Ernährung aktuell

Noch immer problematisch: Versteckte Allergene in Lebensmitteln

Möglicherweise 140 Nahrungsmittelallergiker sterben jedes Jahr in den USA durch nicht erkannte Allergene in Nahrungsmitteln [1]. Versteckte Allergene gelangen auf den unterschiedlichsten Wegen auch in solche Lebensmittel, bei denen das Allergen nicht zu erwarten ist. Kontaminationen sind sowohl bei der Zubereitung im Privathaushalt wie in der Gemeinschaftsverpflegung als auch bei der Produktion von Lebensmitteln in Handwerk und Industrie möglich. Eine französische Studie wertete die Daten aus allen allergologisch arbeitenden Zentren Frankreichs aus und zeigte, dass anaphylaktische Reaktionen auf Nahrungsmittel zu 30,8% durch den unbeabsichtigten Konsum des Allergens hervorgerufen werden. Für Deutschland gibt es noch keine vergleichbaren epidemiologischen Daten [1].

Eine Umfrage unter 833 Erdnussallergikern ergab, dass 50% innerhalb des letzten Jahres ungewollt Erdnuss konsumiert hatten. 92% der Allergiker berichteten über eine unbeabsichtigte Einnahme während der letzten fünf Jahre [3]. Daten zur Situation von nussallergischen Kindern zeigen, dass bei 55% der Kinder mit Erdnussallergie und 30% der Kinder mit Allergie auf Baumnüsse innerhalb von 5,5 Jahren eine oder sogar mehrere unvorhergesehene allergische Reaktion/en auftraten [1].

Die Folgenschwere allergischer Reaktionen macht es notwendig, speziell auf versteckte Allergene zu achten. Auffallend oft sind junge Menschen (< 20 Jahre) davon betroffen. Die Mehrzahl dieser Reaktionen entsteht durch Speisen, die nicht selbst hergestellt wurden. Diese Mahlzeiten sind für Allergiker ein nicht kalkulierbares Risiko [1].

Bei 70% der nahrungsmittelbedingten Todesfälle in Großbritannien (37 Fälle, 1992 bis 1998) trat der Tod nach einem Essen ein, das nicht im eigenen Haushalt zubereitet worden war, sondern als Take-away-Menü oder in einem Restaurant, in einer Bar, in einer Kantine oder in der Schule gegessen wurde [3].

Grundprinzip der Behandlung jeder Allergie ist das Meiden des Allergens. Sind die auslösenden Allergene bekannt, müssen die betreffenden Lebensmittel und alle Zubereitungen, die diese Lebensmittel enthalten, aus der Kost ferngehalten werden. Was theoretisch eindeutig ist, bereitet jedoch in der Praxis häufig Probleme. Schon kleinste Mengen eines Allergens reichen aus, das allergische Geschehen in Gang zu setzen. Nicht Diätfehler, sondern versteckte Allergene sind häufig die Auslöser heftigster allergischer Reaktionen, oft auch mit tödlichem Ausgang.

Allergene als unerwartete Bestandteile von Lebensmitteln

Besonders häufig geschieht der ungewollte Konsum von Nahrungsmittel-allergenen, wenn das Allergen unerwarteter Bestandteil einer Speise ist, z. B. Surimi (Fisch) in Fleischgerichten oder Milch in Wurstwaren. Tabelle 1 nennt einige Beispiele von Lebensmitteln, die versteckt Milchprodukte enthalten können [3]. Soja, Erdnüsse, Nüsse und Sellerie verstecken sich besonders oft als nicht deklarierte Bestandteile in Lebensmitteln, z. B. Sellerie in Gewürzmischungen oder Erdnuss- und Sojabeimengungen in Fertiggerichten.

Für den ungeschulten Laien macht es in der Praxis auch Probleme, dass sich allergene Lebensmittel hinter Funktionsnamen für Lebensmittel oder Lebensmittelbestandteilen verstecken können, die nicht direkt mit dem zu meidenden Allergen in Verbindung gebracht werden. Milchprotein verbirgt sich z. B. hinter Angaben wie Casein, Caseinat oder Lactose und Eiprotein hinter Ovalbumin oder Lecithin [1].

Zusammengesetzte Zutaten

Speziell für die Bedürfnisse von Allergikern ist die Kennzeichnung von Lebensmitteln nach der 25%-Regel nicht ausreichend. Nach geltendem Recht müssen die einzelnen Bestandteile einer zusammengesetzten Zutat nicht auf der Verpackung genannt werden, wenn ihr Anteil an der zusammengesetzten Zutat unter 25 Gewichtsprozent liegt. Die zusammengesetzte Zutat erscheint im Zutatenverzeichnis dann nur unter dem allgemeinen Verkehrsnamen. So werden beispielsweise Früchte in einem Joghurt als "Fruchtzubereitung" gekennzeichnet, wenn sie Teil einer zusammengesetzten Zutat sind, die weniger als ein Viertel des Joghurts ausmacht [1].

Auch Schokoladen bergen bekannte Gefahren für Allergiker, z. B. dürfen laut Kakaoverordnung (§ 9 Abs. 1) allen Schokoladen, außer Haselnuss-Schokolade, Haselnuss-Milchschokolade und Schokoladen-streuseln, andere Lebensmittel zugesetzt werden. Erlaubte und gebräuchliche Zutaten sind u. a. Nüsse, Cola, Joghurt, Eigelb, Eiweiß, Sojamehl, Zitronat. Die Hersteller müssen auf der Verpackung von Schokolade und Schokoladenerzeugnissen verschiedene Zusätze wie Erdnusspaste, Milcheiweiß und Soja nicht in Zusammenhang mit der Bezeichnung des Produkts nennen, wenn sie mengenmäßig weniger als 5% des Gesamtgewichtes des Fertigerzeugnisses betragen und die Beimischung geschmacksneutral ist [5].

EU-Kennzeichnungsrichtlinie

Auf EU-Ebene ist deshalb dringend eine Richtlinie über Höchstmengen an Allergenen erforderlich, so die Meinung verschiedener Fachgesellschaften, u. a. auch der Ärzteverbände für Allergologie. Besonders die häufigsten Allergieauslöser wie Nüsse, Erdnüsse, Sellerie, Soja, Erbsen, Milch und Eiklar sollten unbedingt gekennzeichnet werden. In einem Positionspapier zur Änderung der EG-Etikettierungsrichtlinie empfehlen die Fachgesellschaften, die 25%-Regel aufzuheben, auch lose verkaufte Waren zu kennzeichnen und die Hersteller zu verpflichten, auf produktionsbedingte Kontaminationen hinzuweisen.

Einen ersten Richtlinienvorschlag zur Änderung der Etikettierungs-Richtlinie (2000/13/EG) legte die EU vor. Er sieht vor, die seit über 20 Jahren gültige 25%-Regel abzuschaffen. Nach dem neuen Vorschlag müssen künftig alle bewusst verwendeten Zutaten aufgeführt werden. Außerdem enthält er eine Liste von Zutaten, die Allergien oder Unverträglichkeiten verursachen können und demnächst ausdrücklich genannt werden müssen. Dies sind glutenhaltiges Getreide, Krustentiere, Eier, Fisch, Erdnüsse, Soja, Milch (einschließlich Laktose), Schalenfrüchte, Sesamsamen sowie deren Erzeugnisse und Sulfit in einer Konzentration von mindestens 10 mg/kg. Die Regelung soll darüber hinaus auch für alkoholische Getränke gelten, wenn sie eine der oben genannten Zutaten enthalten [6].

Nicht enthalten sind in dieser Liste Sellerie und Senf. Sellerie ist in der Schweiz das Nahrungsmittelallergen mit der höchsten Prävalenz und verbirgt sich als Würzmittel in vielen Produkten wie Suppen, Saucen, Salat-, Fleisch- und Geflügelspeisen, Gewürzsalzen und Gewürzmischungen.

Senf hat ein hohes allergenes Potenzial und kann schon in kleinen Dosen schwere Anaphylaxien auslösen [1, 7]. Zutaten, die in sehr geringen Mengen verwendet werden (weniger als 2%), müssen auch weiterhin nicht deklariert werden. Damit soll eine extrem lange Zutatenliste und eine "Überregulierung" verhindert werden. Diese Toleranzregelung gilt jedoch nicht für die in der Auflistung explizit aufgeführten Allergene [6]. Kontaminationen sind in diesem Entwurf nicht erwähnt. Bislang deklarieren die Hersteller auf freiwilliger Basis vorsichtshalber mit einem Warnhinweis "kann möglicherweise ... enthalten". Sie beugen somit Haftungsklagen vor [7].

Kontamination während der Zubereitung

Eine weitere mögliche Quelle für versteckte Allergene müssen Allergiker in Betracht ziehen: Allergene können während des Herstellungsprozesses in Lebensmittel gelangen. Das Paradebeispiel ist die Schokoladenherstellung. Nuss-Allergene gelangen in nussfreie Schokolade, wenn mit den gleichen Maschinen zuvor Nussschokolade hergestellt wurde. Der Grund: Die Maschinen für die Schokoladenproduktion können zwischen den verschiedenen Chargen nicht gereinigt werden. Folgt also auf eine Nussschokoladenproduktion die Herstellung einer nussfreien Schokolade, dann enthalten die ersten Tafeln der nussfreien Sorte solange Nussspuren, bis die Anlage "gereinigt" ist [7].

Kontaminationen sind auch immer dann möglich, wenn mit gleichen Arbeitsgeräten Unterschiedliches zubereitet wird. So erlebte beispielsweise ein Patient mit Buchweizenallergie eine allergische Reaktion nach dem Essen eines Weizenburgers. Der Weizenburger enthielt selbst keinen Buchweizen, wurde aber in einer Pfanne zubereitet, in der zuvor Buchweizen-Crepes gebraten wurden [1, 3].

Dabei ist der Schwellenwert, d. h. die minimale Menge eines Allergens, bei der ein Patient allergisch reagiert, individuell unterschiedlich. In einer 1997 erschienenen Studie wurde gezeigt, dass ein Erdnussallergiker bereits auf eine Dosis von 100 Mikrogramm Erdnussprotein (entspricht 0,2 mg Erdnuss) mit einem Jucken der Lippen reagierte und nach Konsum von 5 mg Erdnussprotein mit einer systemischen Reaktion, d. h. mit Übelkeit, Erbrechen, Urtikaria und Atemnot. Eine Umfrage unter Erdnussallergikern zeigte, dass 90% bereits bei einer Menge, die kleiner war als eine einzige Nuss, reagierten. Über Beschwerden bei alleiniger Berührung von Erdnüssen berichteten 50% der Patienten.

Gerade bei den Patienten, die bereits auf sehr kleine Allergendosen reagieren, ist die Gefahr einer allergischen Reaktion auf eine nicht erkannte Allergenaufnahme sehr groß [3]. Tabelle 2 macht Mengenangaben zu verschiedenen Nahrungsmittelallergenen, die in Studien allergische Reaktionen auslösten.

Die IgE-vermittelten allergischen Reaktionen treten in der Regel innerhalb der ersten 30 Minuten nach dem Verzehr der allergenhaltigen Speise auf. Auch verzögerte Reaktionen, ein bis zwei Stunden nach dem Verzehr des Nahrungsmittels, sind möglich. Mitunter klingen leichte, frühe Symptome ab und treten nach 30 bis 60 Minuten plötzlich und in schwerer Ausprägung wieder auf [1].

Die Haut ist der bevorzugte Ort der Manifestation (40 – 60% aller Fälle). Symptome werden jedoch auch am Gastrointestinaltrakt, am Respirationstrakt sowie am Herz-Kreislauf-System beobachtet. Die gravierendste Form der allergischen Reaktion ist die anaphylaktische Reaktion, die je nach Schwere in vier verschiedene Grade eingestuft werden kann. Sie kann mit Juckreiz, Rötung und Urtikaria der Haut beginnen. Übelkeit und Bauchkrämpfe sowie Atemnot, Herzjagen und Blutdruckabfall können auftreten. Ernstere Fälle sind begleitet von Erbrechen und Durchfall, Bronchospasmus, Schock und Bewusstlosigkeit. Durch Atem- und Kreislaufstillstand kann schließlich der Tod des Patienten eintreten.

Nahrungsmittelallergien betreffen in Deutschland etwa 8% aller Kinder. Häufig sind diese Nahrungsmittelallergien assoziiert mit atopischen Erkrankungen, zu denen Neurodermitis (atopisches Ekzem), allergischer Heuschnupfen und allergisches Asthma gehören. So ist bei etwa einem Drittel der Kinder mit mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis eine Allergie auf Nahrungsmittel manifest.

Als Nahrungsmittelallergene sind im Kindesalter vor allem Hühnerei, Kuhmilch, Weizen und Soja relevant. Beim Erwachsenen wird die Liste der Nahrungsmittelallergene angeführt von Obst mit 35% der Fälle. Nüsse einschließlich Erdnüsse sind mit 23% die zweithäufigste Ursache von Nahrungsmittelallergien, 18% werden von Gewürzen ausgelöst und 10% von Fischen und Meeresfrüchten [2].

Das Auftreten von Allergien als Reaktion auf bestimmte Lebensmittel ist regional verschieden und hängt auch von lokalen Essgewohnheiten und dem Verbreitungsgrad der Lebensmittel ab. Erdnüsse sind z. B. in den USA die häufigste Ursache von Nahrungsmittelallergien. Erdnussbutter ist bei US-amerikanischen Kindern sehr begehrt [1]. Mittlerweile reagieren 8% der US-amerikanischen Kinder und 2% der Erwachsenen allergisch auf Erdnüsse [4]. In Europa spielen Erdnüsse als Allergene bislang eine geringere Rolle. Ihre Prävalenz nimmt durch einen vermehrten Konsum jedoch auch hier zu. In der Schweiz stieg der Anteil der erdnussbedingten Allergien in einem Jahrzehnt von 1,5% auf 12,5% [1].

Informationsbedarf auch für Kreuzallergiker

Ein sprunghafter Anstieg ist auch bei den Kreuzallergien zu verzeichnen. In den letzten 15 bis 20 Jahren ist der Anteil der Pollenallergiker, die eine Nahrungsmittelallergie ausbilden, von 17 auf 60% angestiegen. Zur Kreuzallergie kommt es, weil Allergene aus Gräser-, Kräuter- und Baumpollen durch botanische oder chemische Verwandtschaft denen von anderen pflanzlichen Lebensmitteln ähneln oder identisch sind. Insbesondere die allergischen Reaktionen auf Nüsse und Äpfel nehmen einer deutsch-schweizerischen Studie zufolge stark zu [8].

Quellen

[1] Lorenz AR et al.: Versteckte Allergene in Lebensmitteln – noch immer ein Problem. Bundesgesundheitsblatt 44 (2001) 666 – 675 [2] DG AI, ÄDA, DAAU: Weißbuch – Allergie in Deutschland. Medizin und Wissen (2000) 123 [3] Ballmer-Weber BK et al.: Die Nahrungsmittelallergie und ihre diätetische Behandlung. Aktuel Ernaehr Med 26 (2001) 196 – 202 [4] Josefson D.: FDA targets snack foods industry over allergens. Brit Med J 322 (2001) 883 [5] aid: Lebensmittel-Allergien. (2000) 27 [6] Gute Aussichten junger Allergiker.: EU 48 (2001) 416 – 417 [7] Persönliche Mitteilungen Prof. Dr. Stefan Vieths, Paul-Ehrlich-Institut Langen [8] Frei Th et al.: Comparison of pollen dato and pollenassociated oral allergy syndrome. Allergologie 21 (1998) 98 – 104 [9] Persönliche Mitteilungen Prof. Dr. Karl-Christian Bergmann, Allergie- und Asthma-Klinik Wilhelm Gronemeyer, Bad-Lippspringe

Nachdruck aus DGE-Info Januar 2002, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V.

Möglicherweise 140 Nahrungsmittelallergiker sterben jedes Jahr in den USA durch nicht erkannte Allergene in Nahrungsmitteln. Für Deutschland gibt es noch keine vergleichbaren epidemiologischen Daten, allerdings weiß man, dass auch hierzulande versteckte Allergene in Lebensmitteln nach wie vor ein Problem sind. Versteckte Allergene gelangen auf den unterschiedlichsten Wegen auch in solche Lebensmittel, bei denen das Allergen nicht zu erwarten ist. Kontaminationen sind sowohl bei der Zubereitung im Privathaushalt wie in der Gemeinschaftsverpflegung als auch bei der Produktion von Lebensmitteln in Handwerk und Industrie möglich. Wo die Gefahren lauern und wie man ihnen zu begegnen versucht, können Sie in dieser Ausgabe nachlesen. 

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