Arzneimittel und Therapie

Antihypertensiva morgens oder abends einnehmen?

Lässt sich das kardiovaskuläre Risiko senken, wenn Antihypertonika nicht morgens, sondern abends eingenommen werden? Eine aktuelle Studie legt diesen Schluss nahe. Prof. Dr. Peter Gohlke vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Schleswig Holstein, Campus Kiel, hat diese Studie analysiert und zeigt auf, welche Empfehlungen tatsächlich gegeben werden können.
Prof. Dr. Peter Gohlke

Viele biologische Vorgänge in unserem Körper unterliegen einer tageszeitlichen Schwankung und weisen häufig zirkadiane Rhythmen auf. Die Kenntnis dieser Tagesschwankungen hat auch Einfluss auf die Therapie verschiedener Erkrankungen und insbesondere auf die tageszeitabhängige Gabe von Arzneimitteln.

Dipper, Non-Dipper und Reverse-Dipper

Auch der Blutdruck unterliegt tageszeitlichen Schwankungen mit Tag-Nacht-Unterschieden von 10 bis 20 mmHg. Am Morgen kommt es vor und nach dem Erwachen zu einem starken Blutdruckanstieg, der gegen Mittag wieder abfällt, um nachmittags wieder anzusteigen mit einem weiteren Gipfel am Abend. In der Nacht fällt der Blutdruck in der Regel ab (sogenannte Dipper). Bei einigen Patienten ist dieser Tag-Nacht-Rhythmus aufgehoben und sie zeigen einen unzulänglichen oder fehlenden nächtlichen Blutdruckabfall (sogenannte Non-Dipper) oder gar einen nächtlichen Blutdruckanstieg (sogenannte Reverse-Dipper). Dieses Phänomen wird besonders häufig bei Patienten mit einer sekundären Hypertonie wie z. B. Patienten mit renovaskulärer/renoparenchymatöser Hypertonie beobachtet und ist mit einem deutlich erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden.


Foto: ABDA
Ein Antihypertonikum zur Nacht ist vor allem bei fehlender oder unzureichender nächtlicher Blutdrucksenkung empfehlenswert.

Einnahme abends senkt kardiovaskuläre Ereignisse

Die gängige Empfehlung zur Einnahme von blutdrucksenkenden Arzneimitteln am Morgen könnte zukünftig in Frage gestellt werden. Schuld daran ist eine klinische Studie von Ramon Hermida und Mitarbeitern, in der 661 Patienten mit Bluthochdruck und chronischer Nierenerkrankung auf zwei Behandlungsstrategien randomisiert wurden. Eine Patientengruppe nahm ihre Blutdrucksenker ausschließlich am Morgen nach dem Aufstehen ein, die andere Patientengruppe bekam mindestens ein Antihypertensivum vor dem Schlafengehen. Nach einer mittleren Beobachtungszeit von 5,4 Jahren hatten 47 Patienten mit ausschließlicher medikamentöser Behandlung am Morgen ein kardiovaskuläres Ereignis, aber nur elf Patienten, die wenigstens ein Antihypertensivum zur Nacht einnahmen. Auch die Gesamtereignisrate fiel mit 104 vs. 35 zu Ungunsten der morgendlichen Gabe aus.

Ändert diese Studie unsere Behandlungsstrategie?

Zunächst wohl kaum, da die Ergebnisse dieser prospektiven monozentrischen Studie erst mittels einer multizentrischen, doppel-blinden Studie unter Einschluss einer höheren Patientenzahl bestätigt werden müssen, bevor Therapieempfehlungen ausgesprochen werden können. Aber die Studie hat wertvolle Hinweise für eine Verbesserung der Behandlungsstrategie gebracht. Eine besondere Stärke dieser Studie ist die wiederholte Messung des Blutdrucks mittels einer ambulanten 48-Stunden-Langzeitblutdruckmessung, die gekoppelt war an eine Knöchel-Aktigraphie zur objektiven Erfassung des Schlafverhaltens. Mit der Langzeitblutdruckmessung können nicht nur eine "Weißkittelhypertonie" und eine maskierte Hypertonie ausgeschlossen werden, sondern es kann auch ein fehlender oder unzureichender nächtlicher Blutdruckabfall (Non-Dipper) erkannt werden, der einen hohen Anteil von mehr als 65% der Patienten in der Studie ausmachte. Interessanterweise konnte bei Einnahme von mindestens einem Antihypertensivum zur Nacht der Anteil der Non-Dipper auf 41% vermindert werden, während er bei morgendlicher Gabe auf 71% anstieg. Ein Ausbleiben des nächtlichen Blutdruckabfalls ist aber wie bereits erwähnt mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden.

Antihypertensiva mit langer Wirkdauer verwenden

Die in der Studie von Hermida beobachtete geringere nächtliche Blutdrucksenkung bei morgendlicher im Vergleich zu abendlicher Einnahme der Antihypertensiva lässt die Vermutung aufkommen, dass die einmal tägliche Gabe der Antihypertensiva am Morgen nicht ausreicht, um eine suffiziente nächtliche Blutdrucksenkung zu gewährleisten. Waren Antihypertensiva mit zu kurzer Wirkdauer Schuld daran? Vermutlich nicht, da mit den in der Studie verwendeten Calciumkanalblockern (Amlodipin), ACE-Hemmstoffen (Ramipril, Spirapril) und AT1 -Rezeptorantagonisten (Telmisartan, Olmesartan, Valsartan) jeweils Vertreter mit ausreichend langer Wirkdauer eingesetzt wurden. Über Art und Dosierung der Diuretika wurden jedoch keine näheren Angaben gemacht. Knapp 60% der Patienten erhielten als Morgengabe ein Diuretikum. Ob es sich hierbei um das weltweit am häufigsten eingesetzte, aber vergleichsweise kurz wirksame Hydrochlorothiazid oder um eines der deutlich länger wirksamen und damit für diese Studie besser geeigneten Thiazid-ähnlichen Diuretika Indapamid und Chlortalidon gehandelt hat, bleibt unklar.

Compliance verbessern

Eines der Hauptprobleme bei der Hypertoniebehandlung ist die mangelnde Compliance der Patienten. Fehlendes Problembewusstsein über die langfristigen kardiovaskulären Folgen einer nicht suffizient behandelten Hypertonie bei gleichzeitig fehlendem Leidensdruck und ggf. Nebenwirkungen durch die eingesetzten Antihypertensiva sind wenig förderlich für die Einnahmetreue der Hypertoniepatienten. Nach wie vor ist der überwiegende Teil der Bluthochdruckpatienten nicht oder nur unzureichend behandelt und erreicht häufig nicht den generellen Zielblutdruck von 140/90 mmHg. Um diesem Problem zu begegnen, sind neben der Aufklärung der Patienten die Anwendung einfacher Therapieregime wie eine 1 x tägliche Gabe der Antihypertensiva möglichst am Morgen, die Verwendung von geeigneten Fixkombinationen zur Minimierung der Tablettenzahl und der Einsatz lang wirksamer und möglichst nebenwirkungsarmer Substanzen mit gesicherter 24-Stunden-Wirksamkeit von wesentlicher Bedeutung. Vermehrte Anstrengungen zur Verbesserung der Compliance werden wesentlich zur Reduktion der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse beitragen. Ob eine abendliche Einnahme der Antihypertensiva hierbei hilfreich ist, bleibt bis jetzt fraglich, ist aber eine Option.

Fazit

Chronobiologische Aspekte spielen bei der Hypertoniebehandlung eine wichtige Rolle. Patienten mit unzureichender oder fehlender nächtlicher Blutdruckabsenkung (Non-Dipper) und insbesondere Patienten mit erhöhtem nächtlichem Blutdruck (Reverse Dipper) sollten wenigstens ein Antihypertensivum zur Nacht einnehmen. Patienten mit starkem nächtlichem Blutdruckabfall (Extreme Dipper) sollten Blutdrucksenker zur Nacht vermeiden, und bei Patienten mit normalem Tag-Nacht-Rhythmus (Dipper) ist eine morgendliche Einmal-Gabe von lang wirksamen Antihypertensiva auch aus Gründen der Compliance zu bevorzugen. Wiederholte ambulante Blutdruck-Langzeitmessungen sollten zur Diagnose der Hypertonie, zur Erfassung der Tag-Nacht-Rhythmik und nicht zuletzt zur Therapiekontrolle eingesetzt werden.


Quelle

Hermida RC, Ayala DE, Mojón A, Fernández JR. Bedtime Dosing of Antihypertensive Medications Reduces Cardiovascular Risk in CKD. J Am Soc Nephrol 22: 2011 ASN.2011040361; published ahead of print October 24, 2011


Autor
Prof. Dr. Peter Gohlke, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel, Hospitalstr. 4, 24105 Kiel



DAZ 2011, Nr. 49, S. 40

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