Apothekenprotest in Stuttgart

„Mit kalten Füßen und heißen Herzen“

Stuttgart - 22.11.2023, 17:50 Uhr

Der Stuttgarter Schlossplatz war voller Apotheker:innen und deren Teams. (Foto: Hugger / DAZ)

Der Stuttgarter Schlossplatz war voller Apotheker:innen und deren Teams. (Foto: Hugger / DAZ)


Wer heute Mittag auf den Schlossplatz kam, um auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt eine Runde mit dem Riesenrad zu drehen, blickte auf ein riesiges Meer aus weißen Warnwesten aus tobenden und pfeifenden Apothekenteams: Tausende Apotheker:innen, PTA und PKA hatten sich auf dem Schlossplatz versammelt, um gemeinsam gegen die Politik und Pläne des Gesundheitsministeriums zu protestieren. Trotz der eisigen Temperaturen waren sie „hier und laut, weil man ihnen die Zukunft klaut.“ 

Die ersten Stände des Weihnachtsmarktes sind schon auf dem Stuttgarter Schloßplatz aufgebaut. Es riecht nach Bratwurst und Glühwein und im Hintergrund steht ein Riesenrad. Doch an den vermeintlichen Besucher:innen des Weihnachtsmarktes um 11 Uhr heute Vormittag fällt ein Detail auf: Sie alle tragen die gleiche, weiße Warnweste mit dem Schriftzug „Apotheken stärken. Jetzt!“, eine Parole, die man im Laufe des Mittags noch oft lauthals herausgerufen hören wird. Denn wenngleich sich der eine oder die andere tatsächlich an den Buden stärkt: Der Weihnachtsmarkt ist nicht der Grund, weshalb die Apothekenteams aus ganz Süddeutschland angereist sind. Vielmehr sind sie heute hier, um ihre Unzufriedenheit mit der Lauterbach’schen Gesundheitspolitik laut und deutlich kundzutun.

Bis zum Start der Veranstaltung reist der Zustrom von Personen nicht ab. Mit 4000 Personen hatte man gerechnet. Die mitgebrachten 4000 Warnwesten sind jedoch am Ende der Veranstaltung restlos ausgegeben – gut möglich also, dass sogar mehr Fachkräfte aus den Apotheken und Arztpraxen vor Ort gewesen sind.

Dr. Martin Braun, Präsident der LAK BaWü im DAZ-Interview (Video: Hugger/DAZ)

„A für Ausbeutung, P für Protest, O für Ohnmacht, T für Tragödie, H für Hungerlohn, E für Engpass, K für Katastrophe, E für Ende.“ Das Schild des Teams der Apotheke im Schick-in aus Achern, fasst zusammen, warum die Apothekenteams aus Baden-Württemberg und Bayern heute in Stuttgart zusammenkamen. Die Protestierenden fordern eine „faire Vergütung ihrer Leistungen“, „die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze“, „die Stärkung der Apotheke vor Ort“, sie schlagen „Alarm, Apotheke vor Ort hat keine Kraft mehr!“ Eine Apothekerin aus Nussloch sagt, dass sie unbedingt die öffentliche Apotheke erhalten möchte, sonst befürchtet sie den Super-GAU. „Lass uns nicht ausbluten“ steht auf einem Plakat, darum herum steht ein Apothekenteam mit blutverschmierten Kitteln, auf einem ist das Apotheken A gerade noch zu erkennen. Vom Mediverbund hat sich ein Protestierender als Karl Lauterbach verkleidet, er trägt das Kostüm eines Totengräbers, um ihn hat sich die Trauergesellschaft in Schwarz versammelt, mit Sarg und Trauerkranz. Das Statement „Traurig nehmen wir Abschied von der ambulanten Versorgung“, zeigt auf wohin die derzeitige Gesundheitspolitik ihrer Meinung nach führt. Doch trotz der gebastelten Särge, Totenkreuze und -kränze, auf dem Schlossplatz ist es nicht still. Die Menge tobt, pfeift, ist laut und protestiert: „Keine Honorarerhöhung seit 10 Jahren, PFUI!“, „Kaum ist die Pandemie vorbei, gehen wir der Regierung am A… vorbei“, „Wir dürfen nicht ins Gras beißen“, „Apotheken stärken jetzt. Es ist bereits 5 nach 12!“. 

Silke Laubscher Vizepräsidentin der LAK BaWü im Gespräch mit der DAZ (Video: Hugger/DAZ)

Beim Veranstaltungsstart um 12 Uhr sind es gerade einmal 3 Grad, doch die Gesundheitsberufler:innen haben mit Thermoskannen, langen Unterhosen und verschiedenen Lutschpastillen aus dem Apothekensortiment vorgesorgt und so herrscht dennoch ausgelassene Stimmung. Das liegt nicht zuletzt an Moderator Frank Eickmann, stellvertretender Geschäftsführer/Pressesprecher des LAV Baden-Württemberg, der immer wieder zu Sprechchören aufruft. Neben „Apotheken stärken. Jetzt“ ist auch die bei Demonstrationen der Fridays For Future beliebte Parole „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut.“ oft zu hören. „Mit kalten Füßen und heißen Herzen“ sind die Apotheker:innen, PTA und PKA heute zusammengekommen, da es bereits „fünf nach zwölf für die Deutsche Apothekerschaft“ ist, so Eickmann zur Eröffnung. Die Demonstrierenden erwartet ein zweistündiges Bühnenprogramm, das immer wieder von Musikeinspielungen und der Aufforderung sich warmzutanzen unterbrochen wird. Einer Einladung, der die Teilnehmer:innen gerne Folge leisten.

Apotheken sterben jetzt

Als erste Rednerin betritt Tatjana Zambo (Präsidentin des LAV BW) die Bühne. Sie findet Lauterbach solle nicht so viel in „Talkshows herumtingeln“, sondern lieber schnell und effektiv handeln, um die Apotheken zu stärken, denn „Apotheken sterben“. Eine Aussage, die aus der Zuhörerschaft mit einem laut herausgerufenen „Jetzt!“ ergänzt wird – in Anlehnung an die Parole „Apotheken stärken. Jetzt!“. Und zwar sei dieses Apothekensterben eben nicht auf Missmanagement oder Fehler einzelner Inhaber:innen zurückzuführen, sondern auf Personalmangel und die unzureichende Honorierung. Und dafür zeige man hier und heute „dem BMG die Rote Karte“.

Als zweiter ergreift Hans-Peter Hubmann (Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes) das Wort. Für ihn sind „Bürokratie, Struktur und Vergütung […] die Stichwörter der Stunde“. Und während man von einer tatsächlichen Stärkung der Apotheken „Lichtjahre entfernt“ sei, müssen die Apothekenteams andauernd „Probleme lösen, die andere verursacht haben“. Besonders stellte Hubmann nochmals den Wert der Rezeptur hervor, die Millionen von Menschen jedes Jahr in Anspruch nehmen – und eben die laut Lauterbachs Plänen künftig nicht mehr in allen Apotheken vorhanden sein soll.

Weniger Bürokratie, mehr Pharmazie

Anschließend und mit besonderem Fokus auf die Situation der angestellten Apotheker:innen spricht Silke Laubscher (Vizepräsidentin der LAK BW). Sie selbst sei seit mehr als 25 Jahren Apothekerin in einer öffentlichen Apotheke und ist heute hier, damit aus diesem „eigentlich großartigen“ wieder ein uneingeschränkt „großartiger Beruf“ wird. Dazu gehören etwa Tarifgehälter, die denen von vergleichbar qualifizierten Berufsgruppen entsprechen und „weniger Bürokratie, mehr Pharmazie im Berufsalltag“.

Für die Berufsgruppe der PTA sprach danach Eva Bahn, PTA des Jahres 2021. „PTA sind das Rückgrat der Apotheken“, erinnerte sie die jubelnden Zuhörenden. Auch sie blickt bereits auf mehr als zwei Jahrzehnte Berufserfahrung zurück und bemerkt, dass Rabattverträge, Lieferengpassmanagement und Retax-Angst die Beratungsqualität beeinträchtigen. Statt der Kundschaft die nötigen Tipps zu geben „starren wir minutenlang schweigend in den Rechner“, um ja das richtige Präparat auszuwählen, und das mache den Patienten nicht gesünder, helfe der Apotheke nicht und bereichere nur die Krankenkasse.

Während in der Zuhörerschaft auch zahlreiche PTA vertreten waren, mussten die PTA-Schüler:innen der Kerschensteiner Schule der Veranstaltung fernbleiben. Schulpflicht geht vor, hatte das Regierungspräsidium entschieden. Aber dank Videostatement ließ eine Klasse die Menge trotzdem wissen, dass sie „im Herzen mit dabei waren“.

Stimmen aus der Politik

Auch aus den Reihen der Politik ließen sich einige Vertreter:innen auf der Kundgebung blicken, so etwa Petra Krebs. Die Sprecherin für Soziales, Gesundheit und Pflege der grünen Landtagsfraktion zeigte sich solidarisch mit den Apothekenteams und hob die Rolle von der Beratung von Apotheken im Kampf gegen gesundheitsbezogene Fehlinformationen hervor.

Michael Preusch (gesundheitspolitischer Sprecher CDU-Landtagsfraktion) wandte das Dosis-Wirkungs-Prinzip auf die Veranstaltung an: Bei solch einer Dosis an Apothekenteams müsste ja nun eine Wirkung in Berlin erzielt sein. Er betonte nochmals, dass Deutschland im europäischen Vergleich schlecht mit Apotheken versorgt sei.

Jochen Haussmann (Sprecher für Gesundheitspolitik der FDP-Landtagsfraktion) bedankte sich bei den Apothekenteams für ihr Engagement und forderte den Gesundheitsminister auf „Kalle, mach mehr Turbo“, unter anderem beim Bürokratieabbau.

Florian Wahl (Sprecher für Gesundheit und Pflege der SPD-Landtagsfraktion) würdigte den besonderen Einsatz der Apotheken in der Pandemie und versprach, die Bilder vom heutigen Protest nach Berlin zu tragen und sich für eine Anhörung im Landtag zur Apothekenvergütung einzusetzen.

Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach bekundete per Videobotschaft ihre Unterstützung für den heutigen Protest. Auch Bernhard Seidenath (gesundheitspolitischer Sprecher der CSU‐Fraktion) ließ die Demonstrierenden per Videobotschaft wissen: „Wir brauchen Sie!“

Schulterschluss mit den Praxen

Wie auch schon in Dortmund, suchte man auch in Stuttgart den Schulterschluss mit den Ärzt:innen und ihren Teams. Und so kamen Nicola Buhlinger-Göpfarth (Vorsitzende des Hausärzteverbandes BW) und Norbert Smetak (Vorsitzender MEDI BW) auf der Bühne zu Wort. Man kämpfe heute gemeinsam gegen die „systematische Sabotage der ambulanten, wohnortnahen Versorgung“, so Buhlinger-Göpfarth. Smetak empfahl Lauterbach unterdessen doch mal einen Arzt oder Apotheker zu fragen, wenn er wissen wolle, wie eben diese Versorgung sinnvoll zu bewerkstelligen sei.

Eckart Hammer, Vorsitzender des Landesseniorenrats BW betonte in seiner Videobotschaft unterdessen die Rolle der Apotheken für Betagte und Hochbetagte. Dort fänden diese Ansprechpartner und Vertrauenspersonen, während sie in anderen Bereichen oft digital abgehängt würden.

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Als Eickmann das Publikum nach mehr als zwei Stunden verabschiedete, hielt er alle Teilnehmenden an, die Westen, Schilder und Plakate mit nach Hause zu nehmen und für die Dekoration der Apothekenschaufenster weiterzuverwenden. Die Parole „Apotheken stärken. Jetzt!“ dürfte also in den nächsten Wochen vielerorts im Süden präsent bleiben.


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


Julia Stützle, Apothekerin und Volontärin


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