Arzneimittel und Therapie

Alkoholismus: Naltrexon bewährt sich nicht bei schwerer Alkoholabhängigkeit

Naltrexon wurde 1995 in den USA zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit zugelassen. Der Opiatrezeptorantagonist wurde eingesetzt, da man vermutete, dass Euphorie und weitere angenehme Effekte des Alkohols über eine Stimulation des µ-Opioid- Rezeptors vermittelt werden. Die damals vorliegenden Studien zeigten, dass Naltrexon in Kombination mit psychosozialer Behandlung den Alkoholkonsum senkt. Neuere Studien konnten dieses Ergebnis nicht bestätigen.

Eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie der Forschungsgruppe des Veteran Affairs Medical Center hinterfragte die Wirksamkeit von Naltrexon als Ergänzung zu sozialtherapeutischer Behandlung in der Alkoholentwöhnung. Untersucht wurde die Frage, ob eine Kurzzeitbehandlung (3 Monate) mit Naltrexon die Zeit bis zu einem Rückfall verlängert. Weiterhin sollte ermittelt werden, ob bei Langzeitanwendung über 12 Monate der Prozentsatz an Tagen, an denen die Betroffenen trinken, sinkt, und ob die Menge an konsumiertem Alkohol pro Rückfalltag gesenkt werden kann.

Dazu wurden 627 schwer alkoholabhängige, überwiegend männliche Patienten randomisiert auf drei Gruppen verteilt. Eine Gruppe erhielt 50 mg Naltrexon täglich für 12 Monate, die zweite Gruppe erhielt 3 Monate lang Naltrexon, gefolgt von 9 Monaten Plazebo. Die Kontrollgruppe bekam 12 Monate lang Plazebo. Die Compliance wurde stichprobenartig durch Blutspiegeluntersuchungen des Metaboliten 6-Beta-Naltrexol an einigen Probanden bestimmt. Die Patienten erhielten zusätzlich einen individuellen 12-Stufen-Plan zur Überwindung ihrer Abhängigkeit und wurden ermutigt, an Treffen der anonymen Alkoholiker teilzunehmen.

Kein positiver Effekt nachgewiesen

73% der Patienten nahmen bis zum Ende der Studie teil. 89% davon nahmen die Tabletten 52 Wochen lang ein. Vollständig ausgefüllte Trinktagebücher über den gesamten Studienzeitraum von 52 Wochen lagen nur von 52% der Teilnehmer vor. 27% brachen die Studie aus verschiedenen Gründen vorzeitig ab.

Nach 13 Wochen gab es keinen signifikanten Unterschied in der Zeit bis zum ersten Rückfall zwischen Plazebo (62,4 Tage) und Naltrexon (72,3 Tage). Nach einem Jahr hatte sich weder die Anzahl an Tagen, an denen getrunken wurde, noch die Menge des konsumierten Alkohols unter der Behandlung mit Naltrexon signifikant verringert. Diejenigen Patienten, die eine bessere Compliance aufwiesen, mehr Beratung in Anspruch nahmen und häufiger Treffen der anonymen Alkoholiker aufsuchten, hatten bessere Ergebnisse, egal ob sie Plazebo oder Naltrexon bekamen.

Soziales Umfeld beachten

Die untersuchten Patienten waren im Durchschnitt 10 Jahre älter als die Teilnehmer in früheren Studien. Die Alkoholabhängigkeit bestand sehr viel länger (über 20 Jahre) und die Patienten hatten ein anderes soziales Umfeld. Untersuchungen zeigen, dass Alkoholiker, die Familie und eine geregelte Arbeit haben, bessere Aussicht auf Heilung haben. In der vorliegenden Studie war nur ein Drittel der Teilnehmer verheiratet oder lebte mit einem Partner zusammen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind somit nicht auf andere Gruppen übertragbar, wie z. B. auf Frauen oder auf Personen, deren Abhängigkeit noch nicht so lange besteht.

Sozialtherapeutische Maßnahmen beeinflussen Studienergebnisse

Ein weiterer Grund für die schlechten Ergebnisse der Studie kann in den begleitenden sozialtherapeutischen Maßnahmen liegen. Die Patienten hatten anfangs nur einen Beratungstermin pro Woche von einer Stunde, nach 17 Wochen wurden die Abstände zwischen den Terminen länger. Dies ist möglicherweise nicht genug, um den hochgradig Abhängigen zu helfen. In früheren Studien kamen verhaltenstherapeutische Trainingsmethoden zum Einsatz, die gezielt der Überwindung von Suchtstrukturen dienten.

Kastentext: Anti-Craving-Medikamente

Das starke unwiderstehliche Verlangen nach Alkohol oder Drogen wird als Craving bezeichnet und ist ein zentrales Merkmal einer Sucht. Die Reduktion des Verlangens zur Rückfallvermeidung ist auch das vorrangige Ziel einer Pharmakotherapie des Alkoholismus. Seit einigen Jahren werden dazu in den meisten europäischen Ländern die Medikamente Acamprosat (Campral®) und Naltrexon (Nemexin®) eingesetzt.

Acamprosat beeinflusst vorwiegend den Glutamat-Haushalt im Gehirn. Es ist das Calciumsalz von Acetylhomotaurin und mit den im Gehirn aktiven Neurotransmittern gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Glutamat sowie mit Taurin verwandt. Der genaue Wirkungsmechanismus ist noch nicht geklärt.

Naltrexon blockiert als Abkömmling des Naloxons die Opiat-Rezeptoren. Es verdrängt gebundene Opioid-Agonisten vom Rezeptor, zu dem es eine 20fach höhere Affinität als Morphin hat. Zu einer wirksamen pharmakotherapeutischen Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigen gehört jedoch auch immer eine psycho- bzw. soziotherapeutische Begleitung.

Literatur

Krystal, J., et al.: Naltrexone in the treatment of alcohol dependence. N. Engl. J. Med., 345, 1734 – 1739, 1770 – 1771 (2001).

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