Arzneimittel und Therapie

Droht eine neue Masern-Welle?

Die WHO hat die Frist für die Eradikation der Masern in Europa bereits mehrmals verschoben. Ziel ist es nun, sie bis 2015 in den Europäischen Regionen der WHO zu eliminieren. Aber die aktuellen Zahlen in Deutschland lassen auch das neue Ziel eher in die Ferne rücken. Seit Anfang des Jahres wurden in Deutschland bereits 199 Masernfälle gemeldet [1], im gleichen Zeitraum waren es 2012 nur 52 Fälle [2].

Dass die Masern längst keine Kinderkrankheit mehr sind, belegt die hohe Zahl der erkrankten Erwachsenen. 116 der Betroffenen in 2013 sind mindestens 15 Jahre alt [1].

Die Masern gehören zu den ansteckendsten Krankheiten. Das rein humanpathogene Masernvirus wird über Tröpfcheninfektionen sowie durch den direkten Kontakt von infektiösen Sekreten aus Nase und Mund übertragen.

Bereits eine kurze Viren-Exposition kann zu einer Infektion führen. Die Ansteckungsfähigkeit beginnt etwa fünf Tage vor dem Ausbruch des typischen Masernexanthems und hält bis zu vier Tage nach dessen Auftreten an. Der zweiphasige Verlauf der Erkrankung beginnt mit Symptomen wie Husten, Schnupfen, Fieber und Konjunktivitis, begleitet von den charakteristischen Koplikflecken in der Mundschleimhaut. Diesen Symptomen folgend erscheint am dritten bis siebten Tag das Exanthem, welches bis sieben Tage anhält. Eine Maserninfektion führt zu einer etwa sechs Wochen anhaltenden Immunschwäche, die das Auftreten bakterieller Superinfektionen begünstigt. Häufige Begleiterkrankungen sind daher Otitis media, Bronchitis, Pneumonien und Diarrhöen.

Eine schwerwiegende Komplikation stellt die selten auftretende postinfektiöse Enzephalitis dar. Sie tritt nur bei etwa 0,1% der Masernerkrankten auf, verläuft jedoch bei 10 bis 20% dieser Patienten tödlich. Darüber hinaus kommt es in 20 bis 30% der Fälle zu dauerhaften ZNS-Schäden.

Die mit einer noch geringeren Inzidenz auftretende subkutane sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist durch einen schleichenden progressiven Krankheitsverlauf gekennzeichnet, beginnend mit psychischen und intellektuellen Veränderungen, gefolgt von Myoklonien und epileptischen Anfällen bis hin zum Dezerebrationssyndrom (Enthirnungssyndrom), eine Folge der Unterbrechung von Neokortex und Hirnstamm. Die subkutane sklerosierende Panenzephalitis verläuft stets tödlich. Die Sterblichkeitsrate bei Masern liegt bei einem Betroffenen pro 1000 bis 3000 Masernfälle [3].

Impfung ist erfolgreich

Es existiert keine spezifische antivirale Therapie. Mit fiebersenkenden Mitteln und Hustenpräparaten können lediglich die Symptome gelindert werden. Bei bakteriellen Superinfektionen sind Antibiotika indiziert.

Da der Mensch der einzige Wirt des Masernvirus ist, der Erreger antigenetisch weitgehend stabil ist und ein geeigneter Impfstoff zur Verfügung steht, ist eine wirksame Prävention bis hin zur weltweiten Elimination möglich.

Bei dem Impfstoff handelt es sich um einen Lebendimpfstoff aus attenuierten Masernviren. Er ist eines der ältesten und effektivsten Vakzine und steht seit 1963 zur Verfügung. Ohne diesen Impfstoff wären vermutlich mehr als zehn Millionen Kinder im vergangenen Jahrzehnt an Masern und deren Komplikationen gestorben [4].

Der Impfstoff kann als Monovakzin gegeben werden, empfohlen wird aber ein Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen (MMR- bzw. MMRV-Vakzine).

Weltweites Problem

Die Masern treten weltweit auf. Besonders betroffen sind Entwicklungsländer, wie zum Beispiel die afrikanischen WHO- Regionen, die 2013 bereits über 14.000 Infektionen verzeichnet haben und somit fast die Hälfte der weltweit erfassten Masernfälle [5]. In den USA konnten durch die Einführung des Masernimpfstoffs vor 50 Jahren und die strikte Einhaltung der Immunisierungsgesetze die Masern eliminiert werden. Dort wurden 2013 nur 14 Fälle gemeldet. In den europäischen Regionen der WHO sind in den letzten drei Jahren mehr als 90.000 Masernfälle gemeldet worden. 50% der zwischen 2011 und 2012 Erkrankten waren Jugendliche oder junge Erwachsene [6]. Dabei besteht ein klarer Zusammenhang zwischen den Krankheitsfällen und einem erschwerten Zugang zur medizinischen Versorgung oder aber mit der Ablehnung der Eltern, die Impfung in der Kindheit durchführen zu lassen. In der Folge kam es zu Masernausbrüchen vor allem in Frankreich, Italien, Spanien, Rumänien, Schweiz, Großbritannien und Deutschland [7]. Zwar haben sich alle europäischen Regionen der WHO verpflichtet, Masern und Röteln bis 2015 zu eliminieren, von diesem Ziel ist man aber noch weit entfernt [8].

Masern in Deutschland

Die Maserninzidenz in Deutschland stieg seit Anfang 2013 bereits auf 199 Masernfälle an, darunter 118 Fälle allein in Berlin. (Datenstand: 15. Mai 2013 [1]).

Die hohe Zahl an erkrankten Erwachsenen ist besonders besorgniserregend, da die Erkrankung bei ihnen schwerer verlaufen kann als bei Kindern. Über die Hälfte der Patienten musste stationär behandelt werden.

Die Berliner Senatsverwaltung rief aufgrund der steigenden Masernfälle dazu auf, besonders bei nach 1970 Geborenen den Impfstatus überprüfen zu lassen. In Deutschland wurde die Masernimpfung 1973 eingeführt, davor sind fast alle Menschen an Masern erkrankt und folglich immun [9].

Übermittelte Masern-Fälle pro Jahr, Deutschland, Fälle entsprechend der Referenzdefinition des RKI; Datenstand: 15. Mai 2013 [6]

Jahr
Anzahl
2001
6036
2002
4656
2003
777
2004
123
2005
781
2006
2308
2007
566
2008
915
2009
571
2010
780
2011
1608
2012
166
2013
199
Gesamt
19.486

Eradikation = 1 Fall pro 1 Million

Laut WHO gelten die Masern als eliminiert, wenn die Maserninzidenz unter einen Fall pro eine Million Einwohner gesunken ist. Dies hieße, in Deutschland dürfe die Zahl der Erkrankten höchstens bei 82 liegen [10]. Durch die häufigen Masernausbrüche speziell in Berlin liegt die Zahl der gemeldeten Masern-Fälle seit Anfang 2013 schon weit über diesem angestrebten Maximalwert.

Woran scheitert die Masern-Eliminierung?

Der STIKO zufolge werden Kleinkinder nicht frühzeitig genug immunisiert. Lediglich 77% der 14 Monate alten Kinder wurden zeitgerecht geimpft [2]. Zudem sei der Impfschutz von jungen Erwachsenen lückenhaft. Um Impflücken zu schließen, muss gezielt geimpft werden. Daher empfiehlt die STIKO eine konsequente Impfung aller Personen, die nach 1970 geboren wurden und bisher nicht bzw. in der Kindheit nur einmal geimpft worden sind oder deren Impfstatus unbekannt ist. Besondere Gefahren birgt eine Infektion in der Schwangerschaft, da das Virus auch auf das ungeborene Kind übertragen werden kann. Jedoch ist eine Masernimpfung in der Schwangerschaft kontraindiziert.


Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO)


  • Erstimpfung: 11.-14. Monat
  • Zweitimpfung: 15.-23. Monat
  • Zielgruppe für Impfung:
  • – Nach 1970 geborene Personen, die noch nicht geimpft, nur einmal in der Kindheit geimpft worden sind oder deren Impfstatus unklar ist.
  • – Postexpositionsprophylaxe: möglichst innerhalb von drei Tagen nach Exposition bei nicht geimpften Personen ab dem Alter von 9 Monaten oder bei Personen mit nur einer Impfung in der Kindheit und Personen mit unklarem Impfstatus
  • – Im Falle eines Masernausbruchs: nach 1970 geborene Personen, die noch nicht geimpft, nur einmal in der Kindheit geimpft worden sind oder deren Impfstatus unklar ist.

Durch eine wachsende Bereitschaft zur Masernimpfung in der Bevölkerung und Unterstützung innerhalb der Ärzteschaft konnte eine Zunahme der Impfquote erreicht werden. Lag die Impfquote zum Schuleingang im Jahr 2004 bei 93,5% für die erste Dosis und 65,7% für die 2. Impfdosis, so wurden im Jahr 2008 schon 95,9% und 89,0% erreicht. Der WHO-Indikator liegt hier allerdings bei 95% für zwei Dosen!


Welchen Einfluss hat eine Impfpflicht?

In den USA muss eine Immunisierung beim Schulanfang nachgewiesen werden. Dadurch konnte zwar die allgemeine Impfrate gesteigert werden. Bei einer Übertragung auf andere Länder muss berücksichtigt werden, dass eine Verweigerung der Schulaufnahme oder die Kürzung von Sozialleistungen als Strafe für das Nichteinhalten der Impfmaßnahmen stärker die ärmere Bevölkerung treffen werden [10]. Zudem hilft auch eine Impfpflicht nicht, wenn der Zugang zur medizinischen Versorgung fehlt. In den nordischen Ländern Europas konnten auch ohne Impfpflicht Masern, Mumps und Röteln ausgerottet werden [12]. Die Immunisierung von Kindern konnte in den UK durch ein verbessertes Informationssystem, häufige Erinnerungen an Impfungen und gut ausgebildetes Personal zur Beratung und Aufklärung der Eltern gesteigert werden [10].

Eradikation in Deutschland

Ist die Eradikation der Masern in Deutschland bis 2015 möglich? Um diese Frage zu beantworten, wurde eine "Nationale Verifizierungskommission zur Elimination der Masern und Röteln" am Robert Koch-Institut (RKI) gebildet. Es wird angestrebt, dass mindestens 95% der Kinder zum Schulbeginn beide Impfungen erhalten haben. Tatsächlich sind es jedoch nur 92% aller Schulanfänger, so Dr. Dorothea Matysiak-Klose vom Fachgebiet Impfprävention am RKI. Häufig erfolgt die zweite Impfung nicht rechtzeitig. Nicht immunisierte Personen stellen eine Gefahr für Neugeborene und Säuglinge dar.

Wären 95% der Bevölkerung gegen Masern immunisiert, so könnte die Verbreitung gestoppt werden. Dazu müsste auf eine rechtzeitige Immunisierung von Kleinkindern geachtet und auch nicht immunisierte junge Erwachsene gezielt geimpft werden. Es liege folglich auch an den niedergelassenen Ärzten, dass das Ziel der WHO, die Masern bis 2015 auszulöschen, erreicht wird, erklärte Matysiak-Klose.


Quelle

[1] Robert Koch-Institut: SurvStat. www3.rki.de/SurvStat, Stand 15 Mai 2013.

[2] Masern. Mitteilung der STIKO zur Umsetzung der Impfempfehlung im Säuglings- und Erwachsenenalter. Epidemiologisches Bulletin 2013, 16; 133 – 135.

[3] Strebel PM, Papania MJ et al. Measles vaccine. In: Plotkin S, Orenstein W, Offi t P, eds. Vaccines, 5th edn. Philadelphia, PA: Saunders/Elsevier Inc. 2008; 355 – 398.

[4] Simons E, Ferrari M et al. Assessment of the 2010 global measles mortality reduction goal: results from a model of surveillance data. Lancet 2012; 379: 2173 – 2178.

[5] Immunization surveillance, assessment and monitoring. Measles Surveillance Data. World Health Organization 29. April. 2013.

[6] World Health Organization Regional Office for Europe Web site. Centralized information system for infectious diseases (CISID).

[7] Jakab Z, Salisbury DM. Back to basics: The miracle and tragedy of measles vaccine. Lancet 2013; 381: 1433 – 1434.

[8] World Health Organization Regional Committee for Europe. Sixtieth session. Renewed commitment to elimination of measles and rubella and prevention of congenital rubella syndrome by 2015 and sustained support for polio-free status in the WHO European Region 2010.

[9] Nationales Referenzzentrum (NRZ) für Masern, Mumps, Röteln, Leistungen und Publikationen. Robert Koch-Institut, www.rki.de

[10] Elliman D, Bedford H. Should the UK introduce compulsory vaccination? Lancet. 2013; 381:1434 – 1436.

[11] Samad L, Butler N, Peckham C et al. Incomplete immunisation uptake in infancy: maternal reasons. Vaccine. 2006; 24: 6823 – 6829.

[12] Peltola H, Heinonen OP, Valle M, et al. The elimination of indigenous measles, mumps, and rubella from Finland by a 12-year, two-dose vaccination program. N Engl J Med 1994; 331: 1397 – 1402.


Apothekerin My Hanh Nguyen

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