Arzneimittel und Therapie

HIV-Management: Individuelle Therapie ist Erfolg versprechend

Schwerpunkte der aktuellen Aids-Forschung sind unter anderem neue Therapierichtlinien, Behandlungsstrategien mit geboosterten Protease-Inhibitoren, die Behandlung opportunistischer Infektionen, Resistenzentwicklungen sowie Langzeitnebenwirkungen einer antiretroviralen Therapie Ų zentrale Probleme im modernen HIV-Management.

Neue Erkenntnisse über Resistenzmechanismen, Langzeitwirkungen einer antiretroviralen Therapie und neu definierte Therapieziele führten zur Ausarbeitung aktualisierter Therapierichtlinien. In den letzten zwei Jahren wurden acht internationale Richtlinien aufgestellt, in denen die Grundzüge einer HIV-Therapie zusammengefasst sind. Diese Richtlinien sind nicht identisch, weisen aber dieselben Kernaussagen auf:

  • Alle Patienten mit einer symptomatischen HIV-Erkrankung sollten antiretroviral therapiert werden. Dasselbe gilt für Patienten mit einer CD4-Zellzahl unter 200 Zellen/µl.
  • Patienten mit einer nicht nachweisbaren Viruslast, das heißt weniger als 55 000 Kopien/ml und einer CD4-Zellzahl über 350 Zellen/µl müssen nicht antiretroviral therapiert werden.
  • Der Bereich zwischen 200 und 350 CD4-Zellzahlen ist ein Grenzbereich, bei dem Arzt und Patient sich für oder gegen eine Therapie entscheiden können. Eine Viruslast von mehr als 55 000 Kopien ist mit einem Risiko für eine Krankheitsprogression assoziiert; in diesem Fall besteht eine relative Behandlungsindikation.
  • Zwei Therapieregime gelten derzeit als Standard: ein PI-basiertes und eine NNRTI-basiertes Regime. Beim PI-basierten Regime wird eine Kombination aus Lopinavir/Ritonavir mit entweder Lamivudin (Epivir®, Zeffix®) oder Emtricitabin (Emtriva®) und entweder Zidovudin (Retrovir®) oder Stavudin (Zerit®) bevorzugt. Bei einer NNRTI-basierten Therapie wird Efavirenz (Sustiva®) mit entweder Lamivudin oder Emtricitabin und Tenofovir, Zidovudin oder Stavudin bevorzugt.
  • Bei der Ersttherapie sollte ein Regime gewählt werden, mit dem die Virusreplikation so lange wie möglich unterdrückt wird.
  • Bei einem frühen Misserfolg der Behandlung sollte aggressiv therapiert werden, um eine Suppression der Virusreplikation zu erreichen.
  • Bei keiner ausreichenden Virussuppression und hoher CD4-Zahl wird die Therapie unter Monitoring fortgeführt, um die CD4-Zahl zu erhalten.
  • Bei einem Misserfolg der Therapie und geringer CD4-Zahl wird die antiretrovirale Therapie so lange fortgeführt, bis neue Substanzen zur Verfügung stehen.

Geboosterte Protease-Inhibitoren

Protease-Inhibitoren (PI) hemmen die virale Protease, die während der Synthese viraler Proteine in der Wirtszelle die viralen Polypeptidketten in kleine Koproteine zerschneidet und so die Voraussetzung für die Bildung infektiöser Viruspartikel schafft. Protease-Inhibitoren werden durch Cytochrom P450, insbesondere durch CYP3A4 Isoenzyme metabolisiert.

Der relativ rasche Abbau erfordert eine häufige Einnahme vieler Tabletten, was wiederum die Compliance beeinträchtigt. Durch den Zusatz von niedrig dosiertem Ritonavir können die metabolisierenden Enzyme gehemmt und somit die AUC (Fläche unter der Kurve; Maß für die Wirkintensität des Medikaments) und die Plasmakonzentration des mit verabreichten Protease-Inhibitors erhöht werden (so genanntes Boostering).

Durch diesen Booster-Effekt verringern sich die Anzahl der einzunehmenden Tabletten und die Einnahmefrequenzen. Ferner verstärkt niedrig dosiertes Ritonavir die Potenz anderer Protease-Inhibitoren und kann auch bei Resistenzen gegenüber einzelnen Protease-Inhibitoren erfolgreich sein. Bislang ist mit Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) nur eine Fixkombination eines geboosterten Protease-Inhibitors im Handel.

Studien mit Lopinavir/Ritonavir

Viele klinische Studien, die in Europa zur Zulassung von Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®) geführt haben, werden bis heute fortgeführt, so dass zwischenzeitlich umfangreiche Daten vorliegen. Bei nicht vortherapierten Patienten führt Lopinavir/Ritonavir zu besseren Therapieerfolgen als der bisherige Standard Protease-Inhibitor Nelfinavir (Viracept®).

Neben der dauerhaften Unterdrückung der Virusreplikation traten bislang bei therapienaiven Patienten unter Lopinavir/Ritonavir keine Resistenzentwicklungen auf. Auch bei bereits vorbehandelten Patienten mit bestehenden Resistenzen gegenüber anderen Protease-Inhibitoren ist Lopinavir/Ritonavir wirksam.

In einer 48-wöchigen Studie konnten Wirksamkeit und Verträglichkeit von Lopinavir/Ritonavir bei therapienaiven Patienten auch bei einmal täglicher Gabe bestätigt werden. Die unerwünschten Wirkungen auf den Lipidstoffwechsel scheinen weniger ausgeprägt zu sein als bislang vermutet.

Quelle

Dr. R. Sherer; Dr. A. Pozniak; Dr. F. Mulcahy; Dr. S. Brun: Symposium "HIV therapy, recent successes & future directions", Budapest, 5. und 6. März 2004, veranstaltet von der Abbott GmbH, Wiesbaden.

Neue Fix-Kombination Gilead Sciences hat am 15. März 2004 die Zulassung für die Co-Formulierung der HIV-Therapeutika Tenofovir Disoproxilfumarat (Viread®) und Emtricitabin (Emtriva™) bei der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA sowie der europäischen Zulassungsbehörde EMEA beantragt. Das neue Arzneimittel enthält pro Tablette 300 mg Tenofovir Disoproxilfumarat (Viread®) sowie 200 mg Emtricitabin (Emtriva™).

Beide Arzneistoffe – Tenofovir, der erste Nukleotid-analoge Reverse Transkriptase-Inhibitor (NtRTI) und Emtricitabin, ein Nukleosid-analoger-Reverse Transkriptase-Hemmer (NRTI) – blockieren die Reverse Transkriptase, ein Enzym, das entscheidende Bedeutung bei der Replikation des HI-Virus hat.

Tenofovir, in Europa zugelassen seit 2002, und Emtricitabin, in Europa zugelassen seit 2003, werden auch nach der Zulassung der Kombination weiterhin für den Einsatz als Einzelsubstanzen im Rahmen der antiretroviralen Therapie zur Verfügung stehen. Die Tablette wird einmal täglich in Kombination mit anderen HIV-Medikamenten eingenommen und soll wesentlich zu einer verbesserten Therapietreue der Patienten und damit zu einem größeren Behandlungserfolg beitragen.

Glossar

  • Protease-Inhibitoren (PI): hemmen die Aktivität der HIV-1-Proteaseenzyme bei der viralen Replikation und verhindern somit die Bildung neuer HI-Viren.
  • geboosterte Protease-Inhibitoren: durch Zusatz von nieder dosiertem Ritonavir (Norvir™) als Pharmakoenhancer wird die Metabolisierung der Protease-Inhibitoren verlangsamt. Ritonavir wirkt hier nicht antiretroviral, blockiert aber Cytochrom-P-450-Isoenzyme und damit die Verstoffwechselung eines gleichzeitig gegebenen ("geboosterten") Protease-Inhibitors.
  • hoch aktive antiretrovirale Therapie (HAART): eine Kombination von mindestens drei antiretroviralen Medikamentenklassen.
  • nicht-nukleosidische Reverse Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI): blockieren das aktive Zentrum der reversen Transkriptase. Sie binden an das Enzym und verhindern dadurch die Bindung des natürlichen Substrats.
  • nukleosidische Reverse Transkriptase-Hemmer (NRTI): unterbrechen die Virusreplikation, indem sie als falsche Bausteine eingebaut werden.
  • Viruslast: der Therapieerfolg wird anhand der Viruslast bewertet. Ein Absinken der Viruslast unter die Nachweisgrenze spricht für eine wirksame Behandlung.
  • CD4-Zellen: Zielzellen des HI-Virus sind hauptsächlich CD4-positive T-Lymphozyten, deren Zahl bei einer Infektion mit dem HI-Virus abfällt. Ihr erneuter Anstieg ist ein wesentliches Kriterium für eine erfolgreiche Therapie.
  • Lipodystrophie: Körperfett-Umverteilung; eine Langzeitnebenwirkung der HIV-Therapie.

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