Arzneimittel und Therapie

Masernepidemie: Ausgedehnte lokale Masernausbrüche in der Schweiz

Wer in den nächsten Wochen in die Schweiz reist, sollte seinen Impfschutz gegen Masern überprüfen. Im obligatorischen Meldesystem der Schweiz wird seit Anfang Februar eine starke Zunahme der Masern registriert: bis zum 27. Mai 2003 wurden insgesamt 392 Masern-Erkrankungsfälle erfasst, davon 154 in den letzten vier Wochen. Zum gleichen Zeitpunkt waren in den Vorjahren nur 21 bzw. 20 Fälle gemeldet worden. Auf das Jahr hochgerechnet ergibt sich gegenwärtig eine Inzidenzrate von 13,4 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner (zum Vergleich: 5,6 in Deutschland im Jahr 2002).

Für Masern besteht in der Schweiz seit 1999 eine Meldepflicht für behandelnde Ärzte und Laboratorien, parallel wird das Vorkommen der Krankheit durch wöchentliche Abfragen in einem Netz von Hausärzten erfasst (Sentinella-Meldesystem).

Es besteht landesweit eine größere Zahl örtlicher Erkrankungsherde. Schwerpunkte des aktuellen Maserngeschehens befinden sich in den Kantonen Wallis, Schwyz, Zürich, Genf, Tessin und Freiburg, in zwölf weiteren Kantonen werden sporadische Erkrankungsfälle beobachtet. Die Ausbrüche haben sich bisher noch weiter ausgedehnt. Drei Viertel der an Masern Erkrankten sind jünger als 16 Jahre. 92% von ihnen haben keine Masern-Schutzimpfung erhalten.

Das Sentinella-System hatte im Jahr 1997 eine größere Masernepidemie gut widergespiegelt (landesweit 6400 klinische Fälle, 90 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner). Gegenwärtig signalisiert es zwar eine Zunahme der Fälle, zeigt aber die aktuellen Masernhäufungen wegen der relativ kleinen Zahl der Meldepraxen (nur rund 3% der medizinischen "Grundversorger") und der lokalen Begrenztheit der Ausbrüche nicht klar an.

Bis Ende April wurden 19 der 239 bis zu diesem Zeitpunkt gemeldeten Erkrankten in einem Krankenhaus behandelt (7,9%). Zehn der Erkrankungsfälle (4,2%) wiesen einen besonders komplizierten Verlauf auf (darunter zwei Fälle von Masern-Enzephalitis und sechs Pneumonien).

Masernausbruch durch unzureichende Impfrate

Nach Einschätzung des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sind die Masernausbrüche auf der Basis unzureichender Impfraten entstanden. Im Alter von 24 bis 35 Monaten sind 81% der Kinder geimpft, von den 5- bis 7-jährigen haben 89% mindestens eine Impfdosis erhalten (2000 bis 2002).

Empfohlen sind in der Schweiz zwei Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln (die 1. Impfung im Alter von 12 Monaten, die 2. Impfung jetzt zwischen 15 und 24 Monaten). Das BAG richtete eine dringende Empfehlung an alle Eltern, den Impfschutz ihrer Kinder zu überprüfen und ausstehende Impfungen umgehend nachzuholen.

Auch ungeimpften jungen Erwachsenen, die noch nicht an Masern erkrankt waren, wird angeraten, eine Impfung in Betracht zu ziehen, insbesondere, wenn sie im medizinischen Bereich tätig sind oder mit Kindern arbeiten. Über einen vollständigen Impfschutz verfügt nur, wer entweder selbst in der Vergangenheit erkrankt oder zwei Mal gegen die Krankheit geimpft worden ist.

Auch in Deutschland ist der Impfschutz oft nur unzureichend. Nach Angaben des hessischen Sozialministeriums seien in Hessen lediglich 20,3% aller Kinder zwei Mal gegen Masern geimpft. 76% hätten nur eine und 3,6% keine Impfung erhalten.

Wie im Vorjahr die Masernepidemie in Italien bei Touristen zu einer Vielzahl von Masernimpfungen führte, könnten auch diese aktuellen Masernausbrüche in der Schweiz zum Anlass genommen werden, bei Kindern und Jugendlichen den aktuellen Impfschutz zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren.

Literatur

Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts, Nr. 23, 6. Juni 2003. ck

Das schweizerische Sentinella-Meldesystem Das Sentinella-Meldesystem dient der Gewinnung epidemiologischer Daten, der Überwachung übertragbarer und anderer akuter Erkrankungen und der Forschung in der Hausarztmedizin.

Sentinella-Meldesysteme dieser Art bestehen in verschiedenen Ländern Europas zum Teil seit mehreren Jahren, wie beispielsweise in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Italien, Portugal und Spanien.

In der Schweiz wurde 1986, nach Erprobung in einem regionalen Pilotprojekt, das Netzwerk "Sentinella" zur Überwachung häufiger übertragbarer Krankheiten geschaffen. Seither hat sich das Spektrum erhobener Themen auch auf nichtinfektiöse Krankheiten ausgedehnt.

Neben spezifischen Registern, wie sie beispielsweise für Krebserkrankungen existieren, ist Sentinella somit das einzige Instrument in der Schweiz, das Einblick in das bevölkerungsweite, nicht meldepflichtige Krankheitsgeschehen und die Primärversorgung durch die Hausärzte zulässt.

Das Sentinella-Meldesystem umfasst 150 bis 250 Allgemeinpraktiker, Internisten und Pädiater mit allgemeinmedizinisch orientierter Praxis. Die Meldungen der Krankheitsfälle erfolgen anonym auf Formularen, die wöchentlich per Post an das Bundesamt für Gesundheit (BAG) geschickt werden.

Die erfassten Themen beinhalten insbesondere impfverhütbare Krankheiten. Masern, Mumps, Röteln und Influenzaverdacht werden in Sentinella seit 1986 kontinuierlich erhoben, bei anderen Krankheiten beschränkt sich die Erhebungsdauer auf ein oder zwei Jahre.

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