Arzneimittel und Therapie

Neuraminidasehemmer: Mit Oseltamivir die Virusgrippe bekämpfen

Das neue oral applizierbare Grippemittel Oseltamivir (Tamiflu®) hemmt ebenso wie das inhalierbare Zanamivir (Relenza®) das Enzym Neuraminidase, dessen Wirkzentrum bei allen Grippeviren nahezu gleich ist. Beide Neuraminidasehemmer verringern Dauer und Schweregrad der Grippesymptome deutlich.

Grippeviren werden meist beim Niesen oder Husten übertragen, manchmal genügt aber schon ein Händedruck, um sich zu infizieren. Die Viren vermehren sich in den Atemwegen, der Lunge und den Nasen- und Kieferhöhlen. Gefährlich ist eine Grippeerkrankung vor allem dann, wenn Komplikationen auftreten. Kommt noch eine bakterielle Sekundärinfektion wie eine Lungenentzündung hinzu, bedeutet das unter Umständen besonders für ältere, kranke und geschwächte Menschen Todesgefahr.

Wandlungsfähige Viren

Grippeviren sind äußerst wandlungsfähig. Sie besitzen typische Eiweißkomponenten auf ihrer Oberfläche, wie das Hämagglutinin (HA)- und das Neuraminidase (NA)-Protein. Bei einer Grippeinfektion bildet das Immunsystem Antikörper, die gegen bestimmte Strukturen der Oberflächenproteine, so genannte Epitope, gerichtet sind. Die Antikörper binden an die Epitope und neutralisieren dadurch die Viren. Somit hat eine Zweitinfektion durch den gleichen Erreger keine Chance.

Das Virus wiederum kann durch Mutationen seines genetischen Materials die Epitope verändern, ohne dass die eigentliche Funktion der beiden Proteine beeinträchtigt wird. Forscher bezeichnen solche genetischen Veränderungen als Drift-Ereignis. In der Folge sind nun die gebildeten Antikörper nicht mehr in der Lage, an die Epitope zu binden und damit die Viren an ihrer Vermehrung zu hindern. Eine Neuinfektion ist jetzt möglich, und diese führt in vielen Fällen zu einer neuen Grippeepidemie.

Typ A ist am gefährlichsten

Grippeviren lassen sich in verschiedene Sorten, Typen und Subtypen unterteilen. Sie kommen in erster Linie in Schweinen, Hühnern und Enten in südostasiatischen Ländern vor. Eine weit verbreitete und zugleich auch die gefährlichste Sorte ist der Typ A. Dieser befällt eine breite Palette von Tierarten, die sich jeweils gegenseitig anstecken können. Befallen zwei verschiedene Grippeviren, die vom Tier oder vom Menschen stammen können, gleichzeitig dieselbe Zelle in den Atemwegen, dann werden die sich vermehrenden Virusgene quasi gemischt, und es entsteht ein Virus mit einer völlig neuen Genzusammensetzung.

Das bedeutet, dass durch die Neukombination auch neuartige HA- und NA-Gene entstehen, die wiederum Virenstämme mit bisher völlig unbekannten Oberflächenstrukturen hervorbringen. Das menschliche Immunsystem hat bei einer Infektion mit den neuen Viren keine Möglichkeit, genügend schnell wirksame Antikörper zu bilden. Auf diese Weise können durch schnelle weltweite Verbreitung eines neuen Subtyps verheerende Pandemien (weltweite Epidemien) entstehen.

Gefährliche Varianten

Forscher beachten und verfolgen das Auftreten neuer Varianten, wie es bei bestimmten Subtypen von Influenza-A-Viren praktisch in jedem Jahr geschieht, mit einem besonders wachsamen Auge, denn Pandemien mit katastrophalen Ausmaßen können jederzeit und immer wieder auftreten. Vor einigen Jahren stand ein neuer Virustyp in den Schlagzeilen: Der in Hongkong isolierte Erreger der Hühnergrippe H5N1 hat dort sechs Menschenleben gefordert und Tausende von Hühnervögel getötet. Glücklicherweise wurde er nicht von Mensch zu Mensch übertragen.

Oseltamivir soll bald in Deutschland eingeführt werden

Der Schweizer Pharmakonzern Roche (Basel) hat zusammen mit der kalifornischen Firma Gilead Sciences Inc. (Foster City, Cal.) den Neuraminidasehemmer Oseltamivir entwickelt, der im Gegensatz zu dem schon länger eingesetzten Zanamivir oral eingenommen werden kann. Wie die Ergebnisse von klinischen Studien zeigten, werden Grippesymptome wie Schwächegefühl, Gliederschmerzen, Fieber, Husten oder Schnupfen reduziert, wenn Oseltamivir rechtzeitig eingenommen wird. Grippesymptome können sogar fast vollständig verhindert werden, wenn der Wirkstoff kurz vor der Infektion angewendet wird.

Oseltamivir ist bereits in den USA und in zahlreichen anderen Ländern weltweit für die Behandlung der Grippe zugelassen, beispielsweise in Kanada, in der Schweiz, in Neuseeland, in Australien und in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern. Am 27. Februar 2001 haben Roche und Gilead Sciences, Inc. mitgeteilt, dass Roche beim europäischen Ausschuss für Arzneimittelspezialitäten (CPMP) das Zulassungsgesuch für Oseltamivir-Phosphat zur Behandlung der Grippe vom Typ A und B bei Erwachsenen und Kindern sowie für die Prophylaxe der Influenza A und B bei Jugendlichen und Erwachsenen eingereicht hat.

Kastentext: Neuraminidasehemmer

Neuraminidasehemmer blockieren die Neuraminidase, ein Enzym an der Virusoberfläche, das bei der Vermehrung der Grippeviren eine entscheidende Rolle spielt. Das Enzym zerschneidet die Bindung, die neue Viruspartikel an der infizierten Zelle festhält. Das Wirkzentrum der Neuraminidase besitzt bei allen bislang untersuchten Grippeviren eine einheitliche Struktur und ist nicht von Änderungen betroffen. Wenn also dieses Enzym gehemmt wird und damit nicht mehr funktioniert, dann können sich auch keine freien Viruspartikel entwickeln; die weitere Virusvermehrung wird gestoppt.

Quelle: Roche Roundtable "New weapons against viral diseases" in Welwyn Garden City, GB, Oktober 2000; Interviews und Diskussionen mit verschiedenen Wissenschaftlern und Mitgliedern der Firmenleitung des britischen Roche-Forschungszentrums in Welwyn Garden City

Das neue oral applizierbare Grippemittel Oseltamivir (Tamiflu) hemmt ebenso wie das inhalierbare Zanamivir (Relenza) das Enzym Neuraminidase, dessen Wirkzentrum bei allen Grippeviren nahezu gleich ist. Beide Neuraminidasehemmer verringern Dauer und Schweregrad der Grippesymptome deutlich.

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