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Fluch oder Segen: Bio- und Gentechnologie im Arzneimittelwesen

BERLIN (ks). Die Rolle der Bio- und Gentechnologie im Arzneimittelwesen war Thema eines Pressegesprächs des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), das am 6. Juli in Berlin stattfand. Dr. Andreas Franken, Referent für Klinische Prüfung, Biotechnologie und Elektronische Zulassung beim BAH, stellte die Situation aus der Sicht der Arzneimittel-Hersteller dar.

Der BAH hat im vergangenen Herbst eine Arbeitsgruppe zum Thema Bio- und Gentechnologie geschaffen, um seine Mitglieder auf diesem Gebiet umfassend und kompetent beraten zu können. Die gesetzlichen Vorschriften machen eine Auseinandersetzung mit der Materie notwendig. So darf etwa eine Änderung gentechnologischer Herstellungsverfahren erst vollzogen werden, wenn die zuständige Bundesoberbehörde zugestimmt hat, vgl. § 9 Abs. 2a (4) Arzneimittelgesetz (AMG). Zudem ist nach § 29 Abs. 3 (3a) AMG bei der Einführung gentechnologischer Herstellungsverfahren eine neue Zulassung zu beantragen.

Zentrales Zulassungsverfahren

Nach Europäischem Recht müssen Arzneimittel das zentrale europäische Zulassungsverfahren durchlaufen, wenn sie mit Hilfe eines der folgenden biotechnologischen Verfahren hergestellt werden:

  • Technologie der rekombinierten DNA
  • kontrollierte Expression in Prokaryonten und Eukaryonten, einschließlich transformierter Säugetierzellen, von Genen, die für biologisch aktive Proteine kodieren
  • Verfahren auf der Basis von Hybridomen und monoklonalen Antikörpern.

Für innovative Arzneimittel, die in sonstigen biotechnologischen Verfahren hergestellt werden, steht das zentrale Zulassungsverfahren wahlweise zur Verfügung.

Genetische Diagnostik

Franken ist sich bewusst, dass die genetische Diagnostik ein kritisches Thema ist. Bei Fragen der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der embryonalen Stammzellenforschung scheiden sich die Geister - nicht nur in einzelnen Bundestagsfraktionen ist man sich uneins, auch in ganz Europa finden sich unterschiedliche Auffassungen. Vielfach werden Gesetze vorbereitet; die meisten europäischen Länder sprechen sich für PID aus, in der Embryonenforschung lässt sich eine Tendenz schwerlich erkennen. In Deutschland sind zur Zeit beide Verfahren verboten.

Während PID und die Forschung an embryonalen Stammzellen nach Frankens Ansicht in der Gesellschaft zu Recht kontrovers diskutiert werden, seien gentechnisch hergestellte Medikamente für viele Patienten in Deutschland bereits unverzichtbar. Sie kommen insbesondere bei der Behandlung von Diabetes, Krebs, Multipler Sklerose und der Bluterkrankheit zum Einsatz.

Wunderwaffe Genomforschung?

Franken betonte, dass nur für ein Drittel der ca. 30 000 bekannten Krankheiten eine adäquate Therapie zur Verfügung steht. Handlungsbedarf bestehe insoweit zweifelsohne. Die Heilung einer Krankheit setzt voraus, dass ein Angriffspunkt (sog. Target) für eine Therapie existiert. Der heutige Arzneimittelschatz basiert auf ca. 500 solcher Targets. Die Genomforschung wird voraussichtlich zur Identifizierung von bis zu 5000 Targets führen, so Franken. Bereits heute sind mehr als 1200 solcher Angriffspunkte, die krankheitsverursachende Erbinformation enthalten, aufgespürt worden. Durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ist man der Heilung lebensbedrohender Krankheiten wie Krebs oder Arteriosklerose vermutlich einige Schritte näher gekommen. Ebenso besteht Hoffnung, Krankheiten, die die Lebensqualität massiv beeinträchtigen, wie Alzheimer, Allergien oder Osteoporose, kausal beeinflussen zu können. Die jährlichen Kosten für diese Krankheiten werden weltweit auf etwa 1 Billion Euro geschätzt, wovon ca. zwölf Prozent auf Arzneimittel entfallen. Allerdings hat man bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms auch festgestellt, dass dieses nur ca. 30 000 bis 40 000 Gene enthält. Zuvor nahm man an, es seien 70 000 bis 140 000. Dafür ist der Weg vom Gen zum Protein komplexer als man glaubte; wahrscheinlich enthält ein Gen den Bauplan für mehrere Proteine. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass wir zwar früher mit dem "Aufschreiben" des menschlichen Genoms fertig sind, jedoch das "Entziffern" länger dauern wird, so Franken.

Kostenersparnisse durch Erforschung der Targets

Franken zitierte eine Studie der Boston Consulting Group vom Mai 2001. In dieser wurde festgestellt, dass die Entwicklungskosten für ein Medikament heute durchschnittlich 880 Millionen US-Dollar betragen. 75 Prozent dieser Kosten werden durch Fehler im Laufe des Prozesses verursacht: ein Forschungsansatz erweist sich als Sackgasse oder es stellt sich erst spät heraus, dass gar kein Erfolg erzielt werden kann. Der Studie zufolge kann der Entscheidungsprozess durch Erforschung der Targets verbessert werden. Die Kosten ließen sich im Schnitt um 200 Millionen US-Dollar senken, wenn nur eines von zehn Medikamenten-Targets vorzeitig gestrichen wird. Richtige strategische Entscheidungen könnten bis zu 300 Millionen US-Dollar einsparen und den Prozess zudem um bis zu zwei Jahren verkürzen.

Gentechnisch hergestellte Arzneimittel

Die Bedeutung biotechnologischer Produkte steigt beständig: Nach einer Prognose der Deutschen Bank soll sich der weltweite Absatz dieser Produkte von 30 Milliarden Euro im Jahre 1999 auf 2000 Milliarden Euro im Jahre 2010 erhöhen. Derzeit sind in Deutschland 60 verschiedene gentechnisch hergestellte Wirkstoffe in rund 80 Medikamenten zugelassen. Diese lassen sich einteilen in Hormone, Enzyme, Gerinnungsmodulatoren, Zytokine, Impfstoffe und Antikörper. Einige Arzneimittel, die mittels bio- und/oder gentechnischer Verfahren hergestellt werden, haben sich in der Praxis bereits bewährt. So ist gentechnisch hergestelltes Humaninsulin dem Insulin aus den Bauchspeicheldrüsen von Schlachttieren eindeutig vorzuziehen. Letzteres kann bei längerer Anwendung Abwehrreaktionen des Körpers verursachen. Auch gentechnisch hergestellte Blutgerinnungsfaktoren bieten Vorteile: man ist nicht mehr auf Blutplasmaspenden angewiesen und verhindert so auch die Übertragung von Infektionserregern wie HIV oder Hepatitis. Gentechnik ermöglicht weiterhin eine bessere Versorgung von Gaucher-Patienten. Bei dieser Krankheit schwellen unter anderem Milz und Leber stark an. Das zur Behandlung nötige Enzym Glucocerebrosidase wurde bislang aus Plazenten gewonnen, davon benötigte eine Patient bis zu 20 000 Stück. Nun kann die Versorgung ohne Rückgriff auf Plazenten sichergestellt werden. Ebenso bietet die Gentechnik im Bereich der Impfstoffe Vorteile, da auf den Umgang mit Erregern bei der Herstellung oder als Bestandteil verzichtet werden kann. Gentechnisch hergestellte Impfstoffe gibt es z. B. gegen Hepatitis B, Keuchhusten und Pneumokokken-Infektionen.

Gentherapie in Deutschland

Neben gentechnisch hergestellten Arzneimitteln spielt die Gentherapie eine bedeutende Rolle. Sie findet in Deutschland in Form der somatischen Zelltherapie statt. Das heißt es wird nur in Zellen eingegriffen, die auf einen Organismus beschränkt sind. Im Gegensatz zur Keimbahntherapie, bei der man in Zellen eingreift, die genetische Informationen an die Nachfahren weitergeben, bekommt bei der somatischen Zelltherapie nur der Patient die Veränderung mit. Mittels Gentherapie behandelt werden sollen in Deutschland insbesondere Krebs, HIV-Infektionen, monogene Erbkrankheiten und kardiovaskuläre Erkrankungen. Die Gesamtzahl abgeschlossener, laufender und beantragter klinischer Prüfungen von Arzneimitteln für die Gentherapie in Deutschland belief sich am 2. November 2000 auf 59.

Ergänzende Technologien

Als ergänzende Technologien nannte Franken unter anderem die Bioinformatik, die Nanotechnologie, bildgebende Verfahren und die Erzeugung von Biomaterial und Gewebe. Als Bioinformatik wird der Technologiezweig bezeichnet, der aus der Verknüpfung von Bio- und Informationstechnologie entstanden ist. Franken berichtete, dass Branchenexperten, auf die Frage, welche der modernen Technologien den stärksten Einfluss auf die pharmazeutische Forschung haben wird, zu 48 Prozent die Bioinformatik nannten.

Die Zukunft der Bio- und Gentechnologie ist noch nicht vorherzusagen. Sie bietet mit Sicherheit eine Vielzahl von Möglichkeiten im Arzneimittelbereich. Aber auch Schreckensszenarien von Designer-Babys und der Aussortierung genetisch nicht perfekter Menschen werden aus den Köpfen nicht einfach verschwinden.

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