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Arzneiverordnungsreport 2004: Erstmals rezeptfreie Präparate aufgelistet und be

BERLIN (cb). Der "Arzneiverordnungs-Report" ist einmalig in seiner Art in Europa – bislang gibt es keine vergleichbare, jährlich erscheinende, wissenschaftliche Bewertung von Arzneimittelverordnungen. Herausgeber des mittlerweile zum 20. Mal erschienenen Werkes sind Prof. em. Dr. Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg und Dr. Dieter Paffrath, Stellvertretender Vorsitzender der AOK Schleswig-Holstein. Der Report 2004 basiert auf der Auswertung von 516 Millionen Rezeptblättern, die 2003 für Patienten der GKV ausgestellt wurden.
Foto: DAZ-Archiv
Dr. Ulrich Schwabe

"Die Kostenbremse beginnt zu wirken", konstatierte Schwabe bei der Vorstellung des Werkes am 15. Oktober in Berlin. Erstmals seit 1997 seien die Arzneimittelausgaben in der GKV als Folge des Beitragssatzsicherungsgesetzes gesunken. Schwabe nannte vier Bereiche, die am meisten zur Kostenreduktion beigetragen hätten: die Einführung der neuen Rabatte, die Generika, die Evidenz-basierte Medizin und den Ausschluss der nicht-verschreibungspflichtigen Medikamente aus der Erstattung der GKV. Durch die mit dem GMG eingeführten Kassenrabatte für Hersteller und Großhändler und die Erhöhung der Apothekenrabatte hätten sich die Arzneimittelrabatte verdoppelt – von 1,5 auf 3,0 Milliarden Euro. Betrachte man jedoch die realen Arzneimittelkosten ohne Kassenrabatte, zeige sich nur eine bescheidene Kostenreduktion von 1,1 Prozent. Die Arzneimittelkosten betrugen 2003 einschließlich Zuzahlungen 21,1 Milliarden Euro und lagen damit im Vergleich zum Vorjahr nur um 235 Millionen Euro niedriger.

Erst im ersten Halbjahr 2004 seien die Arzneimittelausgaben deutlicher – um 1,4 Milliarden Euro – zurückgegangen, da die Patienten jetzt höhere Zuzahlungen leisten und rezeptfreie Medikamente größtenteils selbst bezahlen müssen. Ein großes Kostensenkungspotenzial sieht Schwabe auch weiterhin bei den Generika, deren Verordnungsanteil seit 1981 von 11 Prozent auf 54 Prozent im Gesamtmarkt angestiegen sei. Durch die ersten Patentabläufe von Statinen seien 2003 allein bei Simvastatin Einsparungen von 220 Millionen Euro erzielt worden. Für die Kostensenkung durch Evidenz-basierte Medizin gebe es viele Beispiele, so Schwabe. So sei es nach dem Abbruch der Women's Health Initiative-Studie (WHI-Study) auch in Deutschland zu einem auffälligen Rückgang der klimakterischen Hormonersatztherapie gekommen, verbunden mit einer Kostensenkung von 58 Millionen Euro.

Bezüglich der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel gibt es eine Neuheit: Erstmalig wurden im Report die 500 umsatzstärksten rezeptfreien Medikamente aufgelistet und deren Nutzen bewertet. Würden Patienten diese Daten bei ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen, könnten durch Verzicht auf umstrittene Arzneimittel insgesamt 640 Millionen Euro eingespart werden.

Weitere Einsparpotenziale erschließen

Schwabe unterbreitete in seinem Statement Vorschläge für weitere Kostensenkungen. Er forderte beispielsweise die Abschaffung der Arzneimittelpreisverordnung für Generika, da preisgünstige Generika "durch die neue Apothekengebühr (den packungsbezogenen Festzuschlag) enorm verteuert wurden". Sein Mitherausgeber Paffrath malte ein düsteres Bild für 2005: Die aktuellen Auswertungen der Krankenkassen zeigten, dass für nächstes Jahr wieder eine deutliche Steigerung der Arzneimittelausgaben zu erwarten sei. Vor diesem Hintergrund sprach er sich für eine Wiedereinführung des Arzneimittelbudgets aus.

"Die Ärzte haben nun einmal mit Kugelschreiber und Rezeptblock den Schlüssel zur Geldschatulle der Krankenkassen in den Händen", so Paffrath. Die Apotheker bezeichnete er als die "Gewinner des GMG". "Während Hersteller und Großhandel Rückgänge beim Nettoumsatz verzeichnen, wächst die Nettomarge der Apotheken um 29 Prozent – 277 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2004", erläuterte er seine Einschätzung.

Tab. 1: Arzneiverordnungs-Repot 2004
Die Tabelle gibt die verordnungsstärksten Indikationsgruppen 2003 an.

Rang 2003IndikationsgruppeVerordnungen
(Mio. €) % Änd.
Umsatz
(Mio. €)     % Änd.
Kosten*
(Mio. €)     % Änd.
1Analgetika/ Antirheumatika93,0– 0,51735,411,11512,62,9
2Beta-, Ca-Blocker, Angiotensin-Hemmstoffe60,16,71786,14,31592,7– 1,2
3Antibiotika41,8– 1,01164,02,01026,5– 4,4
4Magen-Darm-Mittel41,6– 2,51524,710,41333,02,6
5Psychopharmaka38,3– 1,31467,010,01271,91,4
6Antitussiva/Expektorantia35,8– 9,0225,8– 8,8206,6– 11,4
7Antihypertonika31,411,11879,611,91611,82,0
8Dermatika28,2– 6,6406,1– 2,1361,4– 7,5
9Antiasthmatika27,4– 4,91219,14,71047,1– 4,4
10Antidiabetika26,46,21460,010,81268,51,5
11Ophthalmika26,1– 3,8371,84,2325,4– 3,0
12Diuretika21,37,2419,26,2376,51,4
13Rhinologika19,5– 8,1111,9– 5,6102,0– 8,5
14Schilddrüsentherapeutika19,06,2184,86,3167,02,1
15Sexualhormone16,5– 12,5439,3– 9,9388,2– 15,4
16Lipidsenker12,86,11228,8– 2,71034,2– 12,9
17Koronarmittel12,7– 7,4275,6– 11,2249,4– 14,7
18Thrombozyten- aggregationshemmer12,510,5419,328,8354,115,6
19Mineralstoffpräparate11,0– 3,0184,21,1170,1– 0,8
20Antiallergika9,8– 7,2324,4– ,2285,3– 10,5
Summe der Ränge 1 bis 20585,1– 0,616.827,15,814.674,3– 1,9
Gesamtmarkt GKV-Rezepte mit Fertigarzneimitteln749,0– 1,624.121,16,321.102,9– 1,1
* Die Kosten umfassten Ausgaben der GKV sowie die Zuzahlung der Versicherten. Im Gegensatz zum Fertigarzneimittelumsatz sind jedoch 
Rabatte auf den verschiedenen Ebenen der Distributionskette in Höhe von 3018,2 Mio. € bereits abgezogen.

Deutsche Ärzte sind Weltmeister bei Generikaverordnungen

Dr. Leonhard Hansen, Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), vertrat die Position der niedergelassenen Ärzte. Als eine "phantastische positive Bilanz" bezeichnete er die Tatsache, dass durch ein verändertes Verordnungsverhalten der niedergelassenen Ärzte bei den so genannten umstrittenen Medikamenten und bei den Generika seit 1992 insgesamt 6,6 Milliarden Euro eingespart worden seien. "Bei Generika sind die deutschen niedergelassenen Ärzte Weltmeister", so Hansen.

Er äußerte jedoch auch Kritik, z. B. an der Ausgliederung der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus der Leistungspflicht der GKV. Dabei handle es sich um teils gut wirksame Medikamente, die ihren Stellenwert in der Therapie vieler leichter und mittelschwerer Erkrankungen haben. Bei einem Großteil dieser Medikamente sei zu erwarten, dass sie in der Selbstmedikation weiterhin angewendet werden – dann jedoch ohne ärztliche Kontrolle. Dies könne für die Patienten Gesundheitsrisiken nach sich ziehen.

Hohes Versorgungsniveau in der GKV

Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, lobte das sehr hohe Niveau der Versorgung mit innovativen und hochwertigen Arzneimitteln, das der Arzneiverordnungs-Report widerspiegle. "Wer schwer krank ist und teure Arzneimittel benötigt, kann sich auf die gesetzliche Krankenversicherung verlassen", konstatierte er. Ein allzu sorgloser Umgang mit teureren Medikamenten sei jedoch Kosten treibend. Daher rief er die Selbstverwaltungen der Krankenkassen und der Ärzteschaft auf, wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

Institut für Wirtschaftlichkeit als Hoffnungsträger

So müssten beispielsweise, wie im GMG vorgesehen, die Ärzte regelmäßig über preisgünstige Arzneimittel informiert werden, mit konkreter Nennung von Präparat und Preis. Auch die Apotheken müssten ihren Part spielen, so wie es das Gesetz vorsieht, und wirtschaftlich sowie sparsam handeln. Große Hoffnung setzt das Ministerium in das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das in diesen Wochen seine Arbeit aufgenommen hat. Damit sei eine industrieunabhängige, neutrale Information für Patienten und Ärzte möglich, und dies sei auch dringend notwendig, so der Staatssekretär.

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