (Wolfgang Böhmer, CDU) sprechen sich für ein generelles Rauchverbot in öffentlichen Räumen aus und würden eine entsprechende Bundesratsinitiative "begrüßen" (wie schön!). Unterstützung signalisiert auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der sich für eine Debatte über ein generelles Rauchverbot "offen zeigt" (auch schön gesagt). Und die Drogenbeauftragte der Unionsfraktion, Maria Eichhorn, die noch vor kurzem auf die Eigenverantwortlichkeit der Gastwirte setzte, fordert nun plötzlich das Gesundheitsministerium auf, seine Zurückhaltung bezüglich Rauchverboten "zu überdenken." Nach der Umsetzung des Tabak-Werbeverbots müssten jetzt auch beim Nichtraucherschutz "Nägel mit Köpfen" gemacht werden (jetzt geht sie aber richtig ran!). Und was sagt Ulla Schmidt (SPD), die sich doch um unsere Gesundheit am meisten sorgen sollte? Sie sagt nichts, denn sie wolle, wie ihr Sprecher mitteilt, "abwarten, was das Parlament vorlegt".

Es gibt natürlich auch Abweichler (wie immer): Die Verbraucherschutzsprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Julia Klöckner (CDU), spricht sich gegen ein generelles Rauchverbot im öffentlichen Raum aus, und auch die SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs und Hans-Ulrich Klose sind weiterhin für eine freiwillige Regelung. Der CDU-Europaabgeordnete Georg Jarzembowski meint, dass "die Politik den mündigen Bürger akzeptieren und nicht in alle Freiräume der Menschen hineinregulieren sollte." Auch der Drogenexperte der FDP, Detlef Parr, lehnt Gesetze zum Nichtraucherschutz strikt ab: Es gebe gute Erfahrungen mit freiwilligen Vereinbarungen (ja, bei der Zigarettenindustrie).

Aber sprechen wir von den Fakten: Die Zahl der auf Tabakqualm zurückzuführenden Todesfälle liegt bei uns bei 110.000 bis 150.000 jährlich (und dies nicht erst seit gestern!), wovon etwa 3500 auf das Konto des Passivrauchens gehen. (Nebenbei: Die geschätzten Kosten für tabak–bedingte Krankheiten belaufen sich auf 17 Mrd. Euro pro Jahr).

Und obwohl inzwischen auch der Letzte weiß, dass Rauchen nicht gerade gesundheitsförderlich ist, dass Rauchen nicht irgendein, sondern das größte Risiko in unserem Leben überhaupt ist, und die Fakten seit weit über einem Jahrzehnt auf dem Tisch liegen, entdeckt die Politik in unserem Land seine Gefahren erst heute. Da wünscht sich Horst Seehofer "gesündere Luft zum Atmen", da wartet Frau Schmidt erst einmal ab, was die anderen machen, und Frau Merkel steht "dem Nichtraucherschutz aufgeschlossen gegenüber".

3500 Menschenopfer durch Passivrauchen jährlich: Das bedeutet, dass bei uns während eines Jahrzehnts politischer Untätigkeit vermutlich zwischen 30.000 und 50.000 Menschen durch unfreiwilliges Rauchen gestorben sind, die noch leben könnten, hätte man den Nichtraucherschutz ernst genommen. {au}Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisemanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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