Verordnungen über Ciprofloxacin und Co.

Wann Fluorchinolone und wann nicht?

14.07.2023, 07:00 Uhr

Fluorchinolone werden immer noch außerhalb der vorgesehenen Anwendungsgebiete verordnet. (Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)

Fluorchinolone werden immer noch außerhalb der vorgesehenen Anwendungsgebiete verordnet. (Foto: Schwanen Apotheke, Stuttgart)


Aufgrund von Nebenwirkungen wurde die Anwendung von Fluorchinolonen bereits vor Jahren eingeschränkt. Doch die Mittel werden weiterhin außerhalb der empfohlenen Anwendungsgebiete verordnet. Mit einem Rote-Hand-Brief haben daher die Zulassungsinhaber kürzlich an die Anwendungsbeschränkungen erinnert. Anlass genug, sich anzusehen, in welchen Indikationen diese Wirkstoffgruppe noch ihre Berechtigung hat. 

Fluorchinolone zählen zu den Breitbandantibiotika, da sie überwiegend gegen grampositive und gramnegative Bakterien sowie Anaerobier wirken. Ihr Hauptangriffspunkt sind bakterielle Topoisomerasen und somit En­zyme, welche an der DNA-Replikation beteiligt sind. Dadurch verhindern sie die Vermehrung und Ausbreitung der Bakterien. Der im Juni 2023 veröffentlichte Rote-Hand-Brief zu Fluorchinolon-Antibiotika zur systemischen und/oder inhalativen Anwendung bezieht sich auf die folgenden Wirkstoffe:

  • Ciprofloxacin (z. B. Ciprobay®)
  • Delafloxacin (in D nicht erhältlich)
  • Levofloxacin (z. B. Tavanic®, Quins­air®)
  • Moxifloxacin (z. B. Avalox®)
  • Norfloxacin (z. B. Norflohexal®)
  • Ofloxacin (z. B. Oflox Basics)

Aufgrund von sehr seltenen, aber potenziell lebenslang beeinträchtigenden Nebenwirkungen sollte die Behandlung mit Fluorchinolonen nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung initiiert werden. In Deutschland sind Fluorchinolone u. a. für folgende Anwendungsgebiete zugelassen:

  • intraabdominale Infektionen
  • untere Atemwegsinfektionen ver­ursacht durch gramnegative Bakterien, z. B. Pneumonie
  • akute Verschlechterung der chronischen Sinusitis, insbesondere wenn sie durch gramnegative Bakterien verursacht ist
  • Harnwegsinfektionen, z. B. komplizierte Harnwegsinfektionen oder akute Pyelonephritis
  • akute und chronische bakterielle Prostatitis
  • Infektionen des Genitaltraktes, z. B. Gonokokken-Urethritis und -Zerviz­itis verursacht durch empfindliche Neisseria gonorrhoeae
  • Infektionen der Knochen und Gelenke

Anwendung stark beschränkt

Hierbei ist zu beachten, dass Fluorchinolone vor allem bei schweren bakteriellen Infektionen eingesetzt werden sollen oder wenn andere Antibiotika als ungeeignet erachtet werden. Beispielsweise gelten Fosfomycin, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam und Trimethoprim als Mittel der ersten Wahl bei einer unkomplizierten Zystitis. Ciprofloxacin und Levofloxacin werden hingegen ebenso wie Ceftriaxon und Cefotaxim als Mittel erster Wahl bei einer unkomplizierten Pyelonephritis mit schwerem Verlauf empfohlen. Auch werden Infektionen mit Fluorchinolonen behandelt, für die nur wenige Antibiotika zur Verfügung stehen, wie eine akute bakterielle Prostatitis.

Systemische oder inhalative Fluorchinolone sollten laut dem aktuellen Rote-Hand-Brief nicht verordnet werden zur Behandlung von:

  • nicht schweren oder selbstlimitierenden Infektionen, z. B. Tonsillitis, Pharyngitis, akute Bronchitis,
  • leichten bis mittelschweren Infektionen, darunter unkomplizierte Zyst­itis, akute bakterielle Rhinosinusitis, akute Otitis media, akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), es sei denn, andere üblicherweise ein­gesetzte Antibiotika werden als ungeeignet erachtet,
  • nicht bakteriellen Infektionen, z. B. nicht bakterielle (chronische) Prostatitis,

und auch nicht zur Prävention von:

  • Reisediarrhö oder
  • rezidivierenden Infektionen der unteren Harnwege.

Patienten, die bereits mit schwer­wiegenden Nebenwirkungen auf Chinolon- oder Fluorchinolon-Antibiotika reagiert haben, sollen ebenfalls keine systemischen oder inhalativen Fluorchinolone erhalten.

Sehr seltene, schwerwiegende Nebenwirkungen

Die Anwendung der Fluorchinolone wurde bereits 2019 beschränkt, nachdem die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in einer Risikobewertung schwerwiegende und langanhaltende (über Monate bis Jahre), die Lebensqualität beeinträchtigende und möglicherweise irreversible Nebenwirkungen festgestellt hat. Diese betreffen insbesondere den Bewegungsapparat und das Nervensystem. Die schwer­wiegenden Nebenwirkungen umfassen: Tendinitis, Sehnenruptur, Arthralgie, Schmerzen in den Extremitäten, Gangstörungen, Neuropathien mit Parästhesien, Depressionen, Fatigue, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, Psychosen, Schlafstörungen sowie Beeinträchtigungen der Sinne (Hören, Sehen, Riechen, Schmecken). Sehnenschäden können innerhalb von 48 Stunden nach Behandlungsbeginn, aber auch noch Monate nach Behandlungsende auftreten. Die Häufigkeit dieser schwerwiegenden Nebenwirkungen liegt bei 1 zu 10.000 (sehr selten). Ein erhöhtes Risiko für Fluorchinolon-­induzierte Tendinitis und Sehnenruptur haben ältere Patienten, Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, Organtransplantierte und Patienten, die mit Corticosteroiden behandelt werden. Bei diesen Patienten sollten Fluorchinolone mit besonderer Vorsicht angewendet werden. Eine gleichzeitige Behandlung mit Corticosteroiden und Fluorchinolonen sollte unterbleiben.

Praktisches Beratungsbeispiel

Ein praktisches Beispiel, wie Sie in der Apotheke vorgehen können, wenn ein Rezept über ein Fluorchinolon vorgelegt wird, finden Sie in der aktuellen DAZ. 


Dr. Karin Schmiedel, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Fluorchinolone in Ohrentropfen

von Dorf-Apothekerin am 18.07.2023 um 9:19 Uhr

Dass in Amerika Untersuchungen laufen,in Bezug auf geplatzte Trommelfelle nach Ohrentropfen mit Fluorchinolonen spricht für sich. Hier gibt es bedauerlicherweise bei Otitis media mit geplatztem Trommelfell keine Alternativen außer Cortison. Meiner Tochter ist ein halbes Jahr nach einer solchen Behandlung das Trommelfell geplatzt, als sie von Fischen 700Hm nach Wermelskirchen 200Hm in 6 Stunden fuhr. Das geschädigte Trommelfell konnte den Druckunterschied nicht ausgleichen. Nach massiven Schmerzen platzte das Trommelfell auf der Fahrt. Mehrere Operationen folgten. Der Chirurg behandelte nicht mit Fluorchinolonen nach, aber die Ambulanz bot dieses wieder an. Meine Tochter hat eine nachgewiesene Bindegewebsschwäche, wodurch sie für solche Nebenwirkungen wohl empfänglich ist. Da Nebenwirkungen ja eher nur in der Querdenkerszene existieren, dürfte auch hier die Dunkelziffer der geplatzten Trommelfelle auf Grund von Fluorchinolonen beachtlich sein.

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Neubeurteilung der Risikogruppen

von Patrick Horisberger am 16.07.2023 um 21:28 Uhr

Unsere Patientenorganisation unterstützt seit 6 Jahren Patientinnen und Patienten, die unter schweren und lang anhaltenden Fluorchinolone-Nebenwirkungen leiden. Wir sind dankbar für jede Berichterstattung zur Einschränkung bei der Anwendung von Fluorchinolonen. Trotz der medialen Berichterstattung und neuen öffentlichen Wahrnehmung muss gerade im Bereich der Anerkennung des teilweise diffusen Krankheitsbildes noch viel getan werden. Nach wie vor bestreiten viele Ärztinnen und Ärzte eine Kausalität, wenn die Nebenwirkungen erst nach Wochen oder sogar Monaten sich Bemerkbar machen. Entgegen der allgemeinen Auffassung sind nicht nur Menschen über 60 von schweren Nebenwirkungen betroffen. Grundsätzlich können Patienten jeglichen Alters von schweren physischen, neurologischen und psychischen Nebenwirkungen und Beschwerden betroffen sein können. Gemäss unserer Erfahrung im Austausch mit mehreren hunderten Betroffenen sind es vor allem die mittleren Altersgruppen, die Beschwerden und Einschränkungen im muskuloskelettalen Bereich aufweisen. Zuvor hoch sportliche und physisch aktive Menschen können wenige Tage nach Einnahme eines Fluorchinolon-Antibiotikum physisch schwer eingeschränkt sein.

Die von Fluorchinolone induzierten Sehnenbeschwerden (Risse, Entzündungen, Schmerzen) konzentrieren sich nicht ausschliesslich auf die Achillessehnen. Andere Bereiche und Körperstellen können ebenso häufig betroffen sein. Die Ergebnisse einer unserer Patientenbefragungen widersprechen den Risikobewertungen der Pharma-Hersteller sowie den Aussagen zahlreicher Ärzte, wonach ausschliesslich Achillessehnenbeschwerden mit einer FC-Einnahme assoziiert werden. Die Achillessehne dürfte die für die Mobilität des Menschen wichtigste Sehne des Körpers sein. Eine Beeinträchtigung der Achillessehne führt deshalb zu einer hohen Immobilität. Diese verlangt eine sofortige ärztliche Behandlung und umfassende Therapie. Anderen betroffenen Sehnen sind weniger einschränkend und werden deshalb in den meisten Fällen auch nicht umgehend gemeldet. Diese Wahrnehmung von Seiten der Ärzte mag ein Grund dafür sein, warum ausschliesslich Achillessehnenbeschwerden mit der Einnahme von FC assoziiert werden.

Gemäss unserer Patientenbefragung sind Sehnenrisse eher selten. Die Mehrheit der betroffenen Patientinnen leidet vielmehr unter schweren und chronischen Sehnenschmerzen und -entzündungen als unter den Folgen eines Sehnenrisses.

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kein Risiko-Bewusstsein

von Christian Lutsch am 14.07.2023 um 11:49 Uhr

In 6 Jahren Berufserfahrung habe ich nun 5 Fälle von Sehnenrupturen bei teils immobilen ud bettlägerigen Kunden erfahren. Weitere Erfahrungsberichte von KollegInnen zu ähnlichen Vorkommnissen sind ebenfalls bekannt. Die Dunkelziffer... unbekannt.

Wenn man in der Praxis anruft, um die Indikation oder ggf. nach einer Alternative zu fragen, ist das Erstaunen groß. "Ach, die Sache mit der Sehnenreizung", hätte keine klinische Relevanz oÄ.

Die Kunden will man ja auch nicht mit einem Rote-Hand-Brief in Panik versetzen, aber mit gutem Gewissen gebe ich Flurochinolone nicht ab.

Wer hat denn bereits einen Arzt von dessen Antibiotika-Wahl erfolgreich abbringen können?

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