Arzneimittel und Therapie

Neuraminidase-Hemmer: Oseltamivir kann Symptome lindern und eine Grippe verhinde

Oseltamivir (Tamiflu®) ist der erste orale Neuraminidase-Hemmer zur kausalen Therapie und Prophylaxe der Influenza A und B. Oseltamivir ist in Deutschland zur Behandlung der Influenza bei Erwachsenen und Kindern ab einem Jahr zugelassen. Der Wirkstoff hemmt spezifisch die Neuraminidase aller klinisch relevanten Influenza-A- und B-Viren.

Oseltamivir ist ein oral bioverfügbares Prodrug. Es wird in der Leber in die aktive Form Oseltamivircarboxylat umgewandelt. Die aktive Form von Oseltamivir blockiert spezifisch die Neuraminidase von Influenza-Viren. Die Neuraminidase von anderen Viren, Bakterien, Säugetieren oder dem Menschen werden selbst in deutlich höherer Dosierung von Oseltamivir nicht gehemmt.

Neuraminidase-Hemmer durchbrechen den Infektionszyklus

Am Anfang der Grippe-Erkrankung steht die Infektion der respiratorischen Epithelzellen mit Influenza-A- oder B-Viren. Mit Hilfe des Oberflächenproteins Hämagglutinin heften sich die Influenzaviren an Sialinsäure-haltige Rezeptoren auf den Schleimhautepithelzellen des Respirationstraktes an. Der Bindungsvorgang veranlasst die Zelle, das Virus durch Endozytose aufzunehmen. Anschließend fusionieren Endosommembran und Virushülle, die Virushülle löst sich auf. Die virale RNA wird ins Zytoplasma freigesetzt und wandert in den Zellkern. Daraufhin wird die Zelle gezwungen, ihre eigenen Stoffwechselvorgänge einzustellen und anhand der viralen Genmatrize neue Virusbestandteile zu produzieren. Die Virusbestandteile werden an die Zelloberfläche transportiert, wo sie ausknospen und sich schließlich als infektionstüchtige Viren ablösen. Dazu muss die Bindung zwischen Virus und Zelloberfläche durchtrennt werden. Für diese Abspaltung ist ein Enzym auf der Virusoberfläche zuständig, die Neuraminidase. Die Neuraminidase spaltet Sialinsäure-Reste von den Rezeptoren ab, über die Virus und Zelle verbunden sind.

Die Viren werden freigesetzt und können sich weiter im Körper ausbreiten. In einer Zelle können bis zu 100 000 neue Viruspartikel entstehen. Mit Hemmstoffen gegen die Neuraminidase lässt sich die Ausbreitung der Influenzaviren stoppen. Die so genannten Neuraminidase-Hemmer blockieren das aktive Zentrum des Neuraminidase-Enzyms und verhindern, dass sich die Viren von den infizierten Zellen ablösen. Der Infektionszyklus wird durchbrochen und die Influenzaviren können den Körper nicht weiter schädigen.

Resorption und Bioverfügbarkeit

Nach oraler Einnahme wird Oseltamivir rasch im Gastrointestinaltrakt resorbiert. Es wird von Carboxylesterasen in der Leber fast vollständig (> 90%) in die aktive Form Oseltamivircarboxylat umgewandelt. Die orale Bioverfügbarkeit ist hoch, mindestens 75% einer oralen Dosis gelangen als aktive Form in den Blutkreislauf. Bereits nach 30 Minuten ist die aktive Form im Plasma nachweisbar und erreicht nach 3 bis 4 Stunden ihren Maximalwert. Die gleichzeitige Nahrungsaufnahme hat keinen Einfluss auf die Bioverfügbarkeit. Das Verteilungsvolumen der aktiven Form von Oseltamivir entspricht mit ca. 23 l der Extrazellulärflüssigkeit des Organismus. Die aktive Form erreicht folglich alle Orte der Virusvermehrung inklusive oberem Respirationstrakt, Lunge, Mittelohr und Nasennebenhöhlen. Die Plasmaproteinbindung der aktiven Form von Oseltamivir ist mit 3% sehr gering. Klinisch relevante Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind daher nicht zu befürchten. Oseltamivircarboxylat hat eine Halbwertszeit von 6 bis 10 Stunden und wird zu über 99% renal ausgeschieden. In der Niere wird es glomerulär filtriert und zusätzlich tubulär sezerniert.

Bei Kindern gewichtsabhängig dosieren

Zur Therapie wird Oseltamivir zweimal täglich als Kapsel über einen Zeitraum von 5 Tagen eingenommen. Alternativ kann Oseltamivir insbesondere bei Kindern oder bei Patienten mit Schluckstörungen als Suspension gewichtsabhängig verabreicht werden. Die Behandlung sollte so früh wie möglich nach Auftreten der Influenzasymptome beginnen, je früher Oseltamivir eingenommen wird, desto schneller unterbricht das Medikament den Infektionszyklus der Viren. Mit steigendem Alter sinkt die renale Clearance des aktiven Metaboliten von Oseltamivir linear.

Die renale Elimination ist bei Kindern (1 bis 12 Jahre) höher als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Eine Dosis von 2 mg Oseltamivir pro kg Körpergewicht führt bei Kindern zu einer systemischen Verfügbarkeit, die Erwachsene bei einer Dosis von 75 mg Oseltamivir (1 mg/kg) erreichen. Deshalb wird Oseltamivir bei Kindern (1 bis 12 Jahre) gewichtsabhängig als Suspension dosiert. Die Plasmakonzentration von Oseltamivir ist bei älteren Menschen (> 65 Jahre) ca. 25 bis 35% höher als bei jüngeren Erwachsenen, daher ist bei älteren Personen keine Dosisanpassung erforderlich.

Zur Prophylaxe der Influenza ist Oseltamivir bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 13 Jahren zugelassen und wird einmal täglich über einen Zeitraum von mindestens 7 Tagen dosiert. Während eines lokalen Influenzaausbruchs kann Oseltamivir für maximal 6 Wochen vorbeugend eingenommen werden.

Umfangreiche Studien zur Wirksamkeit

Oseltamivir wurde in zahlreichen klinischen Studien an mehr als 11 000 Patienten, darunter Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen und Patienten mit chronischen Vorerkrankungen geprüft. Die klinischen Therapie-Studien der Phase III waren so angelegt, dass bei Patienten mit einer laborbestätigten klinischen Influenzaerkrankung die Linderung der Symptome, die Reduktion von Sekundärkomplikationen und die Verkürzung der Krankheitsdauer unter Oseltamivir beurteilt werden konnten. Es handelte sich um randomisierte, multizentrische plazebokontrollierte Doppelblindstudien, die während eines lokalen Influenzaausbruchs durchgeführt wurden.

Wichtigstes Einschlusskriterium war die Erkrankung an mehreren typischen respiratorischen und systemischen Symptomen der Influenza. Die klinischen Prophylaxe-Studien der Phase III waren so angelegt, dass bei Kontaktpersonen von Influenza-Kranken oder bei gefährdeten Personen während eines lokalen Influenzaausbruchs die vorbeugende Wirkung von Oseltamivir gegen eine laborbestätigte klinische Influenzaerkrankung beurteilt werden konnte.

Oseltamivir kann Symptome lindern und eine Grippe verhindern

Mit Oseltamivir leiden die Kinder weniger unter der Influenza. Die typischen Symptome wie Fieber, Husten, Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen waren geringer ausgeprägt. Weil die Symptomlinderung schon innerhalb der ersten 24 Stunden eintrat, ging es den Kindern schneller wieder besser, die Dauer der Erkrankung verkürzte sich um 26%. Oseltamivir schützte auch die Kontaktpersonen von Erkrankten zu 90% vor einer Influenzaerkrankung. Während einer Influenzaepidemie in der Bevölkerung konnte die Erkrankung in 75% der Fälle verhindert werden. Die vorbeugende Wirkung ist unabhängig von der Grippeschutzimpfung. Oseltamivir ist kein Ersatz für die Grippeschutzimpfung, sondern ergänzt sie.

Kastentext: Übertragung von Mensch zu Mensch

Die Influenzaviren werden hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen. Beim Husten, Niesen oder Sprechen werden virusbeladene Aerosole vom Infizierten ausgestoßen und von Personen in der unmittelbaren Umgebung eingeatmet. Auch eine Kontaktinfektion durch Händeschütteln oder Küssen ist möglich. Die eingeatmeten Viruspartikel befallen primär die zilientragenden Zylinderepithelzellen der Atemwegsschleimhaut.

Oft beginnt die Infektion im Bereich der oberen Atemwege und breitet sich dann auf den gesamten Respirationstrakt aus, einschließlich der Nasennebenhöhlen und des Mittelohres. Schon während der Inkubationszeit, die 18 bis 72 Stunden dauert, ist die Infektionsgefahr für andere Personen sehr hoch. Der Grund dafür ist die kurze Replikationszeit der Influenzaviren. Sie vermehren sich innerhalb von 4 bis 6 Stunden und werden dann in den Atemtrakt freigesetzt. Ein Infizierter ist noch 5 bis 6 Tage nach Ausbruch der Symptome infektiös. Kinder und besonders Immunsupprimierte scheiden die Influenzaviren über einen wesentlich längeren Zeitraum aus.

Quelle: Prof. Dr. Georg E. Vogel, München, Prof. Dr. Peter Wutzler, Jena, Prof. Dr. Werner Lange, Berlin, Dr. Sven Schade, Stuttgart; Einführungspressekonferenz Tamiflu® stärker als die Grippe - Therapie und Prophylaxe der Influenza A und B, 1. Oktober 2002, Frankfurt/ Main, veranstaltet von der Hoffmann La-Roche AG, Grenzach-Wyhlen.

Mit Oseltamivir (Tamiflu) steht der erste orale Neuraminidase-Hemmer zur kausalen Therapie und Prophylaxe der Influenza A und B zur Verfügung. Oseltamivir ist in Deutschland zur Behandlung der Influenza bei Erwachsenen und Kindern ab einem Jahr zugelassen. Der Wirkstoff hemmt spezifisch die Neuraminidase aller klinisch relevanten Influenza-A- und B-Viren. 

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