politische und wirtschaftliche Folgen des § 130 SGB V

Der Kassenabschlag: eine politische Dauerbaustelle

Stuttgart - 16.10.2023, 07:00 Uhr

Seit Februar 2023 müssen die Krankenkassen den Apotheken einen höheren Abschlag gewähren. Dieser höhere Kassenabschlag belastet die Apotheken in diesem Jahr mit 115 Millionen Euro. Foto: Alexander Raths/Adobe Stock

Seit Februar 2023 müssen die Krankenkassen den Apotheken einen höheren Abschlag gewähren. Dieser höhere Kassenabschlag belastet die Apotheken in diesem Jahr mit 115 Millionen Euro. Foto: Alexander Raths/Adobe Stock


Mit der befristeten Erhöhung des Kassen- oder Apothekenabschlags seit Februar 2023 ist der Abschlag gemäß § 130 SGB V wieder ins Blickfeld geraten. Wir erläutern den Hintergrund dieser politischen Dauerbaustelle und beschreiben die Folgen des Abschlags. Dabei wird deutlich, dass Sicherheit beim Abschlag nötig ist, um die Apothekenhonorierung weiterentwickeln zu können.

Durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) wurde der Apothekenabschlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel um 23 Cent pro Packung erhöht. Der erhöhte Abschlag gilt seit Februar 2023. Diese auf zwei Jahre befristete Maßnahme belastet die Apotheken allein im Jahr 2023 mit etwa 115 Millionen Euro. Die Apotheken müssen den Abschlag gemäß § 130 SGB V bei der Abrechnung von Arzneimitteln auf den Preis gewähren. In Apotheken wird er meist Kassenabschlag genannt, weil er den Krankenkassen zugutekommt. In der Politik und bei den Krankenkassen heißt er Apothekenabschlag – als Abgrenzung zum Herstellerabschlag gemäß § 130a SGB V. Die Analogie zum Herstellerabschlag zeigt, worum es hier im Kern geht.

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Durch diese Abschläge soll es für Apotheken und pharmazeutische Unternehmen einen Unterschied zwischen Leistungen zulasten der Gesetzlichen Krankenkasse oder für Selbstzahler geben. Dieses Prinzip trifft auch andere Leistungserbringer. Auch Ärzte können nach ihrer Gebührenordnung für Privatpatienten mehr abrechnen, als sie für die gleichen Leistungen bei GKV-Versicherten bekommen. Dabei bleibt offen, ob dies ein Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität oder ein Mengenrabatt sein soll.

Skonto sichert Zahlungsfähigkeit der Apotheken

Bei Apotheken kommt als weiterer Aspekt ein Skonto hinzu. Denn die Krankenkassen dürfen den Apothekenabschlag nur vom Rechnungsbetrag abziehen, wenn sie innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungsstellung alle Rechnungspositionen zahlen. Dies ist ein starker Anreiz für die Kassen und sorgt für pünktliche Zahlungseingänge bei den Apotheken. Das sichert ihre Zahlungsfähigkeit und hat angesichts der gestiegenen Zinsen und der vielen hochpreisigen Arzneimittel zusätzliche Bedeutung. Solche Hochpreiser bis zur Abrechnung zu finanzieren, ist bereits eine Herausforderung für die Apotheken. Ohne die Sicherheit einer pünktlichen Zahlung wäre es wohl für die meisten Apotheken unmöglich und auf jeden Fall unwirtschaftlich. Die Skontofunktion des Abschlags ist wichtig, aber ihn allein als Skonto zu bezeichnen, würde der Sache nicht gerecht. Denn der Abschlag ist auch viel höher als ein handelsübliches Skonto.

Abschlag enthält Mehrwertsteuer

Für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, soweit sie überhaupt von der GKV erstattet werden, beträgt der Abschlag 5 Prozent auf den maßgeb­lichen Abgabepreis. Der Abschlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel wurde 2016 gesetzlich auf 1,77 Euro einschließlich Mehrwertsteuer pro Packung festgelegt und zum 1. Februar 2023 befristet für zwei Jahre auf 2,00 Euro erhöht. Da der Abschlag als Bruttobetrag festgelegt wird, wirkt sich „nur“ der Nettoanteil als Gegenposition zum Festzuschlag für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus. Derzeit sind das 1,68 Euro pro Packung. Die Mehrwertsteuer ist für die Apotheken ein durchlaufender Posten. Die Gestaltung als Bruttoabschlag führt dazu, dass Mehrwertsteueränderungen über die Veränderung des Nettoanteils des Kassenabschlags einen Effekt auf den Rohgewinn und das Betriebsergebnis der Apotheken haben. Dabei erhöhen Mehrwertsteuersenkungen den Nettoanteil und belasten so die Apotheken.

Gesetzliche Festlegung oder selbst verwaltete Verhandlung?

Nachdem die Preisbildung für verschreibungspflichtige Arzneimittel 2004 auf das Kombimodell mit der überwiegend packungsabhängigen Honorierung der Apotheken um­gestellt wurde, war die Höhe des packungsbezogenen Abschlags oft umstritten. Zeitweilig wurde er vom Gesetzgeber festgelegt, in manchen Jahren sollte er in der Selbstverwaltung zwischen den Apotheken und den Krankenkassen ausgehandelt werden. Dies gelang jedoch kaum und führte zu gerichtlichen Verfahren, sodass schließlich beide Seiten den Gesetzgeber aufforderten, den Abschlag wieder gesetzlich zu regeln. Der Grund für diese Probleme in der Selbstverwaltung lag wohl auch in den unglücklichen gesetzlichen Vorgaben. Denn der Festzuschlag gemäß Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und der Kassenabschlag wirken genau entgegengesetzt. Änderungen der beiden Größen kompensieren sich, soweit es um die Versorgung von GKV-Ver­sicherten geht.

Zugleich waren die gesetzlichen Vorgaben für Anpassungen beider Größen nahezu wortgleich. Beide sollten sich an den Kosten der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung orientieren. Damit blieb offen, an welcher Stelle denn nun zusätzliche Kosten vorrangig berücksichtigt werden sollten. Zugleich bestand die Gefahr, dass bei der Änderung einer Größe eine folgende Anpassung der anderen Größe den gewünschten Effekt auf­gehoben hätte. Dieser Ansatz passte auch nicht zur Grundidee, dass der Abschlag einen Unterschied in der Honorierung von Leistungen für GKV-Versicherte und für Selbstzahler schaffen soll. Doch mit der gesetz­lichen Festlegung des Abschlags wurde dieses Problem gelöst. Nun sollte allerdings auch kein Zweifel mehr bestehen, dass die AMPreisV für eine ausköm­mliche Honorierung der Apotheken sorgen muss. Denn der Abschlag hat eine andere Funktion. Die AMPreisV muss aber berücksichtigen, dass die Apotheken einen Abschlag leisten.

Schwere Folgen schon beim AMNOG

Mit der 2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Festlegung des Abschlags hatte sich der Dauerstreit über die immer wieder neue Festlegung erübrigt. Doch mit dem GKV-FinStG von 2022 hat der Gesetzgeber diese alte Eingriffsmöglichkeit wiederentdeckt. Organisatorisch ist die Erhöhung des Abschlags eine sehr einfache Maß­nahme, die sofort wirkt und der die Apotheken nicht ausweichen können. Der erhöhte Abschlag schlägt aufgrund der betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge unmittelbar auf das Betriebsergebnis der Apotheken durch. Damit weckt das GKV-FinStG Erinnerungen an den vorigen Fall, in dem der Gesetzgeber eine Erhöhung des Apothekenabschlags als kurzfristige Sparmaßnahme für die GKV eingesetzt hat. Das war das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG), mit dem der Kassenabschlag für 2011 und 2012 auf 2,05 Euro erhöht wurde. Gegenüber 2010 war das ein Anstieg um 30 Cent. Diese Erhöhung hat massiv auf die Apotheken gewirkt. Der Rückgang in den Betriebsergebnissen fällt noch heute in der lang­fristigen Rückschau auf die Wirtschaftlichkeit der Apotheken auf. Darum sind auch jetzt schwere Folgen für die Apotheken zu befürchten. Zudem ist die Situation durch die Inflation, den Personalmangel, die großen Belastungen durch Lieferengpässe und noch mehr Bürokratie deutlich schwieriger als damals.

Eine Baustelle zu viel

Dass der Kassen- oder Apotheken­abschlag erneut als Sparinstrument eingesetzt wird, wirft grundsätzliche Fragen zu diesem Abschlag auf. Dabei ist einzuräumen, dass die Grundidee einer wirtschaftlichen Bevorzugung der GKV gesellschaftlich naheliegt, aber aus betriebswirtschaftlicher Sicht drängt sich zunehmend der Gedanke auf, dass die überbordende Bürokratie der GKV eher eine zusätzliche Bearbeitungsgebühr der Apotheken rechtfertigen würde. Gemessen am Aufwand der Apotheken wäre das sicher zu begründen. Allerdings wäre es wohl systemfremd, wenn die GKV für Arzneimittel mehr als die PKV zahlt. Aus der Vergangenheit lässt sich wohl eher die Lehre ziehen, dass ein Streit über den Abschlag das System sehr belasten kann. Der Abschlag ist erfahrungsgemäß eine Baustelle zu viel für das System, denn dieses Thema kann alles andere blockieren.

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Vermutlich ist der bis 2016 währende Dauerstreit über den Abschlag auch ein Grund dafür, dass seit 2004 kein zukunftssicherer Anpassungsmechanismus für den Festzuschlag fest­geschrieben wurde. Dies wiederum spricht für einen maßvollen, fest­stehenden und damit kalkulierbaren Kassen- oder Apothekenabschlag. Eine zusätzliche Baustelle beim Abschlag würde hingegen jede konstruktive Entwicklung beim Festzuschlag gemäß AMPreisV untergraben, denn ein höherer Festzuschlag könnte durch einen höheren Abschlag wieder ausgeglichen und damit für die Apotheken zunichte gemacht werden. Eine Änderung beim Festzuschlag kann also nur kalkuliert werden, wenn der Abschlag feststeht. Um Fortschritt beim Festzuschlag zu erreichen, muss daher Sicherheit über den Abschlag herrschen.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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