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Union propagiert "Ehrlichkeit"

BERLIN (ks). Als eine "Richtungsentscheidung für Deutschland" und ein "Programm ganz neuen Stils" präsentierten die Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, und CSU-Chef Edmund Stoiber am 11. Juli in Berlin ihr "Regierungsprogramm 2005 – 2009". Wachstum, Arbeit und Sicherheit lauten die Schlagworte. Eines der großen Ziele ist es, wieder mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen – gelingen soll dies unter anderem mit Hilfe sinkender Lohnnebenkosten: So soll die Erhöhung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes auf 18 Prozent niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung möglich machen und das Gesundheitsprämiensystem den Arbeitgeberanteil dauerhaft festschreiben.

Stoiber sprach von einem "ehrlichen Wahlprogramm", das "konkret und präzise" sei: "Die Bürger wissen mit dem Unionsprogramm, was wir wann in Angriff nehmen", erklärte der CSU-Vorsitzende. Zudem sei das Programm "voll durchgerechnet" und "solide finanziert". Es sei damit das "klare Gegenmodell zum Märchenprogramm der SPD".

Höhe der Gesundheitsprämie weiterhin ungewiss

Was die Reformen im Gesundheitswesen betrifft, so haben sich die Autoren des 39-seitigen Programms das Rechnen allerdings zugunsten der Ehrlichkeit erspart. Auch das "wann" bleibt offen. Im Herbst letzten Jahres war die Union noch von einer persönlichen Prämie in Höhe von monatlich 109 Euro und einer festgeschriebenen Arbeitgeberprämie von 6,5 Prozent ausgegangen. Diese Zahlen werden im Wahlprogramm nicht mehr genannt. Merkel erklärte, dass sich die Prämie stets nur auf einen bestimmten Zeitpunkt beziehen könne. Was letzten Herbst galt, habe sich mittlerweile sicher schon verändert.

Auch wenn die konkreten Zahlen fehlen – die Methode der Prämie sei im Programm genau beschrieben, betonte Merkel. Jede Krankenkasse soll für jeden Erwachsenen eine Gesundheitsprämie als kostendeckenden Beitrag erhalten. Dieser wird aus der persönlichen und der dauerhaft begrenzten Arbeitgeberprämie gespeist. Für Geringverdiener greift automatisch ein sozialer Ausgleich. "Niemand zahlt bei Einführung der solidarischen Gesundheitsprämie mehr als bisher", verspricht das Programm. Die Versicherung von Kindern soll aus Steuermitteln finanziert werden. Wann die Systemumstellung erfolgen soll, sei noch nicht genau zu sagen, erklärte Merkel. Voraussichtlich werde sie im Laufe des Jahres 2007 oder 2008 kommen.

Mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen

Neben der Finanzreform setzt die Union auf weitere Strukturreformen im Gesundheitswesen: Wettbewerb lautet das Zauberwort – dieser müsse auch unter "Ärzten, Krankenhäusern, Arzneimittelherstellern und Apotheken deutlich gestärkt werden", heißt es im Programm. In die Kassenlandschaft soll ebenfalls mehr Wettbewerb einziehen. So müssten die Kassen mehr unterschiedliche und am Versicherten orientierte Tarife anbieten. Zudem sei angestrebt, den Wechsel von einer privaten Krankenversicherung zur anderen zu erleichtern, indem Alterrückstellungen übertragen werden können.

Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung

Auch bei der Reform der sozialen Pflegeversicherung bleibt das Unions-Programm vage. Klar ist, dass sie erhalten und weiterentwickelt werden soll. Dabei soll der häuslichen gegenüber der stationären Pflege Vorrang eingeräumt werden. Auch Prävention und Rehabilitation sollen vor pflegerischen Maßnahmen stehen. Was Zeitpunkt und Finanzierung betrifft, heißt es lediglich, dass "in dieser Legislaturperiode mit der Einführung einer Kapitaldeckung" begonnen werde.

Steuerreformen ohne Netto-Entlastung

Hinsichtlich der Reformen im Steuerrecht ist die Union vom "Bierdeckel-Konzept" ihres früheren Fraktionsvize Friedrich Merz abgerückt. Merkel räumte ein, dass sie keine Entlastungen versprechen könne. Dafür bestehe angesichts der Krise der öffentlichen Haushalte vorerst kein Spielraum. Allerdings soll der Eingangssteuersatz auf zwölf und der Spitzensteuersatz auf 39 Prozent abgesenkt werden. Damit der Staat am Ende nicht weniger erhält, sollen viele steuerliche Ausnahmetatbestände wegfallen. Großverdiener sollen sich keine Schlupflöcher mehr suchen können, sondern den Höchststeuersatz auch zahlen, betonte Merkel.

Höhere Mehrwertsteuer – geringere Beiträge

Ein weiterer Punkt des Programms ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, der etwa für Lebensmittel und Bücher gilt, soll "aus Gründen der sozialen Balance" erhalten bleiben. Im Gegenzug soll die Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Auch die Länder – die eigentlich hälftig am Mehrwertsteueraufkommen beteiligt sind – sollen möglichst ein Stück von ihrem Kuchen abgeben. Sie werden "den Finanzierungsnotwendigkeiten zur Absenkung der Lohnzusatzkosten Rechnung tragen", heißt es im Programm. Stoiber stellte aber klar, dass die Länder einen Teil des Steueraufkommens auch zur Haushaltskonsolidierung verwenden können. Die Neuerungen sollen im Falle eines Wahlsieges der Union zeitgleich zu Jahresbeginn 2006 in Kraft treten.

FDP auf Konfrontationskurs

Reibereien mit dem bereits gekürten Koalitionspartner FDP sind damit vorprogrammiert. Die Liberalen machten erneut deutlich, dass sie die Pläne zur Mehrwertsteuererhöhung entschieden ablehnen. "Dafür werden wir unsere Hand nicht reichen", sagte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Zugleich räumte er allerdings ein, dass die FDP nicht den Fehler begehen werde, für ein Bündnis "irgendeine Frage zu einer zwingenden Bedingung zu machen". Auch das Steuerprogramm stößt bei den Liberalen auf wenig Gegenliebe: Die Vorschläge gingen zwar in die richtige Richtung, seien aber "insgesamt mutlos und inkonsequent", erklärte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Hermann Otto Solms.

Schmidt: Unionsvorstellungen führen in die Sackgasse

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt erklärte, die sozialpolitischen Reformvorstellungen der CDU/CSU seien "keine Zukunftsideen, sondern Sackgassen". So müssten in der Gesundheitspolitik ganze Leistungspakete künftig privat finanziert werden. Für die Kopfprämie allein müsste die Mehrwertsteuer weit über die 18 Prozent angehoben werden, erklärte Schmidt. Die soziale Pflegeversicherung, fürchtet die Ministerin, würde zum Geschäft der Privatversicherung.

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