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Alles NICE im englischen Gesundheitswesen?

LONDON (nkh). So hatte sich der britische Premierminister das Ganze sicher nicht vorgestellt. Kaum hat das neu eingerichtete Institut für klinische Leistung (National Institute for Clinical Excellence - NICE) seine Arbeit aufgenommen und das erste Gutachten veröffentlicht, schon befindet sich Tony Blair's neueste Einrichtung im Mittelpunkt einer Kontroverse. Im Zentrum steht das von Glaxo Wellcome auf den Markt gebrachte Grippemittel Relenza (Zanamivir).

Das Institut kam zu dem Schluss, dass Relenza nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (auf NHS-Rezept) erhältlich sein sollte. Als Grund hierfür wurde angeführt, dass die vorgelegten Forschungsdaten nicht ausreichend den klinischen Wert des Medikamentes belegen. Hinzu kommt nach Auffassung von NICE, dass die Anzahl an besonders anfälligen Patienten, z. B. Herzpatienten, Patienten mit Asthma oder anderen Atemwegsbeschwerden, Patienten mit einem supprimierten Immunsystem sowie ältere Patienten, zu gering gewesen sei, um den Rückgang schwerwiegender Grippesymptome eindeutig zu belegen. Glaxo Wellcome reagierte erwartungsgemäss enttäuscht und sagte, dass die jetzt von NICE angeforderten Daten bezüglich der Kosten des Medikaments für den NHS nur durch weitläufigen Gebrauch von Relenza zusammengestellt werden könnten. Kritiker des erst seit August letzten Jahres voll funktionsfähigen Institutes fragen bereits, was NICE tun wird, wenn es über ein wirklich teures Präparat entscheiden muss. Die fünf Tage dauernde Behandlung mit Relenza kostet pro Patient lediglich £ 24. "Das Institut ist nicht darauf aus, Arzneimittel zu rationieren oder Patienten das zu versagen, was sie benötigen. Es ist vielmehr darauf bedacht, die Qualität der medizinische Versorgung, die die Patienten erhalten, zu verbessern", erwiderte der Vorsitzende von NICE, Sir Michael Rawlins.

Wie arbeitet NICE?

NICE wurde im April 1999 von der Labour-Regierung als eine spezielle Gesundheitsbehörde (Health-Authority) gegründet, die unmittelbar dem britischen Gesundheitsministerium und der Walisischen Nationalversammlung unterstellt ist. Insgesamt verfügt das Institut über ein Budget von circa £10 Mio (30 Mio. DM). Eine Besonderheit des Institutes ist der "Rat der Partner" (Partners Council), in denen Repräsentanten der Royal Colleges, der verschiedenen im Gesundheitswesen beteiligten Berufe, der pharmazeutischen Industrie, der Patientenvereinigungen und anderer Interessensverbände vertreten sind. NICE arbeitet zudem mit zahlreichen Organisationen und akademischen Instituten zusammen, denn ein Großteil der Arbeit wird im Auftrag von NICE an anderer Stelle durchgeführt. Aufgabe von NICE ist es, die gesetzlich Krankenversicherung (NHS - National Health Service) in bezug auf klinische Effektivität, Rentabilität zu beraten und eine Art klinische Revision durchzuführen. Wie Sir Michael Rawlins in einer Rede an der Universität von Bradford zusammenfasste "wird von uns erwartet, dass wir allen, die im Gesundheitswesen tätig sind, helfen, die Ergebnisse von klinischer Forschung in die klinische Praxis umzusetzen". Welche Arzneimittel und Therapien von NICE untersucht werden, wird dem Institut größtenteils vom britischen Gesundheitsministerium und der Walisischen Nationalversammlung vorgeschrieben. So stehen zunächst Hüftprothesen, Grippemittel wie Relenza und Oseltamivir, Weisheitszahnextraktionen, Taxole, Inhaliergeräte, beta-Interferon und Glatiramer für die Behandlung von MS-Patienten sowie Protonen-Pumpen-Hemmer auf dem Arbeitsprogramm von NICE. Schon bald sollen unter anderem Orlistat, Rituzol, Donepezil und Ribavir/beta-Interferon folgen.

NICE - Richtlinien zur Therapiekontrolle

In einem im Normalfall achtmonatigen Prozess begutachtet NICE die vom Hersteller und anderen Interessensverbänden eingebrachten Daten. Die klinische Wirksamkeit einer Technologie oder eines Arzneimittel wird nach Aussagen von Sir Michael Rawlins vor allem anhand von Kriterien wie gesteigerte Lebenserwartung, Reduktion der Symptome sowie höhere Lebensqualität und deren Dauer ermittelt. Ein Beispiel: Im Falle von einer einfachen Bypass-Operation würde sich die Lebensqualität des Patienten im Vergleich mit einer medikamentösen Behandlung um ein Jahr länger verbessern, im Falle einer dreifachen Bypass-operation jedoch um sechs Jahre. Während beide eine vergleichbare klinische Effektivität aufweisen, ist die Rentabilität im zweiten Falle weitaus höher. Auch Relenza soll zusammen mit Oseltamivir dem vollständigem Prozess unterzogen werden, denn das neue Grippemittel war nicht nur das erste Medikament, das NICE zu begutachten hatte. Auf Grund der erwarteten Grippewelle wurde das Produkt einem Schnellverfahren unterzogen. Innerhalb von einem Monat nachdem GlaxoWellcome die relevanten Unterlagen bei NICE eingereicht hatte, hatte ein Ausschuss eine Entscheidung getroffen; der Einspruch des Pharmakonzerns gegen die Entscheidung war abgelehnt worden. Sir Michael Rawlins ist sich durchaus bewusst, dass die Gutachten von neuen sowie bereits eingeführten Arzneimitteln und Technologien zunächst der Schwerpunkt der Arbeit des Institutes sein werden. Doch echte Fortschritte könnte NICE nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden erzielen bei der Ausarbeitung von Richtlinien zur Behandlung und Kontrolle von bestimmten Beschwerden. Die ersten Richtlinien in Bezug auf Krebs, dermatologische und gastroenterologische Therapien sowie Herzmittel und Neurologie sind bereits in Arbeit. Hierzu werde man eine ausführliche Literaturrecherche durchführen und klinische Wirksamkeit und Rentabilität in Betracht ziehen. Zusätzlich wird NICE Überweisungs-Protokolle ausarbeiten, die einen Anhaltspunkt darüber liefern sollen, wann eine Überweisung angebracht ist und welche Untersuchungen in der Primärmedizin durchgeführt werden könnten.

Der Unterschied zu früher

Während NICE also über die Effizienz von Technologien und Medikamenten entscheiden und so die Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung verbessern soll, stellt sich die Frage, wer die Arbeit des Institutes selbst beurteilt. Sir Michael Rawlins versichert, dass NICE ebenfalls verschiedenen Revisionen unterliegen wird und verspricht totale Transparenz (nicht zuletzt durch die detaillierte webpage des Institutes www.nice.org.uk.). Der echte Prüfstein wird nach Meinung des NICE-Vorstandsvorsitzenden jedoch darin liegen, ob man der Öffentlichkeit zeigen kann, dass das Institut einen für alle sichtbaren Unterschied gebracht hat. "Im Falle von Hüftprothesen ist dies relativ einfach. Es ist ziemlich eindeutig zu sehen, dass wir jetzt nicht mehr 60% der verschiedenen Produkte verwenden, sondern lediglich zwei. Im Falle von der Behandlung von Bluthochdruck oder der Frage, ob die Patienten eine bessere und mehr adäquate Therapie erhalten, ist dies weitaus schwieriger.", sagt Sir Michael Rawlins.

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