Wirkstoff-Lexikon

Hydromorphon

02.10.2023, 07:58 Uhr

Strukturformel Hydromorphon (Quelle: DAZ)

Strukturformel Hydromorphon (Quelle: DAZ)


Hydromorphon ist ein stark wirksames Opioid der WHO-Stufe 3 zur Behandlung starker Schmerzen. Der Wirkstoff leitet sich von der Struktur des Morphins ab und wirkt etwa sieben Mal stärker. Unsere heutige Ausgabe des Wirkstofflexikons wirft einen Blick auf Hydromorphon – hier zum Nachlesen oder Anhören in unserem Podcast!

Opioide sind hoch wirksame, starke Schmerzmittel. Sie bringen Linderung bei akuten Schmerzzuständen zum Beispiel nach Operationen, sie können ein Segen für Tumorpatient:innen sein und sie werden häufig auch langfristig bei chronischen Schmerzen eingesetzt. Die Opioid-Krise in den USA hat das Potenzial sowie die Risiken dieser Wirkstoffgruppe erneut in den Fokus der öffentlichen wie fachlichen Diskussion gestellt.

Wirkmechanismus

Bei den Opioidrezeptoren werden μ-, κ- und δ-Rezeptoren unterschieden. Wie Morphin ist Hydromorphon ein Opioidagonist mit selektiver Wirkung am µ-Rezeptor. Die pharmakologischen Wirkungen der beiden Substanzen sind vergleichbar. Über den μ-Rezeptor werden therapeutische Wirkungen wie die Analgesie, Anxiolyse und Sedierung vermittelt. Die antitussive Wirkung wird ebenfalls mit der Kopplung an den μ-Rezeptor erklärt.

(Quelle: DAZ)

Nach dem Andocken von Hydromorphon an den µ-Rezeptor kommt es G-Protein-vermittelt zu einer Hemmung der Adenylylcyclasen und damit zu einer verminderten cAMP-Konzentration. Präsynaptisch wird so die Öffnungswahrscheinlichkeit von Calciumkanälen herabgesetzt, was eine Hemmung der Transmitterfreisetzung von Glutamat zur Folge hat. Postsynaptisch wirkt sich die Kopplung an den µ-Rezeptor auf eine Erhöhung der Öffnungswahrscheinlichkeit der Kalium-Kanäle aus, die Öffnungswahrscheinlichkeit von Calciumkanälen wird auch postsynaptisch herabgesetzt. Insgesamt bewirkt dies eine Hemmung der Weiterleitung nozizeptiver Signale.

Pharmakokinetik

Die maximalen Plasmaspiegel werden bei peroraler Gabe innerhalb von 45 Minuten erreicht. Bei der Einnahme retardierter Zubereitungen sind es 12 bis 17 Stunden. Orale Zubereitungen unterliegen einem ausgeprägten First-Pass-Effekt, was zu einer durchschnittlichen Bioverfügbarkeit von etwa 30 Prozent führt. Der Hauptmetabolit ist Hydromorphon-3-Glucuronid, der in der Leber gebildet und renal ausgeschieden wird. Durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme wird die Resorption nur minimal beeinflusst.

Die Halbwertszeit wird mit drei Stunden angegeben. Die Plasmaproteinbindung ist gering und liegt bei unter 10 Prozent, die Wahrscheinlichkeit für Wechselwirkungen mit weiteren Arzneistoffen in Bezug auf die Plasmaproteinbindung ist gering. Das Verteilungsvolumen liegt bei 1,2 bis 2,9 l/kg.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass Hydromorphon durch das Cytochrom P 450 Enzymsystem metabolisiert wird. Es ist deshalb nicht zu erwarten, dass Hydromorphon den Metabolismus von anderen Arzneistoffen verändert, die über CYP-Isoformen metabolisiert werden.

Nebenwirkungen

Das Nebenwirkungsprofil unterscheidet sich nicht von anderen opioiden Analgetika. Hydromorphon, Morphin und verwandte Opioide wirken hauptsächlich auf das zentrale Nervensystem und den Darm. Nebenwirkungen äußern sich häufig als Verstopfung, Übelkeit und Erbrechen. Sie können in der Regel durch eine Verringerung der Dosis, Abführmittel oder gegebenenfalls auch Antiemetika behandelt werden. Weitere Nebenwirkungen sind Schwindel, Schläfrigkeit und Stimmungsveränderungen sowie Veränderungen des endokrinen und autonomen Nervensystems. Hydromorphon kann einen Harnverhalt auslösen. Bei gefährdeten Patient:innen sollte deshalb der Füllungszustand der Harnblase kontrolliert werden.

Patient:innen müssen informiert werden, dass ihre Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr, zum Führen von Maschinen und zum Arbeiten ohne festen Halt unter einer Therapie mit Hydromorphon beeinträchtigt sein kann.

Beispielhaft für zahlreiche weitere Nebenwirkungen sind Sehstörungen, Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen und ein verminderter Sexualtrieb zu nennen. Aufgrund der euphorisierenden Wirkung hat Hydromorphon ein hohes Suchtpotential. Bei Überdosierung kann es zu Miosis, Atemdepression und niedrigem Blutdruck kommen.

Wechselwirkungen

Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Anwendung von weiteren, zentral dämpfenden Substanzen, wie Hypnotika, Sedativa oder Alkohol. Es kann zu einer gegenseitigen Verstärkung der sedierenden und atemdepressiven Wirkungen kommen.

Monoaminooxidase-Hemmer (MAO-Hemmer, Einsatz z. B. bei Parkinson) können zu einer starken bis möglicherweise lebensbedrohlichen Wechselwirkung führen. Zu MAO-Hemmern sollte deshalb ein zweiwöchiger Einnahmeabstand gewahrt werden.

Hydromorphon kann die Wirkung von Muskelrelaxanzien verstärken und somit eine Atemdepression begünstigen.

Opioide haben anticholinerge Wirkungen. Die gleichzeitige Einnahme von Anticholinergika wie Psychopharmaka, Antihistaminika oder Parkinsonarzneimitteln kann deshalb anticholinerge Wirkungen wie Obstipation, Mundtrockenheit oder Störungen beim Wasserlassen verstärken.

Substanzen, die wie Buprenorphin, Nalbuphin oder Pentazocin eine hohe Affinität zum Opioid-Rezeptor haben, können die analgetische Wirkung von Hydromorphon teilweise antagonisieren und bei Opioid-abhängigen Patient:innen Entzugssymptome auslösen.

Kontraindikationen

Generell ist die Anwendung von Hydromorphon bei Überempfindlichkeit gegen diesen Wirkstoff kontraindiziert.

Wegen potenziell atemdepressiver Wirkungen – insbesondere bei Überdosierung – stellen gravierende Atemwegerkrankungen eine Gegenanzeige für die Anwendung von Hydromorphon dar. Dazu gehören schwere Atemdepression, schwere COPD, schweres Asthma oder Koma. Weiterhin könnte Hydromorphon potenziell lebensbedrohliche Krankheiten maskieren und ist deshalb kontraindiziert bei einem akuten Abdomen oder einem paralytischen Ileus.

Dosierung

Hydromorphon kann oral, subkutan, intramuskulär oder intravenös verabreicht werden. Aufgrund eines starken First-Pass-Effekts ist es peroral schlechter bioverfügbar als die meisten anderen Opioide. Wegen seiner guten Wasserlöslichkeit ist es besser als Morphin für die subkutane Applikation geeignet.

Die orale Dosierung hängt von der Stärke der Schmerzen und vom vorangegangenen Analgetikabedarf des Patienten ab. Die perorale Gabe ist nicht geeignet für Kinder unter zwölf Jahren. Üblicherweise wird bei nichtretardierten Zubereitungen mit 1,3 mg beziehungsweise 2,6 mg Hydromorphon alle vier Stunden begonnen. Das entspricht einer Dosierung von 10 mg bis 20 mg oral gegebenem Morphinsulfat. Bei retardierten peroralen Zubereitungen liegt die Anfangsdosis bei 4 mg zweimal täglich. Das Zeitintervall von 12 Stunden sollte nicht unterschritten werden. Bei stärkeren Schmerzen sind gegebenenfalls höhere Dosierungen und/oder eine Kombination mit retardiert freisetzenden Hydromorphon-haltigen Arzneimitteln notwendig.

Die ärztlich verordnete Dosierung sollte wegen der Gefahr der Entwicklung einer Abhängigkeit nicht eigenmächtig erhöht werden. Zudem sollte man die Behandlung nicht abrupt beenden, sondern die Dosis schrittweise reduzieren, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.

Die initiale parenterale Dosierung beträgt üblicherweise zunächst 1 bis 2 mg subkutan oder 1 bis 1,5 mg intravenös alle drei bis vier Stunden. Erwachsene mit einem Körpergewicht unter 50 kg sowie Kinder ab zwölf Monaten erhalten eine niedrigere Anfangsdosis.

Weil die Präparate den Wirkstoff in Dosierungen enthalten, die für Kinder tödlich sein können, ist es wichtig, das Arzneimittel für Kinder unerreichbar und geschützt aufzubewahren.

Schwangerschaft und Stillzeit

Hydromorphon ist plazentagängig und geht in geringen Mengen in die Muttermilch über. Die Anwendung von Hydromorphon in der Schwangerschaft und Stillzeit wird nicht empfohlen und ist allenfalls kurzfristig bei strenger Indikationsstellung vertretbar. Eine dauerhafte Einnahme in der Schwangerschaft kann zu Entzugssymptomen beim Neugeborenen führen. Die Uteruskontraktilität kann vermindert und die Gefahr einer Atemdepression beim Neugeborenen erhöht werden.

 

Quellen

ABDA Datenbank: Wirkstoffdossiers (Zugriff 03.05.2023)

Ammon/Mutschler/Scholz, Arzneimittel Information und Beratung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2022

embryotox: Hydromorphon. https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/hydromorphon (Zugriff 03.05.2023)

Fachinformation Jurnista®, 4 mg/8 mg/16 mg/32 mg/64 mg Retardtabletten, Janssen-Cilag GmbH. Stand Okt. 2017

Fachinformation Palladon® retard, 4 mg/8 mg/16 mg/24 mg Hartkapseln, retardiert, Mundipharma GmbH. Stand Nov. 2018

Fachinformation Palladon®, 1,3 mg/2,6 mg Hartkapseln, Mundipharma GmbH. Stand April 2017

Fachinformation Palladon® injekt, 2 mg/10 mg/100 mg Injektionslösung, Mundipharma GmbH. Stand Sept. 2018

Fachinformation Palladon® injekt, 20 mg/ml, 50 mg/ml Injektions-/Infusionslösung, Mundipharma GmbH. Stand März 2021

Fachinformation Hydromorphon Aristo® long, 8 mg/16 mg/32 mg Retardtabletten, Aristo Pharma GmbH. Stand Okt. 2022

Fachinformation Hydromorphon Aristo® long, 4 mg Retardtabletten, Aristo Pharma GmbH. Stand Okt. 2022

Fachinformation Hydromorphon-AWD®, 4 mg, 8 mg, 16 mg, 24 mg Retardtabletten, TEVA GmbH. Stand Nov. 2013

Fachinformation Hydromorphon-dura Retardtabletten. Stand Jan. 2017

Fachinformation Hydromorphonhydrochlorid-CT, 2 mg, 4 mg, 8 mg, 16 mg, 24 mg Hartkapseln, retardiert, AbZ-Pharma GmbH. Stand Juni 2013

Geisslinger G, Menzel S, Gudermann T, Hinz B, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. 11. Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Helwig/Otto, Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2022

Leitlinien: S3 Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/145-003. Stand April 2020


Antje Piening, Apothekerin
redaktion@daz.online


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