Pharmazie

W. Kreis, G. StollBiotechnologie für Pharmazeuten &

Die Biotechnologie ist schon seit langer Zeit innerhalb der Pharmazie etabliert. Da ihre Bedeutung derzeit im Zusammenhang mit der Molekularbiologie enorm zunimmt, wurde vorgeschlagen, an den Universitäten ein neues Fach "Pharmazeutische Biotechnologie" einzuführen. Es fragt sich aber, ob es nicht sinnvoller ist, die pharmazeutisch relevanten Gebiete der Biotechnologie wie bisher interdisziplinär in den vier klassischen Fächern der Pharmazie zu lehren und zu erforschen.

Im Februar 1995 meldete der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Frankfurt: "Die Entwicklung und Herstellung aller ab dem Jahr 2000 auf den Markt kommenden, bedeutenden Arzneimittel wird durch die Gentechnik bestimmt sein. Der mit gentechnischen Produkten weltweit erzielte Umsatz wird nach vorsichtigen Schätzungen von derzeit zehn auf etwa 170 Milliarden DM im Jahr 2000 anwachsen. In Deutschland sind bisher sechs gentechnische Produktionsanlagen in Betrieb, in Japan 120 und in den USA 300."

Aufbruchstimmung in der Industrie

Wunsch oder Wirklichkeit? Die Zahl der 1998 im Bereich Biotechnologie aktiven US-Unternehmen wird in einer neueren Studie mit 1283 angegeben, wobei die erfolgreichen Firmen ihre Umsätze derzeit hauptsächlich im Pharmabereich erzielen.

Auch in Deutschland zeichnet sich inzwischen eine Trendwende hin zu mehr Biotechnologie-Gründungen ab. Einer Analyse der Schitag Ernst & Young Unternehmensberatung zufolge ist in der Bundesrepublik eine "Aufbruchstimmung" festzustellen [1]. Kleine und mittlere Unternehmen in diesem Industriezweig beschäftigten 1997/98 ca. 11 000 Mitarbeiter, 3000 davon in Forschung und Entwicklung, und erwirtschafteten etwa 1,5 Milliarden DM Umsatz. Im Bereich von Großunternehmen sieht die Wertschöpfung derzeit noch erheblich besser aus; etwa 190 000 Mitarbeiter (6800 davon in Biotechnologie-F&E) in 23 Großunternehmen konnten einen Umsatz von über 77 Milliarden DM erzielen, davon knapp drei Milliarden DM im Bereich Biotechnologie.

In allen Bereichen der Biotechnologie, speziell aber bei der Entwicklung neuer Arzneimittel, zeigt die Gentechnologie immer deutlicher ihre Schlüsselstellung (vgl. Tab. 1). Gegenwärtig sind in der EU über 40 verschiedene gentechnisch hergestellte Proteine als Bestandteile von rund 60 Medikamenten für den Markt zugelassen. Der Apothekenumsatz mit gentechnisch hergestellten Arzneimitteln wächst jährlich mit zweistelligen Prozentzahlen (1998 ca. 1,5 Mrd. DM gerechnet zum Herstellerabgabepreis). Der Pharmakonzern Aventis will in diesem Jahr rund 300 Mio. DM in den Bau der weltweit größten Anlage zur biotechnischen Herstellung von rekombinantem Humaninsulin investieren. Diese Fabrik soll gemeinsam mit der Firma Pfizer in Frankfurt errichtet werden.

Vor diesem Hintergrund scheint es angemessen, die Frage nach dem Anteil biotechnologischer und gentechnologischer Inhalte in der Ausbildung der Studierenden der Pharmazie ein weiteres Mal zu stellen und mögliche Schwerpunkte und Inhalte zu diskutieren [2].

Was ist Biotechnologie?

Im Jahre 1777 erregte eine Anzeige großes Aufsehen in London. Zu einem Preis von zwei Shilling Sixpence pro Schlag konnte man sich der heilenden Kraft des "torporific eel" erfreuen, also des Zitteraals (Electrophorus electricus). Viele Menschen, die an Gicht oder Arthritis litten, sollen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Ist diese Anwendung biogener Elektrizität eine Vorstufe pharmazeutischer oder medizinischer Biotechnologie? Dass wir es mit einer therapeutischen Anwendung biologischer Prozesse zu tun haben, liegt auf der Hand. Aber entspricht es auch der Definition von Biotechnologie? Vielleicht doch eher nicht!

Der Begriff Biotechnologie wurde von dem ungarischen Agraringenieur Karl Ereky im Verlauf einer Kampagne geprägt, die der Modernisierung des damaligen Agrarsystems diente: "Auf Grund des gleichen Gedankenganges weist der Verfasser alle die Arbeitsvorgänge, bei denen aus den Rohstoffen mit Unterstützung lebender Organismen Konsumartikel erzeugt werden, dem Gebiete der Biotechnologie zu" [3].

Der Große Brockhaus von 1929 definiert "Biotechnologie" folgendermaßen: "Untersuchung und gewerbliche Verwendung der Lebenstätigkeit von Kleinlebewesen (Hefe, Gärungsorganismen)." Eine modernere Definition sollte auch den Einsatz von Enzymen oder Genen zulassen und sich nicht auf Mikroorganismen beschränken. Sie könnte lauten: "Biotechnologie ist der Einsatz von Organismen oder Teilen davon bei der Herstellung oder Verbesserung von Produkten in technischen Verfahren". Diese Auffassung muss nur geringfügig ergänzt werden, um Pharmazeutische Biotechnologie zu definieren: "Pharmazeutische Biotechnologie ist der Einsatz von Organismen oder Teilen davon bei der Herstellung oder Verbesserung von Arzneimitteln in technischen Verfahren."

Nehmen wir diese Definition zunächst als Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung der "Pharmazeutischen Biotechnologie" als einer vermeintlich "neuen" pharmazeutischen Disziplin [3]. Das war sie sicherlich vor mehr als 50 Jahren, als die ersten Antibiotika im technischen Maßstab hergestellt wurden und es gelang, pflanzliche und tierische Sterole oder Steroidsaponine mit Hilfe von Mikroorganismen zu Vorstufen von Sexual- und anderen Steroidhormonen umzusetzen. Damals war die Biotechnologie übrigens noch "gentechnikfrei", weil die molekularbiologischen Methoden zur gezielten Veränderung von Genomen und Genen noch nicht entwickelt worden waren.

Diese "klassische" Phase der sehr mikrobiologisch orientierten Biotechnologie war aber durch und durch pharmazeutisch! Daher ist die "Pharmazeutische Biotechnologie" keine neue, sondern eine seit langer Zeit etablierte Disziplin der Pharmazie. Ihrer Bedeutung für die Pharmazeuten-Ausbildung wird z. B. schon dadurch Rechnung getragen, dass die Anlage 14 zu § 18 der gültigen Approbationsordnung für Apotheker als Prüfungsstoff des 2. Abschnitts der Pharmazeutischen Prüfung die "Gewinnung von Arzneimitteln aus und durch biotechnologische Verfahren und entsprechende Produkte" nennt. Die Lehrinhalte sollen interdisziplinär vermittelt werden.

Abgrenzung von Biotechnologie und Gentechnologie

Leider werden die Begriffe

  • "Biotechnologie", also die Nutzung von Erkenntnissen der Biologie in technischen Verfahren, und
  • "Gentechnologie", also die Veränderung des Erbguts mit molekularbiologischen Methoden, mit dem Ziel neue Produkte zu erhalten oder die Qualität und Ausbeute eines Produkts zu verbessern, häufig synonym verwendet. Dies ist genauso falsch wie die Auffassung, die beiden Bereiche seien völlig getrennt voneinander zu betrachten. Als interdisziplinäre, angewandte Wissenschaft muss die Biotechnologie nämlich Fortschritte und Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftszweigen zusammenführen (Abb. 1).
  • Viele Grundlagen der Biotechnologie stammen aus der Biologie, vorwiegend der Mikrobiologie. Das Wissen um die Fähigkeit eines bestimmten Organismus, eine erwünschte Reaktion durchzuführen, genügt nicht; man muss auch in der Lage sein, diese Spezies (oder doch wenigstens ihre Gewebe oder Zellen) in Kultur zu nehmen.
  • Da abgesehen von der Gewinnung von Biomasse häufig eine bestimmte enzymatische Umsetzung nutzbar erscheint, wird man auf Informationen aus der Biochemie und der Molekularbiologie zurückgreifen, sei es, um Enzymaktivitäten oder -mengen zu steigern, um die Expression bestimmter Gene zu aktivieren oder zu hemmen oder um Erbinformationen zu ändern.
  • Von enormer Bedeutung ist die Chemie, speziell die Naturstoffchemie, die nicht nur die notwendigen Analysenmethoden zur Verfügung stellt, um die gewünschten Produkte nachzuweisen, sondern auch Techniken zur Aufarbeitung bietet.
  • Die bisher aufgeführten Wissenschaftsbereiche liefern die Basis für die Stoffproduktion im Labormaßstab. Zur industriellen Nutzung muss ein solcher Prozess jedoch technisch umgesetzt werden. Hier kommen die Verfahrenstechnik, die Mess- und Regeltechnik, Prozessleittechnik und der Apparatebau zum Zug.

Die Biotechnologie als solche ist daher auch keine "Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts" [2], dazu hat sie eine viel zu lange Tradition und zu viele Facetten in ihren verschiedenen Anwendungsbereichen (z. B.: Herstellung von Arzneistoffen, medizinische Diagnostik, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Abwasserreinigung, Mikrobielle Erzlaugung, etc.).

Neben der Computertechnologie und der damit verbundenen Möglichkeit, immer größere Datenmengen immer schneller in immer kleineren Maschinen zu verarbeiten, ist es vor allem die Gentechnik, die mittlerweile integraler Bestandteil bei der Entwicklung biotechnologischer Verfahren geworden ist. Diese beiden Technologien könnten tatsächlich mit dem Prädikat "Schlüsseltechnologien des ausgehenden 20. Jahrhunderts" versehen werden.

Vom Gentransfer zur PCR

Die rasante Entwicklung der Gentechnik - eigentlich eine sich ständig erweiternde Sammlung molekularbiologischer Methoden - soll kurz skizziert werden.

  • Als Geburtsjahr der Gentechnik wird häufig das Jahr 1973 angegeben. Forscher übertragen erstmals Desoxyribonukleinsäure (DNA) von einer Lebensform in eine andere: Stanley Cohen, Annie Chang und Herbert Boyer erzeugen aus viraler und bakterieller DNA ein Plasmid mit zwei Antibiotikaresistenzen und schleusen es in ein Bakterium ein. Mit dieser Entwicklung begann die Phase des "Genetic engineering" und auch eine Blüte der industriellen Biologie.
  • In das Jahr 1975 fällt die Entwicklung der Hybridom-Technik zur Erzeugung monoklonaler Antikörper durch Georges Köhler und César Milstein.
  • Im Jahr 1976 gründet Herbert Boyer zusammen mit Robert Swanson die erste Genfirma; bereits im Jahr darauf berichtet "Genentech", so der Name dieses Unternehmens, über die Produktion des ersten menschlichen Proteins in Bakterien (Somatostatin).
  • Bald darauf wird eine synthetische Version des menschlichen Insulin-Gens in das Bakterium Escherichia coli eingebracht und von diesem produziert; 1983 bringt die Firma Eli Lilly das rekombinante Human-Insulin auf den Markt.
  • Im gleichen Jahr beschreibt Marvin Carruthers eine Methode, um DNA-Fragmente von bis zu 75 Bausteinen Länge zusammenzusetzen. Gemeinsam mit Leroy Hood entwickelt er für diesen Zweck automatische Maschinen, die Gensynthesizer.
  • Schließlich veröffentlicht Kary B. Mullis 1985 eine Methode zur Vervielfältigung kleinster Mengen von DNA; die Polymerasekettenreaktion (PCR) revolutioniert Biologie und Medizin.

Damit waren die methodischen Entwicklungen nicht abgeschlossen, aber die verfügbaren Techniken genügten, um rekombinante Arzneistoffe in biotechnischen Verfahren herstellen und zu Arzneimitteln weiter verarbeiten zu können (Tab. 2).

Zellstämme und Stammzellen

Verfahrenstechnisch waren diese Prozesse wenig problematisch, die Hefe Saccharomyces cerevisiae und das Bakterium Escherichia coli, die Hauptproduzenten der neuen Arzneistoffe, waren auch schon lange vor der Ära der Gentechnik in großen Bioreaktoren kultiviert worden.

Etwas komplizierter gestaltete sich die Entwicklung biotechnischer Verfahren, in denen tierische und humane Zellen eingesetzt werden, z. B. zur Anzucht von Viren für die Impfstoff-Produktion. Gängige Säugerzelllinien sind CHO-Zellen (chinese hamster ovary), BHK-Zellen (baby hamster kidney) oder Humane Diploidzellen (HDC). Bei diesen Zelltypen handelt es sich ursprünglich um adhärent wachsende Zellen, die jedoch in Suspensionszellen überführt und dann wieder in Rührkesseln, Airlift- oder Festbettbioreaktoren kultiviert werden können.

Von diesen zur Produktion von Arzneistoffen eingesetzten tierischen und humanen Zellkulturen sind die embryonalen Stammzellkulturen abzugrenzen. Stammzellen, die aus Geweben früher Stadien der Embryonalentwicklung gewonnen werden, können in Kultur vermehrt werden, ohne dabei das Potenzial zur weiteren Differenzierung einzubüßen. Bisher benutzte man in der Grundlagenforschung hauptsächlich embryonale Stammzellen von Nagetieren und Primaten.

In jüngerer Zeit wurden auch aus menschlichen Embryonen, die im Zuge von In-vitro-Fertilisationen oder nach Abtreibungen anfielen, angelegt. Ihre Fähigkeit, in verschiedene Zelltypen ausdifferenzieren zu können, erhält sich über einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten. Diese humanen embryonalen Zellkulturen sollen z.B. zur Erforschung der molekularen Grundlagen der Gewebebildung und zur Suche nach neuen Arzneiwirkstoffen dienen.

In Deutschland ist die Verarbeitung menschlicher Embryonen und damit auch die Herstellung humaner Stammzellkulturen zurzeit gesetzlich verboten (Embryonenschutzgesetz). Das Thema wird aus ethischen Überlegungen heraus kontrovers diskutiert. Einerseits lehnen viele Menschen die Verwendung humaner Embryonen in der Forschung und zu therapeutischen Zwecken ab, andererseits meinen Experten, dass die potenziellen Anwendungsmöglichkeiten großen Nutzen gerade für Schwerkranke versprechen. Dabei denkt man daran, die Zellen gezielt zur Differenzierung anzuregen und mit den spezialisierten Zellen oder Geweben degenerative Erkrankungen zu therapieren. So könnte man durch Transplantation gesunder Herzmuskelzellen das insuffiziente Herz, durch Gabe gesunder, junger Inselzellen das funktionsgestörte Pankreas oder durch Injektion von Nervenzellen in geschädigte Hirnbereiche die Alzheimer-Erkrankung therapieren.

Erinnern wir uns an die Definition für Pharmazeutische Biotechnologie: "Pharmazeutische Biotechnologie ist der Einsatz von Organismen oder Teilen davon bei der Herstellung oder Verbesserung von Arzneimitteln in technischen Verfahren." Die eben erwähnten embryonalen Stammzellen können als Arzneistoffe aufgefasst werden und bei ihrer Züchtung und Vermehrung werden Zell- und Gewebekulturtechniken angewandt; sie sind also in der Definition berücksichtigt. Wie sieht es aber mit anderen Bereichen aus, etwa der Gentherapie, der In-vitro-Fertilisation oder dem Klonen von Organismen?

Klonen und klonieren

"Ein Ei - ein Embryo - ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Aber ein bokanowskysiertes Ei knospt und sproßt und spaltet sich". Mit Hilfe des Bokanowskyverfahrens werden in Aldous Huxleys "Brave New World" (Schöne neue Welt) einheitliche "Gammas", "Deltas" und "Epsilons" erzeugt, heute würden wir sagen: geklont. Genetisch identische Organismen bezeichnet man als Klone. Allerdings besteht ein Unterschied zwischen "klonen" und "klonieren". Da die Begriffe häufig verwechselt oder synonym gebraucht werden, erscheint eine Erläuterung notwendig.

  • Natürliche Klone sind z. B. eineiige Zwillinge oder vegetativ vermehrte Pflanzenpopulationen. Durch den Einsatz biotechnologischer Methoden können Klone auch künstlich geschaffen werden (z. B. über Gewebekultur). Solche auf "klassischem" Wege geklonten natürlichen oder künstlichen "Geschwister" sind untereinander, nicht aber mit ihren Eltern genetisch identisch.
  • Das "moderne" Verfahren der Klonung ist ausschließlich durch biotechnische Manipulation realisierbar. Dabei wird das genetische Material, das nach der Fusion von männlichen und weiblichen Gameten in der befruchteten Eizelle - der Zygote - vorliegt, aus dem Zellkern entfernt und durch das genetische Material einer ausdifferenzierten, somatischen Zelle ersetzt. Auf diese Weise geklonte Organismen sind sowohl untereinander als auch mit dem Donor des Erbmaterials genetisch identisch.
  • Klonieren beschreibt ein grundlegendes Verfahren der Molekularbiologie, mit dessen Hilfe fremde genetische Information in eine Zelle übertragen und von dieser an ihre Nachkommen weiter gegeben wird. Aus einer einzelnen gentechnisch veränderten Zelle entwickelt sich durch ungeschlechtliche Vermehrung eine Population identischer Zellen, die alle die gleiche Fremd-DNA enthalten. Die Fremd-DNA ist also kloniert worden.

Wo die Methoden des künstlichen Klonens und der Klonierung zur Herstellung von Arzneistoffen oder Arzneistoffproduzenten eingesetzt werden, sind es auch wichtige Techniken der Pharmazeutischen Biotechnologie.

Gene als Arzneimittel

Wie und wo sind Gentherapie und die hierbei verwendeten Arzneimittel einzuordnen? Bei dieser Therapieform werden gentechnische Verfahren zur Heilung ererbter oder erworbener genetisch bedingter Erkrankungen eingesetzt. Ethisch vertretbar erscheint beim Menschen nur die somatische Gentherapie, das heißt die Übertragung eines Gens in Körperzellen, nicht aber die Keimbahntherapie, mit der defekte Gene in embryonalen Zellen korrigiert werden könnten. In Deutschland stellen Richtlinien der Bundesärztekammer einen ethisch vertretbaren Einsatz der somatischen Gentherapie sicher.

Weltweit sind inzwischen über 100 klinische Studien zur Gentherapie durchgeführt worden; rund zwei Drittel im Rahmen einer Krebsbehandlung. Meist werden dabei dem Patienten Zellen entnommen, "ex vivo" mit einem intakten Gen versehen und dann wieder in den Patienten eingebracht. Das "heilende Gen" kann jedoch auch mit Hilfe eines Vektors direkt ("in vivo") auf den Patienten übertragen werden.

Die Gentherapie steht in allen potenziellen Indikationsgebieten noch am Anfang und der Beweis für den therapeutischen Nutzen dieser Methode ist noch nicht erbracht worden. Die verwendeten Gene können als Arzneistoffe aufgefasst werden; die bei In-vivo-Verfahren eingesetzten Vektoren bestimmen die Arzneiform und damit das gentherapeutische Arzneimittel.

Auch für Gentherapeutika müssen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nachgewiesen werden. Wie wichtig diese Forderung ist, zeigt der Fall eines 18-Jährigen am "Institute for Human Gene Therapy" an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia, der im Verlauf einer Gentherapie an einer Immunreaktion, vermutlich auf den verwendeten viralen Vektor, gestorben war. Darauf stoppte die Arzneimittelbehörde FDA wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen alle gentherapeutischen Studien an diesem Institut.

Rechtliche Grundlagen

Damit sind wir bei den gesetzlichen Grundlagen für biotechnologisches Arbeiten angelangt. Wie jene Zellen, die in biotechnischen Verfahren rekombinante Proteine produzieren (Tab. 1), sind sowohl die in der Gentherapie verwendeten modifizierten Körperzellen als auch die mit einem intakten menschlichen Gen versehenen viralen Vektoren gentechnisch veränderte Organismen im Sinne des Gentechnikgesetzes (GenTG). Somit unterliegen auch bestimmte Arbeitsschritte der somatischen Gentherapie - nicht jedoch die therapeutische Anwendung selbst - den Regelungen des GenTG.

Zweck des GenTG ist es unter anderem, "Leben und Gesundheit von Menschen, Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge und Sachgüter vor möglichen Gefahren gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und dem Entstehen solcher Gefahren vorzubeugen" (§ 1 Abs. 1). Das GenTG gilt nicht nur für das gentechnische Arbeiten in gentechnischen Anlagen, sondern auch für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und - wichtig für den Apotheker - das Inverkehrbringen von Produkten, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen (§ 14 GenTG).

Andere rechtliche Rahmenbedingungen für die Anwendung biotechnischer Verfahren bei der Herstellung von Arzneimitteln ergeben sich aus entsprechenden Regelungen in Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften, die ganz allgemein bei biologischen Arbeiten zu beachten sind. Sie umfassen z. B. die allgemeinen Schutzpflichten und Sicherheitsmaßnahmen, speziell auch die Aufgaben des Unternehmers zur Ausstattung entsprechender Laboratorien und zur Feststellung der Sachkenntnis der Leiter biotechnischer Arbeitsbereiche.

Arzneibuchmonografie

Eine wichtige Hilfestellung bei der Auswahl und Wichtung der Lehrinhalte des Pharmaziestudiums geben die aktuellen Arzneibücher. Das Europäische Arzneibuch 1997 enthält die Monografie "DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Produkte (Producta ab ADN recombinante)", in der gentechnisch hergestellte pharmazeutische Wirkstoffe definiert und allgemeine Hinweise für Herstellung und Prüfung gegeben werden. Zentrale Aussagen der Arzneibuch-Definition sind:

  • Die Wirkstoffe werden immer von lebenden Zellen produziert.
  • Die Information zur Wirkstoffsynthese wird in Form von rekombinierter DNA in die Produktionszelle eingebracht.
  • DNA-rekombinationstechnisch hergestellte Produkte sind immer Proteine.
  • Das Herstellungsverfahren ist integraler Bestandteil der Produktspezifikation.

Biotechnologisch unter Einsatz gentechnischer Methoden hergestellte pharmazeutische Wirkstoffe, die dieser Definition nicht entsprechen, für die aber ähnliche Prüf-, Sicherheits- und Reinheitskriterien gelten, sind:

  • Gentechnisch modifizierte Mikroorganismen für die direkte Anwendung am Menschen und am Tier, beispielsweise in Impfstoffen oder für die Gentherapie.
  • Monoklonale Antikörper und Nukleinsäuren, beispielsweise Diagnostika oder DNA-Impfstoffe.
  • Produkte, die mit Hilfe gentechnisch modifizierter Organismen gewonnen werden, aber keine Translationsprodukte, sprich: Proteine, sind. Dazu gehören zum Beispiel Antibiotika oder Vitamine.

Anforderungen an die Ausbildung

Die weiteren Ausführungen der Monografie geben in etwa wieder, welche grundlegenden Kenntnisse Studierenden der Pharmazie während ihres Studiums vermittelt werden müssen, damit sie später auch die Herstellung und Kontrolle biotechnologisch mit Hilfe gentechnischer Methoden hergestellter Arzneimittel kompetent leiten können. Gefordert werden unter anderem

  • die Charakterisierung der Wirtszelle (Herkunft, Genotyp, Phänotyp, Kulturmedien),
  • die vollständige Dokumentation der Klonierungsstrategie (Herkunft des Gens, Sequenzen von Strukturgen und Kontrollregionen, Identifizierung der exprimierten Sequenzen, Beschreibung des vollständigen Expressionskonstrukts) und
  • die Charakterisierung des Wirt-Vektor-Systems (Mechanismen der Übertragung, Kopienzahl, Stabilität des Expressionskonstrukts, Kontrolle der Expression).

Schließlich wird das Produkt durch physikalische, chemische, immunchemische und biologische Prüfungen auf Identität, Reinheit, Aktivität und Stabilität geprüft. Die Gleichförmigkeit des Produkts muss gewährleistet und daher mittels geeigneter Methoden charakterisiert werden (z. B. partielle Aminosäurensequenzanalyse, Peptidkartierung, Bestimmung der Molekülmasse, Nachweis von Wirtszellproteinen, Nachweis von Wirts- oder Vektor-DNA). Details und spezifische Methoden zur Prüfung auf Identität, Reinheit und Gehalt sowie Hinweise zur ordnungsgemäßen Lagerung und Beschriftung nennen die jeweiligen Arzneistoff-Monografien, z. B. "Konzentrierte Interferon-alfa-2-Lösung" oder "Hepatitis-B-Impfstoff (rDNA)".

Biotechnologie in die Kernfächer integrieren

Nicht alle Aspekte der Biotechnologie von Arzneimitteln konnten hier dargestellt werden. Es sollte jedoch deutlich gemacht werden, dass die derzeitige rasante Entwicklung auf diesem Gebiet vor allem Entdeckungen und Entwicklungen der Biologie, speziell der Molekularbiologie, zu verdanken ist. Unser Aufsatz sollte aber auch aufzeigen, dass gerade in der Ausbildung von Studierenden der Pharmazie bei der Besprechung biotechnisch hergestellter Arzneimittel auch medizinische, ethische und rechtliche Aspekte gebührend berücksichtigt werden müssen.

Bei der gegenwärtigen Struktur des Pharmaziestudiums kann sicher nur ein Grundverständnis für die Entwicklung biotechnologischer Produktionsverfahren vermittelt werden. Dabei macht es unserer Meinung nach wenig Sinn, ein zusätzliches Fach "Pharmazeutische Biotechnologie" zu schaffen; für eine umfassende Ausbildung wäre ein völlig neuer Studiengang mit einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit notwendig! Außerdem würden bei Einführung eines zusätzlichen Lehr- und Prüfungsfachs "Pharmazeutische Biotechnologie" den pharmazeutischen Kernfächern aktuelle und spannende Stoffinhalte entzogen werden.

Weit sinnvoller wäre es, die Biotechnologie innerhalb der Pharmazie interdisziplinär in die vorhandenen Kernfächer zu integrieren (Tab. 3):

  • Gewebekulturtechniken, bio- und gentechnische Herstellungsverfahren einschließlich ihrer zell- und molekularbiologischen Grundlagen, der zur Produktion verwendeten Organismen sowie der Fermentationsverfahren wären Stoff der Pharmazeutischen Biologie.
  • Chemische Aspekte der Produkte und spezielle analytische Verfahren könnten von der Pharmazeutischen Chemie vermittelt werden.
  • Die Pharmazeutische Technologie würde sich mit Bioreaktoren, der Herstellung von Arzneiformen aus den biotechnisch hergestellten Arzneistoffen sowie mit den assoziierten Fragen der Biopharmazie befassen.
  • Die Pharmakologie würde die Wirkungsweise, die therapeutische Anwendung sowie die Nutzen-Risiko-Beurteilung der biotechnisch hergestellten Therapeutika behandeln.

Die Fachkompetenz der Dozenten der Pharmazie kann gegebenenfalls durch "Lehrimporte" aus Molekularbiologie und Verfahrenstechnik und Lehraufträge an Externe sinnvoll ergänzt werden. Zusätzlich kann durch eine geeignete, weitsichtige Berufungspolitik, gerade auch innerhalb der Pharmazeutischen Biologie, mittelfristig eine Erweiterung der biotechnologischen Kompetenz innerhalb der Pharmazie erreicht werden.

"Pharma Biotechnologie"

Möglicherweise ist auch die für den 2. April 2000 während der 46. Jahrestagung der APV in Berlin angesetzte Gründung der "Europäischen Gesellschaft für Pharma Biotechnologie (EAPB)" ein Schritt in die richtige Richtung, obwohl das Positionspapier die Eigenständigkeit und die notwendige Etablierung der "Pharma Biotechnologie" vielleicht zu stark betont. Die Initiatoren nennen u. a. als Inhalte und Ziele der Gesellschaft: "Die Förderung einer eigenständigen Pharma Biotechnologie als multidisziplinäre Wissenschaft und die Förderung der Zusammenarbeit und des Wissenschaftsaustauschs zwischen den zur Pharma Biotechnologie beitragenden Disziplinen." An andrer Stelle schreiben sie: "Die EAPB setzt sich ein für die Etablierung der Pharma Biotechnologie in der Ausbildung von Pharmazeuten und Mitarbeitern im pharmazeutischen Bereich unter Berücksichtigung all dessen, was industrieorientiert notwendig ist, um die Zukunft der Pharma Biotechnologie zu sichern. Maßstäbe und Kriterien für die Ausbildung von Studierenden, Promovierenden und PTAs sollen zusammengestellt und umgesetzt werden."

Bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Vertreter aus Hochschule, Offizin, Krankenhausapotheke und Industrie dabei sein werden, wenn mit der Gründungssitzung und Gründung der EAPB möglicherweise auch die Inhalte einer "Biotechnologie für Pharmazeuten" (neu?) definiert werden.

Danksagung: Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danken wir den Herren Professoren Dr. Theo Dingermann (Frankfurt/M.) und Dr. Lutz Heide (Tübingen).

Literatur [1] Müller, A., u. Life Science Team: Aufbruchstimmung 1998. Erster Deutscher Biotechnologie Report. Schitag Ernst & Young, Stuttgart 1998. [2] Kayser, O., Müller, R. H.: Pharmazeutische Biotechnologie - Eine neue Disziplin in der Pharmazie. Dtsch. Apoth. Ztg. 139, 4339 - 4343 (1999). [3] Ereky, K.: Biotechnologie der Fleisch-, Fett- und Milcherzeugung im landwirtschaftlichen Großbetriebe. Paul Parey, Berlin 1919. [4] Informationssekretariat Biotechnologie (www.dechema.de/deutsch/isb/umsatz.htm). [5] Informationssekretariat Biotechnologie (www.dechema.de/deutsch/isb/wirkst.htm).

Die Biotechnologie ist schon seit langer Zeit in der Pharmazie etabliert. Da ihre Bedeutung derzeit im Zusammenhang mit der Molekularbiologie enorm zunimmt, wurde vorgeschlagen, an den Universitäten ein neues Fach "Pharmazeutische Biotechnologie" einzuführen. Es fragt sich aber, ob es nicht sinnvoller ist, die pharmazeutisch relevanten Gebiete der Biotechnologie wie bisher interdisziplinär in den vier klassischen Fächern der Pharmazie zu lehren und zu erforschen.

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