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Entwicklungshilfe
R. W. O. JähnkeMit zwei Koffern gegen die Medikamen
Politisch unstabile Lage
Nach einem Volksaufstand im April 1990 musste Nepals absolutistisch regierender König Birendra das Parteienverbot aufheben und der Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung zustimmen. Seit dem Blutbad im Königspalast von Kathmandu am 1. Juni 2001 bangt das Volk jedoch wieder um seine politischen Freiheiten. Die Verfassung der konstitutionellen Monarchie schwankt, und der politischen Elite des Landes fehlt ein Konzept gegen die Maoisten, die bereits mehrere Provinzen beherrschen.
Die Erwartungen der 22 Millionen Einwohner Nepals an die Demokratisierung wurden bisher in keiner Weise erfüllt. Nach wie vor zählt das Land im Himalaja zu den ärmsten der Welt. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 125 US-Dollar. Fast jeder zweite Nepalese lebt unterhalb der Armutsgrenze. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1200 US-Dollar pro Kopf und Jahr bleibt Nepal selbst nach asiatischen Maßstäben ein Armenhaus.
Für entwicklungspolitische Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft erhält Nepal jedes Jahr ca. 300 Millionen US-Dollar. Eine andere Haupteinnahmequelle des Landes ist der Tourismus. Die Devisenkontrolle ist strikt. So ist für Touristen ein Rücktausch von nepalesischen Rupees in frei konvertible Währungen wie Dollar oder Euro nur mit einem 85%igen Verlust an wenigen autorisierten Stellen möglich.
Pro Jahr 1,6 Dollar fürs Gesundheitswesen
Aus dem Jahreshaushalt 1999 erhielt Nepals Gesundheitsministerium rund 52 Millionen US-Dollar (5,6%). Davon flossen 70% in Programme und Projekte des öffentlichen Gesundheitsdienstes wie Familienplanung, Unterernährung, AIDS, Tuberkulose, Lepra, Malaria, Atemwegserkrankungen, Immunisierung. Mit den restlichen Mitteln wird u. a. der Betrieb von fünf Zentral- und 74 Distriktkrankenhäusern, 140 Basisgesundheitszentren (Primary Health Care Centres), 723 Gesundheitsposten und 3175 so genannter Sub Health Posts aufrechterhalten [1].
Pro Kopf und Jahr betragen die öffentlichen Gesundheitsausgaben gerade mal 1,6 US-Dollar. Die Differenz zu den Gesamtausgaben von 8 US-Dollar pro Kopf und Jahr (zum Vergleich: Deutschland 2713 US-Dollar) [2] wird über die Privathaushalte und andere Gesundheitsträger wie z. B. Kirchen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) finanziert. Circa 40% aller ländlichen Krankenhäuser und Basisgesundheitszentren werden auf konfessioneller Basis betrieben. Ein Krankenversicherungssystem westlichen Zuschnitts ist nicht existent.
Im Crashkurs zum Arzneimittelhändler
Dem Gesetz nach ist die medizinische Versorgung für Nepalesen kostenlos. Arzneimittel, Verband- und chirurgisches Nahtmaterial müssen jedoch vom Patienten selbst besorgt und – vor allem – selbst bezahlt werden. Ausnahmen zur Zuzahlung gelten nur für die Ärmsten der Armen.
Für die pharmazeutische Versorgung im öffentlichen Gesundheitssystem sind ein zentrales und fünf regionale Medizinallager (Medical Stores) verantwortlich. Ihr Arzneimittelbudget liegt bei 5 Millionen US-Dollar pro Jahr und wird zu über 80% aus internationalen Hilfsprogrammen wie zum Beispiel dem Programm zur Bekämpfung der Tuberkulose bestritten.
Mit einem Jahresumsatz von 45 Millionen US-Dollar liegen 90% der gesamten Arzneimittelversorgung im Privatsektor, und zwar in den Händen von ca. 22 000 Drogisten [3]. Für das Recht zur Belieferung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln reicht ihnen ein dreiwöchiger pharmazeutischer Crashkurs, mit dem sie sich als "Compounder" qualifizieren. Die 450 nach westlichem Vorbild ausgebildeten Apotheker arbeiten fast ausschließlich in der öffentlichen Verwaltung und der Industrie. Der jährliche Arzneimittelumsatz von 2000 Dollar in der Drogerie wird ihrer teuren, zumeist im Ausland erfolgten Ausbildung nicht gerecht.
Grundversorgung mit 75 Arzneimitteln
Der Arzneimittelbedarf Nepals wird zu über 80% mit Importen aus Indien gedeckt. Beide Länder sind durch eine Freihandelszone eng verbunden. Weitere 34 heimische Unternehmer [4] produzieren die restlichen 20%. Wertmäßig beträgt der Verbrauch an Arzneimitteln 50 Millionen US-Dollar und erreicht somit fast 100% des Jahresbudgets des öffentlichen Gesundheitssystems. Aus diesem Grund kann der nepalische Staat nur die kostenlose medizinische, nicht jedoch die kostenlose pharmazeutische Versorgung garantieren.
Zur Sicherstellung der medikamentösen Grundversorgung der Mehrheit der Bevölkerung nahm das Gesundheitsministerium 75 Arzneimittel in sein nationales Versorgungsprogramm auf, während die Weltgesundheitsorganisation 300 Arzneimittel als unentbehrlich vorgeschlagen hat [5, 6]. Aufgrund des immensen Kostendrucks können selbst hiervon nur die 30 gängigsten Arzneimittel, zumeist Antibiotika, kostenlos abgegeben werden.
Doch selbst die staatlichen Medizinallager und ihre Abnehmer, z. B. die Distriktkrankenhäuser und Gesundheitsposten, die den Ärmsten im Prinzip den kostenlosen Zugang zu dieser Minimalliste an Arzneimitteln ermöglichen sollten, sind heute angehalten, auch diese Medikamente mindestens kostendeckend abzugeben. Mit diesen Einnahmen können sich die staatlichen Medizinallager den darüber hinausgehenden Bedarf an Arzneimitteln auf dem freien Markt beschaffen.
Widersprüche zwischen Theorie und Praxis
Unisono wurde dem German Pharma Health Fund vom staatlichen Department of Drug Administration (DDA, Arzneimittelzulassungs- und -überwachungsbehörde) sowie vom Royal Drug Research Laboratory (RDRL, staatliches Arzneimittelkontrolllabor) erklärt, dass bei einer Einhaltung der staatlich geregelten und überwachten Arzneimittelvertriebswege keinerlei Lücken auftreten können, die die Sicherheit und Qualität der in Nepal zirkulierenden Arzneimittel gefährden könnten. Soweit die Theorie.
Bei dieser "Staatsräson" wundert es dann doch – oder aufgrund der knappen Ressourcen wiederum auch nicht –, dass DDA und RDRL so verwahrlost erscheinen. Immerhin konnten jüngst mit Unterstützung des japanischen Entwicklungsministeriums (Japanese International Cooperation Agency, JICA) im Arzneimittelkontrolllabor wichtige Analysengeräten wie z. B. HPLC und GC installiert werden. Durch die Einrichtung eines Computers mit Internetzugang besteht neuerdings Anschluss an Partnerlaboratorien und die Möglichkeit zum globalen Informationsaustausch.
Der Kauf und Betrieb einer Klimaanlage bleibt bei Stromkosten von 50 Dollar, d. h. einem halben Monatsgehalt, pro Raum und Monat jedoch ein Luxus, sowohl für die Zentrale wie für den Außenposten im feuchtheißen Tiefland der Tarai-Region. Und dort in der Provinz gibt es darüber hinaus auch kein Geld für Kühlschränke, eigentlich ein Muss für die Zwischenlagerung gezogener Arzneimittelproben, die laut Etikett nicht über 25 °C zu lagern sind.
Letztlich ist dies aber unerheblich, denn über die gesamte Vertriebskette hinweg haben die meisten der so etikettierten Medikamente solche Lagerbedingungen sowieso nicht kennen gelernt. Insbesondere nicht am Point of Sale an der Grenze zu Indien in den landesüblichen offenen Lager- und Verkaufsräumen. Dort steigt die Quecksilbersäule nicht selten bis 50 °C, und von Juni bis September sättigt der Monsun die Luft mit Feuchtigkeit von bis zu 85% ab.
Doppelte Zugabe
Ein Besuch beim Drogistenverband bestätigte später die Vermutung, dass es neben der oben genannten, staatlich verordneten Arzneimittelvertriebskette, d. h. neben dem geregelten Markt, noch einen florierenden Parallelmarkt gibt. Händler mit Discountpreisen von bis zu 67% Naturalrabatt ("Buy one – get three!") sind an der Tagesordnung. Da wird jeder Einkäufer schwach. Nicht nur die Drogisten, die ohnehin eher als Kaufleute denn als Pharmazeuten zu klassifizieren sind, sondern auch die Apotheker der staatlichen Medizinallager und des Armeekrankenhauses. Hits auf der nach oben offenen Angebotsliste sind derzeit moderne Kardiaka, z. B. ACE-Hemmer vom Captopril-Typ.
Die Einfallstore für das fahrende Volk der Arzneimittelhändler liegen an Nepals Südgrenze zu Indien, genauer: am für die Arzneimittel(un)sicherheit so berüchtigten indischen Bundesstaat Bihar. Durch dessen Kapitale Patna schleusen Händlerringe 80% aller in Indien gefälschten Medikamente zum Verbrauch in die bevölkerungsreiche Gangesebene. Kalk, Gelbwurzpulver und Farbpigmente werden in diesen Breiten schnell zu Inhaltsstoffen von Kapseln, Tabletten und Sirupen [7 – 10].
Einsatz der Minilabs strategisch geplant
Und hier, in Nepals Tarai-Ebene, liegen auch die Einsatzorte für die drei von der WHO gespendeten Minilabs [11]: Wichtigster Standort ist die Grenzstadt Birganj (Distrikt Parsa), direkt an der Straße zwischen der Fälschungshochburg Patna und der Hauptstadt Kathmandu gelegen. Die beiden anderen Minilab-Einsatzorte liegen 400 km weiter westlich in Nepalganj (Distrikt Banke) an der Grenze zum ebenfalls berüchtigten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh bzw. 300 km weiter östlich in Biratnagar (Distrikt Mora) in der Nähe des indischen Bundesstaates Westbengalen und von Bangladesh.
Alle drei Minilabs operieren von den lokalen Basen des Department of Drug Administration aus. Unterstützung bei der Arzneimittelanalyse und dem Screening auf gefälschte Arzneimittel erfahren die Außenposten vom zentralen Royal Drug Research Laboratory in Kathmandu. Hier finanzierte der GPHF auch einen einwöchigen Trainingskurs am Minilab für sieben Mitarbeiter des RDRL und des DDA. Allesamt waren es gut ausgebildete Apotheker und Regierungsinspektoren mit der Fähigkeit, zukünftig selbst Trainings für weitere Minilab-Einsätze durchzuführen.
Weiterer Ausbau der Arzneimittelkontrolle geplant
Neben der effektiven Vernetzung der bereits existierenden Minilab-Standorte und der Auswertung der gesammelten Daten bleibt der Ausbau des Minilab-Netzwerkes in Nepal eine vorrangiges Ziel. Interessenten für weitere Minilabs sind das zentrale Zolllabor, diverse Militärkrankenhäuser, die regionalen Medizinallager, die National Chemists and Druggists Association, die pharmazeutischen Institute der drei Universitäten und das in den einzelnen Gemeinden verankerte Arzneimittelprogramm (Community Based Drug Programme) der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).
Die GTZ installiert darüber hinaus zurzeit zwei Minilabs des German Pharma Health Fund im nordwestindischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Ein schwerer Schlag gegen die Fälscherbanden könnte schließlich der Einsatz eines Minilabs direkt in Patna, dem Eldorado aller Medikamentenfälscher in Indien, sein. Durch die Organisation Ärzte für die Dritte Welt in Frankfurt am Main bestehen hier sehr gute Verbindungen zum Kurji Holy Family Hospital.
Danksagung:
Mein herzlicher Dank geht an den German Pharma Health Fund (GPHF), der die Schulung am Minilab in Nepal finanziert hat, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die drei Minilabs kaufte und deren Transport nach Kathmandu übernahm, sowie all jene, die den Besuch vor Ort in Nepal vorbereitet und zum Erfolg verholfen haben, insbesondere Herrn Apotheker Balkrishna Khakurel, Vorsitzender der Nepal Pharmaceutical Association, WHO-Koordinator und Mitarbeiter des Department for Drug Administration in Kathmandu.
Literatur
[1] Annual Report. His Majesty's Government, Ministry of Health, Department of Health Services, Kathmandu, 2055/56 (1998/99). [2] WHO Health Report 2000. World Health Organization, Geneva 2001. [3] B. Khakurel, Pharmaceutical Scenario and Drug Policy of Nepal. Bull. Nepal Pharm. Assoc. 11, 2057 (2000). [4] Nepal Chemists & Druggist Association, NCDA "Silver Jubilee Year 1999", Kathmandu, 2056 (1999). [5] National List Of Essential Drugs Nepal (Second Revision). His Majesty's Government, Ministry of Health, Department of Drug Administration, Kathmandu, Nepal 2054 (1997). [6] Standard Treatment Schedules For Health Posts & Sub Health Posts. His Majesty's Government, Ministry of Health, Department of Drug Administration, Kathmandu, 2056 (1999). [7] S. Chakravarty et al., Deadly Doses, Investigation on spurious drugs. India Today, 29th of January 2001. [8] M. Pande, Fake drugs make health here. The Times of India, 9th of March 2001. [9] A dumping yard for fake drugs. The Hindustan Times, 22nd of October 2000. [10] Paul Newton et al., Fake artesunate in southeast Asia. Lancet 357 (2001). [11] R. W. O. Jähnke et al., Low-Cost Quality Assurance Of Medicines Using the GPHF-Minilab. Drug Inf. J. 35 (2001).
Zum Schutz vor gefälschten und gestreckten Arzneimitteln hat der German Pharma Health Fund (GHPF), eine Initiative der forschenden Arzneimittelhersteller in Deutschland, ein mobiles Kompaktlabor entwickelt: das GPHF-Minilab. Seit zwei Jahren sind auch in Nepal drei GPHF-Minilabs im Einsatz, um die allgemeine Arzneimittelqualität zu verbessern.
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