Fortbildung

Antiretrovirale Therapie: Betreuung von HIV-Patienten in der Apotheke

Mehr als 20 antiretrovirale Wirkstoffe aus vier Substanzklassen sind zurzeit zur Therapie der HIV-Infektion zugelassen. Durch die Vielzahl der möglichen Kombinationen ist eine sehr individuelle Therapie möglich. Eine kompetente Beratung in der Apotheke kann diese wirkungsvoll unterstützen.

Die Möglichkeiten der Betreuung von HIV-Patienten in der Apotheke reichen von Hinweisen zur Zubereitung und Aufbewahrung der Arzneimittel und zu Art und Zeitpunkt der Einnahme bis hin zur Beratung beim Auftreten von Nebenwirkungen sowie Interaktions-Checks.

Reverse-Transkriptase-Inhibitoren

Die größte Klasse der antiretroviralen Substanzen bilden die Nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI), z. B. Zidovudin, Lamivudin, Abacavir, Didanosin, Stavudin. NRTI blockieren nach intrazellulärer Aktivierung die Reverse Transkriptase des HI-Virus und verhindern damit das Umschreiben der Virus-RNA in die DNA. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Anämie, Leukopenie und Kopfschmerzen, unter Langzeit-Anwendung auch Lipodystrophie.

Bei Abacavir (Ziagen®) ist besonders zu beachten, dass ein Hypersensitivitätssyndrom mit Symptomen wie z. B. Fieber, Hautausschlag, Erbrechen, Durchfall oder Kurzatmigkeit auftreten kann. In diesem Fall muss der Patient sofort den behandelnden Arzt aufsuchen. Wurde Abacavir (das auch in den Kombinationspräparaten Kivexa® und Trizivir® enthalten ist) aufgrund einer Hypersensitivitätsreaktion abgesetzt, darf es auf keinen Fall erneut angewendet werden.

Die Nicht-nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) Delavirdin, Efavirenz und Nevirapin wirken durch direkte Blockade des aktiven Zentrums des Enzyms. Auch bei dieser Wirkstoffklasse können schwere Hautreaktionen (Exanthem) auftreten. NNRTI werden im Rahmen einer Kombinationstherapie (z. B. zwei NRTI plus ein NNRTI) eingesetzt. Delavirdin (Rescriptor®) ist in den USA, jedoch noch nicht in Deutschland zugelassen. Efavirenz (Sustiva®) muss vor dem Schlafengehen eingenommen werden.

Proteasehemmer

Die Proteasehemmer (z. B. Indinavir, Saquinavir, Ritonavir, Amprenavir, Atazanavir) hemmen selektiv ein anderes Virus-Enzym, die HIV-Protease. Sie verhindern dadurch in infizierten Zellen die Bildung reifer Virionen und damit die Infektion weiterer Zellen.

Eine häufige Nebenwirkung von Indinavir (Crixivan®) ist die Bildung von Nierensteinen. Daher ist es unbedingt notwendig, unter der Einnahme dieses Proteasehemmers viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen (möglichst 2 bis 3 Liter pro Tag). Beim Ritonavir-Präparat Norvir® sollte bei der Abgabe speziell darauf hingewiesen werden, dass die Kapseln im Kühlschrank zu lagern sind. Das Aufbewahren der demnächst zu verbrauchenden Kapseln ohne Kühlung (z. B. auf einer Reise) ist jedoch problemlos möglich.

Zu beachten sind bei den Proteasehemmern weiterhin die möglichen Interaktionen mit anderen Wirkstoffen, die ebenfalls über CYP3A4 abgebaut werden (z. B. Statine, Mutterkorn-Alkaloide). In antiretroviralen Kombinations-Schemata wird diese Wechselwirkung gezielt genutzt ("Boostern"): So hemmt Ritonavir den Abbau von Saquinavir und erhöht damit dessen Bioverfügbarkeit.

Nachschulung in der Apotheke sinnvoll

Aus der Klasse der Fusionsinhibitoren ist bisher nur Enfuvirtid (Fuzeon®) in Deutschland zugelassen. Da sich der Patient das Präparat selbst subkutan injizieren kann, besteht hoher Erklärungsbedarf. Obwohl die Patienten in der Arztpraxis dementsprechend geschult werden, zeigt sich häufig, dass eine Nachschulung in der Apotheke sehr sinnvoll ist. Häufig treten bei Anwendung von Fuzeon® Reaktionen an der Injektionsstelle wie Verhärtungen und Ausschlag auf. In diesem Fall kann dem Patienten ein "Coldpack" bzw. eine Salbe mit einem Antihistaminikum empfohlen werden.

Nebenwirkungs-Tagebuch führen

Die Praxis hat gezeigt, dass das Führen eines Nebenwirkungs-Tagebuchs sehr hilfreich ist. Die Aufzeichnungen können das Gespräch mit dem Arzt erleichtern und dadurch die Therapiesicherheit erhöhen, möglicherweise aber auch die Angst der Patienten vor unerwünschten Wirkungen verringern.

AIDS-Prävention weiterhin wichtig

Obwohl die antiretrovirale Therapie zu einem deutlichen Sinken der Morbidität und Mortalität geführt hat, ist die AIDS-Gefahr keineswegs gebannt. Besonders in Risikogruppen steigt die Prävalenz derzeit wieder an. Daher sollte im Bemühen um effektive Prävention nicht nachgelassen werden. 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

 

Quelle 
Dr. med. Christiane Cordes, Berlin, Apothekerin Claudia Neuhaus, Berlin: „HIV – Aktuelles zur Therapie und Betreuung der Patienten“. Referate auf einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Berlin und der Ärztekammer Berlin zur Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit am 19. Oktober 2005 in Berlin.

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