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Deutschland – letztes Raucherparadies?

In Italien besteht seit Anfang des Jahres das schärfste Antiraucher-Gesetz Europas. In Restaurants, am Arbeitsplatz, in allen Geschäften sowie öffentlichen und privaten Büros mit Publikumsverkehr herrscht Rauchverbot. Wer dagegen verstößt, muss mit Bußgeld bis zu 500 Euro rechnen.

Irland war im März vergangenen Jahres europäischer Vorreiter beim Rauchverbot. Norwegen folgte kurz darauf. Schweden, Portugal, Spanien und Großbritannien wollen mit unterschiedlich scharfen Antiraucher-Gesetzen nachziehen. In Frankreich und Belgien gibt es Gesetze, doch werden sie kaum beachtet, in Ungarn, Rumänien, Luxemburg und der Türkei gibt es sie nicht. In Österreich setzt man auf Vereinbarungen mit dem Gaststättengewerbe: In Restaurants sollen (allmählich) mehr Nichtraucherplätze angeboten werden. Strafen für Zuwiderhandlungen sind nicht geplant, es genügt das Aushängen eines Verbotsschilds.

Und in Deutschland? Hier ist derzeit nur der Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz geregelt. Ansonsten ist die Republik ein Paradies für Raucher und wird vielleicht schon bald ein beliebtes Reiseziel rauchender Urlauber (Raucher-Tourismus) werden.

Rauchverbote an öffentlichen Orten: eine längst fällige Maßnahme oder ein Zeichen mangelnder Toleranz?

Eigentlich ist es erstaunlich, wie es dem Produkt Zigarette – vor allem bei uns – gelungen ist, trotz zunehmendem allgemeinen Risikobewusstsein alle Diskussionen und Kontroversen relativ schadlos zu überstehen. Dabei ist die Beweislast erdrückend: Rauchen hat sich zur unbestreitbar wichtigsten einzelnen Krankheits- und Todesursache entwickelt. Die Zigarette ist nicht irgendein, sondern das größte Risiko im Leben eines Rauchers überhaupt, ein Risiko, das weitgehend vermeidbar wäre. Doch der Raucher pocht darauf, über dieses Risiko selbst entscheiden zu dürfen.

Als die Anschnallpflicht in Autos zum Gesetz wurde, gab es erhebliche Widerstände dagegen. Heute ist die Gurtpflicht kein Thema mehr, die allermeisten schnallen sich an und finden es auch vernünftig. Den Unfallstatistiken ist eindeutig zu entnehmen, dass der Gurt zu einer enormen Reduzierung von schweren Verletzungen und Todesfällen geführt hat. Dennoch kann durchaus diskutiert werden, ob zur Reduzierung dieses individuellen (freiwilligen) Risikos gesetzliche Maßnahmen nötig sind. Sich nicht Anschnallen gefährdet nur einen selbst, schadet aber keinem anderen, "lediglich" die Folgekosten haben alle zu tragen.

Beim Rauchen liegen die Dinge jedoch völlig anders. Einerseits handelt es sich um ein individuelles Risiko, das den Raucher betrifft, und um ein allgemeines Risiko, für den, der unfreiwillig dem Rauch anderer ausgesetzt ist. So wie der einzelne Bürger nicht das Wasser, das er trinkt, beeinflussen kann, und der Staat somit für seine Unbedenklichkeit zu sorgen hat, so hat der Staat auch die Pflicht, für die Unbedenklichkeit der Luft, die wir atmen, Sorge zu tragen. Um die Abgase von Autos und Industrieschloten kümmert er sich schon recht gut, um die Abgase von Zigaretten an öffentlichen Orten noch kaum.

Dabei gibt es von wenigen Arbeitsplätzen abgesehen in der Umwelt keine Luft, die derart mit gesundheitsschädigenden Stoffen angereichert ist, wie die eines Rauchers: Annähernd 40 krebsauslösende Stoffe wurden bislang identifiziert. Deutschlands Raucher produzieren pro Jahr ca. 7.500 Tonnen giftige Kohlenwasserstoffverbindungen, das ist etwa zehnmal so viel wie eine moderne Müllverbrennungsanlage jährlich ausstoßen darf. Darunter leiden nicht nur die Raucher.

Nichtraucher, die mit Rauchern zusammenleben, haben ein um 40 Prozent höheres Risiko für Lungenkrebs als solche, die dies nicht tun. Für Deutschland wurde geschätzt, dass etwa 500 Nichtraucher jährlich durch Passivrauchen sterben, für die USA wird ihre Zahl mit 50.000 angegeben. 35.000 bis 40.000 Nichtraucher sterben in den USA jährlich an einer durch Passivrauchen verursachten Herz-Kreislauf-Krankheit. In Amerika wurde das Passivrauchen in die Klasse "A Kanzerogene" eingestuft, was bedeutet, dass es sich bei ihm um eine nicht zu bezweifelnde Krebsursache handelt.

Über sechs Millionen Kinder werden täglich den mit Tabakrauch verbundenen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Die WHO sieht das Passivrauchen (auch das durch rauchende Eltern zu Hause) als eine echte und nachhaltige Bedrohung für Kinder an und bezeichnet es als ein indiskutables Gesundheitsrisiko.

Sind Antiraucher-Gesetze sinnvoll? Sie sind nicht nur sinnvoll, sondern dringend notwendig. Rauchen wird nicht durch Gedenktage, Broschüren und Apelle eingedämmt, sondern nur durch strikte regulatorische Maßnahmen. Erst wenn die Gelegenheiten zum Rauchen (und für Jugendliche die Möglichkeiten zum Erwerb von Rauchwaren) drastisch reduziert werden, wird auch das Rauchen reduziert. Amerika ist mit strikten Rauchverbotsgesetzen vorangegangen, die Zahl der Herzinfarkte ist bereits deutlich zurückgegangen. Und David Byrne, der frühere EU Gesundheitsminister, teilte mit, dass rund 7.000 Iren seit vergangenem Jahr das Rauchen aufgegeben hätten und über 10.000 deutlich weniger rauchten.

Sind Rauchverbote an öffentlichen Orten, wie die Raucher den Nichtrauchern vorwerfen, ein Zeichen mangelnder Toleranz?

Ein unsinniger Vorwurf! Nicht Mitrauchen zu wollen ist kein Zeichen mangelnder Toleranz, sondern das legitime Interesse des Einzelnen, gesund und länger am Leben zu bleiben.

Passivrauchen kommt einer Körperverletzung gleich!

Klaus Heilmann

 

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

 

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