Einnahmezeitpunkte individuell festlegen

Blutdrucktabletten morgens oder abends einnehmen?

Stuttgart - 06.03.2024, 09:13 Uhr

Bei sogenannten Non-Dippern sinkt der Blutdruck in der Nacht nicht ausreichend gegenüber den Werten am Tag. (Foto: Elizaveta / AdobeStock)

Bei sogenannten Non-Dippern sinkt der Blutdruck in der Nacht nicht ausreichend gegenüber den Werten am Tag. 
(Foto: Elizaveta / AdobeStock)


Wissen Sie, was ein Dipper, Non-Dipper, Reverse-Dipper oder Extrem-Dipper ist? Wer in der Apotheke hinsichtlich des richtigen Einnahmezeitpunkts von Antihypertonika beraten möchte, sollte wissen, zu welchem Typ die jeweiligen Bluthochdruck-Patient:innen zählen. Denn pauschal lässt sich nicht sagen, ob die morgendliche oder abendliche Einnahme von Blutdrucksenkern besser ist – es gibt zu dieser Fragestellung erstaunlich wenig belastbare Evidenz.

Auf einfache Fragen gibt es nicht immer einfache Antworten. So ging die DAZ beispielsweise bereits 2011 der Frage nach, ob man Antihypertensiva besser morgens oder abends einnehmen sollte. Anlass war eine Studie, welche die gängige Empfehlung, blutdrucksenkende Arzneimittel am Morgen einzunehmen, infrage stellte [1]. Es folgten beispielsweise 2015, 2018 und 2019 weitere Studien, die Hinweise lieferten, dass eine abendliche Einnahme von Antihypertonika gegenüber der morgendlichen Einnahme von Vorteil sein könnte [2, 3, 4]. Doch auf Basis der bis 2019 erschienenen Studien sah die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) im Jahr 2020 (noch) nicht genügend Anlass, im klinischen Alltag tatsächlich eine allgemeine Empfehlung für die abendliche Einnahme auszusprechen [5]. Eine Studie im Jahr 2022 bekräftigte schließlich dieses Vorgehen der AkdÄ. Denn diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass der Einnahmezeitpunkt für den Erfolg der Therapie eher eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger sei die Auswahl geeigneter Arzneimittel und die Adhärenz der Patient:innen [6].

Das sagt die deutsche Leitlinie

Im Juni 2023 ist die „S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie“ erschienen. Diese widmet der Frage nach dem richtigen Einnahmezeitpunkt einen kurzen Absatz und kommt zu einem ähnlichen Fazit wie die Studie von 2022:


„Ziel der medikamentösen Therapie ist eine normotensive Einstellung des Blutdrucks über den Tag und die Nacht (Langzeitblutdruckmessung). Dabei sind patientenindividuelle Einnahmezeitpunkte unter Beachtung u. a. der eingesetzten Wirkstoffklassen, der Komedikation, potenzieller unerwünschter Wirkungen sowie der Adhärenz zu berücksichtigen.“

S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie, Stand: 29.06.2023 [7]


Bislang könne man keine Empfehlung für die morgendliche oder abendliche Einnahme geben [7]. 

Das sagt das Cochrane-Netzwerk

Seit Februar 2024 bekräftigt nun eine aktualisierte systematische Übersichtsarbeit des Cochrane-Netzwerks diese Leitlinien-Empfehlung. Zumindest insofern, dass demnach die Evidenz nicht ausreicht, um die Fragestellung – morgendliche oder abendliche Einnahme von Blutdrucksenkern – zu beantworten. Zwar wurden in der Übersichtsarbeit 25 randomisierte kontrollierte Studien mit 3.016 Proband:innen mit primärer Hypertonie ausgewertet, allerdings sei die Datenlage sehr begrenzt und es gebe Mängel in den Studiendesigns. 

Der Einnahmezeitpunkt beeinflusst die Gesamtmortalität und Nebenwirkungen also womöglich kaum oder gar nicht [8]. Damit gibt es keinen Zugewinn an Wissen gegenüber dem Jahr 2011, als die Cochrane-Übersichtsarbeit erstmals erschienen ist [9].

Das sagt die europäische Leitlinie

Auch laut der europäischen Bluthochdruck-Leitlinie der „European Society of Hypertension“ gibt es für die allgemeine Bluthochdruck-Population keine zu bevorzugende Tageszeit für die Einnahme von Bluthochdruckarzneimitteln. In der Leitlinie wird sogar vorgeschlagen – wenn mehrere Arzneimittel gegen Bluthochdruck angewendet werden müssen – die Einnahme auf den Morgen und den Abend aufzuteilen. Allerdings soll die Adhärenz bei abendlicher Einnahme schlechter sein. Zu berücksichtigen sei zudem, dass Diuretika nicht zur Nacht genommen werden sollten [10]. 

Die Autor:innen des aktuellen Cochrane-Übersichtsartikels weisen extra darauf hin, dass ihr Fazit zu den Einnahmezeitpunkten für die Monotherapie gilt und nicht zwangsläufig auf Situationen übertragbar ist, in denen Patient:innen mehrere Blutdrucksenker anwenden [8].

Eingesetzte Wirkstoffklassen berücksichtigen

In einem DAZ-Artikel zur Chronopharmakologie von 2019 macht der Autor Prof. em. Dr. med. Dr. h.c. Björn Lemmer darauf aufmerksam, dass bei der Frage nach dem Einnahmezeitpunkt von Antihypertensiva auch der eingesetzte Wirkstoff über die Antwort entscheiden kann: Während AT1-Rezeptor-Antagonisten und Calciumkanal-Blocker bei „Dippern“ morgens verordnet und bei „Non-Dippern“ abends verordnet werden könnten, sollten ACE-Hemmer bei „Dippern“ nie abends verordnet werden, heißt es [11].

Was sind Dipper?

Auf die Gruppen der sogenannten Dipper und Non-Dipper geht auch die europäische Leitlinie ein. Demnach ist nächtlicher Bluthochdruck und ein schlechtes Verhältnis von Blutdruckwerten in der Nacht zu den Werten am Tag ein signifikanter Prädiktor für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko: Liegt das Nacht-Tag-Verhältnis der Blutdruckwerte bei einem Wert von 0,9 oder höher, spricht die Leitlinie von Non-Dippern – der Blutdruck in der Nacht sinkt also gegenüber den Werten am Tag nicht ausreichend. Liegt das Verhältnis bei 0,9 oder niedriger ist vom Normalfall, den Dippern die Rede. 

Mehr zum Thema

Wie sich Erkenntnisse der Chronopharmakologie nutzen lassen

Arzneimitteltherapie im Takt

Kritik an europäischer Hypertonie-Leitlinie

Betablocker bei Bluthochdruck keine erste Wahl – oder?

Darüber hinaus beschreibt die Leitlinie auch „Reverse-Dipper“, bei denen der Blutdruck in der Nacht sogar höher liegen kann als am Tag und das kardiovaskuläre Risiko besonders erhöht ist. Bei Menschen über 70 Jahren werden außerdem sogenannte Extrem-Dipper beobachtet, bei denen der Blutdruck in der Nacht um mehr als 20 % abfällt, was das kardiovaskuläre Risiko ebenfalls erhöhen soll. Um Menschen in solche Dipper-Typen einzuteilen, braucht es laut Leitlinie allerdings mehrere Langzeitblutdruckmessungen, weil der nächtliche Blutdruck Schwankungen unterworfen ist [10].

Was kann man Patient:innen also raten, die fragen: „Soll ich meine Blutdrucktabletten morgens oder abends einnehmen?“ Unter Berücksichtigung aller oben genannten Aspekte erscheint der Rat aus der deutschen Leitlinie, zu patientenindividuellen Einnahmezeitpunkten – unter Beachtung der eingesetzten Wirkstoffklassen, der Komedikation, potenzieller unerwünschter Wirkungen sowie der Adhärenz – für die Beratung im Alltag der beste zu sein.

Literatur 

[1] Gohlke P. Antihypertensiva morgens oder abends einnehmen? DAZ 2011, Nr. 49, S. 40, 08.12.2011, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2011/daz-49-2011/antihypertensiva-morgens-oder-abends-einnehmen

[2] Katzemich S. Antihypertensiva abends einnehmen. DAZ 2015, Nr. 44, S. 34, 29.10.2015, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/daz-44-2015/antihypertensiva-abends-einnehmen

[3] Katzemich S. Blutdrucksenker als Betthupferl. DAZ 2018, Nr. 42, S. 24, 18.10.2018, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2018/daz-42-2018/blutdrucksenker-als-betthupferl

[4] Straub C. Blutdrucksenker zur Nacht. DAZ 2019, Nr. 44, S. 30, 31.10.2019, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-44-2019/blutdrucksenker-zur-nacht

[5] Moll D. Blutdrucktabletten: Morgens oder abends einnehmen? DAZ.online, 20.02.2020, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2020/02/20/blutdrucktabletten-morgens-oder-abends-einnehmen/chapter:all

[6] Aberle D. Blutdrucksenker besser abends oder morgens? DAZ.online, 21.10.2022, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2022/10/21/besser-abends-oder-morgens

[7] S3-Leitlinie Nationale VersorgungsLeitlinie Hypertonie, Stand: 29.06.2023, gültig bis 28.06.2028, register.awmf.org/de/leitlinien/detail/nvl-009

[8] Wu C, Zhao P, Xu P et al. Evening versus morning dosing regimen drug therapy for hypertension. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand 14. Februar 2024, https://doi.org/10.1002/14651858.CD004184.pub3

[9] Zhao P, Xu P, Wan C et al. Evening versus morning dosing regimen drug therapy for hypertension. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand 5. Oktober 2011, https://doi.org/10.1002/14651858.CD004184.pub2

[10] The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension.2023 ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Journal of Hypertension 2023;41:1874–2071, journals.lww.com/jhypertension/fulltext/2023/12000/2023_esh_guidelines_for_the_management_of_arterial.2.aspx

[11] Lemmer B. Arzneimitteltherapie im Takt. DAZ 2019, Nr. 24, S. 50, 13.06.2019, www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2019/daz-24-2019/arzneimitteltherapie-im-takt


Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Experten warnen vor gefährlichen Empfehlungen spanischer Hypertonie-Studien

„Keine generelle abendliche Einnahme von Antihypertensiva!“

Für das kardiovaskuläre Outcome

Blutdrucksenker besser abends oder morgens?

Niedriger Blutdruck während der Nacht senkt das Diabetes-Risiko

Antihypertensiva abends einnehmen

Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse lässt sich deutlich reduzieren

Blutdrucksenker zur Nacht

Wie sich Erkenntnisse der Chronopharmakologie nutzen lassen

Arzneimitteltherapie im Takt

Initiale Hypertonie-Therapie auf dem Prüfstand

Bluthochdruck sofort mit Fixkombi senken?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.