Zukunftskongress 2024 in Bonn

Notruf der Apotheken: Die Versorgung steht vor dem „Kipppunkt“

Stuttgart - 26.02.2024, 17:45 Uhr

NRW-Minister Karl-Josef Laumann sprach beim Zukunftskongress in Bonn über die gesundheitspolitische Lage. (Foto: Alois Müller)

NRW-Minister Karl-Josef Laumann sprach beim Zukunftskongress in Bonn über die gesundheitspolitische Lage. (Foto: Alois Müller)


Beim 16. Zukunftskongress des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR) forderte Gastgeber Thomas Preis mit Blick auf die wirtschaftliche Situation für Apotheken einen „sofortigen Rettungsschirm“ und setzte „einen Notruf der öffentlichen Apotheken an die Ampelregierung in Berlin“ ab. NRW-Minister Karl-Josef Laumann betonte in seinem gesundheitspolitischen Lagebericht: „Eine gute Gesundheitspolitik kann man nicht auf Kante nähen.“ Der CDU-Politiker bekräftigte seine Unterstützung für inhabergeführte Apotheken und sprach sich für eine Erhöhung des Apotheken-Honorars aus.

Zukunft braucht Zuversicht – unter diesem Motto begrüßte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR), die rund 300 Teilnehmer beim 16. Zukunftskongress der öffentlichen Apotheken im ehemaligen Bundestag von Bonn, darunter auch ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Doch zuversichtliche Zahlen konnte der Verbandsvorsitzende nicht vortragen. Mehr als 560 Apothekenschließungen im Jahr 2023 bedeuteten die höchste Zahl in der Geschichte der Bundesrepublik, so Preis. Und die ersten sechs Wochen im aktuellen Jahr im Kammerbezirk Nordrhein zeigten, dass sich der katastrophale Trend beschleunige und „die Schließungen noch einmal deutlich über den schlimmen Zahlen von 2023 liegen“.

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Zehn Jahre ohne Honorarerhöhung hätten bei steigenden Lebenserhaltungskosten, Löhnen und Inflation dazu geführt, dass ein Drittel der Apothekeninhaber heute weniger verdiene als ein angestellter Approbierter. Zehn Prozent der Betriebe schrieben rote Zahlen, „so dass sie über kurz oder lang werden schließen müssen“, prophezeite Preis. Er sieht die „Versorgung am Kipppunkt“ und „massive Versorgungsengpässe kommen“.

Immer mehr Leistungen für immer mehr ältere Menschen

Der demografische Wandel in Deutschland mit immer mehr älteren und kranken Menschen erfordere bis ins Jahr 2030 bis zu 20 Prozent mehr Leistungen durch Apotheken, bei den über 70-Jährigen sogar bis zu 70 Prozent mehr Leistungen, rechnete Preis vor. „Die Babyboomer werden im System aufschlagen.“ Im derzeitigen Zustand könne das System dies aber nicht leisten, es werde „weiße Flecken“ auf der Apotheken-Landkarte geben. Deshalb sieht der AVNR-Vorsitzende nur eine Lösung für das Apothekensystem: einen „sofortigen Rettungsschirm“ der Politik mit einer Absenkung des Kassenabschlags, einer spürbaren Honorarerhöhung und einer Korrektur des BGH-Urteils durch den Gesetzgeber, damit Skonti weiter rechtssicher möglich seien. „Wir müssen die Apotheken stärken jetzt“, forderte Preis und sandte aus dem ehemaligen Bundestag in Bonn „einen Notruf der öffentlichen Apotheken an die Ampelregierung in Berlin“.

NRW-Minister: Mehr Honorar für Apotheken 

Mit deutlicher Kritik an der Ampel hielt sich auch Karl-Josef Laumann (CDU), Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziale in Nordrhein-Westfalen, nicht zurück. Er erinnerte in seinem „gesundheitspolitischen Lagebericht“ zunächst an die Pandemie-Zeiten. Die COVID-Erfahrung lehrte Laumann vor allem eines: „Eine gute Gesundheitspolitik kann man nicht auf Kante nähen.“ Das Zauberwort der „resilienten Systeme“, die man danach schaffen wollte, sei aber 1,5 Jahren nach Pandemie-Ende schon verblasst. Zurzeit werde auf Bundesebene das Gegenteil umgesetzt. Man müsse Veränderungen im Gesundheitsbereich gemeinsam mit den jeweiligen Berufsständen angehen. „Politik wird hier zusammen gemacht und nicht von oben diktiert“, so Laumann, „das gilt auch für die Apotheken.“

„Leitbild des Apothekers muss erhalten bleiben“

Oberste Prämisse ist für den Minister: „Das Leitbild des Apothekers in seiner Apotheke muss erhalten bleiben.“ Und Laumann wurde noch deutlicher: „Wenn man ein Leitbild in Frage stellt und das macht Herr Lauterbach mit dem aktuellen Gesetzentwurf, dann muss er sich nicht wundern, dass der Berufsstand nicht mitgeht. Du kannst doch auch nicht der katholischen Kirche das Beten verbieten.“ Dabei gehe es um die Kernfrage des Berufsstandes. Zudem sei ein klares Bekenntnis zur Mitte der Gesellschaft wichtiger denn je – auch mit Blick auf die AfD und der von ihr ausgehenden Gefahr für Deutschland. „Damit ein Land in der Mitte bleibt, dafür braucht man eine breite Mittelschicht und auch die Freiberuflichkeit“, so Laumann. Apotheken dürften nicht von Ketten übernommen werden. „Ich möchte, dass der Apothekenbereich im inhabergeführten Mittelstand bleibt“.

Ein klares Bekenntnis des NRW-Ministers, der allerdings andere Punkte durchaus „zur Disposition“ stellte. Zwar kritisierte der Landesminister Lauterbachs bisherige Pläne, dass PTA alleine in Apotheken vertreten könnten, wenn ein Approbierter digital zugeschaltet werden kann. Doch um die Versorgung mit absehbar weniger Fachkräften („das wird in allen Arbeitsbereichen künftig so sein") zu sichern, sei in Apotheken womöglich ein neuer „Personalmix“ notwendig, so Laumann. Die zentrale Frage, der er als Arbeitsminister in allen Gesundheits-Bereichen gegenüberstehe: Wie bekommen wir mit einem anderen Personalmix eine gute Versorgungsqualität hin? Muss da alles so bleiben, wie es ist? Darüber müsse man vernünftig reden.

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Laumann: Können die Apothekenreform nicht aufhalten

Beim Honorar-Fixum wurde er dann deutlicher: „Bei den Apothekenhonoraren gibt es Nachholbedarf.“ Es müsse die Möglichkeit geben, Inflation, steigende Personal- und Energiekosten auszugleichen. Ob das aber beim Honorar 12 Euro sein müssten, stellte er zur Disposition. Die geforderte Erhöhung auf 12 Euro würde die Kassen nach Berechnungen seines Hauses drei Milliarden Euro kosten, umgerechnet wären das 0,17 Prozent Beitragspunkte. Das sei beitragsrelevant, so Laumann. Woher die Summe holen? Über Steuern finanzieren? Der Staatshaushalt sei überfordert und mit Blick auf Inflation und Nullwachstum der Wirtschaft seien weitere Ausgaben des Staates unwahrscheinlich. Die Lage ist ernst - das verlange eine ernsthafte und glaubwürdige Politik. Es gebe zwar eine Stellungnahme der Länder zum Referentenentwurf, aber bisher noch keinen Arbeitsentwurf. „Wir können dieses Gesetz nicht aufhalten“, machte der NRW-Minister klar. „Es ist ein reines Bundesgesetz, bei dem der Bundestag den Hut aufhat.“ In den Bundesländern und damit im Bundesrat gehe die Möglichkeit es aufzuhalten gegen Null.

Virologe Streeck will in die Politik gehen

Im Keynote-Vortrag zur Frage „Ist das Gesundheitswesen noch zu heilen?" sprach anschließend Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn und Mitglied des Expertenrats des Bundeskanzleramts. Interessanter Nebenaspekt: Der Mediziner will für die Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis Bonn für die CDU kandidieren und sich als Gesundheitspolitiker profilieren. Streeck fordert in seinem Vortrag einen „radikalen Umbau des Gesundheitswesens“, damit das System nicht völlig kollabiere, wenn die Baby-Bommer in Rente gingen. Deutschland habe mit 360 Milliarden Gesundheitsausgaben eines der weltweit teuersten und dennoch „eines der ineffizientesten Systeme“. Eines der Grundprobleme seien die von Ulla Schmidt (SPD) eingeführten Fallpauschalen, das weltweit in dieser Art in keinem Land so durchgeführt werde wie in Deutschland. „Das hat sich damals Karl Lauterbach ausgedacht“, merkte Streeck an und forderte: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.“ Bürokratieabbau, mehr Zeit für den Patienten, Primärarzt-Modelle, mehr Prävention sind dabei seine Forderungen, die er künftig auch auf politischer Ebene forcieren will.

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Diskussionsrunde mit Landespolitikern

Die daran anschließende Diskussionsrunde „Arzneimittel- und Gesundheitspolitik der Bundesregierung auf dem Prüfstand“ wurde teilweise sehr emotional und teilweise ohne klaren thematischen Fokus geführt. Die Landtagsabgeordneten Marco Schmitz (CDU), Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) und Thorsten Klute (SPD) kamen unisono zum Schluss: Für Apotheken gibt es aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage derzeit kein Geld im System. Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke) bewertete das Apothekensterben vor allem als dringende „soziale Frage“ in benachteiligten Stadtteilen und Regionen.

Apothekenproteste in den nächsten Wochen

Aus Apothekensicht werden die nächsten Wochen spannend werden: Gastgeber Preis kündigte eine Fortsetzung der Apothekenproteste aus dem vergangenen Jahr an, wenn der Gesetzesentwurf zu Lauterbachs Apothekenreform vorgestellt werde und der Minister darin an den „Behelfsapotheken“ festhalten werde. Preis richtete seinen Appell in Richtung Berlin: „Herr Minister Lauterbach, beerdigen Sie dieses Gesetzesvorhaben, damit Bürgerinnen und Bürger keinen Schaden nehmen und keine Leistungseinschränkungen hinnehmen müssen.“


Stefanie Keppler, DAZ-Ressortleiterin
skeppler@daz.online


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3 Kommentare

Klare Lüge oder Ahnungslosigkeit

von Stefan Haydn am 28.02.2024 um 13:56 Uhr

Die 3 Mrd. führen zu keiner Beitragserhöhung. Wenn der Finanzminister zahlt wie bestellt, sind 15 Mrd. mehr im System.
Entweder hat Herr Laumann wie so viele Politiker davon keine
Ahnung oder er lügt wie gedruckt.

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Laumann

von Roland Mückschel am 26.02.2024 um 20:36 Uhr

Was sind wir für ein trauriger Haufen geworden wenn der sich traut uns so dreist anzulügen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Laumann

von Gerhard Zibulak am 27.02.2024 um 8:57 Uhr

Dem kann ich nur zustimmen. Wir sparen mit unserer Arbeit mehr als diesen Betrag ein. Und, gerade bei Bild online gelesen, das Parlament gönnt sich eine satte Diätenerhöhung. Da wird auch nicht gerätselt, wo die Kohle herkommen soll.

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