Arzneimittel und Therapie

Neuer antiretroviraler Wirkstoff: Emtricitabin mit langer Halbwertszeit

Zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember führte Gilead Sciences einen neuen nukleosidalen Reverse Transkriptase-Inhibitor ein, der eigens für die einmal tägliche Gabe entwickelt wurde. Emtricitabin (FTC, Emtriva™) ist zur Behandlung der HIV-Infektion bei Erwachsenen und Kindern in Kombination mit anderen antiretroviralen Wirkstoffen zugelassen. Das Cytosin-Analogon Emtricitabin steht als Kapsel (200 mg) und voraussichtlich ab Mitte 2004 auch als Lösung zum Einnehmen (10 mg/ml) zur Verfügung. Emtricitabin ist gut verträglich und wird nur einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen.

Klinische Phase-III-Studien mit antiretroviral vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten haben die Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffs belegt. Die Zulassung beruht auf den Ergebnissen zweier Phase-III-Studien über 48 Wochen, die eine vergleichbare bzw. bessere Wirksamkeit gegenüber den jeweiligen Vergleichssubstanzen zeigten.

Im Rahmen einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden Studie wurde Emtricitabin (FTC) insgesamt bei 571 nicht vorbehandelten Patienten mit Stavudin (d4T) verglichen. Die Patienten wurden mit FTC (einmal täglich) oder d4T (zweimal täglich), jeweils in Kombination mit Didanosin (ddI) und Efavirenz (EFV), behandelt. Die Studie wurde aufgrund signifikanter Überlegenheit des FTC-Arms hinsichtlich Senkung der Viruslast und Anstieg der CD4-Zellzahl frühzeitig entblindet; allen Patienten des d4T-Armes wurde eine Aufnahme in den FTC-Arm angeboten.

Erhalt der Virussuppression bei Vereinfachung einer stabilen HAART

In einer zweiten Phase-III-Studie mit 440 HIV-infizierten Patienten wurde die Wirksamkeit von Emtricitabin und Lamivudin (3TC) miteinander verglichen. In diese Studie wurden Patienten mit einer 3TC-haltigen HAART aufgenommen, deren Viruslast seit mindestens 12 Wochen unter der Nachweisgrenze von 400 Kopien/ml lag. Die Patienten wurden 2 : 1 randomisiert, bei zwei Drittel der Patienten wurde Lamivudin (zweimal täglich) durch einmal täglich Emtricitabin ersetzt. Die 48-Wochen-Daten zeigen eine vergleichbare Wirksamkeit der beiden Substanzen. Die Virussuppression bleibt bei einer Umstellung von 3TC auf Emtricitabin erhalten.

Extrem lange Halbwertszeit ermöglicht Einmalgabe

Der nukleosidale Reverse Transkriptase-Inhibitor Emtricitabin ist ein synthetisches Nukleosid-Analogon von Cytosin. Es wird nach oraler Anwendung rasch und extensiv resorbiert und erreicht maximale Plasmakonzentrationen ein bis zwei Stunden nach der Einnahme.

Die absolute Bioverfügbarkeit von Emtricitabin aus Emtriva™ 200 mg Hartkapseln wird auf 93% und die absolute Bioverfügbarkeit aus Emtriva™ 10 mg/ml Lösung zum Einnehmen auf 75% geschätzt. Emtricitabin wird nur in geringem Umfang metabolisiert: Die Biotransformation umfasst die Oxidation des Thiol-Anteils zu 3'-Sulfoxid-Diastereomeren sowie die Konjugation mit Glucuronsäure. Emtricitabin wird primär über die Nieren eliminiert, wobei die Dosis vollständig mit dem Urin (ca. 86%) und der Fäzes (ca. 14%) ausgeschieden wird.

Die Pharmakokinetik von Emtricitabin ist in einem Dosisbereich von 25 bis 200 mg nach einmaliger oder wiederholter Anwendung proportional zur Dosis. Die intrazelluläre Triphosphat-Konzentration stieg mit der Dosis an, erreichte jedoch bei Dosen von 200 mg oder mehr ein Plateau. Die intrazelluläre Halbwertszeit des aktiven Triphosphats von Emtricitabin beträgt 39 Stunden.

Die Plasmaspiegel liegen im Steady State 84 Stunden über der IC90, sodass die antiretrovirale Wirkung auch bei nicht exakter Medikamenten-Einnahme erhalten bleibt. Wegen der extrem langen Plasma- und intrazellulären Halbwertszeit kann Emtricitabin einmal am Tag eingenommen werden. Durch die Reduktion der Anzahl an Tabletten, die der Patient täglich einnehmen muss und eine verbesserte Verträglichkeit kann die Therapie-Adhärenz, die einen wichtigen Faktor für den Erfolg der antiretroviralen Therapie darstellt, erhöht werden.

Sicherheitsprofil von Emtricitabin

Das Cytosina-Analogon Emtricitabin wirkt spezifisch gegen das Humane Immundefizienzvirus (HIV-1 und HIV-2) sowie gegen das Hepatitis-B-Virus (HBV). Emtricitabin wird durch zelluläre Enzyme zu Emtricitabin-5'-Triphosphat phosphoryliert. Diese aktivierte Form hemmt die Reverse Transkriptase von HIV-1 kompetitiv: Die Reverse Transkriptase erkennt es als Substrat und baut es in die virale DNA ein. Dadurch können keine weiteren Nukleotide angereiht werden, es kommt zum Kettenabbruch der DNA und die Virusreplikation ist unterbrochen.

Emtricitabin hemmt die DNA-Polymerasen α, β und ε und die mitochondriale DNA-Polymerase γ von Säugetieren nur geringfügig. In vitro konnte unter Emtricitabin keine Zytotoxizität gegenüber Monozyten des peripheren Blutes, etablierten Zell-Linien von Lymphozyten und Monozyten-Makrophagen oder Knochenmark-Stammzellen beobachtet werden, es gab weder in vitro noch in vivo Hinweise auf mitochondriale Toxizität.

Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Kopfschmerzen, Diarrhö, Übelkeit und erhöhte Kreatinkinase-Werte. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden anhand von drei Studien mit erwachsenen HIV-Patienten (n = 1479) und zwei Studien mit pädiatrischen Patienten zwischen vier Monaten und 18 Jahren (n = 114) ausgewertet.

Studie untersucht Emtricitabin bei chronischer Hepatitis B

In klinischen Prüfungen der Phase I, II und III wurden bisher mehr als 2000 HIV-Patienten mit Emtricitabin über einen Zeitraum von 10 Tagen bis zu 200 Wochen behandelt. Zurzeit wird die Wirksamkeit und Sicherheit von Emtricitabin bei der Behandlung der chronischen Hepatitis B in Studien untersucht, und es laufen eine Reihe von weiteren Studien in der antiviralen Kombinationstherapie:

  • Phase-II-Studie M02-418: In dieser von Abbott Laboratories durchgeführten Studie wird die einmal tägliche Gabe des geboosterten Protease-Inhibitors Lopinavir/Ritonavir mit dessen zweimal täglicher Gabe, jeweils in Kombination mit Emtricitabin und dem NRTI Tenofovir (Viread®), verglichen.
  • Phase-I/II-Studie PACTG-1021: Diese noch laufende, frühe Studie untersucht weiterhin die Wirksamkeit, Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik von Emtricitabin bei Kindern in Kombination mit Didanosin und Efavirenz.
  • Phase-III-Studie 350: In diese Studie wurden 164 mit Lamivudin vorbehandelte Patienten aus der Studie 303 aufgenommen und die Therapie von Lamivudin auf Emtricitabin umgestellt.
  • Phase-III-Studie 301: Die Studie 301 wurde als offene Studie ausgeweitet, um 381 Patienten, die zuvor im Rahmen der doppelblinden Studie eine Kombination mit Stavudin erhielten, die Umstellung auf eine Emtricitabin-haltige Therapie zu ermöglichen. Der Behandlungsarm mit Stavudin wurde frühzeitig entblindet, da die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Emtricitabin signifikant besser war.

Gilead Sciences erforscht zurzeit die Pharmakokinetik und Stabilität einer fixen Kombination von Emtricitabin und Tenofovir Disoproxilfumarat. Diese Kombination wird voraussichtlich als eine Tablette zur einmal täglichen Gabe 2006 auf den europäischen Markt kommen.

HIV-Infektion – ein Angriff auf das menschliche Immunsystem

Das HI-Virus (Human Immunodefiency Virus) wird über Blut, Samen- und Scheidenflüssigkeit sowie über die Muttermilch übertragen. Hauptinfektionswege sind ungeschützter Geschlechtsverkehr und das gemeinsame Benutzen von infizierten Spritzen beim Drogenkonsum.

Das HI-Virus schwächt das Immunsystem des Menschen, indem es in T-Helferzellen, die CD4-Zellen, eindringt, sich dort vermehrt und die Zellen schließlich zerstört. Wie bei allen Retroviren liegt auch die Erbsubstanz des HI-Virus als RNA vor. Sie wird mit Hilfe der viruseigenen Reversen Transkriptase in DNA umgeschrieben und danach in die wirtseigene DNA integriert. Nach dem Einbau der viralen DNA produziert die CD4-Zelle HI-Viren. Aus Virus-Vorläuferproteinen spaltet die HIV-Protease Proteine, die sich zu funktionsfähigen und infektiösen Viren zusammensetzen. Die Viren verlassen die Wirtszelle und infizieren weitere T-Helferzellen. Pro Tag können bis zu 10 Milliarden neuer Viren produziert werden.

Das wichtigste Ziel der HIV-Therapie ist es, die Virusvermehrung so weit wie möglich zu unterdrücken, damit sich das Immunsystem erholen kann und das Stadium Aids so lange wie möglich verzögert wird. Als Maß der viralen Replikation dient die Menge der Viruspartikel im Blut. Die Nachweisgrenzen liegen heute mit den handelsüblichen Assays bei 50 HIV-RNA-Kopien/ml Blut und mit ultrasensitiven Methoden unter 20 Kopien/ml.

Ist die Viruslast mithilfe der antiretroviralen Medikamente unter die Nachweisgrenze gesunken, steigt die Anzahl der CD4-Zellen mit der Zeit wieder. Auch wenn das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar ist, sind die Patienten nach wie vor infiziert, denn eine Eradikation des Virus, das heißt eine Heilung, ist nach wie vor nicht möglich.

Aids ist nach wie vor nicht heilbar

Aids ist das tödlich verlaufende Endstadium der jahrelang vorausgegangenen, meist symptomlosen HIV-Infektion. Die Patienten sterben oft an einer lebensbedrohlichen opportunistischen Infektion mit Mikroorganismen, die Menschen mit einem gesunden Immunsystem nicht erkranken lassen. Einige Wochen nach der Ansteckung treten in der akuten Phase meistens Grippe-ähnliche Symptome und Lymphknoten-Schwellungen auf, die nach wenigen Tagen wieder abklingen. Das Immunsystem ist noch intakt und kann zerstörte CD4-Zellen durch neue ersetzen.

Im mehrere Jahre andauernden, symptomfreien Latenzstadium befinden sich Virus-Vermehrung und Neubildung von CD4-Zellen im Gleichgewicht. Die CD4-Zellen liegen wie auch bei HIV-negativen Personen zwischen 500 und 1500 CD4-Zellen/mm³. Die Schwächung des Immunsystems schreitet jedoch voran und es können immer weniger T-Helferzellen nachgebildet werden. Sinkt die CD4-Zellzahl unter 400 Zellen, treten erste opportunistische Infektionen auf wie Candida, Pneumocystis und Herpes Zoster sowie Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust. Das Vollbild Aids ist erreicht, wenn die Anzahl der T-Helferzellen auf einen kritischen Wert unter 200 Zellen/mm3 sinkt. Wiederholte Infekte auch mit weiteren Keimen wie Toxoplasmose, CMV und Mykobakterien und/oder das Auftreten von malignen Tumoren wie Kaposi-Sarkomen und Lymphomen charakterisieren das Vollbild Aids.

Zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember führte Gilead Sciences einen neuen nukleosidalen Reverse Transkriptase-Inhibitor ein, der eigens für die einmal tägliche Gabe entwickelt wurde. Emtricitabin (Emtriva) ist zur Behandlung der HIV-Infektion bei Erwachsenen und Kindern in Kombination mit anderen antiretroviralen Wirkstoffen zugelassen. Das Cytosin-Analogon steht als Kapsel (200 mg) und voraussichtlich ab Mitte 2004 auch als Lösung zum Einnehmen (10 mg/ml) zur Verfügung. Emtricitabin ist gut verträglich und wird nur einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen. 

Einführung verschiedener HIV-Medikamentenklassen Juni 1981 → erste Aids-Fälle 1983 → erste HIV-Isolate März 1987 → erster Reverse Transkriptase-Inhibitor (Zidovudin) Dezember 1995 → erster Protease-Inhibitor (Saquinavir) Juni 1996 → erster nicht-nukleosidischer Reverse Transkriptase-Inhibitor (Nevirapin) Februar 2002 → erster nukleotidischer Reverse Transkriptase-Inhibitor (Tenofovir) März 2003 → erster Fusions-Inhibitor (Enfuvirtid)

Antiretrovirale Medikamente Für die antiretrovirale Kombinationstherapie einer HIV-Infektion stehen heute Medikamente aus vier Substanzklassen zur Verfügung.

Die nukleotidalen und nukleosidalen Reverse Transkriptase-Inhibitoren (NtRTI und NRTI) hemmen die Funktion der viruseigenen Reversen Transkriptase. Dieses Schlüsselenzym schreibt die HIV-RNA in HIV-DNA um. Da die Substanzen den natürlichen Nukleotiden ähneln, erkennt die Reverse Transkriptase sie als Substrat und baut sie in die virale DNA ein. Dadurch können keine weiteren Nukleotide angereiht werden, es kommt zum Kettenabbruch der DNA und die Virusreplikation ist unterbrochen.

In der Europäischen Union sind ein nukleotidaler Reverse Transkriptase-Inhibitor – Tenofovir Disoproxil (Viread®) – und sieben NRTI zugelassen: Abacavir (Ziagen™), Emtricitabin (Emtriva®), Didanosin (Videx®), Lamivudin (Epivir™), Stavudin (Zerit®), Zalcitabin (HIVID® Roche) und Zidovudin (Retrovir®).

Die nicht-nukleosidalen Reverse Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) hemmen die Aktivität der viralen Reverse Transkriptase, indem sie das aktive Zentrum des Enzyms blockieren und verhindern, dass die natürlichen Substrate binden können. Insgesamt sind zurzeit zwei nicht-nukleosidale Reverse Transkriptase-Inhibitoren zugelassen: Efavirenz (Sustiva®) und Nevirapin (Viramune®).

Die Protease-Inhibitoren (PI) setzen zu einem späteren Zeitpunkt der Virusvermehrung in der CD4-Zelle an. Sie blockieren das aktive Zentrum der viralen Protease, die für die Reifung der Viren verantwortlich ist.

Das Enzym kann somit nicht mehr die viralen Vorläuferproteine in fertige Proteine spalten und es entstehen keine reifen, infektiösen HI-Viren mehr. Zurzeit sind sechs PI zugelassen: Amprenavir (Agenerase™), Indinavirsulfat (Crixivan®), Lopinavir (Kaletra®), Nelfinavir (Viracept®), Ritonavir (Norvir™) und Saquinavi (Fortovase®, Invirase®).

Fusions-Inhibitoren gehören zu einer neu entwickelten Wirkstoffklasse. Sie verhindern, dass HI-Viren in CD4-Zellen eindringen können. Ein kleines Peptid blockiert dabei die Fusion des Virus mit der Zellmembran, indem es an das Oberflächen-Glykoprotein gp-41 der HIV-Hülle bindet.

Bisher ist ein Vertreter dieser neuen Substanzklasse zugelassen: Enfuvirtid (Fuzeon®) wird nicht wie die anderen HIV-Medikamente oral als Tablette oder Kapsel eingenommen, sondern muss zweimal am Tag gespritzt werden.

Aids-Beratungs-Telefon Das Aids-Beratungs-Telefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat eine neue Rufnummer:

0 18 05 / 55 54 44 (12 Cent/Minute)

Die Beratungszeiten sind Montag bis Donnerstag von 10.00 bis 22.00 Uhr und Freitag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Wichtige Internetseiten zum Thema Aids: www.bzga.de/studien www.gib-aids-keine-chance.de www.machsmit.de www.loveline.de

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