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Arzneiverordnungs-Report 99: Sinkender Anteil "umstrittener" Arzneimittel

BONN (im). Ärzte verordnen zunehmend neue Medikamente sowie größere Packungen. Das hat Professor Ulrich Schwabe bei der Vorstellung des diesjährigen Arzneiverordnungs-Reports am 28. Oktober in Berlin erklärt. Dort forderte Dr. Jürgen Bausch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angesichts teurer Spezialpräparate gegen AIDS oder Krebs mehr Mittel für die Arzneitherapie.

Der Heidelberger Pharmakologe Schwabe sieht noch ein Milliarden-Einsparpotential durch vermehrte Verordnung von Generika, die Substitution von Me-too-Präparaten sowie die Substitution so genannter umstrittener Arzneimittel. Erstmals liste der Arzneiverordnungs-Report Naturheilmittel auf, die Schwabe zu den Präparaten mit zumeist geringfügigem therapeutischen Nutzen zählte.

Trend zur Modernisierung

Der Umsatzanstieg von fast fünf Prozent im vergangenen Jahr sprenge deutlich die Budgetvorgaben der Politik, sagte Schwabe. Nach Angaben des Heidelberger Pharmakologen ist 1998 die Zahl der Verordnungen aber um mehr als drei Prozent zurückgegangen, was als Ausdruck ärztlicher Sparbemühungen gewertet werden könnte. Dies könne jedoch auch Folge der Zuzahlungsregelung sein, die die Verschreibung von Großpackungen gefördert habe. Der Pharmakologe konstatierte eine fortschreitende Modernisierung des Arzneimittelmarkts. Mediziner hätten mehr neue Präparate gegen koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck, Magengeschwüre oder Depressionen eingesetzt, parallel dazu sei die Verordnung "umstrittener" Medikamente zurückgegangen.

Allein für Angiotensinrezeptorantagonisten, Statine, Protonenpumpenhemmer und neue selektive Antidepressiva seien Mehrkosten von 900 Millionen Mark aufgelaufen. Schwabe warnte zugleich vor einer weiteren Zunahme der Ausgaben. Der Anstieg zum Beispiel bei Angiotensinrezeptorantagonisten mit + 198 Prozent verglichen mit 1997 gehe über das Maß hinaus, das den heutigen Ressourcen des Gesundheitssystems zugemutet werden könne.

Einsparpotential bei Generika...

Der Heidelberger Wissenschaftler konstatierte nach wie vor ein erhebliches Sparpotential beim Umstieg auf Generika. Hier schätzte er das Rationalisierungsvolumen auf etwa 2,5 Milliarden Mark. Verschrieben die Ärzte beispielsweise anstelle des Omeprazol-Originalpräparats, dessen Patentschutz im April ausgelaufen sei, preiswertere Nachahmerprodukte gegen Magengeschwüre, könnten schätzungsweise 300 Millionen Mark nur bei Protonenpumpenhemmern pro Jahr eingespart werden. Nach wie vor schwankten die Umsatzanteile von Generika zwischen 60 und 70 Prozent, ergänzte Report-Mitherausgeber Dr. Dieter Paffrath.

...und bei "Me-Too-Präparaten"

Erstmals listet der Arzneiverordnungsreport mögliche Einsparungen durch Substitution so genannter Me-Too-Präparate bei zehn Wirkstoffgruppen auf. Würde vermehrt auf Arzneimittel mit nur marginalem Unterschied zu Vorgängern verzichtet, könnten die Ausgaben der Krankenkassen um 1,6 Milliarden Mark sinken, schätzte Schwabe. Er nannte in diesem Zusammenhang die Substitution mit Nitrendipin bei Calciumantagonisten, Atenolol bei Betarezeptorenblockern, Isosorbiddinitrat bei Nitraten sowie Diclofenac bei Antirheumatika.

Lage bei "umstrittenen" Medikamenten

Bei "umstrittenen" Arzneimitteln rechnete der Pharmakologe das Einsparpotential auf 2,8 Milliarden Mark hoch. Allerdings hob er zugleich den sichtbaren Wandel im ärztlichen Verschreibungsverhalten hervor. Wie in den Vorjahren seien die Zahlen in dieser Sparte erneut rückläufig, wenn auch geringer als im Vorjahr, gewesen. Konkret könnte etwa durch den Ausschluss von sechs Arzneimittelgruppen mit nur geringfügigem therapeutischen Nutzen 2,3 Milliarden Mark pro Jahr eingespart werden. Aufgezählt wurden hier Expektoranzien, Antidementiva, Neuropathiepräparate, durchblutungsfördernde Mittel, Venentherapeutika oder Rheumasalben.

Schwabe bedauerte den Stopp neuer Arzneimittelrichtlinien im April dieses Jahres. Da es hier um Einsparungen in Höhe von 600 Millionen Mark gehe, solle sich der zuständige Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht von wenigen Pharmaunternehmen mit obsoleten Arzneimitteln behindern lassen. Wichtig sei darüber hinaus die Positivliste angesichts des intransparenten Arzneimittelmarktes.

"Einsparungen kaum zu unterbieten"

Dr. Jürgen Bausch, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Köln, konstatierte ein sparsames Verschreibungsverhalten der niedergelassenen Ärzte. Im übrigen seien die deutschen Mediziner bereits weltweit führend bei der Umstellung von teueren Originalen auf preiswertere Generika. Erfolgreich hätten die Ärzte beispielsweise die Verordnung "umstrittener" Präparate zurückgeschraubt, meinte Bausch, der zugleich Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen ist, weiter. Er hob in Berlin den Sprengsatz durch teure Spezialpräparate hervor. Die hochpreisigen Arzneimittel mit milliardenschwerem Anstieg in den letzten vier Jahr zur Behandlung von Patienten, deren Therapie zuvor nicht möglich war, sprengten jeden Rahmen. In diesem Zusammenhang nannte Bausch die Behandlung von AIDS, Krebs, Hepatitis, Multiple Sklerose oder Transplantationsnachsorge.

Angesichts der zunehmenden Zahl von gentechnisch hergestellten teuren Therapien mit Interferon, Zytokinen und Tumornekrosefaktorinhibitoren seien mehr Mittel für die Krankenversicherung nötig. Auch bei Diabetes, in der Schmerztherapie und in der Hochdruckbehandlung gehe die Post ab, meinte der Ärzterepräsentant. Politik, Krankenkassen und Ärzte müssten neue Wege gehen. Auch die Standardinnovationen wie neue wirksame Antikonvulsiva oder Parkinson-Mittel zögen höhere Arzneimittelausgaben nach sich. Die Innovationskomponente liege in Deutschland seit Jahren zwischen drei und vier Prozent. Der Vertreter der niedergelassenen Ärzte kritisierte auch den intransparenten Arzneimittelmarkt sowie die großzügigen Übergangsfristen für die Nachzulassung. Daher sei der Arzneiverordnungs-Report für den erforderlichen Durchblick nötig.

Ärzte verordnen zunehmend neue Medikamente und größere Packungen. Das stellte Prof. Dr. Ulrich Schwabe bei der Vorstellung des diesjährigen Arzneiverordnungs-Reports fest. Während Schwabe noch enorme Einsparpotenziale auf dem Arzneimittelmarkt sieht, insbesondere durch verstärkten Einsatz von Generika und Verzicht auf "umstrittene Arzneimittel, ist Dr. Bausch, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, davon überzeugt, dass die niedergelassenen Ärzte bereits ein sparsames Verschreibungsverhalten an den Tag legen.

Zahlen und Fakten

1998 betrug der Arzneimittelumsatz 35,7 Milliarden Mark, ein Plus von 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Versicherten sank um 0,4 Prozent, auch die Zahl der Rezepte war mit - 3,2 Prozent rückläufig. Dagegen stieg das Verordnungsvolumen auf 27,1 Milliarden Tagesdosen, ein Zuwachs um 1,2 Prozent im Vergleich zu 1997. Dabei schlug die Verschiebung zu anderen Arzneimitteln mit 1,9 Milliarden Mark stärker zu Buche als der Trend zu größeren Packungen, der sich mit 677 Millionen Mark auswirkte. Die Preise stiegen mit + 0,2 Prozent nur leicht an.

Aus: Arzneiverordnungsreport 1999, Herausgeber Prof. Dr. Ulrich Schwabe, Heidelberg, und Dr. Dieter Paffrath, Köln, Springer Verlag Zu beziehen über die Buchhandlung des Deutschen Apothekerverlags, Postfach 101061, 70 009 Stuttgart, Tel. (07 11) 2582-342

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