Gemeinsam gegen die Staatsmedizin

München (ghb). Bei der Eröffnung der pharmazeutischen Fachmesse Expopharm am vergangenen Freitag in München standen politische Themen im Vordergrund. So erteilten die Vertreter der Apotheker, der Arzneimittel-Hersteller und des Großhandels in ihren Grußworten der Bundesgesundheitsministerin mit ihrer Strategie "divide et impera" (teile und herrsche) eine Absage: Der Versuch, die Leistungserbringer im Gesundheitswesen gegeneinander auszuspielen, werde fehlschlagen, waren sich die Repräsentanten einig.

Niederländische Versandhändler, europäische Einmischung und schwarzrote Reformentwürfe: Die dunklen Gewitterwolken am politischen Horizont verdrängten die erfreuliche Wetterlage bei der Expopharm 2006 fast völlig. Trotz der ungünstigen Vorzeichen konnte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hermann S. Keller, erstmals seit über 50 Jahren eine völlig ausgebuchte Ausstellung vermelden. Genau 493 Aussteller (Vorjahr: 423), davon 57 aus dem Ausland, bedeuteten einen Rekord in der Geschichte der Messe, rund 20.000 Besucher erwarteten die Veranstalter. Doch nach einer kurzen Präsentation dieser Erfolgszahlen kam Keller schnell zu dem, was alle Apotheker derzeit zutieftst bewegt: Die Reformentwürfe der schwarz-roten Koalition.

80 Prozent Einkommensverlust

Rund 1,5 Milliarden Euro Einsparungen sollen die Apotheker nach den Wünschen der schwarz-roten Politiker realisieren, so Keller – also rund 60.000 Euro pro Apotheke und Jahr. Und das ohne die Möglichkeit, auf der Kostenseite entsprechende Einsparungen zu realisieren (denn die ist ihnen ja gerade per Gesetz genommen worden). Anders ausgedrückt bedeuteten die Reformpläne einen Einkommensverlust von durchschnittlich 80% für jede Apotheke in Deutschland. Eine klar erkennbare Linie zieht sich durch die deutsche Gesundheitspolitik, erklärte Keller: Seit Jahren werde den Apotheken die Finanzkraft entzogen, und jetzt hole man zum finalen Schlag aus.

DocMorris gefährdet Apothekenstruktur

Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Hans-Georg Hoffmann, erklärte in seiner Ansprache die große Betroffenheit der Herstellerseite über die Reformpläne der Regierung und die Vorkommnisse rund um DocMorris. Die Betriebserlaubnis für die niederländische Kapitalgesellschaft habe große Tragweite: Man müsse diesen (kurzzeitigen) Versuch als Teil einer großen Bewegung zur Veränderung der Apothekenstruktur in ganz Europa sehen.

Nicht nur das gegen Italien eingeleitete Vertragsverletzungverfahren der EU wegen des Fremd- und Mehrbesitzverbotes könnte für Deutschland Konsequenzen haben; auch werde gegen Österreich und Spanien von der EU seit Juni des Jahres wegen des Fremdbesitzverbotes ermittelt. Was das für das deutsche Apothekensystem bedeuten könnte, werde am Beispiel Italiens deutlich, wo die Regierung bereits ab August die Abgabe von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auch außerhalb der Apotheke zugelassen hat.

Abschied derLeistungsträger

Wohin diese strukturellen Veränderungen noch führen können, machte der Vorsitzende des Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), Andreas Barner, deutlich: Staatsmedizin pur! "Immer höhere Belastungen bei immer weniger Qualität - Leidtragende sind die Patienten, aber auch Hersteller und Apotheker", resümierte Barner. Statt der derzeitigen Pläne forderte der VFA-Chef eine echte Gesundheitsreform, die Ineffizienz und Zwei-Klassen-Medizin bekämpft und echte Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten beinhaltet. Vielmehr aber plane die Regierung, über einen verkorksten Gesetzentwurf die Leistungserbringer finanziell weiter uszusaugen.

Als einen besonders schweren Fauxpas sieht der VFA hier die Errichtung einer "Vierten Hürde" bei der Arzneimittelzulassung. So sei entgegen den viel bemühten "Reformeckpunkten" der Regierung zu befürchten, dass die Gesundheitsreform mit der geplanten Kosten-Nutzen-Bewertung, die sich laut Barner nicht an internationale Standards hält, zu einem GKV-Preiskorsett führen werde. Hier sprach der hauptberufliche Sprecher der Unternehmensleitung beim Arzneimittelhersteller Boehringer Ingelheim eine klare Warnung aus: Werde sich Deutschland weiter am untersten Ende der Preisskala bei Medikamenten bewegen, werde die Forschung und Entwicklung hier immer unrentabler. Auf Dauer könne man nicht in Deutschland Arzneimittel entwickeln, wenn gleichzeitig der Markt ausgetrocknet wird.

Wo sind all die Ziele hin?

Wie sehr sich die neue "Reform" von ihren Ursprüngen entfernt hat, machte der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Michael Popp klar. Vor langer Zeit einmal habe man das Ziel gehabt, die deutschen Lohnkosten von den steigenden Gesundheitskosten zu entlasten – das habe die Politik inzwischen lange aus den Augen verloren.

Stattdessen treibe man mit dem verschärften Wettbewerb durch die geplante Höchstpreisregelung viele kleine Hersteller an den Rand des Ruins. Wenn dann die großen Konkurrenten ihre kleinen Wettbewerber auffressen, seien als langfristige Folge Oligopole in der Arzneimittelherstellung und damit höhere Preise zu befürchten - genau das Gegenteil dessen, was durch die Pläne der Regierung beabsichtigt war.

Reform mit Risiken und Nebenwirkungen

Dass seine Verbandsmitglieder uneingeschränkt hinter dem Verbot des Fremd- und Mehrbesitzverbotes stehen und damit die Apotheker unterstützen, erklärte Ulrich von der Linde, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der pharmazeutischen Großhändler (PHAGRO). So sei die vorläufige Schließung des Saarbrücker Versandablegers ein Grund zu großer Freude gewesen. Diese Freude habe allerdings angesichts der jüngsten Reformpläne der großen Koalition nicht lange angehalten.

Denn diese Reform werde die Kosten aus Sicht des Großhandels eher steigen lassen: Neben der zusätzlichen Belastung durch die Mehrwertsteuererhöhung ab dem nächsten Jahr werde ein weiteres Detail besonders teuer werden: Da in den Reformplänen die Möglichkeit zur Speicherung der Lieferdaten massiv beschnitten wird, sähen sich die Großhändler bei Umsetzung der Entwürfe gezwungen, bei der Lieferung von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf die weitaus teurere Direktbelieferung umzustellen.

Die schwarz-rote Gesundheitsreform – sie könnte ein teures Vergnügen werden, wie der DAV-Vorsitzende Keller resümierte: "Wenn die Politik diesen Weg weitergeht, wird sie bald erkennen müssen, dass nichts so einfach und lustvoll zu produzieren ist wie Kosten".

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