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Ohne Schwärzungen

BONN (im). Ärzte verordnen zunehmend teure Arzneimittel in größeren Packungen. Dies führt zu Mehrausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung, obwohl die Zahl der Verordnungen sinkt. Auf dieses Phänomen, die sogenannte Strukturkomponente, hat der Heidelberger Pharmakologe Professor Ulrich Schwabe bei der Vorstellung des Arzneiverordnungsreports 98 am 17. Dezember in Bonn hingewiesen. Nachdem der Report 1997 wegen einstweiliger Verfügungen von pharmazeutischen Herstellern an vielen Stellen nur geschwärzt veröffentlicht werden durfte, ist die Ausgabe 1998 modifiziert in einem neuen Verlag erschienen.


Im Kern ging es damals um die Frage, ob Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit der Aufstellung von Listen in den Markt eingreifen dürfen. So war beispielsweise außer Schwabe Dr. Dieter Paffrath als Herausgeber und hier in seiner Funktion als Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) genannt worden. Hier hat es Änderungen gegeben. Nach Worten von Paffrath, der seit Februar 1998 nicht mehr WIdO-Leiter ist, sondern die AOK in Westfalen-Lippe leitet, besteht nun kein Zusammenhang mehr zwischen seiner jetzigen Herausgebertätigkeit und den Spitzenverbänden der Krankenkassen.

Weniger Verordnungen, aber teurere Arzneimittel verordnet

Schwabe und Paffrath wiesen auf die mit minus elf Prozent deutlich gesunkene Menge der Verordnungen im Jahr 1997 hin. Allerdings habe die Strukturkomponente diese Einsparungen fast völlig aufgezehrt, da durch die Verschreibung von teueren Arzneimitteln in größeren Packungen Mehrausgaben in Höhe von rund 3,7 Milliarden Mark entstanden seien. Vor allem der Trend hin zu teueren Präparaten sei mit Kosten von 2,7 Milliarden Mark daran beteiligt, was einem Anstieg um etwa acht Prozent entspreche. Setze sich diese Entwicklung fort, seien in den kommenden Jahren deutlich steigende Arzneimittelausgaben der GKV zu erwarten, meinte Paffrath.

Nach Worten von Professor Schwabe hätten sich im rückläufigen Gesamtmarkt nur wenige Indikationsgruppen mit einem hohen Anteil neuer Arzneimittel behauptet. Dazu gehörten Lipidsenker, Antihypertonika, Antibiotika und Chemotherapeutika, Antidiabetika sowie Psychopharmaka. Insgesamt entfalle derzeit ein Fünftel des Umsatzes auf die Neueinführungen der letzten zehn Jahre, die eine deutliche Umsatzsteigerung aufwiesen.

Spezial- und umstrittene Arzneimittel

Der Pharmakologe verwies darüber hinaus auf den wachsenden Anteil von Spezialpräparaten bei speziellen Behandlungsverfahren wie der Tumor- oder AIDS-Therapie. Das Segment dieser Arzneimittel habe 1997 ein Umsatzvolumen von 3,5 Milliarden Mark und damit ein Zehntel des Gesamtmarktes erreicht. Schwabe ging zudem auf die sogenannten umstrittenen Arzneimittel ein, deren Anteil in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen sei. Die Umsätze seien hier um 1,4 Milliarden Mark oder fast 21 Prozent gesunken. Es seien Gruppen von sogenannten umstrittenen Präparaten aufgelistet worden, weil die Einzelbewertung nicht in jedem Fall erfolgen könne. So seien nicht alle durchblutungsfördernden Mittel - obwohl aufgelistet - unwirksam, sagte Schwabe, hier gebe es durchaus wirksame Präparate.

Keine völlige Substitution

Bei Verzicht auf die "umstrittenen" Arzneimittel könnten wegen zu erwartender Substitutionen durch andere Medikamente nur drei Milliarden Mark eingespart werden, schätzte der Heidelberger Pharmakologe Schwabe. Ein weiterer Bereich der Kostensenkung für die GKV sei der Generikamarkt. Durch die Verordnung preiswerter Nachahmerpräparate hätten die Kassen 1997 insgesamt 2,4 Milliarden Mark weniger ausgeben müssen.

Hersteller: Nicht am falschen Ende sparen

Pharmaverbände kritisierten einige Aussagen von Schwabe. Zum Hinweis auf das mögliche Milliarden-Einsparpotiential bei "umstrittenen" Arzneimitteln stellte der Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in Bonn fest, es gebe weder gesetzlich vorgegebene noch wissenschaftlich unumstrittene Bewertungskriterien für diesen Begriff. Vielmehr existierten für viele der sogenannten umstrittenen Medikamente, die vor allem für die hausärztliche Versorgung unerläßlich seien, Wirksamkeitsnachweise. Dies gelte zum Beispiel für Husten-, Grippe- oder Rheumamittel. Darüber hinaus solle allein die Zulassung Kriterium für Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels sein, meinte der BAH, der die Selbstmedikationsindustrie repräsentiert. Der Report solle sich mehr an positiven Erfahrungen in Arztpraxen als an theoretisch-pharmakologischen Bewertungen orientieren und nicht dazu aufrufen, am falschen Ende zu sparen. Eine Arzneimitteltherapie sei häufig kostengünstiger als andere Behandlungsformen, so der BAH.

Auch Dr. Wolfgang Weng vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI), der überwiegend mittelständische Hersteller vertritt, wies den Begriff der "umstrittenen" Arzneimittel zurück. Die Autoren des Reports neigten der überheblichen Auffassung zu, ihr einseitiger wissenschaftlicher Standpunkt werde von allen Wissenschaftlern geteilt, was nicht stimme. Nach Worten von Weng ist entscheidend, ob die Krankenkassen den Report dazu nutzen, Ärzte unter Druck zu setzen, wozu sie nicht befugt seien.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der zwei Drittel des Marktes vertritt, sah sich in seiner Einschätzung bestätigt, Mediziner verordneten Innovationen vor allem bei schweren Erkrankungen und weniger Präparate gegen geringfügige Krankheiten. Zu Recht werde die wachsende Bedeutung von Spezialprodukten hervorgehoben, die teure Krankenhausaufenthalte vermieden.

Die Hauptgeschäftsführerin des VFA, Cornelia Yzer, wies allerdings die Äußerung von Schwabe zu Molekülvariationen ohne therapeutischen Vorteil als falsch zurück. Me-too-Präparate würden nicht ausschließlich zum Zweck des Nachahmens entwickelt. Gleichwohl werde es Parallelentwicklungen wegen der weltweiten, gleichzeitig erfolgenden Forschung geben, die einen erwünschten Wettbewerb - auch bei den Preisen - bewirke, da Innovationen rascher entwickelt würden.

Zustimmung bei Kassen

Die Krankenkassen begrüßten das Erscheinen des Reports als ein wichtiges Mittel zur Herstellung von Transparenz auf dem Arzneimarkt. Der Report sei eine wichtige Voraussetzung zur Verbesserung von Versorgungsqualität und der Kostenentwicklung, so die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen in einer gemeinsamen Erklärung. Sie befürchteten, daß ein ungebremster Trend zu teueren Arzneimitteln bald den Budgetrahmen sprengen könnte, und appellierten an die Ärzte, verstärkt preisgünstigere Arzneimittel einzusetzen. An den Gesetzgeber erging die Forderung, "pseudoinnovative Molekülvariationen" (Me-too-Präparate) in die Festbetragsregelung einzubeziehen, damit diese einen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit leisteten.

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