Arzneimittel und Therapie

Some like it hot

Nobelpreis für die Entdeckung von Temperatur- und Tastsensoren verliehen

Wer schon einmal ein ABC®-Pflaster gegen Muskelverspannungen auf den Rücken oder den Nacken geklebt hat, kennt die Wirkung: Es brennt wie Feuer, aber es hilft! Das historische Wärmepflaster, das Prof. Raubenheimer 1928 entwickelt hatte, enthielt Arnika, Belladonna und Capsicum. Im Laufe der Jahre wurde die Rezeptur geändert und die Extrakte von Arnika und Belladonna weggelassen. Der molekulare Mechanismus, wie der Capsicum-Dickextrakt Wärme „hervorrufen“ kann, wurde jetzt mit dem Nobelpreis gewürdigt.

Wie kommt es dazu, dass uns das Chili-Pulver im Essen den Schweiß auf die Stirn treibt? Um das herauszufinden, isolierte einer der beiden Preisträger, David Julius, zusammen mit seiner Forschergruppe an der University of California, San Francisco, in den 1990er-Jahren mRNA aus Spinalganglien und generierte daraus eine cDNA-Bank. Diese Gene wurden anschließend in einer humanen embryonalen Nierenzelllinie (HEK293) exprimiert. Die Idee dahinter war, dass irgendeines dieser Gene für ein Protein codieren müsste, das eine HEK293-Zelle zu einer Capsaicin-­sensitiven Zelle werden lässt. Viele Tausend Zellklone später, die alle mithilfe eines speziellen Fluoreszenzfarbstoffs auf einen durch Capsaicin induzierten Calcium-Einstrom in die Zelle getestet wurden, konnte der Rezeptor identifiziert werden: Ein Kanalprotein, das sich aus vier Untereinheiten zusammensetzt, die jeweils mit sechs transmembranären Regionen ausgestattet sind. Der Rezeptor reagierte nicht nur auf Capsaicin, sondern auch auf das in bestimmten Wolfsmilchgewächsen enthaltene Resiniferatoxin und war mit Capsazepin blockierbar. Beiden Agonisten ist ein Vanilloid-Struktur­element gemeinsam, weshalb der neu entdeckte Rezeptor zunächst als Vanilloid-Rezeptor VR1 benannt wurde. Allerdings zeigten anschließende Sequenzvergleiche Ähnlichkeiten mit den bereits aus Drosophila-Fliegen bekannten Calcium-Kanalproteinen TRP (transient receptor potential), was schließlich zur Umbenennung des Rezeptors in TRPV1 (transient receptor poten­tial vanilloid 1) führte. Dass TRPV1 auch auf Wärme reagiert, konnte ebenfalls in HEK293-Zellen gezeigt werden: Eine plötzliche Erhöhung der Umgebungstemperatur auf ca. 45 °C führte auch zu einem Calcium-­Einstrom in die Zelle.

Grafik: I. Zündorf

Abb.: Die bisher identifizierten TRP-Ionenkanäle werden durch unterschiedliche Umgebungstemperaturen aktiviert, wobei die jeweiligen Bereiche durchaus überlappen. Dadurch wird ein breites Temperaturspektrum abgedeckt und kann sehr genau detektiert werden. Das in der Pfefferminze enthaltene Menthol ist ein spezifischer Agonist für TRPM8, Capsaicin aus dem Chilipfeffer bindet an TRPV1.

Damit war das Kanalprotein identifiziert, das einerseits durch Temperaturen über 40 °C, aber auch durch Capsaicin geöffnet wird, was dann zu einer Weiterleitung des Signals und zu einer körperlichen Reaktion führt: Schwitzen.

Der Anfang der Entdeckung der Temperatur-abhängigen Rezeptoren war damit gemacht, und andere Forschergruppen beteiligten sich an der Suche nach weiteren Mitgliedern der Proteinfamilie. Unabhängig voneinander isolierten die Arbeitsgruppen von David Julius und von Ardem Patapoutian, dem zweiten Nobelpreisträger am Scripps Research Institute in La Jolla (Kalifornien), einen Rezeptor, der auf Kälte und Menthol reagierte. In den nahezu zeitgleich in Nature und Cell publizierten Ergebnissen wurde dieses Kanalprotein von Julius als CMR1 (cold- and menthol-sensitive receptor) und von Patapoutian als TRPM8 (transient receptor potential melastatin 8) bezeichnet. Mittlerweile ist eine Reihe von Thermo-TRP identifiziert, die unterschiedliche Temperaturbereiche abdecken. Interessanterweise sind bei einigen Pflanzen mit Capsaicin und Menthol zufällig Inhaltsstoffe entstanden, die sehr spezifisch einzelne dieser Rezeptoren aktivieren und die es erst ermöglichten, die Thermo­rezeptoren zu charakterisieren.

Mechanorezeptoren

Ardem Patapoutian interessierte sich allerdings nicht nur für Thermo-, sondern auch für Mechanorezeptoren. Gemeinsam ist diesen Membranproteinen, dass sie uns dabei helfen, angemessen auf entsprechende Reize zu reagieren und beispielsweise unser Temperaturoptimum einzuhalten oder aber Druck auf Zellen nachzugeben und z. B. den Blutdruck oder den Skelettaufbau zu modulieren. Um die Mechanorezeptoren zu identifizieren, wurden in der Arbeitsgruppe um Patapoutian zunächst verschiedene Zelllinien dahingehend untersucht, ob sie sich über einen mechanischen Reiz mit einer piezoelektrischen Glassonde aktivieren ließen. Die murine Neuroblastoma-Zelllinie Neuro2A erfüllte genau diese Anforderungen. Nach einer Analyse, welche Art Proteine in diesen Zellen bevorzugt exprimiert wurden und welche davon die typischen transmembranären Strukturelemente eines Rezeptors aufwiesen, wurden 72 Kandidatengene identifiziert. Mithilfe der RNA-Interferenz wurden anschließend die 72 Gene nacheinander ausgeschaltet und überprüft, wann die mechanische Reizung nicht mehr stattfand. Das Gen FAM38A war der entschei­dende Treffer, und der davon codierte Ionenkanal wurde als PIEZO1 bezeichnet. Wird dieses Protein heterolog in HEK293-Zellen exprimiert, sind die resultierenden Zellklone ebenfalls mechanosensitiv. Über Sequenzvergleiche konnte mit PIEZO2 ein zweiter mechanosensitiver Kanal gefunden und charakterisiert werden. Die vergleichs­weise riesigen PIEZO-Kanäle bestehen aus drei Untereinheiten, die ihrerseits ca. 2500 Aminosäuren lang sind und ungefähr 35 mögliche transmembranäre Bereiche beinhalten. Vermutlich über Zugkräfte, die an der Lipid­membran wirken, wird der Kanal geöffnet, und es kommt zum Einstrom von Kationen in die Zelle und zur Potenzial­änderung.

Nobelpreise 2021

  • Medizin-Nobelpreis: David Julius und Ardem Patapoutian für die Ent­deckung der Rezeptoren für Temperatur und Berührung
  • Physik-Nobelpreis: Klaus Hasselmann, Syukuro Manabe und Giorgio Parisi für Beiträge zum Verständnis physikalischer Modelle zum Erdklima
  • Chemie-Nobelpreis: Benjamin List und David MacMillan für die Entwicklung der asymmetrischen Organokatalyse
  • Literaturnobelpreis: Abdulrazak Gurnah für die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte
  • Friedensnobelpreis: Maria Ressa und Dmitri Muratow für den Kampf für Meinungs­freiheit
  • Wirtschaftsnobelpreis: David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens für empirische Arbeitsmarkt­studien und Analysen von Kausalbeziehungen

Medizinische Relevanz

Noch ist es zu früh für konkrete Therapieansätze bei den PIEZO-Rezeptoren. Bisher sind allerdings einige Erkrankungen im Menschen iden­tifiziert, die durch Mutationen in den Mechanorezeptoren verursacht werden. Beispielsweise führen sogenannte Gain-of-function-Mutationen in PIEZO1 zu einer verlängerten Öffnung des Kanals und unter anderem zu einer Dehydrierung der Erythrozyten. Das Vollbild der autosomal-dominant vererbten Erkrankung wird als dehy­drierte hereditäre Stomatozytose bezeichnet; interessanterweise sind Patienten in Afrika weniger von einer Malaria-Infektion betroffen. Andere autosomal dominant vererbte PIEZO1-Mutationen sind beispielsweise mit einer kolorektalen adenomatösen Polyposis assoziiert. Bei PIEZO2 sind bestimmte genetische Veränderungen für die Entstehung einer autosomal dominant vererbten distalen Arthro­grypose (Versteifung von Gelenken) verantwortlich, die sich in einer Gaumenspalte und diversen angeborenen Fehlbildungen manifestiert. Und natürlich führen die PIEZO-Mutationen zu verändertem Berührungs- und Vibrationsempfinden. Die Rezeptoren sind auf jeden Fall interessante Targets für zukünftige Wirkstoffe.

Mit der Identifizierung der Thermo­rezeptoren TRPV1 und TRPM8 war die molekulare Erklärung für die Wirksamkeit von Capsaicin und Menthol entdeckt. Beide Substanzen werden erfolgreich topisch angewendet. Ein 8-%iges Capsaicin-Pflaster dient der Linderung bei neuropathischem Schmerz und führt zu einer nachhal­tigen Analgesie. Allerdings ist dabei eine möglichst enge Eingrenzung des Schmerzortes bei den Patienten wichtig. Bei Spannungskopfschmerzen führt eine topische Anwendung des mentholhaltigen Pfefferminzöls auf Stirn und Schläfen zu einer Schmerzlinderung und Kühlung am Applikationsort. Als Pharmazeutische Biologen sind wir natürlich begeistert, dass (mal wieder) Naturstoffe an einer nobelpreiswürdigen Entdeckung beteiligt waren! |

Literatur

Caterina MJ, Schumacher MA, Tominaga M et al. The capsaicin receptor: a heat-activated ion channel in the pain pathway. Nature 1997;389:816 – 824

Coste B, Mathur J, Schmidt M et al. Piezo1 and Piezo2 are essential components of distinct mechanically activated cation channels. Science 2010;330:55 – 60

Die Erfolgsgeschichte eines modernen Klassikers. Informationen der Beiersdorf AG, www.abc-pflaster.de/seiten/ueber-abc

McKemy DD, Neuhausser WM, Julius D. Identification of a cold receptor reveals a general role for TRP channels in thermosensation. Nature 2002;416:52 – 58

Murthy SE, Dubin AE, Patapoutian A. Piezos thrive under pressure: mechanically activated ion channels in health and disease. Nat Rev Mol Cell Biol 2017;18:771 – 783

Patapoutian A, Peier AM, Story GM, Viswanath V. ThermoTRP channels and beyond: mechanisms of temperature sensation. Nat Rev Neurosci 2003;4:529 – 539

Peier AM, Moqrich A, Hergarden AC et al. A TRP Channel that Senses Cold Stimuli and Menthol. Cell 2002); 108:705 – 715

The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2021. Pressemitteilung des Nobelpreiskomitees vom 4. Oktober 2021, www.nobelprize.org

Ilse Zündorf und Robert Fürst, 
Institut für Pharmazeutische Biologie, Frankfurt/Main

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.