Arzneistoffporträt

P. OehmeCapsaicin in der lokalen Schmerztherapie &nd

Der scharfe Geschmack der Früchte des Cayennepfeffers ist allgemein bekannt. Er wird ausgelöst durch ein im Cayennepfeffer enthaltenes Vanilloid - das Capsaicin. Die Tatsache, dass nach der Einwirkung von Capsaicin auf die Nerven die Schmerzwahrnehmung vermindert ist, macht man sich seit langem therapeutisch zunutze. Zurzeit erlebt die medizinische Anwendung von Capsaicin eine Renaissance. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Historisches

Cayennepfeffer (Capsicum frutescens) wurde bereits vor mehr als 7000 Jahren in Mexiko kultiviert, um seine Früchte, die Chilis, als Gewürz zu verwenden. Vor mehr als 500 Jahren lernte Christoph Kolumbus die mit Chili gewürzten Speisen kennen. Der ihn begleitende Arzt Diego Alvarez Changa beschrieb als erster Europäer das intensive Brennen in der Mundhöhle nach dem Genuss von Chilis, aber auch das Nachlassen des brennenden Geschmackes bei wiederholtem Genuss.

Capsaicin und andere Vanilloide

Capsaicin (Abb. 1) löst Schmerzempfindungen bereits in sehr geringen Konzentrationen aus. In der Mundhöhle und auf der Zunge des Menschen verursacht schon eine Konzentration von 0,7 mM/l einen brennenden Geschmack. Am Rattenauge reicht eine Konzentration von 30 nM/l, um Schmerzphänomene auszulösen.

Im Gegensatz hierzu empfinden Hühner Capsaicin offensichtlich nicht als schmerzhaft. Diese Speziesdifferenz führte zu einer Reihe von Patenten für den Einsatz von Capsaicin als Imprägnierungsmittel für Hühner- und Vogelfutter. Während bei Ratten (und anderen Nagern) das Capsaicin als Repellens wirkt, können Hühner Capsaicin-imprägniertes Futter ohne Probleme fressen.

Eine ganze Reihe weiterer Naturstoffe mit Capsaicin-ähnlicher Wirkung und Struktur sind beschrieben worden; sie werden auf Grund des ihnen gemeinsamen Vanillylrestes als Vanilloide bezeichnet. Unter ihnen ist das Resiniferatoxin (Abb. 2) aus Euphorbia resinifera besonders zu erwähnen. Dieses ultrapotente Wolfsmilch-Vanilloid wirkt um ein Vielfaches stärker als Capsaicin auf die Schmerzwahrnehmung.

Neben wirksameren Agonisten wurden auch Antagonisten zur Unterdrückung der Capsaicinwirkung entwickelt. Hierzu gehört das Capsazepin, eine dem Capsaicin chemisch sehr ähnliche Verbindung. Insgesamt steht jetzt mit den aus der Natur gewonnenen oder chemisch synthetisierten Agonisten und Antagonisten ein umfangreiches Material für die Grundlagenforschung und für klinische Untersuchungen zur Verfügung.

Mechanismen der Vanilloidwirkung

Die nach Capsaicin-Applikation auf der Haut oder Schleimhaut veränderte Schmerzwahrnehmung wird durch einen Angriff an peripheren sensorischen C-Fasern der Nerven vermittelt. Diese Vanilloid-sensitiven Neuronen enthalten eine Reihe sensorischer Neuropeptide, von denen die Substanz P die beste Korrelation zur Vanilloidsensitivität zeigt.

Die Vanilloide entfalten bei ihrer Wirkung auf die sensorischen Fasern ein charakteristisches Profil: Einer initialen Stimulierung der Neuronen (mit Irritation und Hyperästhesie) folgt eine längere refraktäre Phase. In der refraktären Phase ist das Neuron nicht nur gegen eine erneute Vanilloidstimulation unempfindlich, sondern auch gegen andere schmerzauslösende (exogene wie endogene) Faktoren. Dadurch kommt es zu einer langanhaltenden Desensibilisierung gegenüber Schmerz.

Der Feinmechanismus dieses dualen Wirkprofils der Vanilloide auf die Schmerzwahrnehmung ist nur teilweise bekannt. Vereinfacht kann davon ausgegangen werden, dass die initiale stimulatorische Phase durch die Freisetzung von Substanz P (und anderen proinflammatorischen Neuropeptiden) bedingt ist. Die Substanz P bewirkt die Histaminfreisetzung aus Mastzellen und die Dilatation der Blutgefäße. So kommt das anfängliche Brennen und das anschließende Wärmegefühl nach dem Genuss Chili-gewürzter Speisen zustande.

An die initiale Freisetzung von Substanz P durch Capsaicin schließt sich eine langanhaltende Depletion dieses Neuropeptides aus den Neuronen an, was die typische Capsaicin-Desensibilisierung mit einer reduzierten Schmerzempfindlichkeit zur Folge hat (Abb. 3). Diese beiden Phasen der Capsaicinwirkung laufen in den meisten Neuronen ab, die die Substanz P enthalten: in der Haut und Schleimhaut ebenso wie im Gastrointestinaltrakt.

Die charakteristische Capsaicinwirkung auf sensorische Nervenfasern hat seit längerem die Frage ausgelöst, wie dieser Mechanismus auf der molekularen Ebene vermittelt wird. Nach zahlreichen indirekten Hinwiesen für die Existenz spezifischer Vanilloidrezeptoren wurde deren Existenz nun auch direkt nachgewiesen. Der erste klonierte Capsaicinrezeptor ist der VR-1, ein Kationen-selektiver Ionenkanal mit einer Präferenz für Ca++ [1] (Abb. 4).

Mit dem Nachweis des VR-1 ist zum einen für die seit langem bekannten medizinischen Effekte des Naturstoffes Capsaicin eine naturwissenschaftliche Basis gefunden wurden. Zum anderen folgt aus diesen Ergebnissen - ähnlich wie nach der Entdeckung der Opioidrezeptoren - die logische Frage nach der Existenz physiologischer Vanilloidliganden, welche an der Schmerzregulierung beteiligt sein könnten. Dies ist sicher ein "hot topic" zukünftiger Arbeiten über das Capsaicin.

Therapeutische Indikationen der Vanilloide

Beide Phasen der Capsaicin-Wirkung - initiale Stimulation und darauf folgende Desensibilisierung - sind von therapeutischem Interesse. Der initiale Capsaicin-Effekt führt über eine Counter-Irritation (Hyperstimulationsanalgesie) - wahrscheinlich auf der Ebene der peripheren sensorischen Nervenendigungen und des Rückenmarks - zur Schmerzhemmung. Dieser Effekt, der durch die Erhöhung der Mikrozirkulation im betroffenen Gewebe noch unterstützt wird, wird zur Behandlung von Muskelschmerzen verschiedener Genese genutzt.

Die Desensibilisierung Vanilloid-sensitiver Nervenendigungen durch Capsaicin wird medizinisch angewandt zur Beeinflussung endogener Reflexe (Miktionsreflex, Gallenblasenreflex) und verschiedener Schmerzzustände wie

  • Postherpetische Neuralgie
  • Diabetische Neuropathie
  • Schmerz nach Mastektomie
  • Stumpfsyndrom
  • Trigeminusneuralgie
  • Oral neuropathic pain
  • Osteoarthrits
  • Rheumatoidarthritis
  • Fibromyalgie
  • Guillain-Barré-Syndrom
  • Meralgia paraesthetica
  • Burning mouth syndrome (nach [3])

Dazu werden Capsaicin-Cremes in niedrigen Konzentrationen (0,025 bis 0,075% Wirkstoff [3]) angewandt. In besonderen Fällen werden auch hohe Konzentrationen (bis 10%) appliziert.

Obwohl die klinischen Studien z. T. eine Reihe von Problemen zeigen, ist insgesamt davon auszugehen, dass die topische Anwendung capsaicinhaltiger Zubereitungen als eine adjuvante Therapie ihre Berechtigung hat. Dabei kann festgestellt werden, dass Zubereitungen mit niedrigen Capsaicin-Konzentrationen keine neurotoxischen Effekte verursachen.

Horizonte der Vanilloidforschung

Die letzten Jahre haben für den lange bekannten Naturstoff Capsaicin eine überraschende Renaissance gebracht. In Zukunft dürfte insbesondere die innere Capsaicin-Anwendung (z. B. intravesikale Instillation bei Miktionsproblemen) weiter entwickelt werden. Darüber hinaus werden weitere Vanilloidrezeptoragonisten als potenzielle Arzneimittel erforscht [5]. So zeigt das Resiniferatoxin (Abb. 2) in pharmakologischen wie in klinischen Untersuchungen im Vergleich zu Capsaicin ein günstigeres Verhältnis von initialer Stimulation zu folgender Schmerzdesensibilisierung. Am Ende dieser Studien könnte die Markteinführung neuer Analgetika stehen.

Die Auffindung des funktionellen Antagonisten Capsazepin sowie der Nachweis und die Klonierung des Vanilloidrezeptors VR-1 haben die Forschung in verschiedener Weise befruchtet. Das betrifft zum einen die rationale Fundierung der empirisch-medizinischen Anwendung von Capsaicin. Zum anderen hat der Nachweis der Vanilloidrezeptoren konsequenterweise die Frage nach der Existenz körpereigener Liganden ausgelöst. Derartige Forschungen sollten unsere Vorstellungen von der Schmerzregulation in der Zukunft wesentlich erweitern können. Es kann davon ausgegangen werden, dass in absehbarer Zeit weitere Vanilloidrezeptoren nachgewiesen werden.

Capsaicin noch nicht ausgereizt

Trotz dieser erkennbaren neuen Horizonte in der Erforschung der Vanilloide ist auch die gegenwärtige Anwendung des Capsaicins noch nicht vollständig "ausgereizt". Das betrifft sowohl die Ergänzung der bis jetzt vorliegenden klinischen Studien als auch die Galenik für die topische Anwendung.

Im Gegensatz zur Haut von Ratten ist die menschliche Haut für Capsaicin deutlich geringer permeabel. Hinzu kommt eine relativ hohe Metabolisierungsrate des Capsaicins bei der Hautpassage. Durch beide Faktoren werden der erwünschten Desensibilisierung der Neuronen Grenzen gesetzt. Aus diesem Grund ist die Entwicklung günstigerer topischer Applikationsformen für Capsaicin eine interessante Aufgabe. Dabei stellt sich auch die Frage der Kombination des Capsaicins mit anderen Wirkstoffen.

Kastentext: Gut für eine Überraschung

Die Geschichte der Anwendung des Capsaicin zur Schmerzlinderung hat gezeigt, dass gerade Naturstoffe immer wieder für eine Überraschung gut sind. Eine endgültige Bilanz der "Capsaicin-Renaissance" kann zwar noch nicht gezogen werden, aber die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse aus der Vanilloidforschung haben die klinische und experimentelle Schmerzforschung bereits deutlich bereichert.

Abbildungen und Tabellen s. Printausgabe der DAZ

Literatur [1] Caterina, M. J., M. A. Schumacher, M. Tominaga, T. A. Rosen, J. D. Levine, D. Julius: The capsaicin receptor: a heat-activated ion channel in the pain pathway. Nature 389, 816 - 824 (1997). [2] Kress, M., H. U. Zeilhofer: Capsaicin, protons and heat: new excitement about nociceptors. TIPS 20, 112 - 118 (1999). [3] Szallasi, A., P. M. Blumberg: Vanilloid (Capsaicin) receptors and mechanisms. Pharmacol. Rev. 51, 159 - 211 (1999). [4] McCarthy, G. M., D. McCarthy: Effect of topical capsaicin in therapy of painful osteoarthritis of the hands. J. Rheumatol. 19, 604 - 607 (1992). [5] Sterner, O., A. Szallasi: Novel natural vanilloid receptor agonists: new therapeutic targets for drug development. TIPS 20, 459 - 465 (1999). [6] Oehme, P., I. Roske, W. Krause, E. Göres: Capsaicin: lang bekannter Naturstoff mit neuer therapeutischer Perspektive. Arzneimitteltherapie 11, 389 - 391 (1993).

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